Interview mit Kettcar-Bassist Reimer Bustorff:
Die neue EP ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.

In Interviews by indiespect

Kettcar sind spätestens mit dem Album «Ich vs. Wir» zu einer wichtigen Stimme in der deutschsprachigen Musik geworden. Mit ihren politischen Texten haben sie sich aber nicht nur Freunde gemacht. Am 15. März erschien die neue EP mit dem Titel «Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich). Fünf neue Songs, die das Themenspektrum nochmals erweitern. Digitalisierung, Charity und Konsum sind unter anderem die Themen. Vor ihrem Auftritt am m4music Festival in Zürich hatte ich die Möglichkeit mit Kettcar-Bassist Reimer Bustorff zu sprechen. Er ist neben Marcus Wiebusch der zweite Texter der Band und hat zusammen mit Wiebusch und Thees Uhlmann das Label Grand Hotel van Cleef gegründet.

Kettcar sind:

Marcus Wiebusch (Gesang, Gitarre)
Erik Langer (Gesang, Gitarre) 
Reimer Bustorff (Gesang, Bass)
Lars Wiebusch (Gesang, Keyobard)
Christian Hake (Schlagzeug)

Indiespect: Heute ist eure neue EP in digitaler Form erschienen und am 17. Mai folgt der Release auf Vinyl. Was war eure Motivation eine EP zu veröffentlichen?

Reimer Bustorff: Die Frage haben wir uns gar nicht so richtig gestellt. Wir sind nach dem Album und den Konzerten, die wir gespielt haben, schnell wieder im Thema gewesen. Wir haben gemerkt, dass wir noch Ideen haben und noch Stoff, der bearbeitet werden kann und muss. Wir hatten diese fünf Songs dann relativ schnell beisammen. Wir haben nicht gleich gedacht: oh, jetzt müssen wir strategisch denken und mal schauen, wie wir das am besten ausschlachten können. Das macht Rainer (Ott, Manager von GHvC)  dann natürlich, das macht die Plattenfirma. Aber uns war relativ schnell klar: lass uns die fünf Songs raushauen. Dann bleiben wir dran.

Indiespect: Ihr seid ja als Grand Hotel van Cleef auch ein Label und in knapp einem Monat ist der Record Store Day. Habt ihr nicht mit dem Gedanken gespielt, die physische EP zu diesem Zeitpunkt rauszubringen?

Reimer: Wir sind mittlerweile leider nicht mehr so Fans von dem Record Store Day. Ich habe das Gefühl, jeder bringt dann eine Platte raus, mit irgendwas drauf, um damit Kohle zu machen. Ich bin ja auch Musikfan und ein bisschen auch Vinyl-Fan und letztes Jahr gabs eine The Smiths-Single. Die wollte ich gerne haben und ich hab sie nirgendwo gekriegt. Zwei Wochen später ist die dann bei eBay andauernd aufgetaucht und da hat sie keiner gekauft. Die Leute, die mit Leidenschaft dabei sind, kommen zu kurz. Ich sehe es aber auch ambivalent. Denn eigentlich finde ich es toll, dass es so einen Spot kriegt. Aber diese Diskussion kam bei uns gar nicht auf. Wir wollten die Songs einfach zu den Konzerten haben. Wir hatten das Video zu Palo Alto vor den ersten Konzerten rausgebracht. Wir haben ein Hamburg-Konzert gespielt, ein relativ grosses und am Sonntag haben wir noch eine grosse Berlin-Show. So konnten wir die auch noch etwas promoten.

Kettcar

Erik Langer, Lars Wiebusch, Reimer Bustorff, Marcus Wiebusch, Christian Hake (v.l.n.r.). ©Andreas Hornoff

Indiespect: Morgen spielt ihr aber erst noch in Cottbus. Das ist ja eine ganz schöne Strecke von Zürich. Vor allem, da euer Auftritt heute erst um 23 Uhr startet.

Reimer: Haben wir jetzt auch gemerkt. Wir haben eigentlich gedacht, wir könnten über Schaffhausen relativ schnell reisen, aber jetzt dürfen wir nicht über Schaffhausen fahren. Ich weiss nicht, ob das damit zusammenhängt, dass wir das Merchandise am Abend nicht am Grenzübergang abwickeln können. Deswegen kommen wir da nicht durch und müssen anders fahren. Wir sind jetzt 15 Stunden unterwegs. Wir wollten eigentlich schön Fussball gucken. Ich bin gespannt, wie das alles läuft.

Indiespect: Einer der neuen Songs heisst «Scheine in den Graben». Dazu hast du den Text geschrieben. Dort habt ihr zahlreiche bekannte Gastmusiker, wie Bela B., Felix Brummer, Schorsch Kamerun und viele weitere. Das nehmen die Medien natürlich gerne auf. Aber der Fokus liegt dann viel stärker auf den prominenten Gästen, als auf dem Inhalt des Songs. Wolltet ihr damit auch die Medienlandschaft spiegeln?

Reimer: Erstmal stellt sich die Frage, bietet sich sowas überhaupt an. Marcus kam ursprünglich auf die Idee. Erst einmal war der Gedanke, dass wir mehr Aggression in den Chorus-Part kriegen wollten. Dann kam die Idee mit David Frings von Fjørt, den wir relativ schnell im Boot hatten. So hat sich das weitergesponnen. Natürlich denkst du auch, dass es gut ist, wenn diese ganzen Namen drin stehen. Klar ist es gut, wenn du einen Bela B. hast. So bekommen noch einmal andere Leute einen Fokus auf einen. Ich verstehe aber genau was du meinst, dass es vom Inhalt etwas ablenkt.

«Scheine in den Graben» ist ein Song gegen scheinheilige Charity-Veranstaltungen. Dafür haben sich Kettcar namhafte Gäste ins Boot geholt.

Indiespect: In dem Song geht es um die Scheinheiligkeit von Charity-Events der Oberschicht. Und genau bei einem solchen Titel wird bei Medienberichten der Fokus vor allem auf das enorme Künstler-Aufgebot gelegt. Dann hörst du den Song und es ist faktisch ein Kettcar-Track, bei dem am Ende kurze Passagen von den erwähnten Künstlern eingebaut werden.

Reimer: Und der Chorus, da singen sie alle mit. Aber das geht natürlich so ein bisschen unter.

Indiespect: Ich unterstelle euch das nicht, aber daraus wird wieder Clickbaiting gemacht.

Reimer: Ja, das ist natürlich genau diese Widersprüchlichkeit, die fast jeder Song auf dieser EP hat. Das ist bei dem Natürlich für alle-Song genauso wie bei Palo Alto. Auch da gibt es seine Widersprüchlichkeiten. Wie ist der Weg und wie sollen wir in Zukunft leben. Wie gehen wir damit um. Wir haben auch lange mit Bela B. diskutiert, der natürlich ganz richtig sagt: Hey, ich bin doch selber Millionär und hau mal da was raus. Eigentlich ist es doch gut, wenn die Leute das machen. So kommt man in eine Diskussion und so schafft man es vielleicht dass Leute sich damit beschäftigen. Eine Lösung habe ich dafür natürlich auch nicht. Ich kann es auch nicht einfach verurteilen. Ich bin selber so und sag: ich sauf jetzt nur noch Viva con Agua und versuche gerecht zu leben.

Und dann feiern wir ganz alleine
Oh, Mama hat Langeweile
Und wir schmeißen, was wir haben
Scheine in den GrabenScheine in den Graben, Kettcar

Indiespect: Diese Charity-Veranstaltungen haben natürlich ein anderes Level. Es ist eine Art von Selbst-Vermarktung.

Reimer: Das ist es natürlich. Aber wie gesagt, Bela B. ist ja auch noch einmal auf einem ganz anderen Level wie wir. Der kriegt das anders mit und kennt auch ganz andere Leute. Trotzdem hat er gesagt, er ist dabei, nachdem wir gesprochen haben. Auch mit Schorsch Kamerun. Marcus hat sich mit ihm im Kaffee getroffen und sie haben über zwei Stunden nur diskutiert, ob man das machen kann oder nicht. Es war ein ganz spannender Prozess, Leute an Bord zu holen, die auch wirklich interessiert waren. Viele haben nachgefragt, wie denn was gemeint ist. Es hat keiner einfach gesagt: joa, klar. Bin dabei, weil’s Kettcar ist. Wird schon gut sein.

Circa Waves

Kettcar am m4music 2019.

Indiespect: Dann habt ihr ja die richtigen Leute gefragt.

Reimer: Gefühlt schon, ja. Auch da haben wir natürlich überlegt und hatten eine Liste. Es war aber doch relativ einfach, die Leute zusammenzukriegen.

Indiespect: Habt ihr auch welche angeschrieben, die nicht mitgemacht haben?

Reimer: Ja, aber die haben nicht nicht mitgemacht, weil sie nicht wollten, sondern weil sie nicht konnten. Zwei haben abgesagt, die keine Zeit hatten. Monchi von Feine Sahne Fischfilet haben wir angefragt. Der ist auf Kuba im Urlaub gewesen und war auch auf Social Media raus aus allem. Den haben wir halt nicht zu fassen gekriegt. Er hat aber jetzt im Nachhinein noch gesagt: och, schade.

Wir haben so viel Stoff über gehabt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das jetzt schon das Ende der Fahnenstange ist oder ob da vielleicht noch was kommt.Reimer Bustorff, Kettcar

Indiespect: Ihr sagt ja, die EP sei eine Ergänzung zum Album mit komplett neuen Songs. «Ich vs. Wir» hat euch 2017 neu definiert. Hat das euch neue Energie gegeben oder hattet ihr die davor schon wiedergewonnen?

Reimer: Wir haben schon ganz schön Rückenwind gehabt, irgendwie. Bevor wir das Album gemacht haben, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, ob wir noch etwas machen und neue Songs schreiben wollen. Haben wir Ideen? Was ist da? Ich habe mich viel mit Marcus getroffen und wir haben uns viel ausgetauscht. Wir sind ganz schnell auf eine gesellschaftskritische Diskussion gekommen. Wie ich am Anfang schon gesagt habe, wir haben so viel Stoff über gehabt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das jetzt schon das Ende der Fahnenstange ist oder ob da vielleicht noch was kommt.

Indiespect: Vielleicht noch einmal eine EP?

Reimer: Ja, wer weiss. Kann gut sein. Ich weiss nicht, was bei Marcus schlummert, aber wenn wir wieder in Hamburg sind, werden wir uns wieder zusammensetzen. Dann schaut man, was man noch weiter macht.

Fünf frische Songs von Kettcar sind auf der neuen EP «Der Süsse Duft Der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich) enthalten.

Indiespect: Beim Keynote Talk heute Nachmittag hat er gesagt, dass es wichtig ist, dass man sagt, was man denkt, aber nicht jemandem seine Meinung aufdrücken will. Die Frage war, ob es euch stört, wenn Leute an euer Konzert kommen, die lieber einfach «Balu» hören statt sich politisch zu viele Gedanken zu machen. Wie wichtig ist dir das?

Reimer: Mir ist es natürlich schon wichtig. Sonst würden wir solche Platten wie Ich vs Wir oder die EP nicht machen. Andererseits weiss ich natürlich auch, dass Leute, die sich eine Karte für ein Kettcar-Konzert kaufen, auf unserer Seite sind. Da weisst du, man fetzt sich nicht mit Leuten. Aber wenn du so einen Song wie Sommer ‘89 bei YouTube reinstellst, dann kriegst du Kommentare um die Ohren gehauen, da hast du erstmal nicht damit gerechnet. Da wirst du angefeindet und so. Aber auch da entsteht in den Kommentar-Leisten, wo natürlich auch viel Idioten dabei sind und wo es schnell unter die Gürtellinie geht, ein Diskurs. Die Leute setzen sich mit der Thematik auseinander. Den Song hat Marcus ja, wie ich finde, sehr genial angelegt. Nämlich, dass er überhaupt nicht sagt: Jetzt vergleicht mal wie das heute ist und wie es damals war. Das macht er ja nicht, das machen die Leute selbst. Trotzdem ist der erste Kommentar gleich: Das damals kann man ja gar nicht mit heute vergleichen, und die Leute regen sich auf. Trotzdem setzen sie sich damit auseinander und das freut mich irgendwie. Das ist für mich motivierender oder erfrischender als ein Balu rauszuhauen. Aber dass die Songs für uns natürlich auch total wichtig sind, ist ja auch klar.

Circa Waves

Marcus Wiebusch spricht beim Keynote-Talk über die Ansprüche von Kettcar und die Anfänge von Grand Hotel van Cleef.

Indiespect: Man spürt, dass es euch ein Anliegen ist und ihr politische Menschen seid. Wenn ihr auf Tour seid oder Songs schreibt, werdet ihr immer mit diesen ernsten Themen konfrontiert. Kann einen das nicht auch mal erdrücken?

Reimer: Naja, erdrücken. Ich setze mich tatsächlich sehr viel damit auseinander, wo ich mich richtig und wo falsch verhalte. Dieses Thema haben wir auch bei Natürlich für alle, wo es um Konsum geht. Gibt es einen richtigen Konsum oder einen falschen? Bringt es was, wenn ich jetzt nur noch Fairtrade kaufe, oder bringt das nix? Ist das vielleicht Quatsch? Da gibts ja auch viele die sagen: Macht auch keinen Sinn. Wenn dann musst du das ganze System ändern. Und nicht im EDEKA oder ihr in der Migros, oder wie es heisst, stehen und deine Kaufentscheidung treffen. Veränderst du die Welt damit? Ist es wirklich etwas Gutes, was du damit machst, 50 Cent oder Rappen mehr auszugeben. Bei dem Song haben wir sehr diskutiert und uns auch angeschrien. Da fetzen wir uns dann auch. Erik hat auch eine sehr starke Meinung und fragt dann: Was soll ich denn machen? Was sind denn meine Möglichkeiten? Es ist aber natürlich niveauvoll. Wir streiten uns und das bringt auch Spass. Das bringt einen weiter und regt an.

Es gibt so einen Fairtrade-Werbespot, der sagt: Im Grunde musst du nichts. Du musst dies und dies nicht machen, du musst nicht in irgendwelchen NGO’s sein oder eine Schule bauen in Afrika, es reicht, wenn du Fairtrade-Artikel kaufst. Das ist halt Quatsch.Reimer Bustorff, Kettcar

Indiespect: Wenn ich den Song richtig verstehe, geht es ja auch darum etwas zu machen, was einem selbst richtig erscheint. Egal, ob es jetzt das ganze System ändert oder nicht. Oder sehe ich das falsch?

Reimer: Ja, ganz klar. Ich steh ja selber da und weiss es nicht. Ich bin ja selber hier mit meinem Handy zugange und muss mich entscheiden. Ich sag dann einfach, bei Amazon kauf ich nicht. Dann kann man mich kritisieren und sagen: jetzt läufst du hier mit deinem iPhone oder deinem Samsung-Ding rum und bei Amazon willst du nicht kaufen. Das ist ja doppelmoralisch. Mit dieser Thematik muss man sich auseinandersetzen. Die Leute, die einen kritisieren wollen, haben eine Fläche, bei der ich angreifbar bin, muss ich auch zugeben. Aber ich bin auch reglementiert in meinen Möglichkeiten und habe nur einen gewissen Handlungsspielraum, was ich als einzelner machen kann. Wenn ich mir Fairtrade anschaue, was ich eigentlich gut finde und unterstütze, bin ich mir auch nicht immer ganz sicher. Es gibt so einen Fairtrade-Werbespot, der sagt: Im Grunde musst du nichts. Du musst dies und dies nicht machen, du musst nicht in irgendwelchen NGO’s sein oder eine Schule bauen in Afrika, es reicht, wenn du Fairtrade-Artikel kaufst. Das ist halt Quatsch. So kann es ja auch nicht sein. Das ist eine Schwierigkeit für alle in unserer Wohlstands-Welt, in der wir leben, damit umzugehen.

Circa Waves

Reimer Bustorff ist auch für einige der Ansagen beim Konzert verantwortlich.

Indiespect: Mit «Ich vs. Wir» habt ihr den Nerv der Zeit getroffen. Davor hattet ihr eine lange Bandpause. «Zwischen den Runden» war ein schwieriges Album für euch.

Reimer: Kann man sagen, ja.

Indiespect: War damals das Problem, dass es euch zu wenig Tiefe hatte?

Reimer: Ich glaube wir waren da in einer Phase, wo die Band erschöpft war und wir keine richtigen Ideen hatten, wie es weitergeht. Wir waren über einen langen Zeitraum am Ende unserer Ideen und mussten uns daher neu erfinden. Das haben wir dann irgendwie versucht und sind nicht so richtig auf einen Nenner gekommen. Deswegen tat diese Pause auch wahnsinnig gut oder war ganz wichtig für die Band.

Wir waren über einen langen Zeitraum am Ende unserer Ideen und mussten uns daher neu erfinden.Reimer Bustorff, Kettcar

Indiespect: Wie hat es sich für euch angefühlt, als Marcus sagte, dass er jetzt ein Soloalbum machen möchte?

Reimer: Ich hab das schon verstanden und war auch nicht so überrascht. Wenn man ein Album macht, gibt es Diskussionen. Text-Diskussionen, die wir auch jetzt haben. Es gibt aber natürlich auch musikalische Diskussionen. Der eine mag grün, der andere mag blau lieber. Da muss man Kompromisse finden. So eine Band ist auch ein fragiles System. Damals haben wir Frank noch am Schlagzeug gehabt, was dann auseinander gegangen ist und auch belastend war. Wir haben lange zusammen Musik gemacht. Marcus hat bei …But Alive schon mit ihm gespielt. Das war eine Zäsur, ein schwerer Punkt. Neuer Schlagzeuger, wenig Ideen, wenig Konsens innerhalb der Band und da hat man sich so ein bisschen entzweit.

Indiespect: Wie in einer Beziehung.

Reimer: Ja, genau. Die Luft war raus, würde ich sagen. Marcus hat dann gesagt, er würde gerne ein Album machen, wo ihm mal keiner reinquatscht. Nicht jeden Ton, den man spielt, mit jemandem besprechen und rechtfertigen muss. Das kann ich total gut nachvollziehen. Die Platte hat ihn dann aber glaube ich auch ziemlich angestrengt. Es war ganz schön heftig und ging ans Eingemachte. Ist dann aber auch alles super gewesen. Er hat eine gute Tour gespielt und eine tolle Platte gemacht. Wir spielen Der Tag wird kommen ja auch immer noch.

«Der Tag wird kommen» ist ein Song gegen die Homophobie im Fussball. Der Track von Marcus Wiebuschs Soloalbum «Konfetti» hat mittlerweile auch einen festen Platz im Kettcar-Set.

Indiespect: Das ist ja schon beinahe wie eine Patchwork-Familie.

Reimer: Ja, total. Wir sind da auch alle cool damit. Dann hat Marcus vom Theater Kiel die Anfrage gekriegt von einem Theaterstück Die Räuber von Schiller zu vertonen. Er hat mich gefragt, ob ich da mitmachen kann, weil er es nicht alleine machen wollte. So haben wir darüber wieder angefangen zusammenzuarbeiten und zu schreiben. Das hat uns weitergebracht. Wir haben dann wieder gemerkt, dass es geiler ist, im Team zu arbeiten.

Indiespect: Wann war das?

Reimer: Die Platte ist 2017 rausgekommen, dann müsste das so 2015 oder so gewesen sein. Ich bin immer so schlecht mit sowas. 2015 oder 2016. Das war eine ganz gute Erfahrung. Wir haben Stücke für das Theaterstück geschrieben und es hat tierisch Spass gemacht. Man musste natürlich immer etwas an dem Schiller-Text bleiben und hatte dadurch ein bisschen eine Anleitung, wo die Reise hingehen sollte.

Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff haben gemeinsam die Musik für das Theaterstück «Die Räuber» von Friedrich Schiller geschrieben.

Indiespect: Das ist ja vielleicht in diesem Moment optimal, wenn man wieder frisch zusammenarbeitet.

Reimer: Es war total gut und dankbar, ja. Darüber haben wir wirklich wieder angefangen uns auszutauschen und zusammen auch eine neue Arbeitsweise entwickelt.

Indiespect: In der Zeit, in der Kettcar nicht aktiv war, warst du da wieder mehr beim Grand Hotel van Cleef involviert?

Reimer: Ja, genau.

Indiespect: Du bist von der Band ja noch am meisten im operativen Geschäft drin. Euer Gitarrist Erik hört sich glaube ich jeweils noch die Demos an.

Reimer: Ja, das macht er auch nicht mehr. (lacht) Wir kriegen ja auch kaum noch Demos. Macht keiner mehr.

Indiespect: Oder Links?

Reimer: Ja, auch das nicht. Das wird immer weniger. Ich habe das Gefühl, es gibt kaum noch Nachwuchsbands, die sich bewerben. Bei uns kommt nicht mehr so viel an.

Indiespect: Aber ihr wärt noch immer offen dafür?

Reimer: Ja, klar. Immer!

Indiespect: Was habt ihr denn da für Prinzipien bei den Bands?

Reimer: Im Grunde haben wir keine Prinzipien. Das muss irgendwie unser Herz berühren, das ist alles. Wir haben mittlerweile auch ganz unterschiedliche Sachen rausgebracht. Da sind wir relativ offen.

Nach seinem Soloalbum lernte Marcus Wiebusch die Arbeit im Team wieder schätzen.

Indiespect: Man spricht ja immer vom Vinyl-Revival. Spürt ihr das als Independent-Label auch?

Reimer: Letztes Jahr ging es mit den Zahlen wieder nach unten. Das erste Mal seit dem Boom hat Vinyl wieder ein bisschen in den Verkäufen abgenommen.

Indiespect: Wie geht es euch denn so generell?

Reimer: Ganz gut. Das Gute ist ja, wir haben uns früh relativ breit aufgestellt. Wir machen die Konzerte selber und buchen die Kettcar-Touren selber. Damit kann man den Apparat schon am leben halten. Wir sind auch nicht grössenwahnsinnig mit unseren Ausgaben, sondern sehr bodenständig. Wir kriegen das ganz gut hin. Mit Streaming kommt auch noch ein bisschen was rein. Man kann nicht sagen, man verdient gar nichts mehr.

Wir sind auch nicht grössenwahnsinnig mit unseren Ausgaben, sondern sehr bodenständigReimer Bustorff, Kettcar

Indiespect: Das ist spannend. Irgendwie hört man immer wieder, dass Streaming den Künstlern nichts bringt. Aber trotzdem wird es immer wieder als wichtige Einnahmequelle genannt.

Reimer: Ja, natürlich ist es das. Es ist zwar verschwindend gering. Wenn du einen Song anklickst kann ich dir auch nicht sagen, was bei mir ankommt. Es gibt auch verschiedene Typen. Abo-Modelle, mit Werbung, ohne Werbung. Bei YouTube ist es noch einmal ganz anders. Es gibt gewisse Schwellen, da verdienst du ab einer bestimmten Klickzahl mehr. Es ist sehr komplex und auch nicht transparent. In den Abrechnungen sehe ich nicht, ob jemand ein Abo-Streamer ist oder ein kostenloser Streamer.

Indiespect: Hätte es das Grand Hotel van Cleef weiterhin gegeben, auch wenn sich Kettcar aufgelöst hätten?

Reimer: Ich glaube ja, aber vielleicht nicht in dem Gewand, wie es jetzt ist. Wir haben zwei Auszubildende, zwei Praktikanten und vier Festangestellte. Ich glaube der Apparat wäre kleiner. Aber jetzt kommt Thees (Uhlmann) ja auch und dann muss man noch einmal gucken.

Grand Hotel van Cleef

Das Label Grand Hotel van Cleef wurde 2002 von Reimer Bustorff, Marcus Wiebusch und Thees Uhlmann gegründet.

Indiespect: Was unterscheidet für dich das Grand Hotel van Cleef von anderen Labels?

Reimer: Huch, das ist schwierig. Das ist so, als ob man im Kindergarten sein Kind hat und jemand fragt, was mit deinem Kind anders als bei den anderen ist. Unser Label ist natürlich das geilste. (lacht)

Indiespect: Das sagen eure Künstler ja auch.

Reimer: Wir versuchen eine gute Plattform für den Künstler zu sein. Wir sind selber Künstler, ich glaube das macht viel aus. Wir wissen wie wir als Künstler behandelt werden wollen und das geben wir weiter. Auch da reibt man sich öfter mal mit den einen oder anderen, aber soll auch so sein. Vielleicht ist das eine Besonderheit, aber ich kann auch nicht sagen ob das bei Staatsakt jetzt anders ist, oder bei Tapete. Wir verstehen uns auch mit allen ganz gut. Wir unabhängigen Plattenfirmen ziehen an einem Strang. Mir fällt jetzt kein Beispiel ein, wo wir uns mal in die Quere gekommen sind. Wenn, dann kriegt man das auch immer ganz schnell wieder weggebügelt. Wenn der eine Künstler nicht mehr da sein will, sondern zu uns möchte oder umgekehrt. Wir haben auch Künstler verloren. Das gehört halt auch dazu. Olli Schulz wollte irgendwann mit Streichorchester aufnehmen, das konnten wir nicht bezahlen. Dann ist er halt zum Major gewechselt. Und das kann man ihm auch nicht verdenken. Er hat von allen Seiten Angebote bekommen und alle Türen standen ihm offen. Wenn er denkt, das ist die richtige Entscheidung, dann muss er den Schritt auch machen. Da ist es auch voll okay, dass wir mit dem Schicksal leben müssen, dass wir Sachen aufbauen und dann verlieren, weil wir eine gewisse Grössenordnung nicht mehr stemmen können. Auch Death Cab For Cutie zum Beispiel. Da haben wir auch die eine Platte gemacht und dann kommt Warner weltweit um die Ecke mit ‘nem Koffer Geld. Dann bist du halt raus, so einfach ist das. Du hast Verträge und die zählen nichts. Da hätten wir natürlich in Amerika klagen können, aber wer soll das bezahlen? Da hört es dann auch schon auf.

Olli Schulz wollte irgendwann mit Streichorchester aufnehmen, das konnten wir nicht bezahlen.
Dann ist er halt zum Major gewechselt. Und das kann man ihm auch nicht verdenken.Reimer Bustorff, Kettcar

Indiespect: Hattet ihr weltweit Verträge mit Death Cab For Cutie?

Reimer: Nein, wir hatten Europa. Sie haben uns dann gesagt, wir können Deutschland, Österreich und die Schweiz weitermachen. Dann haben wir ein bisschen gemeckert und man hat uns Italien noch gegeben. Das ist wie beim Risiko-Spiel gewesen, da wurden die Territorien so aufgeteilt. Voll absurd auch. Die Platte haben wir aber immer noch.

Indiespect: Welche war das?

Reimer: Die Transatlanticism, die dritte. War voll die gute Platte. Das sage ich auch mit stolz geschwellter Brust. Es ist toll, dass wir diese Platte gemacht haben.

Indiespect: Das ist ja sogar ein Fan-Favorit.

Reimer: Das war auch ein bisschen die Durchbruch-Platte, in Europa zumindest. In Amerika waren sie ja schon bisschen ‘ne Nummer. Damit haben sie es richtig geschafft. Da haben wir unseren Teil dazu beigetragen. Dass du so eine Band dann verlierst und nicht halten kannst, das gehört dazu.

Das dritte Album von Death Cab For Cutie ist bei Grand Hotel van Cleef erschienen. «Transatlanticism» war der Durchbruch für die Amerikaner.

Indiespect: Ihr seid quasi die Eltern, die ihre Kinder ziehen lassen müsst.

Reimer: So ist es, ganz genau.

Indiespect: Ich möchte gerne noch einmal auf eure EP zu sprechen kommen. Bei «Palo Alto» geht es ja um die Verlierer der Digitalisierung. Wie stehst du da persönlich dazu?

Ich nutze die Vorzüge der Digitalisierung genauso – und wir im Label natürlich auchReimer Bustorff, Kettcar

Reimer: Das ist der Fortschritt. Ich nutze die Vorzüge der Digitalisierung genauso – und wir im Label natürlich auch. Ich streame auch Musik. Ich habe auch noch meinen Plattenspieler zuhause, aber ich guck Netflix und so. Ich nehme die Sachen schon mit. So darf der Song auch nicht verstanden werden. Er zeigt nur fünf Gestalten auf, die in dieser Mühle sind. Der letzte fällt halt ganz weg und die drehen durch, weil sie nicht wissen, was sie jetzt machen sollen. Aber ich bin überhaupt kein Fortschrittsverweigerer. Wenn ich höre, dass jetzt die Deutsche Bank mit der Commerzbank fusionieren soll und 20’000 Arbeitsplätze verloren gehen, muss man auch sagen, so bitter die Einzelschicksale sind, es ist der Lauf der Dinge. Auch da kann der Song nur darstellen, dass es einzelne Individuen gibt, die nicht mehr mitkommen. Wie gehen wir damit als Gesellschaft um? Was machen wir mit denen? Vielleicht kann der Song auch wieder einen kleinen Denkanstoss geben und die Leute zum grübeln bringen. Mehr aber auch nicht. Ich habe keine Lösung dafür, ich weiss es nicht. Vielleicht ist das Grundeinkommen dann irgendwann doch der richtige Weg. Ihr habt es ja versucht in der Schweiz und es ist krachend gescheitert. Vielleicht kommt man irgendwann nicht mehr drum rum, weil nicht mehr genug Jobs da sind, die die Leute machen können. Ich bin kein Zukunftsforscher oder so, sondern einfach nur Künstler. Ich kann nur meinen kleinen bescheidenen Teil dazu beitragen, eine Diskussion anzustossen. Wenn überhaupt.

Indiespect: Denkst du das Sterben der gedruckten Musikzeitschriften hängt auch direkt damit zusammen?

Reimer: Klar, auf jeden Fall. Der Fokus geht ja auch weg. Wenn ich die Generation, die nachkommt anschaue, die hat eine ganz andere Mentalität am Handy. Die geben vielleicht mehr Geld für Spiele oder Apps aus und kaufen nicht mehr das VISIONS. Die Auflagen gehen ja alle zurück, nicht nur im Musikbereich. Es ist bei allen Zeitungen so. Die Leute lesen Spiegel Online, aber wer kauft den Spiegel dazu? Die Printausgabe wird es irgendwann nicht mehr geben. Die alten Abonnenten sterben irgendwann und die neue Generation kennt das gar nicht mehr. Auch da muss ich sagen, das ist halt der Lauf der Dinge. Ich will natürlich auch lieber was blättern. Ich lese auch immer noch Bücher und hab nicht so einen eReader. Ich mag die Haptik. Aber ich kann natürlich einem 18- oder 19-Jährigen nicht sagen: Das ist scheisse, jetzt lies mal ein Buch. Das ist ja absurd. Meine Eltern haben damals auch nicht verstanden, wie ich plötzlich am C64er sitze und Pacman spiele, oder am Atari. Es ist der Wandel der Zeit. Wir müssen als Gesellschaft nur schauen, dass alle mitkommen und nicht zu viele auf der Strecke bleiben. Und eine Lösung finden, wie man das hinkriegt. Das finde ich sehr spannend.

Indiespect: Niemand weiss wo es hingeht.

Reimer: Ja, aber das war auch schon immer so. Es ist natürlich so, dass wir gerade an so einer Bruchstelle sind. Wir bekommen jetzt knallhart diese Digitalisierung mit. Aber auch das darf man nicht so negativ sehen. Man muss auch die Vorteile erkennen. Auch wenn man über ein Grundeinkommen diskutiert, finde ich das spannend. Vielleicht muss nicht mehr jeder acht Stunden am Tag für irgendwas arbeiten. Und wenn es nur dafür ist, dass er seine Miete bezahlen und einmal im Jahr nach Mallorca fliegen kann. Vielleicht gibt es auch andere Lebensarten. Vielleicht muss man dann nur noch vier Stunden arbeiten und den Rest sitzt man im Kaffee oder so. Ist doch ‘ne gute Vorstellung. Aber ob das funktionieren kann, weiss ich auch nicht. Oder ob die Leute dann durchdrehen und sich die Köpfe einschlagen.

Indiespect: Jetzt habe ich richtig die Zeit vergessen. Vielen Dank für das nette Gespräch.

Reimer: Alles gut. Das ist doch super, wenn man so ins Quatschen kommt.