Servus in Stadt & Land - Bayern 3/13

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03 /2013 &

in Stadt & Land

Gutes von daheim

Seidelbast  & Löwenzahn &  Pasteten & Terrinen  & Kresse &  KöSSlarner Palmbrauch  &  tierleben: Der storch

Rezepte aus Niederbayern

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E i nfac h

.

Gut .

Leben

Die Korbkünstlerin

Flechtwerk aus Oberbayern

2

MÄRZ

03/2013 EUR 3,90

s Melod g n ien des Frühli Münchner Buchstabenkunst

&

Fränkische Osterbrunnen

&

Wildholzmöbel aus dem Allgäu

>


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Inhalt 2013 März

Küche

Wohnen

10 Der Frühlingszauberer

44 Würzige Verwandte

68 Traum eines Schreiners

20 Im Kreislauf der Natur

48 Rupfhauben & Zwuler Niederbayerische Rezepte mit

76 Lenz am Teller

Der Seidelbast blüht früher als jeder andere heimische Strauch und ist in vielen Gegenden traditioneller Teil von Palmbuschen.

Über das Allgäuer Paradies der Schrameks – und warum ihre Pflanzen wachsen dürfen, wo sie wollen.

30 Vom Zwitschern & Nisten Im Frühling freuen sich die brütenden Singvögel über einen naturnahen Garten.

120 Klappernder Frühlingsbote Jetzt landet der Weißstorch wieder bei uns, um ein Nest zu bauen und seinen Nachwuchs aufzuziehen.

4 Servus

Kresse ist nicht gleich Kresse. Drei Arten, die fast rund ums Jahr feinen Geschmack auf den Teller bringen.

bäuerlicher Tradition.

56 Richtig schön aufbrezeln

Selbst gebackene Brezn schmecken viel zu gut, um sie wie früher nur zur Fastenzeit zu essen.

58 Sehr gut in Form

Pasteten und Terrinen, die mit ein bisschen Geduld leicht gelingen.

64 Bier & Brot

Eine deftige, schmackhafte Suppe aus Omas Kochbuch.

Für Bernhard Policzka wurde die Renovierung seines Unterammergauer Mittertennhauses zum Lebenswerk.

Aus keimendem Weizen bis Ostern ganz einfach einen grünen Kranz zu ziehen bringt Kindern viel Freude.

78 Alles blüht auf

Mit Primeln, Osterglocken und Tulpen in hübschen Gestecken kommt der Frühling ins Haus.

82 Guten Morgen!

Ein festlich gedeckter Tisch macht das Osterfrühstück mit der Familie noch viel schöner.

zusatzfotos Cover: Eisenhut & Mayer, florian bachmeier

Natur & Garten

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Standards 116

Land & Leute 98 Die Weisheit der Hände

Die Münchner Schriftsetzerin Christa Schwarztrauber rettet mit ihrer Buchstabenkunst ein Stück unserer Kultur.

110 Wild auf Holz

Martin Rothärmel aus dem Oberallgäu hat ein Herz für krumme Stämme und verwachsene Wurzeln und baut daraus eigenwillige Möbel.

116 In luftiger Höhe … flora press, masterfile

fotos inhalt: eisenhut & Mayer, katharina gossow, bernhard huber, maria dorner, julia rotter, patricia weisskirchner,

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… und zu ebener Erde lässt Kirchenmaler Matthias Krämer alte Kunst in neuem Glanz erstrahlen.

126 Zu Gast auf Höri

Von der atemberaubenden Schönheit der Halbinsel nahe Bayern am westlichsten Zipfel des Bodensees.

Brauchtum 16 Morgenröte des Frühlings Was Göttin Ostara und Märchenschreiber Jacob Grimm mit Ostern zu tun haben.

88 Eines Esels Geschichte

Wenn im niederbayerischen Kößlarn der Palmsonntag gefeiert wird, darf auch der Palmesel nicht fehlen.

104 Vom Putz’n des Brunnens

Als Zeichen ihrer Dankbarkeit schmücken die Menschen in Hollfeld in der Fränkischen Schweiz vor Ostern ihre Brunnen.

150 Alte Zeiten

3 Vorwort 6 Leserbriefe, Altes Wissen 7 Mundart 8 Servus daheim 26 Schönes für draußen 28 Der Garten-Philosoph 38 Unser Garten, Mondkalender 42 Natur-Apotheke: Löwenzahn 66 Fundstück: Alte Kastl, neu besetzt 86 Schönes für drinnen 94 Michael Köhlmeier: Wenn ich es will 138 Gutes vom Bauern: Weidekörbe 140 Nicola Förg:

Hommage an die Kühnheit

144 ServusTV: Sehenswertes im März 148 Feste, Märkte, Veranstaltungen 154 Impressum, Ausblick, Bezugsquellen Titelillustration: Andreas Posselt

Wie die Sauschneider einst zu der zweifelhaften Ehre kamen, als Vorlage für unseren Kasperl zu dienen.

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Natur & Garten

Der Frühlingszauberer Der Seidelbast blüht früher als jeder andere heimische Strauch, duftet betörend und ist in vielen Gegenden traditioneller Teil von Palmbuschen. Angeblich haben nicht einmal Hexen eine Chance gegen den Schutzzauber der lila Blüten. redaktion: Julia Kospach


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em Volksglauben nach konnte ein Stück vom Seidelbast wahre Wunder wirken. Band man es um den Hals eines Kalbes, vertrieb es Läuse. Ein in Essig ein­ gelegter Streifen seiner Rinde ließ sich als Zugpflaster verwenden. Hexen hatten keine Chance gegen ein am Palmsonntag geweih­ tes Zweiglein vom Seidelbast, das sich Fuhr­ leute als Schutzzauber auf ihren Wagen und Bauern an ihren Pflug steckten. Und wollte früher im bayerischen Raum ein Bräutigam für seine Ehe Glück und Wohl­ stand sicherstellen, gab er seinem Ross am Tag der Hochzeit einige Seidelbastbeeren zu fressen, auf dass das Tier auf dem Weg zur Braut besonders laut, wild und segen­ verheißend wiehere. Eine Heilige Kraft

Nach einer Legende bei unseren oberöster­ reichischen Nachbarn besitzt der Seidel­ bast, dort auch Zwülinden genannt, beson­ dere Kräfte, weil dem Heiland bei seinem Einzug in Jerusalem neben Palmenblättern auch Zwülinden gestreut wurden. Eine näherliegende Erklärung für seine Wirkungsmacht ist aber, dass der Seidelbast hochgiftig ist, vor allem seine Beeren und die Rinde. Kein Wunder, dass ein mit Seidel­ bastbeeren gefüttertes Hochzeitspferd laut­ hals wieherte: Es kämpfte mit seinen Vergif­ tungserscheinungen. Schon die Berührung mit Rinde oder Pflanzensaft, der beim Brechen eines Seidel­ bastzweigleins austritt, kann zu Hautrei­ zungen führen – ein Wissen, das sich Bettler früher zunutze machten. Mit Seidelbast fügten sie ihrer Haut schwärende Wun­ ➻

foto: imago

Daphne mezereum

Dunkelrosa bis lila blüht der Seidelbast zumeist. Schon zeitig im Frühjahr ist sein Nektar eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten.

Familie: Spatzenzungengewächse (Thymelaeaceae). Blütezeit: Seidelbast blüht von Februar bis April, die Blüten kommen vor den Blättern. Standort: Seidelbast braucht nährstoffreiche kalkhaltige Böden. Natürlich kommt er vor allem in hellen, buchenreichen Mischwäldern in den Alpen und Mittelgebirgsregionen vor, verbreitet ist er allerdings in fast ganz Europa. In naturnahen Gärten findet sich Seidelbast auch als Zierstrauch. Der Strauch liebt es sonnig oder halbsonnig und halbwegs windgeschützt.

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den zu, die das Mitleid und die Spenden­ freudigkeit Vorübergehender anregen soll­ ten. Trotz seiner gefährlichen Giftwirkung kennt die Volksmedizin den Seidelbast als Heilmittel zur äußeren Anwendung bei chronischen Hautleiden und Geschwüren. Entsprechende medizinische Experimen­ te in Eigenregie sollte man aber unbedingt bleiben lassen. Bis heute von Bedeutung ist der Seidelbast allerdings in der Homöo­ pathie zur Behandlung von stark juckenden Hautkrankheiten, Gürtelrose und Nerven­ schmerzen. Nur Bachstelzen, Drosseln, Rotkehlchen und einige andere Vögel sind gegen das starke Gift des Seidelbasts offenbar immun. Sie fressen seine leuchtend scharlachroten, brennend scharf schmeckenden Beeren, die lange nach der Blüte im Sommer reifen. Der Seidelbast oder Echte Seidelbast (Daphne mezereum) blüht nämlich früh, zwischen Februar und April, und das auf eine in Mit­ teleuropa äußerst auffällige Art: Seine klei­ nen rosa-lila Kelchblüten sitzen – meist in Dreiergruppen – direkt am Holz der Zweige, sodass manche dicht mit Blüten besetz­ ➻

>  Alle Pflanzenteile des Seidelbasts sind sehr giftig. Schon wenige Beeren oder Gramm der Rinde können tödlich wirken. Die Berührung mit frischen Zweigen kann bereits zu Hautreizungen oder Blasen führen. >  Seidelbast gilt im süddeutschen Raum traditionell als fixer Bestandteil von Palmbuschen, ebenso wie Palmkätzchen, Stechpalmen- und Buchsbaumzweige, Erika, Wacholder, Haselnuss oder Eichenlaub. Aus der Natur holen sollte man ihn trotzdem nicht: Er ist auch bei uns in Bayern streng geschützt. >  Neben dem Echten Seidelbast Daphne mezereum gibt es auch den deutlich klei­ neren, weiß blühenden Alpen- oder BergSeidelbast Daphne alpina, der im Mai und Juni blüht. Er ist sehr viel seltener, kommt in Deutschland gar nicht vor. Wer ihn in der Natur erleben will, muss schon bis nach Südkärnten in die Karawanken oder ins Dobratsch-Gebiet bei Villach reisen. >  Als Zierstrauch in Gärten ist der Seidel­bast schon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts belegt. Wegen seiner Giftigkeit findet man ihn allerdings nur mehr selten in Parks und öffentlichen Kulturlandschaften – in privaten Gärten allerdings sehr wohl.

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fotos: flora press garten, bildarchiv nutzpflanzen/beat ernst

Die Blätter des Seidelbasts, den es auch mit weißen Blüten gibt, erscheinen erst nach den Blüten und sitzen als Büschel ausschließlich an den Zweigspitzen (oben).


kräuter des Monats

Würzige Verwandte Barbarakresse, Brunnenkresse und Gartenkresse: Die drei bekanntesten Pflanzen aus der Familie der Kreuzblütler wachsen gern dort, wo es feucht ist. Und sie bringen beinahe rund ums Jahr knackige Würze auf den Teller. Redaktion: Julia Kospach Fotos: Eisenhut & Mayer


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chon anno 1539 wusste das „Kreütterbuch“ des pfälzischen Botanikers und Predigers Hieronymus Bock zu berichten, dass „das wacker Kressenkraut“ dazu geeignet ist, „die faulen zechbrüder munder und wacker zu machen“ und „die vollen und unlüstigen menschen zu der speiß zu reitzen“. Das war zweifellos gut beobachtet, denn tatsächlich wirkt Kresse anregend und stärkend. Appetit macht sie sowieso mit ihrer feinen Geschmacksmischung aus frischer Würze und leichter Schärfe. Allerdings ist Kresse nicht gleich Kresse. Denn Kresse ist ein Sammelname, der verschiedene scharf-würzig schme­ckende Blattpflanzen aus der Familie der Kreuz- ➻

Kresse Arten: Gartenkresse (Lepidium sativum); Brunnenkresse (Nasturtium officinale), auch Wasserkresse, Barbarakresse (Barbarea ­vulgaris, auch Barbarakraut oder Winterkresse). Familie: Alle drei gehören zur Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae). Anbau: Gartenkresse und Barbarakresse kann man ab Mitte März im Freiland aussäen in einem Reihenabstand von etwa 15 Zentimetern. Brunnenkresse ist in der Natur eine Wasserpflanze aus Fließgewässern und bevorzugt diese Kulturform. Man kann sie aber auch in Erde und Blumentöpfen ansetzen. Dafür muss man die Erde ständig sehr feucht halten. Auch in einem Wasserbecken auf dem Balkon kann man sie ziehen – allerdings nur, wenn ein stetiger Wasserzulauf und -ablauf garantiert ist. Ernte: Brunnen- und Barbarakresse wer­den von Oktober bis April/Mai geerntet, bevor sie zu blühen beginnen und allzu bitter wer­ den. Gartenkresse, ins Freiland ausgesät, kann man bereits nach 20 Tagen das erste Mal ernten.

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Bauernbrot mit marinierter Brunnenkresse und Rührei Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 30 Minuten 4 Scheiben würziges Bauernbrot 3 EL Butter 1 Bund Brunnenkresse 2 EL Weißweinessig 1 TL Himbeersirup 1 TL Senf Salz, Pfeffer 5 EL Walnussöl 8 Eier, 4 EL Schlagrahm

blütler beschreibt. Meist sind die Gartenkresse (Lepidium sativum), die Barbarakresse (Barbarea vulgaris) oder die Brunnenkresse (Nasturtium officinale) gemeint. Der Experte des 16. Jahrhunderts sprach mit ziemlicher Sicherheit von Letzterer, der Brunnenkresse. Diese hat es gern nass, um nicht zu sagen: pitschnass. Sie ist eine mehr­ jährige Wasserpflanze, deren Ausläufer­am Gewässergrund entlangkriechen, während die Triebspitzen mit den Blättern über die Wasseroberfläche hinausschauen. Brunnenkresse braucht reines, im Idealfall fließendes Wasser. Früher fand man sie in jedem kleinen Bach und jedem Wassergraben, ganz besonders in der Nähe von Quellen. Heute ist wild wachsende Brun-

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Zubereitung 1. Die Brotscheiben in 1 EL Butter auf beiden Seiten kräftig anrösten. 2. Die Blätter der Brunnenkresse von den Stän­­geln zupfen, mit kaltem Wasser abbrausen und trocken schütteln. 3. Für die Marinade Essig, Sirup, Senf, Salz und Pfeffer verrühren. Das Öl in einem dünnen Strahl zugeben und zu einer cremigen Emulsion schlagen. Zum Schluss die Brunnenkresse einmischen.

nenkresse selten geworden, doch gelegentlich kann man sie noch finden. Grundsätzlich ist sie eine Kosmopolitin, die auf der ganzen Welt heimisch ist. Wilde Brunnenkresse ist also ein rar ­gewordener Genuss, und wenn man ihr ­irgendwo begegnet, sollte man sich nicht scheuen zuzugreifen und sich ein paar Blattbüschel aus dem Wasser holen. Die grünen Blättchen schmecken scharf wie Rettich und ein bisschen seifig wie Koriander. Das ist köstlich, wenn man es mag. Es gibt aber auch wilde Kressearten, die bereits stark gefährdet sind, in Niederbayern zum Beispiel. Dazu zählen die verschiedenblättrige Kresse und die breitblättrige Kresse, die man wegen ihres scharfen und

4. Die Eier mit Schlagrahm verquirlen und in einer Pfanne mit der restlichen Butter flaumiges Rühreier zubereiten. 5. Die Brotscheiben mit Brunnenkresse belegen und die Rühreier darüber verteilen. Mit Salz und Pfeffer bestreuen und warm servieren.

> Auf dem Fensterbrett kann man Gartenkresse, die ein Lichtkeimer ist, sogar ganz ohne Erde ziehen. Man streut die Samen einfach auf feuchte Watte, die man auf den Boden eines kleinen, flachen Gefäßes legt. Die Watte hält man gleichmäßig feucht. Die Kressekeimlinge sind nach etwa einer Woche schnittreif. > Am besten erntet man Garten­ kressekeimlinge mit einer Küchenschere. > Alle Kressearten sollte man ganz frisch verarbeiten. In ein feuchtes Tuch eingeschlagen, halten sie im Kühlschrank maximal zwei Tage.


Kresse-Rahmsuppe Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 1 Stunde 50 g Zwiebeln 1 Handvoll Brunnenkresse ohne Stiele 40 g Butter K l Kalbsfond N l Schlagrahm 2 Eidotter Salz, weißer Pfeffer 1 Messerspitze Muskatnuss Für die Einlage: 3 Scheiben Roggentoastbrot 40 g Butter 2 Knoblauchzehen Gartenkresse für die Garnitur Zubereitung 1. Die Zwiebel schälen, ganz fein hacken und in einem Topf mit der Hälfte der Brunnenkresse in heißer Butter andünsten. Kalbsfond zugießen und etwa 15 Minuten kochen. Mit einem Pürierstab mixen und durch ein feines Sieb passieren. 2. Die restliche Brunnenkresse mit dem Schlagrahm im Mixer pürieren. Dann in die Suppe rühren. 3. Die Eidotter mit 2 EL von der Suppe mischen und die Kressesuppe damit binden (mit einem Schneebesen unter ständigem Rühren einarbeiten, dabei nicht mehr ­aufkochen). Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen. 4. Für die Einlage das Toastbrot in gleich große Würfel schneiden. In einer Pfanne Butter zerlaufen lassen und die Brotwürfel zugeben. Den fein gehackten Knoblauch, Salz und Pfeffer darüber verteilen. Die Würfel unter ständigem Rühren knusprig braun rösten. Auf der Suppe verteilen und mit Gartenkresse garnieren.

intensiven Geschmacks auch Pfefferkraut nennt. Sie stehen auf der Roten Liste. Kresse ist gesund. Die Brunnenkresse wirkt harntreibend, ­blutreinigend und fördert die Verdauung. Man kann sie roh unter grünen oder Kartoffelsalat gemischt essen, gehackt aufs ­Butterbrot streuen oder sie ohne großen ­Geschmacksverlust dünsten. Haupterntezeit ist von Oktober bis Mai – also den ganzen Winter und Frühling hindurch. Danach beginnt sie zu blühen und wird unangenehm bitter. Auch die Barbarakresse erntet man von Oktober bis ins mittlere Frühjahr hinein; das hat ihr ihren zweiten Namen Winterkresse eingebracht. Wild wächst sie auf feuchten Wiesen und Uferböschungen, aber im Ge-

gensatz zur Brunnenkresse, der sie im Geschmack sehr ähnlich ist, lässt sie sich leichter anbauen und gedeiht sogar in Töpfen auf dem Balkon oder am Fensterbrett. Sie ist frostfest, bildet mittelgroße Blattrosetten und macht sich wunderbar als scharfer, vitaminreicher Winter- und Frühjahrssalat. Das ganze Jahr frisch Ernten

Gut eignet sich die Barbarakresse auch – kurz blanchiert – als Beilage zu Reis oder als Korianderersatz für asiatische Gerichte oder für Suppen. Aus­gesät wird sie im März oder von Juni bis Mitte September direkt in den Garten. Unter Vlies oder im Minigewächshaus angebaut, kann man sie ganzjährig ernten.

Die Gartenkresse schließlich wird ab Mitte März im Freiland ausgesät; schon davor, im Februar und im Winter, im Mistbeet und Gewächshaus. Auch auf dem Fensterbrett in der Anzuchtschale wächst sie hervorragend. Die Keimlinge der Gartenkresse sind reich an Eisen und Vitaminen und können nach einer guten Woche geerntet werden. Die größere Pflanze ist als Salat oder als Gewürzpflanze geeignet. Viele mögen die Gartenkresse am liebsten, weil ihr der seifige Beigeschmack der Brunnen- und Barbarakresse fehlt. Eines aber hat die Gartenkresse mit ihren Verwandten gemeinsam: Sie ist ein würzigscharfer Mun­termacher, der uns gerade jetzt im Frühling einfach nur guttut. 3

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hausbesuch

Im Obergeschoss des alten Bauernhauses von Tina und Bernhard Policz­ ka in Unterammergau ist dieses Zimmer. Den Tisch mit den schönen Intarsien­ arbeiten entdeckte die Fa­ milie bei einer Reise nach Italien, die Hängeleuchte stammt von der Oma. Tochter Lena fertigte im Kunststudium die glän­ zenden Zeppeline.

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Lebenstraum eines tapferen Schreiners Auf der Suche nach einem urgemütlichen Zuhause verliebte sich Familie Policzka in ein verfallenes oberbayerisches Mittertennhaus aus dem 17. Jahrhundert. Die Geschichte der Renovierung zeugt von Mut und außergewöhnlicher Beharrlichkeit. Text: felicitas herold-graf Fotos: bodo mertoglu

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Das Gästezimmer im 1. Stock ist mit einer herrlich verästelten Baumwurzel dekoriert. Die rustikale, geblockte Fensterwand gibt dem Raum gemütliche Wärme.

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ittendrin in Unterammergau, die helle Dorfkirche mit Zwiebelturm in unmittelbarer Nachbarschaft, zieht ein großes Bauernhaus mit ausladendem Flachsatteldach und prachtvollen Holzbalkonen die Blicke auf sich. Es ist einer der vielen denkmalgeschützten Bauten, die stolz auf die Vergangenheit des idyllischen Ortes hinweisen. Der Wohlstand von Unterammergau entstand einst durch den Abbau von Kalkstein, aus dem Wetzsteine zum Schärfen von Messern, Sicheln und Sensen hergestellt wurden. Als Bernhard Policzka dieses Anwesen für sich entdeckte, war er erst 25 Jahre alt und begann gerade seine Schreinerlaufbahn. Seine zwei Jahre ältere Frau Tina hatte ihr Pädagogikstudium in München beendet und Lena, das erste Töchterchen des Paares, kam auf die Welt. Wohnen und arbeiten unter einem Dach, das war die Wunschvorstellung der Policzkas. In der Nähe von Murnau oder Oberammergau, vielleicht mit kleinem Garten, von Bergen umgeben und natürlich bezahlbar.

mensch und tier unter einem dach

All das fanden Tina und Bernhard in der Kirchgasse in Unterammergau: ein großes „Mittertennhaus“, 1636 gebaut quasi als Doppelreihenhaus für zwei Bauernfamilien. Der besonderen Bauform solch eines Hauses begegnet man häufig im oberbayerischen Voralpenland: Mensch und Tier leben gemeinsam unter einem Dach. Der Wirtschaftsteil ist durch eine längsseitig verlaufende Mauer klar von den beiden Wohnbereichen getrennt. So konnten die Heuwagen das Haus von einer Seite zur anderen durchqueren. „Es erinnerte mich an die Bauernhöfe in Südtirol, wo ich oft mit meinen Großeltern die Ferien verbracht habe. Ich liebe diese herrlichen Höfe, sie faszinieren mich bis heute“, schwärmt der Hausherr. So hatten sie es sich erträumt, mit kleinem sonnigen Garten, am Fuß der Ammergauer Alpen gelegen. Die Policzkas kauften die kleinere der beiden Haushälften: ➻

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Hauskatze Tini posiert auf der Ofenbank gleich neben dem Lieblingsplatz des Hausherrn. Rechts: der Blick vom Gang in die Ofenstube. Die Beine von Liege und Bank wurden schräg gesetzt, damit man beim Vorbeigehen nicht so leicht anstößt.


Die große weite Welt im kleinsten Raum des Hauses: Auf die Diele im Obergeschoss (Bild oben) baute Bernhard ein Holzkämmerchen, in dem er ein WC installierte. Unten: Diese prächtige Eisentür führt in die Eingangsdiele.


Die kleine Diele, von der aus die Treppe zum Oberstock führt, diente vormals als Küche mit angrenzender Speis. Eine Rarität ist das Holzfass in der Ecke, in dem einst Wetzsteine transportiert wurden. Die Holzkugel hat Bernhard Policzka selbst aus Zwetschgenholz gedrechselt.

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„wellig, mit kleinen bläschen: So ein Fensterglas lebt und steht einem alten haus besser.“

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Die „Schuhtreppe“ hinauf zum Obergeschoss ist eine liebevolle Erfindung des Hausherrn für seine drei Frauen. Unten links bzw. rechts: Blick ins Bad und in das Zimmer von Tochter Lena.

„Das war ideal für uns und meine Werkstatt“, erzählt der Schreinermeister. „Und das Ganze war wegen des schlechten Bauzustands auch noch erschwinglich.“ Schon damals liebäugelte Bernhard Po­ liczka mit der zweiten, seit vielen Jahren unbewohnten Haushälfte: „Insgeheim hoffte ich, diesen Teil eines Tages dazukaufen zu können, doch vorläufig würde ich eh reichlich mit Sanieren und dem Einrichten der Werkstatt zu tun haben.“ alles verwertbare wiederverwendet

In der Eingangsdiele empfangen ein Gemälde von Tochter Lena und eine große Holzschale aus der Werkstatt des Vaters Besucher. Die prächti­ ge Tür führt weiter in den Garderobenflur.

Bernhard knüpfte Kontakte zu Handwerkern und tauschte Erfahrungen mit Bauherren aus, die ihr altes Haus modernisierten: „Sich in die unterschiedlichen Gewerke einzuarbeiten kostete viel Energie, aber als die Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, lief die Arbeit.“ Er riss die feuchten Bruchstein-Außenwände ab und mauerte sie neu. Er legte geblockte Wände frei und erneuerte Installa­ tionen, Heizung und Wärmedämmung. „Alles, was wir im Haus fanden und noch verwertbar war“, sagt der Hausherr, „verwendeten wir wieder.“ Dachsparren wurden zu Deckenbalken, Reste einer Kassettendecke als Wandverkleidung im Obergeschoss angebracht. Die Familie entdeckte handgemachte Vollziegel, die Bernhard dann als Fußboden verlegte. Schöne Außenfenster wanderten nach innen, und alte Türen wurden an geeigneterer Stelle wieder eingebaut. Fenster und Fensterläden baute Bernhard nach alten Vorlagen. Und damit sie sich authentisch in das Haus einfügten, suchte er nach altem Fensterglas. Das hatte sich wohl irgendwie im Dorf herumgesprochen, denn auf einmal brachten ihm Dorfbewohner alte Fenster vorbei. „Dieses Glas ist noch mundgeblasen, leicht wellig mit kleinen Luftbläschen hier und da. So ein Fensterglas lebt und steht einem alten Haus viel besser“, sagt Bernhard. Dann eine abrupte Zwangspause: Wegen einer alten, schlecht ausgeführten Säu- ➻

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Die „Wäscheklammer-Sternsinger“ sind ein glückbringendes Geschenk von Hausherrin Tina an ihren Mann, der in der Schreinerei (unten) in seinem Element ist. Dorthin gelangt man durch eine Tür mit einem ziselierten Kastenschloss. Das hat Bernhard auf einer Auktion erstanden.

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zusatzfoto: Bernhard Policzka

Das denkmalgeschützte Haus am Kirchweg Nr. 5. Das mächtige Holztor, durch das man ins Haus gelangt, führte früher in die Scheune. Außentreppe und Balkon im ersten Stock sind Zugang zu einer separaten Einliegerwohnung.

lenkonstruktion verletzte sich Bernhard schwer. Kopfüber stürzte er ein Stockwerk tiefer. Beide Arme waren gebrochen. „Ich war frustriert, zur Untätigkeit verdonnert. Sieben Monate in Gips. Es war eine dramatische, sorgenvolle Zeit. Glücklicherweise ist’s aber gut ausgegangen.“ Nach zweijähriger Renovierung feierte die Familie das erste Weihnachtsfest im eigenen Haus. Nächtelang, so erzählt Bernhard, habe er gearbeitet, damit sie nicht mit dem Weihnachtsbaum mitten in einer Baustelle sitzen mussten. Das zweite Töchterchen Lisa wurde geboren, ein Spalierapfelbaum an die sonnige Hauswand gesetzt, ein Kräutergarten angelegt und viele Blumen gepflanzt. Fünfzehn Jahre wohnte die Familie schon in dem gemütlichen Haus, als der heimlich gehegte Wunsch der ersten Stunden in Erfüllung ging: Bernhard und Tina Policzka bekamen den seit nunmehr vierzig Jahren immer mehr verfallenden vorderen Trakt zum Kauf angeboten. Sie griffen zu, und die Arbeit begann erneut. Dreck, Unruhe, Lärm. Leben, arbeiten und spielen neben einer Baustelle.

Der Hausherr zeigt Fotos vom Umbau: Die gesamte Haushälfte steht, nur von Pfeilern gestützt, in der Luft. Einst war die Mauergründung direkt auf das Erdreich gesetzt worden. So stieg Feuchtigkeit in der Wand hoch, gefror im Winter und verursachte Risse. Das Erdreich musste weg und auch das Fundament neu gegossen werden. Scheuneneinfahrt wird hauseingang

„Nachts konnte ich nicht schlafen“, schildert Bernhard. „Ich fürchtete, Fehler gemacht zu haben. Denn wir mussten einen Pfeiler wegnehmen, damit der Bagger, der das Erdreich unter dem Haus aushob, nicht zwischen den Stützpfeilern rückwärts fahren musste.“ Letztlich ging alles gut. Jetzt schmücken zwei imposante Balkone, nach altem Muster geschreinert, die Hausfront, und die ehemalige Scheuneneinfahrt ist zum großzügigen Hauseingang geworden. Auch innen, wo nun die beiden Haushälften zu einem großzügigen Haushalt zusammengefügt sind, bauten die Policzkas mit viel Fachwissen und Geschick um, retteten, was zu retten war, und ergänzten behutsam um Neues. Zum Beispiel führt eine

schlichte neue Holztreppe zum oberen Stock­werk. Aber schlicht ist die Treppe nur auf den ersten­Blick. Auf den zweiten ist sie genial. Denn alle Trittstufen lassen sich wie Truhendeckel öffnen. Unterschlupf für jede Menge Schuhe und Hausschlappen. Und was sagte das Denkmalschutzamt zu all den Umbauten? Da schmunzelt Bernhard, längst nicht mehr nur Schreinermeister, sondern auch ein nachgefragter Holzkünstler, und sagt: „Oh, wir hatten großes Glück. Aber man muss sich auch durchzusetzen wissen.“ Dass er erreicht hat, was er wollte, dafür ist das Haus der beste Beweis: „Wir sind stolz drauf, es mit eigenen Händen nach unseren­Vorstellungen geschaffen zu haben. Leben auf dem Land, in der Natur, in den Bergen, ganz ursprünglich mit ehrlichen Baustoffen, in einem Haus mit Geschichte, das mich wie die Südtiroler Bauernhäuser aus Kindertagen berührt.“ 3

Bernhard Policzka: Kirchgasse 5, 82497 Unterammergau, Tel.: 08822/73 04 www.bernhard-policzka.de

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Tradition

Vom Putz’n des

Osterbrunnens

In manchen Gegenden ist Wasser noch kostbarer als a­ nderswo. Hollfeld in der Fränkischen Schweiz ist ein ­solcher Ort. Dort zeigen die Menschen ihre Dankbarkeit auf besondere Weise: mit prächtig geschmückten Brunnen. Text: Heidi Schmidt

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fotos: maria dorner

Echt und handbemalt: In der Woche vor dem Palm­ sonntag dekorieren die Holl­ felder Frauen den Brunnen mit Eiern. „Putz’n“ nennt sich das in der Fränkischen Schweiz.

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Rosi Brehm (links) prüft ihr Werk. Sie ist die Seele der Brunnenschmücke­ rinnen. Schon im Januar treffen sich die Frauen, um neue Eier für den Brunnen am Marienplatz (oben) zu bemalen.

urz bevor der Frühling der Natur neues Leben einhaucht, wenn die Täler und Hochflächen noch im grauen Kleid des Winters stecken, wenn die Gräser matt am Boden liegen und sumpfiges Braun von ehemals schweren Schneemassen zeugt, wenn dürre Äste noch matt in den Himmel ragen, dann setzt im Städtchen Hollfeld eine Gruppe von Frauen der tristen Jahreszeit ein kunterbuntes Ende. Dann verwandeln sie den grauen Brunnen am Marienplatz in eine leuchtende Farbenpracht. aus Dankbarkeit geschaffen

Girlanden aus bemalten Eiern, bunt wie ein Regenbogen, schlängeln sich um sattgrüne Zweige – verziert mit filigranen Mustern, Figuren und Blumen, gebunden zu Kronen und Kugeln. Jahr für Jahr fertigen die Holl-

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felder in liebevoller Kleinstarbeit ein kleines Kunstwerk, ihren Osterbrunnen. Den Brunnen mit bunten Eiern zu schmücken ist ein althergebrachter Osterbrauch in der trockenen Hochebene der Fränkischen Schweiz. Johann Gottfried Köppel, seines Zeichens Schreibmeister zu Ansbach, beklagte bereits 1795 in einem Reisebericht: „An trinkbarem Wasser fehlt es ihnen gänzlich, welches die Bergbewohner eine kleine halbe Stunde im Wiesenttal von einer Quelle holen.“ Bis Mitte des 20. Jahrhunderts mussten die Menschen hierzulande das Wasser mühsam mit dem Eimer aus einem Brunnenschacht oder mit „Wasserbutten und Schäfflein“ ins Dorf bringen. Da verwundert es nicht, dass sich hier eine Tradition erhalten hat, die hunderte

von Jahren zurückreichen soll – der Osterbrunnen als Symbol der Dankbarkeit für das lebenswichtige Element Wasser. Vergessen und wiederentdeckt

In Hollfeld erinnert ein Brunnenhaus bis heute an das ehemals harte Leben der Menschen. Es schützt den tiefen Schacht und das kostbare Wasser vor Verschmutzung. 40 Meter tief hatten die Hollfelder im 13. Jahrhundert graben müssen, bis sie das verkarstete Kalkgestein der Jura-Hochfläche durchdrangen und auf Wasser stießen. Die Hollfelder fühlen sich der Osterbrunnen-Tradition deshalb besonders verbunden. In den 1950er-Jahren, als sich die flächendeckende Wasserversorgung glück­ licherweise besserte, geriet der schöne


Brauch ein wenig in Vergessenheit – auch in Hollfeld. Bis ihn vor rund 20 Jahren die Familie Breunig wiederbelebte: mit vier Tannenbäumen und einfarbigen Eiern. Heute ist Rosi Brehm,72, die Seele des Osterbrunnenbrauchs. Als sie vor 15 Jahren die Organisation übernahm, beschloss sie gleich mit der ihr eigenen energischen Art: „Das mach’ mer jetzt a weng anders.“ Seitdem wird der Brunnen Jahr für Jahr noch prächtiger. Oma Rosis Osterbrunnen wird er deshalb auch gerne genannt. Alle sammeln mit

Immer im Januar trommelt Rosi bis zu ­sieben Damen zusammen, um die Eier­ bestände zu prüfen. Wie viele sind kaputt gegangen oder angeschlagen? Welche können mit Kleber noch repariert werden? Wind und Wetter zerstören viele Eier, manche brechen beim Abnehmen, einige leider auch durch böse Absicht. „Und dann hab ich auch schon beobachtet, dass einer ein paar Eier mitgenommen hat“, ärgert sich Rosi, während sie an ihrem großen Küchentisch den ovalen Bestand sortiert. Rund 5.000 Eier hängen am Hollfelder Marienplatz. Etwa 500 müssen die Frauen um Rosi jedes Jahr neu bemalen. Das dauert! Ein Ei neu zu gestalten braucht bis zu zwei Stunden. Als Erstes wird kräftig ausgeblasen. Nur gut, dass die Nachbarn immer fleißig mitsammeln und ihre Bestände vom Kuchen­ backen vorbeibringen. Besonders wichtig ist die gründliche Reinigung der Eier mit Wasser und Essiglappen. Schließlich dürfen keine Rückstände bleiben, damit die Schmuckstücke keine Mäuse anlocken, wenn sie im Spitzboden des Hauses von Rosi Brehm ­direkt am Marienplatz gelagert werden.

fotos: maria dorner, julia rotter

Mit Pinsel und Schaschlikspiess

Nach der Grundierung folgt der aufwendigste Teil: das Mustermalen. In Hollfeld verwenden die Damen Abtönfarbe und arbeiten freihändig und ohne Schablonen. Manche versuchen sich in der Serviettentechnik. „Aber da bin ich nie sonderlich erbaut“, kommentiert Rosi und setzt gekonnt den dünnen Pinsel an. Ganz ruhig ist ihre Malhand – auch die andere, in der sie den Schaschlikspieß mit dem Ei hält. Rosi ➻

Erst muss das Ei vorsichtig mit Essigwasser und einem Lappen gereinigt werden (oben). Nach der Grundierung kommt es zum Bemalen mit feinen Pinseln und Abdeckfarbe auf einen Schasch­ likspieß (rechts). Zum Trocknen stecken die Eier auf einer Styro­ porplatte (gr. Foto oben).


Liebevoll bemalt bis ins kleinste Detail: Anfangs schmückten die meisten Eier einfach nur Punkte. Längst entstehen kleine Kunstwerke mit hübschen Verzierungen.

Beim Putz’n müssen Männer ran

Ist beim Ausblasen ein Loch zu groß geraten, kommt ein kleiner Knopf davor, damit das Geschenkband hält, an dem das Ei später aufgehängt wird. Ein paar Tage vor dem Palmsonntag ist es so weit. Dann beginnen die Arbeiten am Brunnen. Beim „Putz’n“, sprich: Brunnenschmücken, müssen auch die Männer mithelfen und die großen Drahtgestelle aufrichten, um die ihre Frauen Äste von

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Buchs- und Lebensbaum, Fichte und Eibe gebunden haben. Die Eier stecken auf kleinen Spießen darin oder werden aufgehängt. Pünktlich zum Palmmarkt erhebt sich eine mit gelb grundierten Eiern bestückte Krone unter dem Dach des Brunnens. Eineinhalb Tage braucht der ganze Aufbau, sogar ein Gerüst ist nötig. Ab Palmsonntag ist er endlich in seiner vollen Pracht zu bewundern. Rot geschmückte Bögen verzieren den Brunnen rundherum, Girlanden mit blauen Eiern führen­zur Krone über dem Brunnenschacht. Das ist aber noch lange nicht alles: Die Pfeiler selbst sind mit orangefarbenen Eiern verziert, von den Dachsimsen hängen rote, gelbe und blaue Eiergirlanden. Um den Brunnen liegt je ein gelbes, ein rotes sowie ein blaues Eierband, und an den Ecken

des Hauses stehen buschige Sträucher aus Eiern. Die schönsten und größten – das sind die Gänseeier – schmücken die Brunnen­ mitte über einem Osterhasenpärchen aus Gips. „Das hat Rosi bemalt“, behauptet deren Schwiegertochter Claudia und zeigt jetzt auf ein besonders schönes und filigran gemustertes Ei. Symbol für neues Leben

Heute gibt es so viele Osterbrunnen wie nie zuvor, sogar im Emsland. Und überall gilt: Bäume und Reisig als Symbole für den Wasserkreislauf, Eier für Fruchtbarkeit und das neu beginnende Leben. Dennoch gleicht kein Brunnen dem anderen. Mancherorts sind die Eier an einer Seite offen, darin sitzt eine kleine Tierfigur. Oder es gibt die „Pensala“, wie kleine zu

fotos: maria dorner

ist eine strenge Lehrerin. „Da ham’ mer scho lang gebraucht, bis sie a wengala zufrieden war“, sagt Angela Heinlein, eine der angelernten Damen, und setzt derweil den Pinsel ebenso exakt an wie die Meisterin, „deswegen gab’s früher nur Punkte – die sind einfacher zu malen.“


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„Da ham’ mer scho lang gebraucht, bis die Rosi a Wengala zufrieden war“, sagt eine der Damen mit einem schmunzeln.

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Pinseln gebundene Papierbänder hier genannt werden – mutmaßlich eine Urform des Osterbrunnenschmucks. Viel Zeit und Liebe

Hollfeld hat wie manch andere Orte noch einen zweiten Osterbrunnen. Der steht ein Stück unterhalb des Marienplatzes vor der Kirche und muss ebenfalls immer wieder mit neuen Eiern geschmückt werden. Solange Rosi noch mit Freude dabei ist und auch die Zeit dafür findet, wird vor allem der Brunnen am Hollfelder Marienplatz in allen Farben erstrahlen. „Die größte Investition ist nämlich nicht das Geld fürs Material“, sagt die mehrfache Oma. Die Natur ist stärker

In Hollfeld gibt es noch einen ­zweiten Osterbrunnen, nicht weit vom Marienplatz entfernt. Dort sind grundsätzlich Plastikeier erlaubt, aber die sieht man immer seltener. Auch hier schmücken zunehmend handbemalte Eier die grünen Girlanden.

Geblendet von der Farbenpracht der bunten Eier, fallen die sanften Anzeichen des Frühlings zunächst kaum auf: die neuen, kraftstrotzenden Triebe, die kurz vor ihrer Blätter­entfaltung stehen, die kleinen Blüten, die zaghaft durchs Altlaub spitzen, oder die in den Büschen piepsenden Vögel. Aber spätestens zwei Wochen nach Ostern können die Osterbrunnen nicht mehr mit der Lebenskraft der Natur mithalten, dann werden knallig bunte Blumen die ­Wiesen übersäen, wird ein volles Blätterkleid die Bäume bedecken und über allem ein Himmel im kräftigsten Frühlingsblau strahlen. Dann ist die Zeit der Osterbrunnen zu Ende. Dann nehmen Rosi und ihre Helferinnen die Eier ab und betten sie vorsichtig in gepolsterte Kisten. Dort bleiben sie bis zum nächsten Einsatz – in einem Jahr. 3

Buchtipp: Claudia Schillinger, „Fränkische Osterbrunnen“, mit Anleitung zum Bemalen, Bayerische Verlagsanstalt Bamberg, 20 Euro

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Handwerk

Ein Blick in die „Schatzkammer“ des Oberallgäuer Wildmöbelbauers Martin Rothärmel. Hier trocknen die hölzernen Fundstücke bis zu zwei Jahre.


Wild auf Holz Für krumme Stämme, verwachsene Äste und bucklige Wurzelknollen schlägt Martin Rothärmels Herz. Aus selbst gesammelten Hölzern baut der Oberallgäuer eigensinnige Möbel mit besonderem Charakter. Text: andrea BALA Fotos: monika höfler

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ch gehe nie hinaus in die Natur, um zu suchen. Ich bin hier, um zu sehen“, sagt Martin Rothärmel. Begleitet man den Allgäuer auf einen Ausflug in den Schottner Wald bei Wildpoldsried, vermutet man zunächst keinen höheren Sinn hinter diesem Spaziergang. Der 36-Jährige schlendert in aller Ruhe umher und lässt seinen Blick scheinbar wahllos zwischen den Bäumen schweifen. Irgendwann aber hält er ganz plötzlich inne. Und dann verraten seine glänzenden Augen und sein zufriedenes Lächeln, dass er offensichtlich genau das gefunden hat, wonach er sehr wohl schon die ganze Zeit auf der Suche war. Mit großen, dennoch vorsichtigen, fast ehrfürchtigen Schritten bewegt er sich auf einen umgestürzten Baum zu. Martin Rothärmel will den mächtigen Wurzelteller unbedingt aus der Nähe begutachten. Behut-

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Martin Rothärmel im Schottner Wald: Besonders nach einem Sturm wird der Wildholzmöbelbauer fündig. Dann liegen viele abgebrochene Äste am Boden und manchmal auch ein umgestürzter Baum.

sam säubert er die Wurzeläste, schüttelt kleine Erdbrocken von ihnen ab und schält hier und da getrocknete Rinde vom Baumstamm. „Ich sehe es dem Holz einfach an, wenn es so weit ist“, sagt er und lächelt zuversichtlich. „Aber ganz sicher bin ich erst, wenn ich das Holz berührt und angehoben habe. Und manchmal kann ich es sogar riechen, ob sich mit dem Holz schon arbeiten lässt. Gutes Holz riecht einfach frisch und kräftig.“ sich verlieren und neues finden

Martin Rothärmel ist eigentlich gelernter Krankenpfleger. Vor ein paar Jahren aber, als er ein neues Regal für seine Musik-CDSammlung brauchte, nahm das Schicksal seinen Lauf: Weil es nichts Großes, nichts Teures und „vor allem nichts von der schwedischen Stange“ sein sollte, gab es für Mar-

tin nur die Möglichkeit, selbst ein Regal zu bauen. Diesem Regal folgte bald ein kleiner Tisch, dann ein Hocker und hölzerne Torten­ platten für die Hochzeit seines Freundes. Mittlerweile steht in einem Fahrradladen in Kempten eine hölzerne Ladentheke, die Martin Rothärmels besondere Handschrift trägt. Ein Reiterhof hat mehrere Einrichtungsgegenstände für ein Ferienblockhaus bei ihm in Auftrag gegeben. So wurde aus dem Krankenpfleger ein passionierter Wildholzmöbelbauer. Aus Ruten, Ästen, Baumstämmen und Wurzeln, die er auf seinen Spaziergängen sammelt, kreiert Martin Rothärmel Stühle, Tische, Regale und Betten. Dabei gelingt es ihm auf zauberhafte Weise, den natürlich gewachsenen Formen einen praktischen Nutzen zukommen zu lassen. Die Eigenart


Von Ahorn bis Zwetschge: Für seine Möbel verwendet der Allgäuer nur heimatliche Hölzer. Jedes Stück hat seinen eigenen Charakter (rechts). Hat Martin ein solches „Charakterholz“ gefunden, nimmt er es mit Erlaubnis des Besitzers mit (unten).

des Baumes, aus dem das Möbelstück ge­ fertigt wird, bleibt erhalten. Und so entstehen Wildholzmöbel, denen ein wunderbar natürlicher Geist innewohnt. Auf den Spaziergängen rund um sein Heimatdörfchen Unterthingau am Fuße der Alpen kann Martin am besten loslassen und neue Energie tanken. Gezielt erkundet er dabei „seine“ Orte: Die winzige Lichtung hinter den hochgewachsenen Fichten. Die unten am Stamm mit flaumigem Moos bewachsene Weide an der behaglich plätschernden Wertach. Die jungen Eichen auf der Anhöhe unweit seines Elternhauses. Martin kennt jeden Weiher, jeden Pfad, offensichtlich auch jeden Baum in dieser malerischen Gegend. Hier vergisst er den Alltag, verliert sich oft und gerne, findet dafür aber immer etwas Neues. eine schatzkammer voller äste

„Zum Beispiel sehe ich einen Ast herumliegen und weiß sofort, dass er sich großartig als Hakenleiste für meine neue Garderobe machen würde“, erklärt Martin Rothärmel. Diese Garderobe ist sein aktueller Auftrag. Er soll sie – entsprechend der Skizze, die er gemeinsam mit seinem Auftraggeber angefertigt hat – aus gefundenem Schnitt- und Astholz herstellen. Hierfür kann er auf einen reichen Fundus zurückgreifen. Martin öffnet für uns ein großes, knarzendes Scheunentor hinter dem Haus, die Tür zu seiner Schatzkammer. Darin trocknen zum einen dicke Holzplanken aus dem Sägewerk, die er als tragende Elemente für Kleiderschränke und Betten benötigt. Zum anderen liegen, lehnen und stehen dort die vielen Äste, Ruten, Knollen und Holzstämme, die er beim Spazierengehen in den letzten Jahren entdeckt und gesammelt hat. „Hier drinnen habe ich mein eigenes Stück Wald“, sagt der Wildholzmöbelbauer stolz. Und er fügt hinzu: „Natürlich darf man normalerweise nicht einfach so viel Holz mitnehmen. Aber ich kenne die Be­ sitzer der umliegenden Wälder gut und frage immer, wenn ich wieder irgendwo ein schönes Stück entdeckt habe.“ Und so kommt in Martins Schuppen einiges zusammen. Denn je nachdem wie dick ein Ast ist und welche „tragende Rolle“ er im fertigen Möbelstück haben soll, ➻


In Martins „Schatzkammer“ (rechts) lagern nicht nur die im Wald gefundenen Stücke, sondern auch Bretter, die im Sägewerk zurechtgeschnitten wurden. Unten: Die Arbeit mit dem Rindenmesser erfordert viel Gefühl. Vorsichtig schält Martin die Borke ab, ohne dabei die Holzmaserung zu beschädigen. Mit der Axt werden danach noch letzte Zweigstummel entfernt (unten).

muss das Holz erst mehrere Monate oder sogar Jahre trocknen, bevor es verarbeitet werden kann. „Vier Zentimeter dickes Fichtenholz muss zum Beispiel zwei Jahre lagern“, erklärt Martin. „Das Holz braucht seine Zeit und ich brauche Geduld!“ Eine gute Portion Geduld sollten auch Martins Auftraggeber mitbringen. Bis zu drei Monate können schon mal vergehen, bis aus einer ersten Idee zu einem Möbelstück das fertige Objekt entstanden ist und an den Kunden übergeben werden kann. maserung und einzigartige wurmgänge

Zuerst muss das gefundene Holz „gesäubert“ werden, was schon mal mehrere Tage dauern kann. Vorsichtig zieht Martin zuerst die Rinden ab, anschließend schmirgelt und feilt er das Holz gründlich. „Wichtig ist, dass ich dabei schneller bin als die ganzen Käfer und Holzwürmer, die

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„Je mehr ich loslasse, umso einfacher ist es. alles fügt sich irgendwie. und es fügt sich gut.“

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sich in das Holz reinfressen. Borke und Rinde müssen so rasch und so gut wie möglich abgeschält werden, auch damit keine neuen Bewohner meine Möbel beziehen“, erklärt Martin. Am wichtigsten ist aber für den Holzhandwerker, dass natürliche Form und Charakter jedes Fundstücks durch die Verarbeitung nicht verfälscht werden. Er zieht einen Vergleich: „Bei jedem Menschen sind die

Handlinien anders. Sie machen unsere Handflächen individuell und besonders. Und Holz hat auch so etwas wie Handlinien: die Maserung oder die schönen Wurmgänge, die jeden Ast einzigartig machen.“ So soll die Oberfläche des Holzes nach dem intensiven Schleifen und Schmirgeln zwar so fein und anschmiegsam wie möglich sein, dabei aber immer noch seine natürlichen, ursprünglichen Lebenslinien zeigen können. Und wo immer das Holz es erlaubt, sollen Martins Möbelstücke natürlich auch ohne Schrauben und Nägel auskommen: Statt die einzelnen Äste und Balken ganz einfach aneinander zu schrauben, steckt, verzapft und verkeilt der Meister alle Kanten und Seiten miteinander. „Natürlich ginge das alles viel schneller und einfacher, wenn ich Äste und Balken überall mit Schrauben verbände. Aber das macht mir ja keinen Spaß“, sagt Martin Roth­


Ganz oben: Wo es möglich ist, verwendet der Möbelmacher Verzapfungen statt Schrauben. Oben: Wenn der Ast, in den die Zapfen eingesetzt wurden, restlos getrocknet ist, dann gibt er ganz ohne Nägel und Leim festen Halt. Bis ein Möbelstück fertig ist, können schon einmal drei Monate vergehen. Dann aber wirkt es bisweilen (wie bei der Garderobe links), als wäre es in der Natur entstanden.

ärmel und lacht. Also feilt er lieber stundenlang an einem Ende, bis die verzapften Verbindungen millimetergenau passen. Manchmal findet aber auch ganz bewusst eine auffällige Metallschraube ihren rechten Platz neben einem Holzdübel oder einer gezapften Verbindung. Und ein Tisch mit seinen tragenden Teilen aus hellerem Fichtenholz erhält mit der dunklen Note der eingearbeiteten Eiche oder im Rot der Wildkirsche einen würdigen Gegenspieler, sodass die Individualität aller verwendeten Hölzer betont wird. Auf seinem Spaziergang hat Martin noch ein paar frische Ruten für seine Garderobe geschnitten, in die er trockene Äste als Hutund Kleiderhaken einzapfen wird. Der Trick: Wenn die noch feuchten Ruten in den nächsten Wochen trocknen, schließen sie sich fest um die bereits trockenen Zapfen der älteren Äste.

Solche und ähnliche Kniffe hat sich Martin Rothärmel in den letzten Jahren Schritt für Schritt selbst beigebracht – mit unge­ brochener Begeisterung: „Das Arbeiten mit Wildholz ist einfach toll! So kann ich die Launen der Natur weiterspinnen.“ Wie sein großes Vorbild Daniel Mack. Die Werke des amerikanischen Holzkünstlers stehen in Museen auf der ganzen Welt, und seine ungewöhnlichen Gartenlauben, Bänke und Brücken verschönern den Central Park in New York. ein möbelstück wie im wald gewachsen

„Ich muss mit meinen Wildholzmöbeln nicht bis nach New York kommen“, sagt Martin bescheiden schmunzelnd, „ich wünsche mir nur, dass meine Kunden zunächst verblüfft und dann aber auch zufrieden und glücklich mit den neuen Möbeln in ihrem Zuhause sind.“

So wie Martin Rothärmels GarderobenKunde: Als er das fertige Möbelstück abholt, ist er völlig überwältigt. Es sehe so gar nicht wie auf der Skizze aus, meint er, sondern viel besser: „Als ob das Stück so im Wald gewachsen wäre und der Martin es dort ganz zufällig gefunden hätte.“ So soll es sein. Und die letzte Aussage des Kunden passt gut zu einer geradezu lebensweisen Erkenntnis, die Martin während seiner vielen Stunden in der Werkstatt gefunden hat: „Irgendwann kommt beim Bauen immer der Moment, in dem ich erkenne: Je weniger ich will, je mehr ich loslasse, umso einfacher ist es. Alles fügt sich irgendwie. Und es fügt sich gut.“ 3

Allgäuer Wildholzmöbel Martin Rothärmel, Ringweg 5 87647 Unterthingau, Tel.: 08302/922 91 22

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Illustration: Andreas Posselt

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