Suhr
Keiner kennt die Suhrer so gut wie Jiri Vurma – er hat sie alle fotografiert

Ein Jahr lang hat der Aarauer Fotograf Jiri Vurma die Suhrer als Dorfschreiber durch die Linse seiner Kamera beobachtet und dabei auch allerlei Sonderbares erlebt. Seine Werke stellt er in der Gemeindebibliothek aus.

Katja Schlegel
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Impressionen aus der Ausstellung in der Gemeindebibliothek
4 Bilder
Der Bär und die Baukräne im Dorfzentrum.
Spaziergängerin mit Hund am Suhrerkopf.
Der Verkehr auf der Tramstrasse.

Impressionen aus der Ausstellung in der Gemeindebibliothek

Daniel Desborough

«Darf ich eine Aufnahme von Ihnen machen?» Die Frau im Rollstuhl guckte den Fragenden prüfend von unten an. Diesen grossgewachsenen Mann mit dem mächtigen weissen Bart, dem Strohhut auf dem Kopf, den Turnschuhen an den Füssen und der Kamera über der Schulter. Dann sagte sie: «Wenn Sie kein Asylant sind, dann schon.»

Jiri Vurma lacht, wenn er die Anekdote von seinem ersten Einsatz als Suhrer Dorfschreiber erzählt, am Palmsonntag vor der katholischen Kirche. Da war die Frau natürlich an den Falschen geraten. Denn Vurma ist ursprünglich aus der Tschechoslowakei, kam mit 22 Jahren in die Schweiz, studierte an der Kunstgewerbeschule in Zürich und war später als Industriefotograf und Dozent für Fotografie an der Schule für Gestaltung Aargau tätig. «Aber ich bin ein Asylant», habe er ihr deshalb geantwortet. Fotografieren durfte er die Frau schliesslich trotzdem.

Bekannt wie ein bunter Hund

Heute muss sich Vurma in Suhr keinem mehr vorstellen. Wie in Aarau, wo jeden den ehemaligen Stadtfotografen kennt. Stundenlang streifte er mit seiner Nikon durch die Quartiere, kletterte auf Blumentöpfe und stieg auf Parkbänke, zog mit Jägern durch den Wald und besuchte die Asylsuchenden im Schwesternhaus, knatterte für die ganz spezielle Perspektive sogar an Bord einer uralten Piper übers Dorf und fuhr nach Italien und besuchte Suhrs Partnerstadt Castelnuovo Rangone.

Abertausende Fotos sind so entstanden, die Vurma jeden Monat im Dorfheft «SuhrPlus» publizierte, unterteilt in Themengebiete wie Kirche, Jagd oder Alltag. Erst auf einer einfachen Doppelseite, breitete sich Vurma immer mehr aus, so viel Suhr wollte er den Suhrern zeigen – immer begleitet von einem Text und einem Einstiegszitat. «Keine einfache Sache, das mit dem Text.»

Vurma ist kein Schreiber. Er ist Fotograf. Als solcher habe er höchstens Mahnungen geschrieben, sagt er. «Oder Liebesbriefe, in der Jugend.» Und trotzdem hat es ganz gut geklappt. «Ich habe geschrieben und meine Frau hat den Text vom tschechischen Akzent befreit», sagt er trocken.

Menschen gefallen ihm besser

Gefällt ihm Suhr? «Suhr ist optisch nicht sehr spannend. Das Dorf lebt von den Menschen.» Die habe er in diesem Jahr lieb gewonnen, sagt er. «Die Leute haben sehr positiv auf mich reagiert. Ich wurde oft auf meine Fotos angesprochen. Das ist das schönste Kompliment, das man mir machen kann.» Doch wie das mit Menschen so ist, gibt es auch die anderen. Die, die sich an Aufnahmen einer verkehrt herum hängenden Fahne oder dem Bild eines toten Rehs stören, und die, die die Kantonspolizei alarmieren, wenn ein Flugzeug tief über den Suhrerkopf fliegt.

Verleidet sind ihm die Suhrer deswegen aber nicht. «Überhaupt nicht», sagt er und schüttelt den Kopf. «Ich bin begeistert von Suhr. Was hier beispielsweise kulturell geleistet wird, ist grossartig.» Und auch was die ganze Bauerei anbelangt, sei Suhr ein Vorbild für manch andere Aargauer Gemeinde. «Wenn sie bauen, bauen sie gut und schön.»

Am 22. Mai gibt Vurma sein Amt ab. Er ist nicht unglücklich darüber. «Es war ein strenges Jahr.» Er habe es sich selber streng gemacht, sagt er, denn wenn er etwas tue, dann recht. Für ihn ist es selbstverständlich, drei- oder viermal das gleiche Sujet abzulichten, wenn ihn das Licht oder die Stimmung auf den gemachten Bildern nicht überzeugt. «Aber ich bin sehr froh, habe ich die Aufgabe des Dorfschreibers übernommen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was mich erwartet», sagt Vurma. Und vermissen werde er es vermutlich dann doch. Deshalb hat er für seinen letzten Beitrag im Dorfheft auch folgendes Zitat der deutschen Lyrikerin und Dichterin Damaris Wieser gewählt:

«Wenn ich gegangen bin, werde ich vermissen, was ich gestern noch für alltäglich hielt.»

Bis zur Amtsübergabe am 22. Mai hängt eine Auswahl von Jiri Vurmas Bildern in der Gemeindebibliothek. Die Ausstellung ist zu den Bibliotheks-Öffnungszeiten frei zugänglich. Die Amtsübergabe findet anlässlich eines Brunchs um 11 Uhr in der Gemeindebibliothek statt.