„Heil dir, Oeynhausen, Kleinod in Westfalen“. Was einem Taschenbuch für Badegäste über Kuraufenthalte vor 120 Jahren zu entnehmen ist

18.03.2022 Niklas Regenbrecht

Bad Oeynhausen, Blick auf die in den 1920er Jahren errichtete Trink- und Wandelhalle, in der die Kurgäste ihre Trinkkur absolvieren können, um 1960. (Archiv für Alltagskultur, Foto: Osterwald)

Christiane Cantauw

Unter der Signatur Fr 141 findet sich in der Bibliothek der Kommission Alltagskulturforschung ein „Taschenbuch für die Besucher des Königlichen Bades Oeynhausen und seiner Umgebung“. Das 10,5 X 15,5 cm große, 192 Seiten umfassende Buch mit Soft-Cover ist 1904 in neunter Auflage im Verlag H. W. Völcker, Bad Oeynhausen erschienen und sollte Kurgästen dazu dienen, ihren Kuraufenthalt zu planen und sich während der Kur im Ort und in der Umgebung zu orientieren.

Dazu gehörten zum einen ein Überblick über die Indikationen, die einen Aufenthalt in Bad Oeynhausen sinnvoll erscheinen ließen, sowie zum anderen eine genaue Schilderung der möglichen Anwendungen vor Ort. Außerdem wartet das Büchlein mit Informationen über die Geschichte und geografische Lage des Ortes, mit Preisen und Tarifen für Kurmittel und Dienstleistungen, mit Auskünften zu Verkehrsverbindungen, Badeordnungen, der Polizei-Verordnung, Ausflugstipps und vielem mehr auf. Zahlreiche Werbeanzeigen für einzelne Beherbergungsunternehmen, Gastronomiebetriebe, bestimmte Anwendungen, Tabakwaren, Maggi, Kindernahrung, Korsetts, Zimmerfahrstühle, verschiedene Dienstleistungen oder „Photographische Apparate“ ergänzen den redaktionellen Teil des äußerlich recht unscheinbaren Taschenbuches.

Den Badebetrieb bei der in der Nachbarschaft des Dörfchens Rehme gelegenen Saline Neusalzwerk konzessionierte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1845. 1847 erhielt das Bad nach dem in der preußischen Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung beschäftigten Geheimen Bergrat Carl Freiherr von Oeynhausen, der bei der Bohrung nach Steinsalz auf eine sprudelnde Thermalsolequelle gestoßen war, den Namen Königliches Bad Oeynhausen. Es erfreute sich sehr bald eines regen Publikumszuspruchs. 1894 konnten bereits 6.533 Kurgäste gezählt werden; 1903 hatte die Anzahl der Badegäste mit 13.113 Personen die 10.000er Marke längst überstiegen. Gründe für die Beliebtheit des verhältnismäßig jungen Kurbades gab es viele: Da waren zum einen die verschiedenen Thermal- und Solequellen und die mondänen Badehäuser mit ihren zahlreichen Badezellen, zum anderen aber auch der von Peter Joseph Lenné, dem wohl berühmtesten Gartenbauarchitekten des 19. Jahrhunderts, in den frühen 1850er Jahren angelegte Kurpark sowie die Lese-, Konversations- und Musiksäle, die in der Saison dreimal täglich stattfindenden Kurkonzerte oder das örtliche Theater. Für die Unterhaltung der Kurgäste war also reichlich gesorgt.

Die ärztlich verschriebenen oder in Eigenregie unternommenen Bade- und in geringerem Ausmaß auch die Trinkkuren versprachen Heilung oder zumindest Linderung bei verschiedenen Krankheiten und Gebrechen wie rheumatischen Erkrankungen, Lähmungen, Muskelschwund, Neuralgien, Herzkrankheiten und „Ernährungsstörungen nach schweren Krankheiten“ (S.41). Sie sollten aber auch helfen bei vermeintlich typischen Frauenkrankheiten wie Hysterie und Nervenschwäche oder bei Störungen des Nervensystems „durch Verletzung und Schreck“ (S.42).

Das im klassizistischen Stil errichtete Badehaus von 1847, Bad Oeynhausen, um 1960. (Archiv für Alltagskultur)

In dem Taschenbuch werden insgesamt 17 Ärzte aufgeführt, die Bäder, Trinkkuren, Inhalationen, „mediko-mechanische“ Anwendungen wie Heil-Gymnastik oder Massage, Lichttherapie oder Röntgenuntersuchungen verschrieben. Daneben sorgten zahlreiche weitere Personen für das körperliche, seelische und leibliche Wohl der Kurgäste: Pensions- und Zimmerwirt:innen, die neben der Unterbringung auch Verpflegung anboten, Badewärter und Badedienerinnen, die die Bäder bereiteten und nach Wunsch beim An- und Auskleiden halfen, Gartenaufseher, die für Erhalt und Pflege des Kurgartens sorgten, Krankenschwestern, Rollstuhlschieber, Fuhrunternehmer und Dienstleute, die die Beförderung von Menschen und Gepäck besorgten und Kindermädchen, die die Kinder der Kurgäste beaufsichtigten. Wer nicht bereits mit Dienerschaft angereist war, der konnte auf ein Heer von örtlichen Kräften zurückgreifen, deren Dienste zu festen Tarifen in Anspruch genommen werden konnten. Der Badeverwaltungsdirektor und ein Badekommissar sorgten überdies dafür, dass die Badeordnung und die „Bestimmungen über die Benutzung der Einrichtung und Veranstaltungen des königl. Bades Oeynhausen“ (S. 81) eingehalten wurden und es bei Beschwerden eine Stelle gab, an die man sich wenden konnte. Dass ein Kurbad ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor war, wird angesichts der Vielzahl an Dienstleistungen, die in dem Taschenbuch direkt oder indirekt (in Werbeanzeigen) aufgeführt werden, schnell ersichtlich.

Und noch etwas Anderes erschließt sich: Um die Wende zum 20. Jahrhundert war ein Thermal- oder Solebad nicht mehr ausschließlich wohlhabenden Kurgästen aus Adel und Bürgertum vorbehalten. Das Taschenbuch enthält auf den Seiten 73 bis 79 unter anderem „Bestimmungen über die Gewährung von Freibädern, Bädern zu ermäßigten Preisen und sonstigen Vergünstigungen im Königlichen Bade Oeynhausen“. Freibäder, also kostenlose Badeanwendungen, erhielten auf ärztliche Verschreibung und auf Antrag Beamte und Arbeiter des Badebetriebs, Ärzte, Krankenschwestern, „aktive unmittelbare Staats- und Reichsbeamte“, deren Verdienst unter 1.500 Mark im Jahr lag, oder auch „arme Personen aller Stände aufgrund amtlicher Bescheinigungen“. Zu ermäßigten Preisen baden durften Kinder, Mitglieder der Kurkapelle und des Theaters, Militärangehörige und Einheimische.    

Dass die wohlhabenderen und die weniger bemittelten Kurgäste räumlich getrennt badeten und logierten, geht aus dem Taschenbuch ebenso hervor wie die Tatsache, dass die Dienstfrauen für dieselbe Leistung weniger Geld erhielten als ihre männlichen Kollegen und dass die Kindermädchen den Kurpark selbstverständlich nur im Rahmen ihrer Dienstleistung und nicht zum eigenen Amüsement betreten durften. Auch das Königliche Bad Oeynhausen war letztlich ein Spiegel seiner Zeit! 

Quellen und Literatur:

Rico Quaschny: „Ein Badeort ersten Ranges“. Streifzüge durch die Geschichte von Bad Oeynhausen. In: Jahrbuch Westfalen 2016; S. 264 – 271.

Hermann Sommer: Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914, Stuttgart 1999.

Taschenbuch für die Besucher des Königlichen Bades Oeynhausen und seiner Umgebung, 9. Auflage, Bad Oeynhausen 1904.