Mittwoch, 08. Mai 2024

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Klimaneutraler Wintersport
Wie Oberhof mit neuen Sportstätten Energie sparen will

Mehr als 80 Millionen Euro haben der Bund und der Freistaat Thüringen in die Wintersportanlagen in Oberhof gesteckt. Besonders im Fokus der Modernisierung: eine klimaneutrale Energieversorgung. Doch es gibt noch Potenzial.

Von Wolf-Sören Treusch | 29.01.2023
Thüringens Ministerpräsident besucht während seiner Sommertour das Projekt "Nachhaltiges Oberhof" mit dem Bau einer Photovoltaikanlage im Wintersportzentrum in Oberhof.
Die Photovoltaik gehört zu den zahlreichen Vorhaben, mit denen das Wintersportzentrum in Oberhof zu einer nachhaltig nutzbaren Sportanlage werden soll. (dpa / picture alliance / Martin Schutt)
Unterhalb der Zielkurve der Eis-Arena in Oberhof steht ein unscheinbares Gebäude. Darin befindet sich die Kälteerzeugungsanlage der Rennrodelbahn. Die Anlage produziert aber nicht nur die Kälte, um das Kunsteis zu erzeugen – es entsteht auch Abwärme. Diese Abwärme wird in Rohre geleitet, die unter der Decke verlaufen. Darin befinden sich Wärmetauscher. Und über diese Wärmetauscher wird die Energie dann in ein Leitungsnetz eingespeist.
Eine neue und innovative Art, die Abwärme zu nutzen, erklärt Hartmut Schubert, Staatssekretär im Thüringer Finanzministerium. Seit bald zehn Jahren leitet er für die Landesregierung den Umbau der Sportstätten in Oberhof.
„Bisher war es so, dass die Abwärme, die bei der Kälteproduktion entsteht, in die Luft geblasen wurde, das sind erhebliche Mengen, und die fangen wir jetzt auf, speisen die in die so genannte Kaltnetztrasse ein, die dann die Sportanlagen hier vor Ort am Ende mit Wärme versorgen kann. Über Wärmepumpen wird dann die Temperatur von 20 Grad auf die gebrauchte Temperatur von 40 oder 35 Grad hochgehoben.“

Abwärme heizt jetzt Umkleidekabinen

Die Kaltnetztrasse ist das Herzstück des nachhaltigen Energiekonzepts. Ein dreieinhalb Kilometer langes, neu gebautes Leitungssystem, aus dem heraus alle Wintersportstätten in Oberhof beheizt werden. Weltweit einzigartig, sagt Harmut Schubert.
„So ne Kaltnetztrasse gibt es nirgendwo, vor allen Dingen diese Konzentration von Sportanlagen hier an einer Stelle: Wir haben ja hier das Biathlonstadion, die Skihalle, wir haben hier die Rennschlittenbahn, und das ist ein Riesenareal mit ganz vielen Gebäuden auch für Nachwuchssportler, unsere Verwaltung, was man halt alles für den Betrieb von Sportanlagen braucht, die werden erst einmal in erster Linie damit beheizt, aber wir sind auch in den End-Verhandlungen mit der Bundeswehr, da gibt es eine Sportfördergruppe hier, die möchte von uns gern die Wärme abnehmen, mit Hotelstandorten sind wir auch relativ weit, also da sind noch Möglichkeiten in Größenordnungen da.“

Auch Schulen und Kitas sollen profitieren

Auf lange Sicht soll das Kaltnetz mit dem Fernwärmenetz der Stadt kombiniert werden, weitere Abnehmer sollen hinzukommen: das Sportgymnasium, eine Drei-Felder-Sporthalle, Grundschule und Kita: „Der Ansatz der kalten Nahwärme, der hier verfolgt wird, den halte ich für sehr interessant und zukunftsfähig“, meint Dietmar Schüwer, Energieingenieur am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.
Es sei gut, sagt er, die Abwärme in einem Kaltnetz mit 20 Grad Vorlauftemperatur zu sammeln, zu speichern und sie dann den dezentralen Wärmepumpen in den jeweiligen Sportstätten als Primärenergie zuzuführen.
„Dadurch, dass man das mit so genannter kalter Wärme macht, also kalter Nahwärme, sind eben die Leitungsverluste sehr gering. Das heißt man kann da mit wenig Aufwand, mit wenig Dämmung für die Rohre und mit wenig Energieverlusten auch einen Transport über eine gewisse Distanz dann machen, ohne große Verluste zu haben.“
5,7 Millionen Euro haben der Bund und das Land Thüringen allein in den Bau der Kaltnetztrasse investiert. Parallel dazu wurden energetische Prozesse rund um die Wintersportstätten optimiert, um beispielsweise den eigenerzeugten Ökostrom von Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerken besser zu verteilen. Das sei nicht nur nachhaltig, sondern spart auch Geld, sagt Oberhofbeauftragter Hartmut Schubert: „Man kann sagen, dass es ein Plusgeschäft ist. Weil dadurch unsere Betriebskosten natürlich massiv sinken. Bisher heizen wir überall mit Strom oder Gas, und gerade jetzt bei der Energiekrise ist es natürlich neben den Umweltaspekten auch für uns betriebswirtschaftlich ein wichtiges Thema.“

Ein Vorzeigeprojekt mit Schwachstellen

Oberhof gilt als Vorzeigeprojekt. Dafür, wie der Wintersport nachhaltiger werden kann, wie er weniger Energie verbraucht, wie er auch in Zukunft überleben kann. Dietmar Schüwer vom Wuppertal Institut Klima, Umwelt, Energie meint: Da geht noch mehr. Windkraft spiele im Energiekonzept von Oberhof zum Beispiel überhaupt keine Rolle. Und ein weiterer wichtiger Aspekt werde vernachlässigt.
„Häufig ist es tatsächlich so, dass die An- und Abreise zu den Wintersportorten oder zu anderen Aktivitäten einen deutlich größeren Fußabdruck haben als jetzt die Sportaktivität selbst, wenn man das jetzt auf die einzelnen Skifahrerinnen, Skifahrer runterbricht. Oder Bobfahrer, was auch immer. Da wäre es wichtig, auch Alternativen zum Individual-Verkehr hier zu entwickeln oder zu reaktivieren, meines Wissens gibt’s hier beispielsweise einen Bahnhof in Oberhof, der 2017 sogar stillgelegt wurde. Und das ist natürlich eigentlich das komplett verkehrte Signal.“