In Greiz erlebte die Thüringische Kleinstaaterei ihren Höhepunkt. Im 17. Jahrhundert existierten nicht weniger als zwei Fürstentümer auf dem Gebiet der Stadt und ihrer Umgebung: Untergreiz und Obergreiz mit eigenen Herrscherfamilien, Schlössern, Verwaltungen und natürlich einer eigenen Hofmusik. Die Fürsten an der Spitze, die Reußen, konnten sich aufgrund der territorialen und damit wirtschaftlichen Beschränktheit nur eine bescheidene höfische Musikpflege leisten. Alle von ihnen verpflichteten Komponistengrößen blieben jeweils nur eine kurze Zeit in der zweigeteilten Stadt, um daraufhin größere und bedeutendere Podien aufzusuchen. Die Hofkapelle bestand beispielsweise um 1715 aus gräflichen Hofmusikern, musizierenden Lakaien und den ebenfalls zur Hofmusik verpflichteten Stadtpfeifern. Letztere waren wegen schlechter Besoldung gezwungen, auch anderen Tätigkeiten als dem Musikerhandwerk nachzugehen, was sicher nicht zur Steigerung ihres Niveaus beigetragen hat. Die Hinwendung der Obergreizer Herrscher zum Pietismus brachte weitere Einschränkungen der Möglichkeiten mit sich, bei festlichen Anlässen musikalisch tätig zu werden. Eine lebhaftere Hofmusik ist dagegen aus Untergreiz überliefert, namentlich um den Kantor und Komponisten Johann Gottfried Donati, der sich mit dem Aufbau eines Orchesters nach Vorbild des von Georg Philipp Telemann aufgebauten Leipziger Collegium Musicum bemühte. Besonders der Tanz nach der Tafel oder, mehrmals wöchentlich, während der Faschingszeit wurde mit entsprechender musikalischer Begleitung gepflegt und gehörte zu den beliebten höfischen Divertissements. Auch der Thomaner Johann Friedrich Fasch machte musikalische Erfahrungen im Leipziger Collegium Musicum, die er zu späterer Zeit in Greiz mit dem dortigen Ensemble fortführen konnte. Mit diesem arbeitete auch Johann Stamitz, der von seiner vorherigen Anstellung in Paris ein hohes Niveau gewohnt war und neue Impulse setzte. Die großen musikalischen Zentren Leipzig und Dresden strahlten auch auf das zu der Zeit kleinste Herzogtum Mitteldeutschlands aus, denn durch Reisen erlangten Musiker und Fürsten immer wieder Eindrücke davon, in welcher Pracht anderswo musiziert wurde. Diese Impressionen verarbeiteten sie anschließend vor Ort und schufen so ihre eigene Greizer Hofmusik.
Oberes & Unteres Schloss Greiz
Johann Friedrich Fasch (1688–1758)
Sonate in D-Dur
“Sonata a Flauto Traverso, Violino, Bassone e Cembalo in D major FaWV N:D1”
Sätze: Largo, Allegro, Largo, Allegro
Entstehungsort: Zerbst?
Entstehungsjahr: ca. 1740
Carl Stamitz (1745–1801)
Sonate Nr. 1 in G-Dur, op. 14
“Sonate 1 G-Dur aus den «Six Trios à une flute ou deux violons et violoncello obligé» op. 14”
Sätze: Moderato, Andante Moderato, Rondo Allegretto
Entstehungsort: unbekannt
Entstehungsjahr: unbekannt
Johann Friedrich Fasch (1688–1758):
Beinahe Thomaskantor und Hofkapellmeister fürs Leben
Bei der Betrachtung von Faschs Biografie fallen einige Parallelen zu seinem heute so viel berühmteren Zeitgenossen Johann Sebastian Bach ins Auge: Beide stammten sie aus weitverzweigten thüringischen Familien; Bach wurde 1685 in Eisenach geboren, Fasch nur drei Jahre später in Buttelstedt bei Weimar. Auch Fasch verlor früh den Vater und wurde bei einem Onkel in Teuchern bei Weißenfels untergebracht. Sein musikalisches Talent blieb nicht unerkannt und er erhielt eine Anstellung als Sängerknabe in der Weißenfelser Hofkapelle unter Kapellmeister Johann Philipp Krieger.
Als nächste Station folgte die Thomasschule in Leipzig unter Thomaskantor Johann Kuhnau. Besonders bewunderte Fasch die Musik Georg Philipp Telemanns, der ihm ein großes Vorbild war und in dessen Fußstapfen er gleich zweifach trat: Er studierte Jura (und Theologie) in Leipzig und gründete ein zweites Collegium musicum – in Konkurrenz zu Telemann!
Trotz einiger bereits erfolgreicher Aufträge schmerzte es ihn, aus finanzieller Not heraus kaum musikalische Bildung genossen zu haben. So ging er 1713 auf Reisen, und wie Bach nach Lübeck in den Norden wanderte, reiste Fasch über einige Stationen nach Darmstadt. Hier erhielt er kostenlosen Kompositionsunterricht bei Christoph Graupner, der Sympathie für Fasch hegte und ihn für 14 Wochen unter seine Fittiche nahm. Nach insgesamt zwei Jahren fern der Heimat begann er ein ruhigeres Leben: zunächst 1715 als Sekretär und Kammerschreiber in Gera, kurz darauf heiratete er und trat 1719 eine Stelle als Stadtschreiber und Organist in Greiz an. Besonders gut bezahlt war dieser Posten nicht und seine Lebensverhältnisse sowie musikalischen Möglichkeiten blieben eher begrenzt – zudem war ihm kein persönliches Glück beschieden: Seine Frau starb bereits 1720 kurz nach der Geburt des zweiten Kindes. Berufliche Entfaltung durfte Fasch nun immerhin unter seinem neuen Dienstherrn Graf Wenzel in Prag erleben: Ein fürstliches Gehalt von 300 Gulden, freie Unterkunft und die Arbeit unter einem musikliebenden Herrn mögen ihn wohl das erste Mal in seinem Leben sorgenfrei komponieren lassen haben. 1722 dann kam der Ruf der Zerbster Hofkapelle, dem er nach einigem Zögern auch folgte. Vorher hatte er seine Bewerbung auf das Thomaskantorat in Leipzig zurückgezogen, vermutlich, da ihm die Aussicht auf zu erteilenden Lateinunterricht lästig war. Thomaskantor wurde dann (nachdem auch Telemann sich für Hamburg statt für Leipzig entschied) schließlich als dritter Kandidat Johann Sebastian Bach und blieb es bis zu seinem Tode 1750. Ebenso hielt Fasch seiner Zerbster Hofkapelle für den Rest des Lebens die Treue, ganze 36 Jahre lang bis 1758.
Der geringe Bekanntheitsgrad Johann Friedrich Faschs zu heutiger Zeit ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass kaum Werke überliefert sind. Zudem haftete seinem Namen lange das etwas belächelte Prädikat des „Meisters zwischen den Epochen“ an. Tatsächlich ist Faschs Vokalmusik sehr generalbassgeprägt, wohingegen seine Instrumentalmusik bereits galante und durchsichtig homophone Elemente zeigt. Doch diese Zweigleisigkeit ist durchaus typisch für das 18. Jahrhundert – sie entsprach dem Geschmack der Zeit und besonders dem der weltoffenen und bedeutenden Höfe, an denen Fasch ein beliebter Gast war.
Pia Scheibe