Eine junge Frau befiehlt den Mord an ihrer Schwester, dann lässt sie sich selbst kreuzigen. Sie schreit: «Ich fühle keinen Schmerz, es ist mir unaussprechlich wohl!»

Wie in einem kleinen Zürcher Dorf eine Teufelsaustreibung grauenvoll endete.

Michael von Ledebur (Text), Roland Schmid (Bilder) 7 min
Drucken
«Dörfchen am waldigen Saume eines kleinen Berges»: Im abgeschiedenen Wildensbuch kamen vor 200 Jahren zwei Frauen unter schauderhaften Umständen zu Tode.

«Dörfchen am waldigen Saume eines kleinen Berges»: Im abgeschiedenen Wildensbuch kamen vor 200 Jahren zwei Frauen unter schauderhaften Umständen zu Tode.

Eine Lebensgeschichte mag noch so reich an Höhepunkten oder Abgründen sein – das Amtsdeutsch lässt sie auf wenige Zeilen zusammenschrumpfen. Im Familienregister der Familie Peter aus Wildensbuch im Zürcher Staatsarchiv steht über Margaretha: «Getauft 28. Dezember 1794, gestorben 15. März 1823. Sie wurde die heilige Margaretha genannt. Vom Schumacher Morf zu Illnau bekam sie im November 1822 ein im Ehebruche erzeugtes Kind. Am 15. März 1823 legte sie teils Hand an sich selbst, teils wurde sie nach ihrem Befehl von den übrigen durch Kopfzerschmettern, Halsabschneiden, Brustdurchstechen und durch eigentliche Kreuzigung gemordet.»

Vor 200 Jahren hat sich im Kanton Zürich abgespielt, was als «schwärmerische Gräuelszenen von Wildensbuch» bekanntwurde. Die Szenerie weckt heute noch klaustrophobische Gefühle: In einem abgeschiedenen Dorf treffen sich Sektenmitglieder in einem Haus und verharren darin. Sie wollen den Teufel vertreiben und versetzen sich in einen ekstatischen Zustand. Das Interieur schlagen sie zu Kleinholz. Es wird gefoltert und getötet. Zurück bleiben zwei entstellte Leichen.

Später werden die Nägel aus dem einen Körper gezogen, in dem Glauben, damit die Auferstehung zu erleichtern. Doch diese bleibt aus.

Nach vier Tagen geht der Vater der beiden getöteten Frauen zum Pfarrhaus im nahen Trüllikon und meldet am 19. März 1823 den Tod seiner beiden Töchter, 29 und 38 Jahre alt.

Der Tatort

Wildensbuch liegt in der nordwestlichsten Ecke des Kantons im Zürcher Weinland. In einer zeitgenössischen Beschreibung wird es als «Dörfchen am waldigen Saume eines kleinen Berges, fruchtbar an Korn, Wein und Obst» beschrieben. Heute zeigt sich ein ähnliches Bild: eng aneinandergeschmiegte Riegelhäuser inmitten von Feldern. Das Dorf ist klein geblieben. Etwas mehr als hundert Menschen leben hier. Eine Post gibt es seit 1978 nicht mehr, die letzte Beiz hat vor acht Jahren zugemacht.

 Das alte Schul- und Gemeindehaus in Wildensbuch.

Das alte Schul- und Gemeindehaus in Wildensbuch.

Jeder Fünfte hier trägt den Nachnamen Peter.

Zwei von ihnen sind Armin Peter, 76 Jahre alt und pensionierter Finanz- und Steuersekretär, und Ernst Peter, 79 Jahre alt, ehemaliger Gemüsebauer. Die beiden sind Cousins. Vor Jahren hat Armin Peter auf dem Zivilstandsamt nachgefragt, ob er direkt mit Margaretha Peter verwandt sei. Der Familienzweig der Sektenführerin sei ausgestorben, habe man ihm beschieden. «Ich war irgendwie beruhigt», sagt er. Ein typisches Sektengebiet, wie beispielsweise das Tösstal, sei das Weinland ohnehin nicht. «Wir sind hier einigermassen normal.»

Ernst Peter sagt, im Dorf kennten die Älteren die Geschichte von Margaretha Peter noch – zum Teil mündlich überliefert, in erster Linie aber aus Büchern und aufgehobenen Zeitungsartikeln. Die meisten Jüngeren und die Hinzugezogenen hätten wohl noch nie etwas davon gehört. In offiziellen Dorfgeschichten fehlt die blutige Episode.

Ein Thema wird Margaretha Peter dann, wenn sich die Tat jährt. So wie dieses Jahr. Dann melden sich Journalisten bei der Gemeinde oder im Pfarrhaus. Sie werden an die beiden Cousins verwiesen. Diese gelten als jene, die über die Geschichte besonders gut Bescheid wissen. Ernst und Armin Peter führen die Journalisten dann zu dem Ort, wo das Haus der Peters einst gestanden hat.

Die beiden Cousins Armin (l.) und Ernst Peter am Ort, wo das Haus der Peters stand.

Die beiden Cousins Armin (l.) und Ernst Peter am Ort, wo das Haus der Peters stand.

Die wichtigste Quelle zu Margaretha Peter ist ein zweihundert Jahre altes Buch. Geschrieben hat es Johann Ludwig Meyer, damals Leutpriester am Zürcher Grossmünster. Er hat die Überlebenden jener Nacht, die «arretiert und nach Zürich abgeführt» worden waren, betreut, während sie auf ihren Prozess warteten.

Das Wunderkind

Margaretha Peter wird an Weihnachten geboren. Ihre Familie ist überzeugt, dass sie eine besondere Gabe hat. Die aussergewöhnlich intelligente Bauerntochter bringt sich mit sechs Jahren selbst das Lesen bei. Glaubt man dem Leutpriester Meyer, hat sie sich sämtlichen Autoritäten entzogen – dem Vater, dem Pfarrer, später der Kirche, der sie angehört habe. «Die Sucht, eine Rolle zu spielen, scheint ihr angeboren gewesen zu sein.» Sie sei «durch Eitelkeit auf gefährliche Abwege geraten».

Während eines Aufenthalts bei einem Onkel im Kanton Schaffhausen kommt sie mit einer Gemeinschaft von «Erweckten» in Berührung. Die Erweckungsbewegungen sind religiös motivierte Erneuerungsbemühungen im Protestantismus. Es geht um die eigene «Erweckung» beim Studium des Evangeliums, im Gegensatz zu den rationalistisch ausgerichteten offiziellen Kircheninstitutionen.

Margaretha Peter lebt in einer Epoche, in der in den Augen der Zeitgenossen vieles ins Wanken geraten ist. Es ist die Zeit der napoleonischen Kriege mit politischen Wirren auch in der Schweiz. In ihren Visionen spielt Napoleon beziehungsweise dessen Sohn als «Antichrist» eine Rolle. Das Hungerjahr 1817, in dem ein Vulkanausbruch am anderen Ende der Welt zu einem Jahr ohne Sommer führt, deutet sie als «herrlich», weil die Not «viele Seelen dem Herrn» zuführe.

Im väterlichen Haus beginnt Margaretha 1819 im Alter von 25 Jahren, eigene Gebetsstunden abzuhalten. Bald ist sie als Frau bekannt, die den «Geist Gottes» besitze. Laut Meyer kommen «Bauern zu Fuss, aber auch Herrn zu Pferde und Damen in eleganten Wagen» zu ihr. Sie hätten sich nicht geschämt, der Prophetin zuzuhören.

Auf dem leeren Platz stehen heute Anhänger, und es wird Baumaterial gelagert.

Auf dem leeren Platz stehen heute Anhänger, und es wird Baumaterial gelagert.

Nach zwei Jahren verbieten die Behörden die Versammlungen im Haus der Familie Peter. Margaretha zieht nach Illnau. Dort hat sie eine Beziehung mit einem verheirateten Mann und bekommt ein Kind von ihm. Sie flüchtet zurück nach Wildensbuch und lebt fortan zurückgezogen in einer Kammer, gemeinsam mit ihrer Schwester Elisabeth. Immer tiefer versinkt sie in religiösen Visionen.

Der Kampf mit dem Satan ist in ihrer Vorstellung zentral – ein Kampf, den sie im eigenen Körper zu erleben glaubt. In einer Vision fleht ein verstorbener Nachbar sie an, sie solle ihn aus den Klauen des Teufels befreien. Sie glaubt, die Schuld der Menschen auf sich zu nehmen und ihre Seelen retten zu können. Vor Ostern 1823 sei «ihre ganze Gedankenwelt auf die bevorstehende Passion» gerichtet gewesen, heisst es in einer Schilderung.

Es ist die Vorgeschichte zur blutigen Nacht.

Die Kreuzigung

Am 13. März 1823 verkündet sie, der Kampf gegen den Antichrist stehe bevor. Sie lässt Holzblöcke ins Obergeschoss des Elternhauses schaffen und heisst ihre Anhängerinnen und Anhänger, mit Äxten auf diese einzuhacken, um den Teufel zu vertreiben.

Der Lärm fällt auf im Dorf. Der Oberamtmann von Andelfingen schickt die Landjäger los. Sie lösen die Versammlung auf. Gemäss einer Schilderung soll er verfügt haben, Margaretha ins Irrenhaus überführen zu lassen.

Dem kommt sie zuvor. Sie versammelt ihre Anhänger erneut. Die zwölf Anwesenden schlagen sich auf Brust und Kopf. Sie fragt, ob sie bereit seien, ihr Leben für die gute Sache zu lassen, und erntet ein lautes «Ja!».

Margaretha wählt ihre Schwester Elisabeth für den Opfertod aus. Die später als Haupttäterin ausgemachte Ursula Kündig folgt dem Befehl und erschlägt sie mit einem eisernen Keil.

Nun verlangt Margaretha, dass man sie an ihr Bett kreuzigt. Nägel werden ihr durch Füsse, Hände, Ellenbeugen und Brüste geschlagen. «Ich fühle keinen Schmerz, es ist mir unaussprechlich wohl!», ruft sie gemäss Augenzeugen aus. Sie will, dass man ihr den Kopf einschlägt, und ermuntert die zögernden Anhänger. Zwei von ihnen nehmen Stemmeisen zur Hand und prügeln auf Margaretha ein, bis sie röchelnd stirbt.

«Als die Unthat vollzogen war», schreibt der Leutpriester Meyer, hätten die Anwesenden «häufige Tränen» vergossen, wohl im Wissen um die Schwere der Tat. Elf Personen werden später zu langen Haftstrafen verurteilt.

Die Historikerin Jolanda Schärli schreibt in einem Aufsatz, Margaretha sei «keine Spinnerin» gewesen. Ekstatisches Verhalten sei nicht unüblich für die damaligen Erweckungsbewegungen. Diese seien darauf zurückzuführen gewesen, dass die Landeskirche aus Sicht vieler erstarrt gewesen sei. «Sie erreichte die Herzen der Menschen schon lange nicht mehr.» Die schreckliche Tat habe den kirchlichen Behörden fürs Erste die Oberhand gegeben.

Der Leutpriester Meyer zieht aus den Vorgängen den Schluss, in Glaubensfragen brauche es «vernünftige Überlegungen», keine «Schwärmereien», wilde Phantasien und «heftige Neigungen». Eine für den Einzelnen «fühlbare Einwirkung Gottes» gebe es ohnehin nicht. Zum Glück greife nun eine aufgeklärte Regierung gegen das «elende Sectirerwesen» im Kanton Zürich durch, und Seelsorger träten «diesem Gifte» entgegen.

Es sollte jedoch nicht das Ende der Sekten im Kanton Zürich sein, ja nicht einmal die letzte blutig endende Teufelsaustreibung. Im Frühling 1966 wurde in Ringwil im Zürcher Oberland die 17-jährige Bernadette Hasler von fünf erwachsenen Männern und einer Frau zu Tode geprügelt. Anders als Margaretha Peter war sie nicht Initiantin, sondern Opfer der Tat. Doch es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Fällen: das kleine Dorf, der nächtliche Wahn, der eingebildete Kampf mit dem Teufel bis auf den Tod.

Die Lücke

Bereits 1823 hatten die «schwärmerischen Gräueltaten» nicht die erhoffte abschreckende Wirkung. Margaretha Peter galt bei manchen ungebrochen als eine Art Heilige. Dass sie die Schmerzen so furchtlos ertragen habe, sei ein Wunder.

Schon wenige Tage nach der Tat strömten Menschen nach Wildensbuch. Sie liessen sich die Ereignisse nacherzählen oder nahmen einen blutigen Holzsplitter der Bettstatt mit nach Hause. Fast schien es, als entstehe im protestantischen Zürich eine Art Wallfahrtsort.

Erneut schritten die Behörden ein. Im Urteil vom 4. Dezember 1823 heisst es, das Wohnhaus solle «unter sorgfältiger Aufsicht des Oberamts Andelfingen bis auf den Grund abgetragen und die Fundamente dem Boden gleich gemacht», «die hölzernen Gerätschaften verbrannt» werden. «Auf dieser Stelle soll niemals mehr ein Wohnhaus aufgeführt werden.»

Ein offizielles Bauverbot gibt es heute dort nicht. Aber die Stelle ist unbebaut. Dort, wo einst die Familie Peter wohnte, ist ein leerer Platz.

Die Demontage des Hauses Peter in einer Darstellung des Nachrichtenblatts «Der Schweizerfreund».

Die Demontage des Hauses Peter in einer Darstellung des Nachrichtenblatts «Der Schweizerfreund».

Mehr von Michael von Ledebur (mvl)

Mehr von Michael von Ledebur (mvl)

Weitere Artikel