Nach dem klaren Ja zu den Pistenverlängerungen kündigen Flughafenkritiker rechtlichen Widerstand an – und neue Initiativen

Der «pure Egoismus» habe gesiegt, so lautet der Befund von Urs Dietschi, der treibenden Kraft gegen die Pistenverlängerungen.

Michael von Ledebur 4 min
Drucken
Flugzeuge landen in Kloten künftig auf längeren Pisten. Bis das Bauprojekt umgesetzt ist, dürfte es aber fast ein Jahrzehnt dauern.

Flugzeuge landen in Kloten künftig auf längeren Pisten. Bis das Bauprojekt umgesetzt ist, dürfte es aber fast ein Jahrzehnt dauern.

Michael Buholzer / Keystone

Die Flughafenkritiker hatten davor gewarnt, dass die Pistenverlängerungen die Bevölkerung mit noch mehr Lärm belasten würden. Dies war stets ein Märchen, widerlegt unter anderem von einer Modellierung der Materialprüfungsanstalt Empa. Unbestritten war jedoch, dass die Verlängerungen Gewinner und Verlierer hervorbringen würden.

Die Karte über das Abstimmungsverhalten der Zürcher Gemeinden zeigt nun sehr klar, wo diese Verlierer zu Hause sind. Sie haben die Pistenverlängerungen abgelehnt. Alle anderen haben ihr zugestimmt. Sogar in der rot-grün geprägten Stadt Zürich.

Das zeigt: Den linken Gegnern der Pistenverlängerungen ist es nicht gelungen, aus der Vorlage eine Grundsatz- und Klimadebatte zu machen.

Im Tösstal wird es lauter

Die Verlierer: Das sind in erster Linie die Gemeinden im Osten des Flughafens. Aus dieser Himmelsrichtung landen künftig mehr Jets. Am wuchtigsten verwarf Turbenthal im Tösstal mit 74 Prozent Nein-Anteil die Vorlage: Dort hatte Georg Brunner, Metzgermeister und ehemaliger FDP-Gemeindepräsident, gegen die Verlängerungen geweibelt.

Referendum «Pistenverlängerungen am Flughafen»

61,7%
VolkJa
ja
Nein × 201 198
324 234 × Ja
0
30
40
50
60
70100
174/174 Zählkreise ausgezählt
letztes Update am 3.3.2024
sortieren
Adliswil
73,3% Ja
ja
Aesch (ZH)
77,2% Ja
ja
Aeugst am Albis
62,2% Ja
ja
Affoltern am Albis
69,5% Ja
ja
Altikon
64,2% Ja
ja
Andelfingen
65,0% Ja
ja
Bachenbülach
48,2% Ja
nein
Bachs
32,6% Ja
nein
Bäretswil
60,3% Ja
ja
Bassersdorf
50,5% Ja
ja
Bauma
52,4% Ja
ja
Benken (ZH)
69,2% Ja
ja
Berg am Irchel
63,9% Ja
ja
Birmensdorf (ZH)
70,5% Ja
ja
Bonstetten
70,8% Ja
ja
Boppelsen
59,9% Ja
ja
Brütten
56,9% Ja
ja
Bubikon
65,3% Ja
ja
Buch am Irchel
70,5% Ja
ja
Buchs (ZH)
58,3% Ja
ja
Bülach
50,2% Ja
ja
Dachsen
67,7% Ja
ja
Dägerlen
61,4% Ja
ja
Dällikon
46,9% Ja
nein
Dänikon
62,7% Ja
ja
Dättlikon
62,6% Ja
ja
Dielsdorf
55,5% Ja
ja
Dietikon
68,5% Ja
ja
Dietlikon
62,1% Ja
ja
Dinhard
63,2% Ja
ja
Dorf
71,1% Ja
ja
Dübendorf
66,5% Ja
ja
Dürnten
67,3% Ja
ja
Egg
69,4% Ja
ja
Eglisau
54,8% Ja
ja
Elgg
54,4% Ja
ja
Ellikon an der Thur
72,4% Ja
ja
Elsau
59,7% Ja
ja
Embrach
66,9% Ja
ja
Erlenbach (ZH)
80,7% Ja
ja
Fällanden
70,9% Ja
ja
Fehraltorf
68,2% Ja
ja
Feuerthalen
70,4% Ja
ja
Fischenthal
62,3% Ja
ja
Flaach
69,8% Ja
ja
Flurlingen
70,6% Ja
ja
Freienstein-Teufen
55,5% Ja
ja
Geroldswil
69,3% Ja
ja
Glattfelden
48,5% Ja
nein
Gossau (ZH)
66,6% Ja
ja
Greifensee
64,0% Ja
ja
Grüningen
68,5% Ja
ja
Hagenbuch
62,4% Ja
ja
Hausen am Albis
61,2% Ja
ja
Hedingen
67,4% Ja
ja
Henggart
67,6% Ja
ja
Herrliberg
79,4% Ja
ja
Hettlingen
61,5% Ja
ja
Hinwil
66,6% Ja
ja
Hittnau
57,6% Ja
ja
Hochfelden
34,9% Ja
nein
Hombrechtikon
67,0% Ja
ja
Horgen
73,4% Ja
ja
Höri
35,3% Ja
nein
Hüntwangen
57,4% Ja
ja
Hüttikon
63,1% Ja
ja
Illnau-Effretikon
57,4% Ja
ja
Kappel am Albis
64,9% Ja
ja
Kilchberg (ZH)
79,0% Ja
ja
Kleinandelfingen
68,4% Ja
ja
Kloten
57,3% Ja
ja
Knonau
71,5% Ja
ja
Küsnacht (ZH)
76,3% Ja
ja
Langnau am Albis
73,7% Ja
ja
Laufen-Uhwiesen
71,8% Ja
ja
Lindau
41,8% Ja
nein
Lufingen
72,4% Ja
ja
Männedorf
72,6% Ja
ja
Marthalen
69,6% Ja
ja
Maschwanden
66,9% Ja
ja
Maur
74,7% Ja
ja
Meilen
74,3% Ja
ja
Mettmenstetten
70,3% Ja
ja
Mönchaltorf
66,5% Ja
ja
Neerach
42,4% Ja
nein
Neftenbach
67,2% Ja
ja
Niederglatt
42,2% Ja
nein
Niederhasli
43,4% Ja
nein
Niederweningen
54,2% Ja
ja
Nürensdorf
42,1% Ja
nein
Oberembrach
59,4% Ja
ja
Oberengstringen
68,7% Ja
ja
Oberglatt
46,9% Ja
nein
Oberrieden
71,5% Ja
ja
Oberweningen
54,8% Ja
ja
Obfelden
72,8% Ja
ja
Oetwil am See
71,7% Ja
ja
Oetwil an der Limmat
73,4% Ja
ja
Opfikon
67,5% Ja
ja
Ossingen
67,1% Ja
ja
Otelfingen
60,7% Ja
ja
Ottenbach
71,3% Ja
ja
Pfäffikon
63,3% Ja
ja
Pfungen
68,7% Ja
ja
Rafz
61,5% Ja
ja
Regensberg
53,1% Ja
ja
Regensdorf
56,1% Ja
ja
Rheinau
64,5% Ja
ja
Richterswil
73,9% Ja
ja
Rickenbach (ZH)
63,9% Ja
ja
Rifferswil
53,9% Ja
ja
Rorbas
61,5% Ja
ja
Rümlang
31,9% Ja
nein
Rüschlikon
79,7% Ja
ja
Russikon
64,1% Ja
ja
Rüti (ZH)
65,2% Ja
ja
Schlatt
33,4% Ja
nein
Schleinikon
46,8% Ja
nein
Schlieren
67,4% Ja
ja
Schöfflisdorf
51,4% Ja
ja
Schwerzenbach
67,0% Ja
ja
Seegräben
56,8% Ja
ja
Seuzach
68,8% Ja
ja
Stadel
34,8% Ja
nein
Stäfa
70,8% Ja
ja
Stallikon
72,2% Ja
ja
Stammheim
60,5% Ja
ja
Steinmaur
50,5% Ja
ja
Thalheim an der Thur
71,9% Ja
ja
Thalwil
73,3% Ja
ja
Trüllikon
67,7% Ja
ja
Truttikon
64,6% Ja
ja
Turbenthal
26,4% Ja
nein
Uetikon am See
72,6% Ja
ja
Uitikon
79,3% Ja
ja
Unterengstringen
72,4% Ja
ja
Urdorf
70,7% Ja
ja
Uster
62,3% Ja
ja
Volken
65,8% Ja
ja
Volketswil
71,2% Ja
ja
Wädenswil
69,7% Ja
ja
Wald (ZH)
59,0% Ja
ja
Wallisellen
64,2% Ja
ja
Wangen-Brüttisellen
68,5% Ja
ja
Wasterkingen
53,8% Ja
ja
Weiach
46,6% Ja
nein
Weiningen (ZH)
66,1% Ja
ja
Weisslingen
42,1% Ja
nein
Wettswil am Albis
75,9% Ja
ja
Wetzikon (ZH)
64,3% Ja
ja
Wiesendangen
64,3% Ja
ja
Wil (ZH)
56,7% Ja
ja
Wila
46,2% Ja
nein
Wildberg
48,3% Ja
nein
Winkel
53,1% Ja
ja
Winterthur Altstadt
49,4% Ja
nein
Winterthur Mattenbach
48,4% Ja
nein
Winterthur Oberw.
55,2% Ja
ja
Winterthur Seen
54,3% Ja
ja
Winterthur Töss
56,6% Ja
ja
Winterthur Veltheim
45,3% Ja
nein
Winterthur Wülflingen
58,5% Ja
ja
Zell (ZH)
35,9% Ja
nein
Zollikon
75,6% Ja
ja
Zumikon
77,4% Ja
ja
Zürich Kreis 10
52,4% Ja
ja
Zürich Kreis 11
57,9% Ja
ja
Zürich Kreis 12
58,5% Ja
ja
Zürich Kreis 3
51,3% Ja
ja
Zürich Kreis 6
53,8% Ja
ja
Zürich Kreis 9
59,5% Ja
ja
Zürich Kreise 1 und 2
59,8% Ja
ja
Zürich Kreise 4 und 5
49,9% Ja
nein
Zürich Kreise 7 und 8
63,0% Ja
ja
Quelle:  Kanton Zürich

Rot eingefärbt sind auf der Karte auch die Gemeinden nordwestlich des Flughafens. Sie haben künftig mehr Starts am Abend zu gewärtigen, weil vermehrt auf der längeren Piste gestartet wird. Der Nordosten hingegen profitiert.

Pistenverlängerungen am Flughafen Zürich

Die Piste 14/32 soll um 280 Meter nach Norden verlängert werden.
Die Piste 10/28 soll um 400 Meter nach Westen verlängert werden.

Die Gewinner: Das sind in erster Linie die Bewohner im Süden des Flughafens. Sie sind in Zukunft abends weniger Anflügen ausgesetzt. Die «Südschneiser» waren einst die vehementesten Flughafenkritiker, sie demonstrierten mit Transparenten und Mahnwachen am Flughafen. Nun empfahlen die Bürgerorganisationen des Südens ein Ja, und die Stimmberechtigten folgten ihnen.

Urs Dietschi.

Urs Dietschi.

PD

Von Solidarität unter Fluglärmbetroffenen also keine Spur, wie Urs Dietschi nicht ohne Verbitterung konstatiert. Dietschi ist Kantonsrat der Grünen, Vizepräsident der Bürgerorganisation «Fair in Air» und treibende Kraft hinter dem Widerstand gegen die Pistenverlängerungen. Als «puren Egoismus» fasst er das Abstimmungsresultat zusammen.

Weder Klima-Anliegen noch Bevölkerungsschutz sei den Stimmberechtigten wichtig gewesen, sagt Dietschi. Allerdings hatte der Flughafen wiederholt dargelegt, dass mit den Pistenverlängerungen kein Kapazitätsausbau möglich sei und der Entscheid deshalb keinen Einfluss aufs Klima habe.

Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf gibt ohne Umschweife zu, dass die Argumente der Befürworter – mehr Stabilität, Sicherheit, Nachtruhe – die Bevölkerung überzeugt hätten. Sie spricht von «vollmundigen Versprechen», an denen sich der Flughafen nun messen lassen müsse. «Es würde mich freuen, wenn er sie einhält. Aber es wäre eine Premiere.»

Wie rasch die Pisten am Flughafen verlängert werden können, lässt sich derzeit erst grob abschätzen. Die Flughafen Zürich AG reicht als Erstes beim Bund ein Gesuch um Plangenehmigung ein. Der Flughafen schreibt: «Es ist mit einem mehrjährigen Verfahren zu rechnen. Mit dem Bau wird nach aktuellem Wissensstand voraussichtlich im Jahr 2030 gestartet.» Die Kosten von rund 250 Millionen Franken werden vollumfänglich durch die Flughafen Zürich AG getragen.

Junge Grüne fordern Obergrenze – die es bereits gibt

Urs Dietschi kündigte noch am Abstimmungssonntag rechtlichen Widerstand gegen die Umsetzung an. Der Verein «Fair in Air» werde allen Klagewilligen «helfen, wo wir können».

Noch hängig sei zudem die Stimmrechtsbeschwerde gegen den jetzigen Urnengang – dies wegen eines Streits mit der Staatskanzlei des Kantons um die Abstimmungszeitung. Es hat schon Fälle gegeben, in denen Stimmrechtsbeschwerden Bauprojekte empfindlich verzögert haben, namentlich das bis heute nicht realisierte Fussballstadion auf dem Hardturm-Areal in der Stadt Zürich. Die Gefahr scheint in diesem Fall aber gering.

Die Diskussion um die Pistenverlängerungen dürfte in dieser Form die letzte für längere Zeit gewesen sein. Kantonsrat und Bevölkerung konnten mitreden, weil die Infrastruktur am Flughafen angetastet werden sollte. Normalerweise gibt der Bund am Flughafen die Regeln vor. Politische Vorstösse im Kanton sind möglich, aber ihre Wirksamkeit ist fraglich.

Doch davon lassen sich die Flughafenkritiker nicht beeindrucken. Bereits sammeln Bürgerinitiativen Unterschriften für die Revision des kantonalen Flughafengesetzes. Sie fordern die Einhaltung von sieben Stunden Nachtruhe. Heute sind es de facto sechseinhalb Stunden, weil der Flughafen die halbe Stunde zwischen 23 Uhr und 23 Uhr 30 regelmässig für den Verspätungsabbau benötigt. Gemäss Flughafen ist dies die strengste Nachtruhe in ganz Europa.

Die jungen Grünen kündigten am Abstimmungssonntag ebenfalls ein Volksbegehren an: Sie fordern eine Obergrenze für die Anzahl Flugbewegungen. Dies, obwohl es eine solche Grenze bereits gibt. Sie liegt bei 320 000 pro Jahr. Ist diese Zahl erreicht, muss sich der Kanton beim Bund für eine Reduktion einsetzen. Die Zahl verharrt seit 2008 allerdings konstant bei 275 000, trotz einem Passagierwachstum um beinahe 50 Prozent von 22 auf über 31 Millionen.

Die nächste Flughafenabstimmung ist somit eine Frage der Zeit. Doch das Verdikt vom Sonntag zeigt, dass es derartige Initiativen an der Urne schwer haben.

Die letzte Niederlage des Flughafens liegt Jahrzehnte zurück. Mit den Pistenverlängerungen hat er in seiner 76-jährigen Geschichte nun 15 von 17 Urnengängen gewonnen.

Mehr von Michael von Ledebur (mvl)

Mehr von Michael von Ledebur (mvl)

Weitere Artikel