Der Stadtrat Winterthur habe den Begriff «gebundene Ausgabe» allzu grosszügig ausgelegt, sagen die Richter

Ein Kredit für die Sanierung einer Strasse gehört vor das Stadtparlament. Auch im Kantonsrat gibt das Thema zu reden.

Stefan Hotz 3 min
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Das Beheben von Belagsschäden ist eine gebundene Ausgabe, die umfassende Neugestaltung des Strassenraums nicht.

Das Beheben von Belagsschäden ist eine gebundene Ausgabe, die umfassende Neugestaltung des Strassenraums nicht.

Martin Ruetschi / Keystone

Wann gelten Ausgaben als «gebunden» und wann als neu? Diese Frage ist ein häufiger finanzpolitischer Streitpunkt zwischen Legislative und Exekutive. Denn über gebundene Ausgaben entscheiden Regierungen abschliessend.

Ausgaben gelten laut Gesetz und gemäss Rechtsprechung dann als gebunden, wenn sie aufgrund eines Gesetzes, eines Urteils oder eines Vertrags erforderlich sind oder der zuständigen Behörde aus sachlichen und zeitlichen Gründen «kein erheblicher Entscheidungsspielraum» bleibt. Letzteres gilt etwa für bauliche Sanierungen, ehe ein Gebäude einstürzt oder eine Kanalisation leckt.

Die Grenze zu einer neuen Ausgabe ist dabei fliessend. Und es liegt in der Natur der Sache, dass Regierungen die Gebundenheit gerne weit interpretieren, um ihre Kompetenzen auszudehnen. Das tat gemäss einem Urteil des Verwaltungsgerichts auch der Stadtrat von Winterthur.

Zu viel in eigener Kompetenz bewilligt

Im vergangenen August beschloss er gut 10 Millionen Franken für die Sanierung eines 750 Meter langen Stücks der Frauenfelderstrasse. Die überkommunale Einfallsachse verbindet Winterthurs Stadtzentrum mit der A 1. Neben der Erneuerung der Strasse beinhaltet das Projekt eine umfassende Neugestaltung mit Radwegen, einer Reduktion des Fahrbahnquerschnitts, Bushaltestellen und einer Allee.

36 Personen, unter ihnen eine Reihe bürgerlicher Mitglieder des Gemeinderats, legten Beschwerde ein, weil der Stadtrat den weitaus grössten Teil der Ausgaben als gebunden in eigener Kompetenz bewilligte. Vor dem Bezirksrat blitzten sie ab. Das Zürcher Verwaltungsgericht hat ihnen nun in zweiter Instanz recht gegeben. Es stellte fest, der Winterthurer Stadtrat habe seine Finanzkompetenz überschritten.

Die Instandsetzung der Fahrbahn, der behindertengerechte Umbau der Bushaltestellen oder die lärmrechtliche Sanierung dank einem Flüsterbelag müssen gemäss der Urteilsbegründung umgesetzt werden. Die weitere Gestaltung lasse jedoch einen Ermessensspielraum, weshalb sie nicht der Mitwirkung durch Parlament und Bevölkerung entzogen werden dürfe, stellen die Richter fest und mahnen: Das obligatorische Finanzreferendum in den Zürcher Gemeinden erfordere Zurückhaltung bei der Annahme, es lägen gebundene Ausgaben vor.

Im konkreten Fall muss das Stadtparlament über das Projekt Frauenfelderstrasse entscheiden. Die Beschwerdeführer sind über das Urteil erfreut. Gegenüber dem «Landboten», der am Samstag darüber berichtet hat, werfen sie dem Stadtrat vor, er habe versucht, Grossprojekte der öffentlichen Diskussion zu entziehen. Die Exekutive prüft den Weiterzug an das Bundesgericht.

Von 10 auf 33 Millionen Franken

Die Frage sorgt auch in anderen Gemeinden für Diskussionen. In Maur musste sich der Gemeinderat im Herbst vom Bezirksrat Uster belehren lassen, dass er beim Bauprojekt Looren knapp zehn Millionen Franken zu Unrecht als gebunden taxiert hatte. Beschwerde hatten neben anderen zwei ehemalige Gemeindepräsidenten eingelegt. Die Exekutive gab von sich aus ein Gutachten in Auftrag und änderte auf dessen Grundlage ihre Praxis.

Auf kantonaler Ebene gibt die Frage ebenfalls immer wieder zu reden, etwa als der Regierungsrat Ausgaben für das elektronische Patientendossier für gebunden erklärte. Derzeit geht es um den Posten der Seepolizei in Oberrieden: 2016 hatte der Kantonsrat einen Kredit über 10 Millionen Franken für seine Sanierung an die Regierung zurückgewiesen. Diese beschloss im Juli 2022 für diesen Zweck 33 Millionen, nun als gebundene Ausgabe. Das Parlament lässt sich das nicht bieten. Auf ein dringliches Postulat, das es diesen Montag voraussichtlich überweist, muss die Regierung ihre Praxis erläutern.

Urteil VB.2022.00699 vom 12. 1. 2023, nicht rechtskräftig.