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Neuwahl fällt aus Thüringer Chaos geht in die Verlängerung

Die für den Herbst vorgesehene Neuwahl in Thüringen wurde abgesagt, man will nun bis 2023 weitermachen. Doch wie? Die Lage in Erfurt ist mal wieder vertrackt – die AfD könnte erneut tricksen.
Plenum des Thüringer Landtags

Plenum des Thüringer Landtags

Foto: Martin Schutt / dpa

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Die drei Fraktionsvorsitzenden von Linken, Grünen und SPD machten ein trauriges Gesicht bei ihrer Verkündung. »Unsere Aufgabe ist nicht, den Thüringer Landtag aufzulösen«, stellt Steffen Dittes von den Linken klar. Es gebe eine Pandemie zu bewältigen, das Land stehe vor großen Herausforderungen.

Die Nerven liegen in Erfurt mal wieder blank. Am Montag sollte fristgerecht im Landtag die Abstimmung stattfinden, um das Parlament aufzulösen und im September Neuwahlen abzuhalten.

Ein entsprechender Antrag für die Wahl wurde schon gestellt. Doch Linke und Grüne ziehen ihre Unterschriften zurück, wie sie im Innenhof des Thüringer Landtags am Freitagmittag mitteilen. Damit wird es keine Abstimmung am Montag geben, keine Wahl im September zusammen mit der Bundestagswahl, vielmehr soll es nun bis zum regulären Wahltermin 2023 weitergehen.

Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis90/Die Grünen), Steffen Dittes (Die Linke), Matthias Hey (SPD)

Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis90/Die Grünen), Steffen Dittes (Die Linke), Matthias Hey (SPD)

Foto: Martin Schutt / dpa

Die Gründe dafür sind kompliziert und wohl außerhalb Thüringens für kaum noch jemanden nachvollziehbar.

Die Kurzfassung: Im Parlament bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit für die Auflösung. Doch die hätte ohne Hilfe durch die AfD nicht gestanden. Bei der CDU gab es mindestens vier Abweichler, die recht früh ankündigten, nicht für die Auflösung stimmen zu wollen. Die CDU holte sich dann Unterstützung von einer Abtrünnigen aus der FDP. Damit wären die nötigen 60 Stimmen beisammen gewesen. Das wiederum sorgte bei zwei Linken für Unmut, da die Ex-FDP-Politikerin politisch umstritten ist. Auch sie wollten nun nicht mehr mitstimmen.

SPD bleibt standhaft für Neuwahlen

Hinzu kommt: So richtig wollten die Grünen eigentlich nie eine Neuwahl, sie fürchten einen Absturz unter die Fünfprozenthürde. Die geplante Neuwahl war Teil des Pakts, den Linke, SPD, Grüne und CDU nach dem Kemmerich-Chaos geschlossen hatten. Schon vor einem Jahr waren die Grünen tendenziell eher gegen eine Neuwahl.

Einzig die SPD hält am Neuwahltermin fest, die Sozialdemokraten ziehen ihre Unterschriften auch nicht formal zurück. Ändern wird das aber nichts, weil der Antrag ohne Linke und Grüne ohnehin das nötige Quorum verfehlt.

Ein Blick auf die letzten Umfragen zeigt das ganze Dilemma von Thüringen: Die einst versprochene Neuwahl hätte die Probleme womöglich auch nicht gelöst, weil es keine klaren Mehrheiten für Rot-Rot-Grün oder ein anderes Bündnis ohne AfD gegeben hätte. Zudem schließt die CDU ein Bündnis mit der Linken aus. Zusammen hätten sie eine absolute Mehrheit.

Wie nun weiter? Die rot-rot-grüne Regierung hat weiterhin keine eigene Mehrheit. Die CDU hatte zugesichert, bis kurz vor der Wahl via eines sogenannten Stabilitätsmechanismus auszuhelfen.

Dieser Vertrag ist inzwischen ausgelaufen.

Und nun?

Unklar. Ob der Stabilitätsmechanismus erneuert wird, steht nicht fest. Gerade in der Pandemie konnte die Regierung vielfach per Verordnung am Parlament vorbei regieren, brauchte dafür keine Mehrheit. Für weitreichende Veränderungen wird es ohne den Landtag aber nicht gehen, schon beim Haushalt ist Rot-Rot-Grün auf die CDU angewiesen.

»Ich nehme mit Respekt die im Landtag heute getroffenen Entscheidungen zur Kenntnis«, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow dem SPIEGEL. Nun komme es darauf an, »in Ruhe und in größtmöglicher Sachlichkeit dafür Sorge zu tragen, dass die für unseren Freistaat Thüringen, seine Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger wesentlichen Entscheidungen getroffen werden können«. Wie das bewerkstelligt werden soll, bleibt offen.

Helfen CDU-Abweichler nun Rot-Rot-Grün?

Womöglich kann die Minderheitsregierung von der Spaltung innerhalb der CDU profitieren. Die vier Abweichler, die nicht für die einst versprochene Auflösung des Landtags stimmen wollten, stehen seit Wochen unter schwerem Beschuss aus den eigenen Reihen. Selbst das Wort vom »Kameradenschwein« soll gefallen sein. In der eigenen Partei sind sie weitgehend verbrannt, Emissäre von SPD, Grünen und Linken könnten um ihre Stimmen werben und im Gegenzug Projekte in den entsprechenden Wahlkreisen durchwinken.

Trotzdem könnte die AfD für Ärger sorgen. Jeder Antrag von CDU oder FDP, der die Zustimmung auch von der AfD erhält, hätte eine Mehrheit. Bei Rot-Rot-Grün spricht mancher von einer »destruktiven Mehrheit«, die der Minderheitskoalition das Leben schwer machen könnte.

Einzig für die Neuwahl bis zum Schluss und ohne Murren waren die Thüringer Sozialdemokraten. Sie hatten schon bei den Verhandlungen vor einem Jahr den Neuwahltermin fast auf den Tag genau ausgehandelt.

Das Verhältnis der SPD zu Linken und Grünen beschreiben manche inzwischen als »eisig«. Aber man wird sich wohl zusammenraufen – bis zur nächsten Krise in Erfurt.

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