WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Jan Delay ist das größte Missverständnis der deutschen Popkultur!

Meinung Eine Abrechnung

Jan Delay ist das größte Missverständnis der deutschen Popkultur

Redakteur
Jan Delay feiert sein 20-jähriges Albumjubiläum

65 Wochen lang hielt es sich das Album von „Bambule“ von Absolute Beginner in den deutschen Top 100 Albumcharts und erreichte Gold-Status. Nach 20 Jahren feiert Jan Delay nun sein Album-Jubiläum.

Quelle: WELT / Laura Fritsch

Autoplay
Jan Delay ist eine der nervigsten Figuren Deutschlands. Er selbst hält sich für einen großen Künstler. Dabei ist er nur ein schlechter Witz. Zeit für eine längst überfällige Klarstellung.

Dieser Text über Jan Delay ist nicht bloß ein Text über Jan Delay, dieser Text über Jan Delay ist eine Korrektur. Eine Revision. Eine Umkehr. Denn wenn wir im Jahr 2018 noch von Jan Delay sprechen, dann sprechen wir von einem Missverständnis, und damit ist nicht bloß ein einfaches, ein gewöhnliches Missverständnis gemeint, nein, wir sprechen von einem historischen Missverständnis, wir sprechen von dem vielleicht größten Missverständnis der deutschen Popkultur. Und der Ursprung von diesem Missverständnis wird heute 20 Jahre alt.

Am 10. November 1998 erschien „Bambule“. „Bambule“ ist das zweite Album der Absoluten Beginner, und die Absoluten Beginner, die mittlerweile ihren Absolutheitsanspruch verloren haben und sich nur noch die „Beginner“ nennen, sind die Hamburger Rap-Formation, mit der Jan Delay durch das Album „Bambule“, ihrem zweiten Werk, im November 1998 berühmt geworden ist. Neben Jan Delay gab es bei den Beginnern noch den Rapper Denyo, der abseits der Beginner niemals einen Erfolg vorweisen konnte und somit von dem sogenannten Markt bereinigt wurde, und eine dritte Person, an die sich aber niemand mehr erinnert.

„Bambule“, so sagen Menschen, die in der deutschen Pop-Geschichtsschreibung mal etwas zu sagen hatten, „Bambule“, sei so etwas wie ein Meilenstein der deutschen Pop-Geschichte gewesen, ein Klassikeralbum, die Revolution von Deutschrap, und weil diese Menschen das so oft, so laut und so häufig gesagt haben, wurde das irgendwann einfach mal so hingenommen, obwohl „Bambule“ weder ein Meilenstein noch ein Klassiker noch irgendeine Revolution war. „Bambule“ war einfach nur ein ziemlich banales Album, das zum richtigen Zeitpunkt kam und sehr erfolgreich wurde. Ein Album, das über seinen Erfolg hinaus nicht sehr viel zu sagen hatte.

Die Beginner haben HipHop nicht revolutioniert. Sie haben ihn lächerlich gemacht

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus YouTube
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Es ist nicht so, dass man große Mühe hätte, einzelne Zeilen aus dem Album herauszusuchen, um der Gruppe peinliche Textzitate nachzuweisen, denn tatsächlich ist das ganze Album nichts weiter als ein einziges peinliches Textzitat. Auf einem ihrer größten Hits „Liebes Lied“ rappen sie: „Das ist Liebe auf den ersten Kick / nicht mal Drum 'n Bass hält jetzt mit Deinem Herzen Schritt. Du hast deinen Schatz gefunden, ohne lang zu buddeln / Bock ihn in den Arm zu nehmen und stundenlang zu knuddeln.“ Man muss innerlich schon ziemlich abgestumpft sein, um beim laut Lesen dieser Textverbrechen nicht eine durch Fremdscham ausgelöste, tiefe innere Todessehnsucht zu empfinden.

Oder auch das hochgelobte „Füchse“, auf welchem sich erstmals ein Samy Deluxe einer breiten Öffentlichkeit präsentierte. Während Samy in seinem kurzen Gastpart schon komplexe Reimstrukturen mit anspruchsvollen Flowpattern kombinierte, rappte Jan Delay: Au, mein Magen knurrt wie Sau. Kultig sei diese Zeile, heißt es. Dabei ist sie einfach nur scheiße. Egal welchen Maßstab man an ein gutes HipHop-Album anlegt, „Bambule“ erfüllte keinen einzigen davon. Die Beginner haben das gesamte Potenzial von dem, was HipHop ist, von dem HipHop sein kann, restlos verschenkt: HipHop als Rebellion, HipHop als gesellschaftlicher Spiegel sozialer Missstände, HipHop als raffinierte Sprachkunst, HipHop als Update anspruchsvoller deutscher Lyrik, HipHop als Instrument der Selbstermächtigung oder zumindest HipHop als tanzbare Clubmusik. Nichts davon lieferten die Beginner.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus YouTube
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Außer ein paar Beats, die ihrer Zeit voraus waren und soundtechnisch in das neue Jahrhundert geführt haben, außer dem selbst erklärten zwar modernen, aber nur sehr flach umgesetzten Verständnis einer soundgewordenen Remix-Kultur, gibt es keinen Punkt, dem man „Bambule“ beim heutigen Wiederhören zugestehen möchte.

Das waren halt die 1990er, sagen die Kinder der 1990er, die damals „Bambule“ gehört und für irgendwie legitim befunden haben, damals, das waren eben noch andere Zeiten, aber auch das ist falsch, denn schon damals gab es ein King Kool Savas, der mit Taktloss und „Westberlin Maskulin“ eine moderne Version grenzüberschreitender Verbalaggression und somit die Blaupause für Battle-Rap gelegt hat, schon damals gab es in Frankfurt einen Azad, der die ungeschönten Lebenswelten sozialer Brennpunkte sprachgewaltig auf raue Beats gepackt hat (auch wenn sein erstes offizielles Release erst ein paar Jahre später erscheinen sollte), schon damals gab es einen vitalen Berliner Underground (Bassboxxx, Royal Bunker, etc.), der parallel zum „Rödelheim Hartreim Projekt“ in Frankfurt den deutschen Gangsta-Rap erfunden hat, schon damals gab es einen Ferris MC, der wohl der erste Rap-Charakter im Sinne einer überhobenen Kunstfigur war, schon damals gab es Rapper, die Maßstäbe für exzellente Technik gelegt haben, wie besagter Samy Deluxe (Flow/Reime) oder die Stieber Twins (Produktionen).

Die Absoluten Beginner haben HipHop hingegen nicht revolutioniert. Sie haben gar nicht für HipHop getan, außer HipHop lächerlich zu machen. Sie waren mitverantwortlich, dass das gesellschaftliche Bild von deutschem Rap über Jahre hinweg geprägt war von hässlichen Wohlstandskindern in Oversize-Klamotten, die glaubten, irgendetwas richtig gemacht zu haben. Nur die wirklich uncoolen Kids haben damals ernsthaft geglaubt, dass die Beginner cool seien.

Das schreckliche Vermächtnis war eine Jan Delay-Solokarriere

Weil Jan Delay mit „Bambule“ aber einen kommerziellen Erfolg für ein eigentlich irrelevantes Album verbuchen konnte, wurde Jan Delay eines Tages wahnsinnig. Irgendetwas haben die Erfolge in seinem merkwürdigen Kopf angerichtet, dass er sich plötzlich einbildete, dass er so etwas wie ein richtiger Musiker wäre, dass er die deutsche Inkarnation von Prince sei, also ließ er den HipHop hinter sich, ließ die Beginner (vorläufig) hinter sich und erfand sich auf seinen vier Soloalben nochmals neu. Er machte ein Soul-Album. Er machte ein Funk-Album. Er machte ein Reggae-Album. Er machte ein Rock-Album. Oder zumindest machte er das, was er für ein Soul-Album, ein Funk-Album, ein Reggae-Album oder ein Rock-Album hielt.

Anzeige

Das hatte natürlich alles nichts mit wirklichem Genreverständnis zu tun, das kratze bloß an der Oberfläche, wie die Beginner-Alben an einer Oberfläche kratzen, von denen aber mittelmäßige Lokalzeitungs-Kulturredakteure fälschlicherweise annahmen, dass es so etwas wie Kunst sei, denn diese mittelmäßigen Lokalzeitungs-Kulturredakteure saßen vor vielen Jahren, so Ende der 1990er-Jahre, mal in der großen Pause auf den Schulhofstischtennisplatten, hörten dort Beginner-Alben und wurden von den cool kids dafür verspottet, weshalb sie jetzt ihre eigene kulturlose Jugend im Kulturteil der lokalen Zeitung verklären und sich somit an der Gesellschaft rächen.

Diese Menschen verstanden nicht, dass Jan Delay eben keine deutsche Inkarnation von Prince, sondern höchstens die Inkarnation des hörbehinderten Cousins von einem schlechten Prince-Imitat war. Dass er eben nicht in der Lage war, den Kern von Rock oder Funk oder Soulmusik zu verstehen, deren Potenzial auszuschöpfen, sondern bloß den Groove und den Sound von dem imitieren konnte, was er als Rock oder Soul oder Funk verstand. Genauso wie er zu Deutschrap nichts beizutragen hatte, was von Bestand gewesen wäre. Es gibt heute keinen Rapper, keine Schule, kein Camp, das sich auf die vermeintliche Pionierarbeit der Beginner berufen würde, weil es keine Pionierarbeit der Beginner gab. Sicherlich gibt es einige Rapper, die die Beginner gehört haben, sie vielleicht auch mal zitieren, aber eine musikalische Legacy, die gibt es nicht.

Die Karriere und das Musikverständnis von Jan Delay als ein einziges, ein ganz großes Remix-Projekt zu verstehen, wäre charmant, wäre er nicht daran gescheitert selber zu verstehen, dass ein Remix mehr sein muss, als die bloße Montage von Versatzstücken fremder Musikstile. Ein Remix ist nur dann gut, wenn er den Kern des Originals berührt und ihn gleichzeitig weiterdenkt, zu etwas anderem transformiert. Prince hat das verstanden. Jan Delay nicht.

Jan Delay ist kein Styler. Er ist ein Freak

Und der große Erfolg? Der verwundert gar nicht so sehr, schließlich hatten die Fantastischen Vier auch sehr großen Erfolg, ebenso wie Schnappi, das kleine Krokodil, denn in Deutschland hat eben in der breiten Masse, im Mainstream, oftmals genau das besonders großen Erfolg, was am besten kompatibel mit dem Unterdurchschnittsgeschmack des Durchschnittsdeutschen ist, und da passte er gut rein, der Jan Delay. Jan Delay war so übertrieben uncool, dass er die Deutschen faszinierte, besonders die deutschen Medien, denn nichts lieben deutsche Medien so sehr wie handzahme Freaks.

Kein Styler, bloß ein Freak im weißen Anzug
Kein Styler, bloß ein Freak im weißen Anzug
Quelle: dpa/Marijan Murat

Menschen, die nach außen hin skurril wirken, aber im Kern nichts zu sagen haben, nichts infrage stellen. Deutsche Medien hassten sehr lange Gangsta-Rap, aber einen Jan Delay, der da mit seinem lustigen Hut, seiner übergroßen Sonnenbrille und den schrill-schwulen Anzügen etwas vor sich hin näselt, der stellt nichts infrage, er stellt bloß etwas dar, sich selbst, also haben die deutschen Medien Jan Delay durchgereicht, vor jede Kamera gezogen, und Jan Delay ließ sich wie ein dressiertes Zirkusäffchen auch vor jede Kamera ziehen, wo er dann erklärte was Style, was Kunst und Politik wäre, ohne natürlich auch nur im Ansatz irgendetwas über Style, Kunst oder Politik verstanden zu haben.

Da saß er dann, in den Talkshows der Nation, und erzählte, was er so in seinem leeren Eierkopf hatte: Der Heino, der sei bloß ein Nazi, sagte der Jan, der auch die Rote Flora und den Schwarzen Block ganz geil findet und brennende Autos zu einem legitimen Ausdruck des Protestes erklärt, gegen Nationalismus ist, eine Deutschquote für das Radio aber gut finden würde, was wiederum kein echter Linker jemals unterstützt hat, aber da ist er eben nicht so ganz konsequent und gebildet, der Jan, der auch politisch korrekt sein wollte, aber in seinem letzten hellen Moment seine Crew damals die „Mongo Clikke“ nannte (was sie zum großen Teil eben auch war!).

Den Springer-Verlag und WELT AM SONNTAG findet er auch schlimm und bekämpfenswert, was ja völlig okay und endlich mal zumindest eine inhaltliche Position wäre, hätte er WELT AM SONNTAG und anderen Springer-Publikationen nicht wieder und wieder große, ganzseitige Interviews gegeben – anlässlich seiner neu erschienenen CDs. Jan Delay will links sein, aber er hat das Linkssein nicht verstanden, wie er den Kern von HipHop, wie er den Kern von Rock, Funk, Soul und Reggae nicht verstanden hat. Er bleibt für immer bloß an der Oberfläche von Musik, Style und Kunst. Nein, Jan Delay ist kein linksextremer, radikaler Spinner. Er ist nur ein bisschen dumm, der Jan.

Er spielte auch mal eine singende Ziege und eine dicke Biene

Anzeige

Darum wird es Zeit für eine Korrektur. Eine Revision. Eine Umkehr. Ein Eingeständnis. Jan Delay ist keine Legende. Jan Delay ist ein Witz. Ein schlechter Witz, der auf einem missverstandenen Album basiert und nun schon seit 20 Jahren auf seine Pointe wartet. Aber es gibt Hoffnung. Zuletzt trat Jan Delay bloß noch mit einem Schnulzensong über einen Fußballverein in Erscheinung und immer mal wieder mit schlechten Synchronsprecherjobs: So sprach er mal eine animierte Ziege und Willi.

Willi ist die übergewichtige Biene von Biene Maja, die nichts weiter tut, als blöd in den Tag hineinzufliegen. Vielleicht ist er jetzt endlich so ganz bei sich, der Jan. Es wäre schön, wenn auch er einfach von seinen bisherigen Erfolgen weiterlebt, weiter bloß blöd in seinen Tag hineinlebt im Irrglauben, irgendetwas in der deutschen Musikszene verändert zu haben, und das mit dem weiteren Musikmachen dafür einfach bleiben lässt.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus YouTube
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema