C. Raumplanungs- und Baurecht - Verwaltungsgericht des Kantons ...
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<strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich<br />
(www.vgrzh.ch)<br />
Rechenschaftsbericht<br />
an den <strong>Kantons</strong>rat<br />
2004
Auszüge aus den Entscheiden<br />
A. Verwaltungsrechtspflege<br />
Inhaltsverzeichnis Nr.<br />
I. Verwaltungsverfahren 1–8<br />
II. <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbarkeit<br />
1. <strong>Verwaltungsgericht</strong>liche Beschwerde 9–17<br />
2. Personalrechtliche Verfahren 18–22<br />
B. Allgemeines Verwaltungsrecht<br />
I. Bürgerrecht 23<br />
II. Niederlassung, Aufenthalt 24–30<br />
III. Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzug 31–32<br />
IV. Polizei 33–34<br />
V. Abgaben (ohne Steuern) 35–37<br />
VI. Beschaffungswesen 38–45<br />
VII. Administrativmassnahmen SVG 46–47<br />
VIII. Ges<strong>und</strong>heit 48<br />
IX. Fürsorge 49–55<br />
X. Gebäudeversicherung 56<br />
C. <strong>Raumplanungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Baurecht</strong><br />
I. Nutzungsplanungen 57–60<br />
II. Quartierpläne 61<br />
III. Naturschutz <strong>und</strong> Denkmalschutzmassnahmen 62–63<br />
IV. Bewilligungen 64–79<br />
43
D. Umweltrecht 80–85<br />
E. Steuerrecht<br />
I. Staatssteuern<br />
1. Steuerpflicht<br />
a) Allgemeine Bestimmungen 86–87<br />
b) Besteuerung der natürlichen Personen 88–95<br />
c) Besteuerung der juristischen Personen<br />
2. Verfahren<br />
96–97<br />
a) Einschätzungsverfahren 98<br />
b) Rekursverfahren 99<br />
c) Beschwerdeverfahren 100<br />
d) Nachsteuerverfahren 101<br />
e) Steuersicherungsverfahren 102<br />
f) Steuerstrafverfahren 103<br />
g) Revisionsverfahren 104<br />
II. Gr<strong>und</strong>stückgewinn- <strong>und</strong> Handänderungssteuer 105–107<br />
III. Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuer 108–112<br />
F. Personalrecht 113–118<br />
44<br />
Der ungekürzte Text der Entscheide kann in den meisten Fällen auf der<br />
Website <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s (www.vgrzh.ch; Rubrik Rechtsprechung/Ausgewählte<br />
Entscheide) eingesehen werden.
A. Verwaltungsrechtspflege<br />
I. Verwaltungsverfahren<br />
1. Anforderungen <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Leistung<br />
von Kostenvorschüssen. § 12 VRG.<br />
2.1 Das rechtliche Gehör in einem Verfahren fordert unter anderem, dass die<br />
betroffene Partei sich äussern <strong>und</strong> ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen<br />
kann (vgl. schon Haefliger, Rechtsgleichheit, S. 135 ff), was bedingt, dass die Einstellung<br />
eines Verfahrens durch die Behörde entgegen dem Willen der betroffenen<br />
Person gesetzmässig zu sein hat. Wird die Anhandnahme oder Weiterführung eines<br />
Verfahrens von einem Kostenvorschuss abhängig gemacht, ist der betroffenen Prozesspartei<br />
eine angemessene Frist einzuräumen, um den Kostenvorschuss rechtzeitig<br />
zu bezahlen. Steht die Zahlungsfrist im Ermessen der verfahrensführenden Behörde,<br />
ist nach Massgabe von § 12 Abs. 1 Satz 2 VRG eine Erstreckung der Frist<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich möglich, unter der Voraussetzung, dass das Erstreckungsgesuch vor<br />
Ablauf der Frist gestellt werden muss <strong>und</strong> für die Erstreckung ausreichende Gründe<br />
gegeben sein müssen. Dies bedeutet, dass der Gesuchsteller, welcher sich auf die<br />
Möglichkeit der Fristerstreckung für die Bezahlung einer Kaution innerhalb der<br />
Frist beruft, im ablehnenden Entscheid in die Lage versetzt werden muss, die<br />
Kaution nachzahlen zu können. Stellt er das Gesuch am letzten Tag der Frist <strong>und</strong><br />
wird dieses von der zuständigen Behörde abschlägig beantwortet, muss dem<br />
Schuldner die Möglichkeit eingeräumt werden, die Kaution nach Ablauf der Frist,<br />
unter Ansetzung einer zusätzlichen (Not-)Frist, zu bezahlen. Anders zu entscheiden<br />
würde bedeuten, dass ein Fristerstreckungsgesuch nicht nur vor dem Ablauf der<br />
noch laufenden (<strong>und</strong> zu erstreckenden) Frist gestellt werden müsste, sondern der<br />
Gesuchsteller darüber hinaus die Gewissheit haben müsste, dass die Beantwortung<br />
seines Gesuchs auch vor dem Ablauf dieser (ersten) Frist erfolgt. Diese Gewissheit<br />
ist wesensgemäss nicht möglich, weil der betroffene Bürger auf den Zeitpunkt der<br />
Gesuchsbehandlung durch die Behörde keinen Einfluss hat. Um dem Risiko eines<br />
Rechtsverlusts zu entgehen, müsste die streitige Kaution vorsorglich innert der<br />
ersten Zahlungsfrist bezahlt werden, was jedoch genau mit dem angestrebten<br />
Zahlungsaufschub in Widerspruch stehen kann. Das Problem lässt sich unter<br />
Wahrung der Verfahrensrechte nur auf zweierlei Art lösen: Entweder wird bereits<br />
die Ansetzung einer (ersten) Zahlungsfrist unmissverständlich als nicht erstreckba<br />
bezeichnet <strong>und</strong> wird auf die Folgen einer Nichtbezahlung innert Frist in der Form<br />
1<br />
45
1, 2<br />
eines Rechtsverlusts hingewiesen. Oder aber hat die Behörde eine kurze Nachfrist<br />
anzusetzen, wenn sie die Fristerstreckung als solche verweigert.<br />
46<br />
VB.2004.00015 2. Kammer, 19. Mai<br />
2. Entschädigung <strong>des</strong> unentgeltlichen Rechtsbeistands; Zuständigkeit. Die Höhe<br />
der von der Vorinstanz zugesprochenen Entschädigung für den unentgeltlichen<br />
Rechtsbeistand kann nicht mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache<br />
angefochten werden. § 16 VRG. § 13 Abs. 1 GebV VGr.<br />
1.2 Nicht einzutreten ist hingegen auf die Beschwerde, soweit sie die Höhe<br />
der Entschädigung <strong>des</strong> unentgeltlichen Rechtsbeistands betrifft, welche die Vorinstanz<br />
auf Fr. 3 400.– (statt der verlangten Fr. 5 876.–) festlegte. Als Rechtsmittel<br />
nannte diese den Rekurs an den Regierungsrat. Der Vertreter <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
hat einen entsprechenden Rekurs in eigenem Namen bereits erhoben. Der<br />
Beschwerdeführer seinerseits lässt prozessökonomische <strong>und</strong> praktische Überlegungen<br />
dafür anführen, dass das <strong>Verwaltungsgericht</strong> die Höhe der Entschädigung seines<br />
Vertreters gleichzeitig mit der Hauptsache beurteilen sollte. Dem ist nicht zu<br />
folgen.<br />
1.2.1 Der Entschädigungsanspruch steht nicht dem unentgeltlich Vertretenen,<br />
sondern dem unentgeltlichen Vertreter zu (Kölz/Bosshart/Röhl, § 16 N. 46). Es ist<br />
diesem verwehrt, für seine Mühewaltung von der durch ihn vertretenen Partei eine<br />
zusätzliche Entschädigung zu verlangen. Ein Rechtsmittel gegen die Festlegung der<br />
Entschädigung für den unentgeltlichen Rechtsbeistand hätte der Vertreter <strong>des</strong><br />
Beschwerdeführers daher in eigenem Namen erheben müssen, was er im Beschwerdeverfahren<br />
unterlassen hat. Dem Beschwerdeführer seinerseits mangelt es dagegen<br />
an einem Rechtsschutzinteresse (§ 70 in Verbindung mit § 21 lit. a VRG; VGr,<br />
3. Februar 2003, VB.2002.00363, E. 2d). Entsprechend ist auf die Beschwerde<br />
nicht einzutreten.<br />
1.2.2 Bei der Festsetzung der Entschädigung <strong>des</strong> unentgeltlichen Rechtsbeistands<br />
handelt es sich nicht um Rechtsprechung, sondern um einen Akt der Justizverwaltung<br />
(Kölz/Bosshart/Röhl, § 16 N. 51; Frank/Sträuli/Messmer, § 89 N. 7; ZR 89<br />
Nr. 42). Die Festsetzung <strong>des</strong> Honorars eines unentgeltlichen Rechtsbeistands entspricht<br />
einem Endentscheid, indem materiell über einen Anspruch entschieden wird.<br />
Dabei entschädigt jede Instanz dem unentgeltlichen Rechtsbeistand den notwendigen<br />
Zeitaufwand nach den Ansätzen <strong>des</strong> Obergerichts nur für ihr Verfahren (§ 13
Abs. 1 GebV VGr). Ein solcher erstinstanzlicher Entscheid ist gr<strong>und</strong>sätzlich anfechtbar<br />
(§ 48 Abs. 1 VRG; Kölz/Bosshart/Röhl, § 48 N. 2 f.), wozu der Gebührenverordnung<br />
<strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s allerdings nichts zu entnehmen ist.<br />
1.2.3 In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass ein beschwerdeführender<br />
Vertreter mit seinem Begehren betreffend Honorierung als unentgeltlicher<br />
Rechtsbeistand an das innerhalb der entscheidenden Instanz für die Justizverwaltung<br />
zuständige Gremium gelangen muss. Fehlt ein solches, bleibt die Möglichkeit<br />
eines Wiedererwägungsgesuchs oder der Aufsichtsbeschwerde (Kölz/Bosshart/Röhl,<br />
§ 16 N. 51). Nach dem Zivilprozessrecht ist die Beschwerde an die Verwaltungskommission<br />
<strong>des</strong> Obergerichts vorgesehen, die als unabhängiges Gericht im Sinn<br />
von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention gilt (Frank/Sträuli/<br />
Messmer, § 89 N. 11). Allerdings mangelt es den Verwaltungsbehörden an einem<br />
besonderen Justizverwaltungsorgan (VGr, 3. Februar 2003, VB.2002.00363, E. 2d).<br />
Ausserdem verleihen weder die Aufsichtsbeschwerde noch das Wiedererwägungsgesuch<br />
im Unterschied zu einem förmlichen Rechtsmittel einen Rechtsschutzanspruch<br />
gegenüber der angerufenen Instanz (Häfelin/Müller, Rz. 1742 f.; Kölz/<br />
Bosshart/Röhl, Vorbem. zu §§ 19–28, N. 7, 25 <strong>und</strong> 30 ff.). Daraus erhellt, dass ein<br />
als unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellter Vertreter, der die Höhe seiner Entschädigung<br />
anficht, auf ein ordentliches Rechtsmittel angewiesen ist, soweit der Instanzenzug<br />
dies zulässt.<br />
1.2.4 Dabei fragt sich, ob der ordentliche Rechtsweg der Hauptsache offen<br />
steht, falls dem unentgeltlichen Rechtsbeistand die Entschädigung zu niedrig erscheint.<br />
Das ist zu verneinen (VGr, 28. November 2001, VB.2001.00347, E. 1).<br />
Vorliegend beanstandete der unentgeltliche Rechtsbeistand die Höhe der Entschädigung,<br />
welche ihm für das Verfahren vor Rekursinstanz im Sinn eines erstinstanzlichen<br />
Entschei<strong>des</strong> (vorn 1.2.2) zugesprochen worden war. In der Hauptsache entschied<br />
die Rekursinstanz jedoch als zweite Instanz (Rechtsmittelinstanz), wogegen<br />
die Beschwerde an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> zulässig ist. Daraus erhellt, dass die beiden<br />
Entscheide nicht mit demselben Rechtsmittel weitergezogen werden können.<br />
Hinzu kommt, dass der unentgeltliche Rechtsbeistand seine Honoraransprüche in<br />
eigenem Namen geltend machen muss, derweil er in der Hauptsache seine Partei zu<br />
vertreten hat. Zu Recht gab die Vorinstanz daher als Rechtsmittel betreffend die<br />
Entschädigung <strong>des</strong> unentgeltlichen Rechtsbeistands den Rekurs an den Regierungsrat<br />
<strong>und</strong> mit Bezug auf den Entscheid über die probeweise Entlassung die Beschwerde<br />
an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> an. Diese Gabelung <strong>des</strong> Rechtsmittelwegs mag zwar<br />
unpraktisch erscheinen, ergibt sich aber aus der Wahrung <strong>des</strong> Instanzenzugs für die<br />
verschiedenartigen Entscheide <strong>und</strong> unterschiedlichen Anspruchsberechtigten. Zu-<br />
2<br />
47
2, 3<br />
dem wäre eine Gabelung <strong>des</strong> Rechtsmittelwegs auch dann nicht zu vermeiden, wenn<br />
der unentgeltliche Rechtsbeistand für seine Honoraransprüche ein Wiedererwägungsgesuch<br />
innerhalb der entscheidenden Instanz stellen müsste, da für einen<br />
Weiterzug der Hauptsache die nächste Rechtsmittelinstanz zuständig wäre. Hätte er<br />
sich aber an ein besonderes, für die Hauptsache nicht zuständiges Justizverwaltungsorgan<br />
zu wenden oder eine Aufsichtsbeschwerde zu erheben, führte auch dies<br />
zur Gabelung <strong>des</strong> Rechtsmittelwegs, da die angerufenen Instanzen in aller Regel<br />
mit der Rechtsmittelinstanz nicht identisch sind.<br />
48<br />
VB.2004.00371 ER 4. Abteilung, 22. Dezember<br />
Eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid ist beim B<strong>und</strong>esgericht noch<br />
hängig.<br />
3. Zur Anfechtung einer Strassenaufhebung <strong>und</strong> eines damit verb<strong>und</strong>enen<br />
geänderten Strassenregimes sind Gr<strong>und</strong>eigentümer, deren Gr<strong>und</strong>stücke an<br />
benachbarte Strassen anstossen, dann legitimiert, wenn die mutmasslichen<br />
Auswirkungen deutlich wahrnehmbar sind (d.h. Zunahme um 1 dB[A], entsprechend<br />
ca. 25 % Verkehrszunahme) <strong>und</strong> diese ohne aufwändige Abklärungen<br />
festgestellt sowie von den allgemeinen Strassenimmissionen unterschieden<br />
werden können. Es ist nachvollziehbar darzulegen, dass befürchtete<br />
zukünftige Beeinträchtigungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit<br />
eintreten werden. Die häufige Benutzung einer Strasse schafft für sich allein<br />
keine legitimationsbegründende Beziehungsnähe; der behauptete Nachteil<br />
durch eine Verkehrsbeschränkung muss den Rechtsmittelkläger in besonderer<br />
Weise treffen. § 21 lit. a VRG.<br />
2.3 Bezogen auf die Betroffenheit von Strassenanwohnern, die sich von Luftverunreinigungen<br />
<strong>und</strong> Lärm infolge vermehrten Strassenverkehrs betroffen fühlen,<br />
liegt eine umfangreiche Rechtsprechung aus dem Bereich <strong>des</strong> Planungs- <strong>und</strong> <strong>Baurecht</strong>s<br />
vor, die auch im vorliegenden Fall herangezogen werden kann (vgl. die Hinweise<br />
in VGr, 4. Dezember 2003, VB.2003.00304, E. 2, www.vgrzh.ch, auszugsweise<br />
in RB 2003 Nr. 13). Wird die spezifische Betroffenheit Dritter in einem<br />
Rechtsmittelverfahren aus befürchteten Immissionen abgeleitet, so ist auf Art <strong>und</strong><br />
Intensität dieser Immissionen abzustellen. Die Legitimation ist zu bejahen, wenn<br />
die mutmasslichen Auswirkungen eines Vorhabens deutlich wahrnehmbar sind <strong>und</strong><br />
ohne technisch aufwändige <strong>und</strong> kostspielige Abklärungen festgestellt <strong>und</strong> von den<br />
allgemeinen Immissionen, wie sie der Strassenverkehr mit sich bringt, unterschie-
den werden können. Im Anwendungsbereich von Art. 9 lit. b LSV gelten als wahrnehmbar<br />
stärkere Verkehrslärmimmissionen solche von 1 dB(A), was einer Zunahme<br />
<strong>des</strong> Strassenverkehrs um r<strong>und</strong> 25 % entspricht (Robert Wolf in: Kommentar<br />
USG, Vorbem. Art. 19–25 N. 9). Hieran anknüpfend erachtet die Praxis als nicht<br />
vom allgemeinen Strassenverkehr unterscheidbar <strong>und</strong> daher nicht deutlich wahrnehmbar<br />
eine allgemeine Verkehrszunahme von 5 bis 10 % (VGr, 22. Januar 2004,<br />
VB.2003.00223, E. 3.1.1, www.vgrzh.ch; RB 1985 Nr. 9 = BEZ 1985 Nr. 47). Voraussetzung<br />
der hinreichenden Betroffenheit durch Mehrverkehr bildet überdies<br />
stets, dass der Betroffene mit seinem Gr<strong>und</strong>stück direkt an die belastete Strasse<br />
anstösst.<br />
2.4 In einem Urteil vom 21. März 2002 (VB.2001.00245, www.vgrzh.ch, in<br />
RB 2002 Nr. 74 nicht publizierte E. 3c) äusserte das <strong>Verwaltungsgericht</strong> Zweifel<br />
daran, ob die erwähnte, für die Anfechtung einzelner Bauvorhaben entwickelte<br />
Praxis unbesehen auf die Anfechtung von Plänen, welche die Entstehung einzelner<br />
Vorhaben erst ermöglichen, übertragen werden könne. Eine Gebietsnutzung, wie<br />
sie durch eine Ein- oder Umzonung eingeleitet werde, realisiere sich in der Regel<br />
erst mittel- bis langfristig. Während dieser Zeit könnten die im Zeitpunkt der Plananfechtung<br />
gegebenen Rahmenbedingungen, gerade was die Erschliessung <strong>und</strong><br />
Verkehrsführung anbelange, zahlreichen Änderungen unterworfen sein. Auch was<br />
die Verkehrszunahme betreffe, würden sich die Auswirkungen von Plänen auf die<br />
weitere Nachbarschaft ungleich viel schwerer abschätzen lassen als diejenigen von<br />
einzelnen Bauvorhaben. Das bedeute zwar nicht zwangsläufig, dass an den Nachweis<br />
der Betroffenheit in diesen Fällen generell höhere Anforderungen gestellt werden<br />
müssten, denn gerade die Ungewissheit der künftigen Entwicklung könne<br />
Nachbarn zu einer vorsorglichen Interessenwahrung veranlassen. Die grosse Ungewissheit<br />
der künftigen Entwicklung erfordere aber in diesen Fällen im Rekursverfahren<br />
eine besondere Sorgfalt bei der Substanziierung <strong>und</strong> Glaubhaftmachung<br />
künftiger Beeinträchtigungen. Allgemeine Befürchtungen eher theoretischer Art<br />
genügten gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zur Darlegung der hinreichenden Betroffenheit, vielmehr<br />
müsse nachvollziehbar dargetan werden, dass die gefürchtete Beeinträchtigung<br />
auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten werde.<br />
2.5 In RB 1991 Nr. 4 E. 2c hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> in Anlehnung an die<br />
Praxis <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esrats erklärt, gegen Verkehrsberuhigungsmassnahmen könne sich<br />
jeder Automobilist zur Wehr setzen, der die betreffende Strasse mehr oder weniger<br />
regelmässig beanspruche. In einem Urteil vom 4. Dezember 2003 (VB. 2003.00304,<br />
www.vgrzh.ch, E. 2.3, RB 2003 Nr. 13) erwog das <strong>Verwaltungsgericht</strong> demgegenüber<br />
– allerdings ohne dass dieser Frage entscheidende Bedeutung zukam –, die<br />
3<br />
49
3<br />
tägliche Benützung einer von einer Verkehrsbeschränkung betroffenen Strasse<br />
schaffe keine legitimationsbegründende Beziehungsnähe. Mit der generellen Rekurszulassung<br />
aller Verkehrsteilnehmer, die eine bestimmte Strasse häufig benützen,<br />
stünde das Rechtsmittel gerade bei wichtigeren Strassenachsen einer nicht eingrenzbaren<br />
Menge von Bewohnern bzw. Pendlern aus der Agglomeration zur Verfügung<br />
<strong>und</strong> käme damit einer unzulässigen Popularbeschwerde gleich. Die damit<br />
angekündigte Praxisänderung ist jedenfalls insofern zu bestätigen, als die fragliche<br />
Verkehrsbeschränkung dem Rechtsmittelkläger einen Nachteil zufügen muss, der<br />
ihn in so besonderer Weise trifft, dass ihm ein schutzwürdiges Interesse an der Rekurserhebung<br />
zuzusprechen ist. Allein die Tatsache, dass eine bisher ungeregelte<br />
Kreuzung neu mit einem Lichtsignal gesteuert werden soll, vermöchte z.B. ein solches<br />
Interesse nicht zu begründen, ebenso wenig die Herabsetzung der zulässigen<br />
Höchstgeschwindigkeit auf einer kürzeren Strecke. Die Legitimationsprüfung bei<br />
Verkehrsberuhigungsmassnahmen setzt somit eine erste inhaltliche Prüfung <strong>und</strong><br />
Gewichtung <strong>des</strong> umstrittenen Eingriffs voraus. Sie konkretisiert den Begriff <strong>des</strong><br />
«schutzwürdigen Interesses» <strong>und</strong> lässt sich namentlich damit rechtfertigen, dass<br />
nach der Praxis eine geltend gemachte Beeinträchtigung nach objektivierter Betrachtungsweise<br />
vorliegen muss, während subjektive Befindlichkeit <strong>und</strong> affektives<br />
Interesse die Legitimation nicht begründen (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, § 21 N. 21;<br />
Tobias Jaag, Verkehrsberuhigung im Rechtsstaat, in: ZBl 87/1986, S. 289 ff., 301 f.;<br />
Isabelle Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren <strong>und</strong> Verwaltungsprozess,<br />
Zürich 2000, Rz. 610; vgl. auch BGE 121 II 176, E. 3a).<br />
2.6 Zur Anfechtung einer Strassenaufhebung sind in erster Linie die unmittelbaren<br />
Anstösser legitimiert (vgl. Jaag, Verkehrsberuhigung, S. 301; Kölz/Bosshart/<br />
Röhl, § 21 N. 33; vgl. auch BGE 126 I 213, E. 1). Gr<strong>und</strong>eigentümer, deren Gr<strong>und</strong>stücke<br />
an benachbarte Strassen anstossen, sind nur unter den zuvor dargelegten<br />
Voraussetzungen zu Rekurs <strong>und</strong> Beschwerde berechtigt.<br />
50<br />
VB.2003.00480 3. Kammer, 8. April<br />
BEZ 2004 Nr. 29
4. Besitzer von Gr<strong>und</strong>stücken, die sich in der Nähe einer Mobilfunkanlage befinden,<br />
sind unter dem Gesichtspunkt <strong>des</strong> Strahlenschutzes nicht zur Erhebung<br />
eines Rechtsmittels legitimiert, wenn das betroffene Gr<strong>und</strong>stück<br />
nicht dem dauernden Aufenthalt dient <strong>und</strong> auch nicht dafür bestimmt ist.<br />
Eine Verletzung in qualifizierten eigenen Interessen <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücksbesitzers<br />
ist jedoch insofern zu bejahen, als die umstrittene Ausnahmebewilligung<br />
die Missachtung eines Bauverbots gestattet, das unter anderem spezifisch<br />
zum Schutz der ehemaligen Klosteranlage Kappel am Albis erlassen<br />
wurde. § 21 lit. a VRG. § 338a Abs. 1 PBG.<br />
2.3.4 Im Übrigen liegt hinsichtlich der Legitimation ein Grenzfall vor. Eine<br />
Verletzung in qualifizierten eigenen Interessen <strong>des</strong> Rekurrenten <strong>und</strong> Beschwerdegegners<br />
ist insofern zu bejahen, als die umstrittene Ausnahmebewilligung in der Tat<br />
die Missachtung eines Bauverbots gestattet, das unter anderem spezifisch zum<br />
Schutz der ehemaligen Klosteranlage Kappel am Albis – einem im Inventar der<br />
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz erfassten Objekt (vgl. den Anhang der<br />
Verordnung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esrats vom 9. September 1981 über das B<strong>und</strong>esinventar der<br />
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz) – erlassen wurde. So ist den Erwägungen<br />
zur in der Prozessgeschichte erwähnten Schutzverordnung zu entnehmen, die<br />
Landschaft um Kappel am Albis sei entsprechend ihrer historischen <strong>und</strong> naturwissenschaftlichen<br />
Bedeutung bereits 1970 unter Schutz gestellt worden. Die vorliegende<br />
Verordnung passe diesen Erlass den geltenden rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen an.<br />
Zum Schutz <strong>des</strong> Ortsbilds werde die Landschaftsschutzzone auf das Gebiet östlich<br />
der Staatsstrasse Kappel-Hausen ausgedehnt. Das Gebiet westlich der Staatsstrasse<br />
solle von neuen Bauten <strong>und</strong> Anlagen freigehalten werden. Insofern kann sich der<br />
Beschwerdegegner auf ein spezifisches, rechtlich geschütztes Interesse berufen.<br />
Mit dem Argument, die umstrittene Anlage könne zu einem Ausbleiben von<br />
Gästen führen, macht der Beschwerdegegner zudem ein faktisches Interesse geltend,<br />
welches eine spezifische Beziehungsnähe zum Streitgegenstand begründet.<br />
Dieses Argument kann angesichts der speziellen Ausrichtung <strong>des</strong> Hauses der Stille<br />
nicht von vornherein als unmassgeblich verworfen werden. Es mag durchaus sein,<br />
dass unter durchschnittlichen Umständen angesichts der Distanz zwischen dem<br />
Siedlungsgebiet <strong>und</strong> dem Antennenstandort eine legitimationsbegründende räumliche<br />
Nähe <strong>und</strong> eine hinreichende Betroffenheit zu verneinen wäre; vorliegend ist<br />
jedoch der besonderen Interessenlage <strong>des</strong> Beschwerdegegners, die nicht als rein<br />
subjektiver Umstand angesehen werden kann, Rechnung zu tragen. Dabei fällt in<br />
Betracht, dass das Gehölz, in welchem die Antenne errichtet werden soll, vom<br />
Garten <strong>des</strong> Hauses der Stille aus gut zu sehen ist <strong>und</strong> dass das fragliche Gebiet von<br />
den Gästen <strong>des</strong> Hauses unbestrittenermassen als Gebiet für Spaziergänge aufgesucht<br />
wird.<br />
51<br />
4
4, 5<br />
Der Regierungsrat hat daher die Rekurslegitimation <strong>des</strong> Beschwerdegegners<br />
im Ergebnis zu Recht bejaht.<br />
52<br />
VB.2004.00027 3. Kammer, 29. April<br />
BEZ 2004 Nr. 53<br />
5. Rechtsmittellegitimation: Beeinträchtigungen ideeller Art müssen ein erheblich<br />
grösseres Ausmass als materielle Immissionen erreichen, damit ein<br />
Berührtsein in qualifizierten eigenen Interessen zu bejahen ist. § 21 lit. a<br />
VRG. § 338a Abs. 1 PBG.<br />
4. (…) Die Beschwerdeführer stören sich sodann vor allem daran, dass mit<br />
dem Betrieb der Therapiestätte für Drogenabhängige der landwirtschaftliche Zonencharakter<br />
im Gebiet «L» verloren gehe. Es trifft zu, dass bei Rügen, mit denen<br />
die Verletzung von Bestimmungen geltend gemacht wird, denen nach der früheren<br />
Legitimationsumschreibung (entsprechend der Legitimation zur staatsrechtlichen<br />
Beschwerde) nachbarschützende Funktion zuerkannt wurde, ein qualifiziertes Berührtsein<br />
sich zumeist bereits aus der engen räumlichen Beziehung (die hier knapp<br />
zu bejahen ist) ergibt. Bestimmungen über die Nutzung sind in der Regel dieser Kategorie<br />
zuzuordnen, doch ist bei der Beurteilung der Beschwerdelegitimation stets<br />
von den im Einzelfall als verletzt bezeichneten Bestimmungen <strong>und</strong> gegebenen Umständen<br />
auszugehen. Bei den von den Beschwerdeführern angerufenen Urteilen<br />
RB 1962 Nr. 8 <strong>und</strong> 1982 Nr. 19 ging es um die behauptete Verletzung von Zonenvorschriften,<br />
die in Wohnzonen nur mässig störende Betriebe zuliessen, sowie um<br />
die geltend gemachte Missachtung von Vorschriften über die Ausnützung <strong>und</strong> die<br />
Gebäudehöhe. Im vorliegenden Fall stützt sich die streitbetroffene Bewilligung der<br />
Baudirektion auf Art. 24a RPG, wonach nicht mit baulichen Änderungen verb<strong>und</strong>ene,<br />
reine Zweckänderungen an Bauten <strong>und</strong> Anlagen ausserhalb der Bauzonen<br />
zulässig sind, wenn dadurch keine neuen Auswirkungen auf Raum, Erschliessung<br />
<strong>und</strong> Umwelt entstehen. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend zum Schluss<br />
gelangt, dem streitbetroffenen Therapiebetrieb in dem schon zuvor im Rahmen <strong>des</strong><br />
früheren Gärtnereibetriebs als Wohnhaus genutzten Gebäude komme gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
Wohncharakter zu, wobei die neue Nutzung nicht mit mehr oder anderen Immissionen<br />
als die frühere verb<strong>und</strong>en sei, weshalb die Voraussetzungen für eine Bewilligung<br />
nach Art. 24a RPG erfüllt seien. Mit dem Einwand, die streitbetroffene Nutzungsänderung<br />
lasse den landwirtschaftlichen Zonencharakter verloren gehen, wird<br />
diese Beurteilung nicht in Frage gestellt. Die Rüge steht im Zusammenhang mit<br />
den geltend gemachten Nachteilen, welche die Beschwerdeführer darin sehen, dass
sie «das ständige Kommen <strong>und</strong> Gehen der (neuen) Bewohner» wahrnähmen <strong>und</strong><br />
diesbezüglich Konflikte befürchteten. Die Beschwerdeführer machen damit keine<br />
materiellen, sondern ideelle Beeinträchtigungen geltend. Beeinträchtigungen ideeller<br />
Art müssen – wie dargelegt – ein erheblich grösseres Ausmass als materielle<br />
Immissionen annehmen, damit ein Berührtsein in qualifizierten eigenen Interessen<br />
zu bejahen ist. Die von den Beschwerdeführern befürchteten Beeinträchtigungen<br />
erreichen bei objektiver Betrachtungsweise dieses Ausmass nicht.<br />
5, 6<br />
VB.2004.00426 3. Kammer, 11. November<br />
BEZ 2004 Nr. 69<br />
6. Zusammenfassung zur Legitimation der Gemeinde im Rechtsmittelverfahren.<br />
§ 21 lit. b VRG.<br />
1.2.1 Gemäss § 70 in Verbindung mit § 21 lit. a VRG ist zum Rekurs <strong>und</strong> zur<br />
Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Anordnung berührt ist <strong>und</strong> ein<br />
schutzwürdiges Interesse an deren Änderung oder Aufhebung hat. Eine gleich lautende<br />
<strong>und</strong> in der Praxis auch gleich ausgelegte Legitimationsvorschrift findet sich<br />
bezüglich <strong>des</strong> Anwendungsbereichs <strong>des</strong> Planungs- <strong>und</strong> Baugesetzes in § 338a Abs. 1<br />
PBG. Rekurs- <strong>und</strong> beschwerdeberechtigt sind ferner gemäss § 21 lit. b VRG, welche<br />
Vorschrift ebenfalls auf dem Gebiet <strong>des</strong> <strong>Raumplanungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Baurecht</strong>s anwendbar<br />
ist (RB 1998 Nr. 12), Gemeinden, andere Körperschaften <strong>und</strong> Anstalten<br />
<strong>des</strong> öffentlichen Rechts zur Wahrung der von ihnen vertretenen schutzwürdigen<br />
Interessen. Mit dieser anlässlich der Revision vom 8. Juni 1997 eingefügten Bestimmung<br />
wurde im Wesentlichen an die Praxis angeknüpft, die zur Beschwerdelegitimation<br />
nach der damals massgebenden Fassung von § 21 VRG (die dem heutigen<br />
§ 21 lit. a entspricht) entwickelt worden ist (Kölz/Bosshart/Röhl, § 21 N. 61 ff.,<br />
insbesondere N. 70). Nach der damaligen Praxis wurde die Rekurs- <strong>und</strong> Beschwerdelegitimation<br />
der Gemeinde namentlich bezüglich drei Fallgruppen bejaht, nämlich<br />
wenn sie sich für die Durchsetzung <strong>und</strong> richtige Anwendung ihres kommunalen<br />
Rechts wehrte, wenn sie einen Eingriff in die ihr bei der Anwendung von kantonalem<br />
Recht zustehende qualifizierte Entscheidungs- <strong>und</strong> Ermessensfreiheit abwehren<br />
wollte, oder wenn sie wie eine Privatperson (z.B. als Bauherrin) betroffen<br />
war. Darüber hinaus wurde der Gemeinde die Beschwerdelegitimation in Quartierplanstreitigkeiten<br />
zuerkannt, dies namentlich im Hinblick auf ihre treuhänderische<br />
Stellung gegenüber den Quartierplanbeteiligten zur Verteidigung eines im Festsetzungsbeschluss<br />
erzielten Interessenausgleichs (RB 1991 Nr. 7).<br />
53
6<br />
Diese Praxis ist seit Inkrafttreten von § 21 lit. b VRG anlehnend an bereits früher<br />
vorhandene punktuelle Ansätze im Sinn einer Öffnung erweitert worden. So<br />
wurde ein schutzwürdiges Interesse der Gemeinde bejaht, sich im Zusammenhang<br />
mit einer vom Kanton geplanten Deponie gegen eine Gefährdung ihrer Trinkwasserversorgung<br />
<strong>und</strong> eine Beeinträchtigung ihres Naherholungsgebiets zu wehren.<br />
Im Leitsatz zu diesem publizierten Entscheid (RB 1998 Nr. 13) wurde verallgemeinernd<br />
festgehalten, die Gemeinden seien (auch) dann rechtsmittellegitimiert,<br />
«wenn Interessen oder Aufgaben betroffen sind, die sie wahrnehmen bzw. erfüllen<br />
müssen, oder wenn sich eine Anordnung auf einen grossen Teil der Einwohnerschaft<br />
auswirkt». Allerdings genügt es nicht, dass der angefochtene Entscheid mit<br />
negativen Auswirkungen für eine grössere Anzahl von Bewohnern auf dem<br />
Gemeindegebiet verb<strong>und</strong>en sein kann (VGr, 22. Januar 2004, VB.2003.00395,<br />
www.vgrzh.ch, betreffend Verlegung eines Recyclingbetriebs). Ferner wurde der<br />
Gemeinde die Berechtigung zum Rekurs gegen einen Entscheid zugesprochen, der<br />
sie zur Übernahme der Kosten für die Schulung eines Hochbegabten an einer<br />
Privatschule verpflichtet; dies in Aufweichung <strong>des</strong> früher geltenden Gr<strong>und</strong>satzes,<br />
dass ein Eingriff in das kommunale Finanz- oder Verwaltungsvermögen für sich<br />
allein die Rekurs- <strong>und</strong> Beschwerdelegitimation nicht zu begründen vermag (RB 2001<br />
Nr. 9 = ZBl 102/2001, S. 525 mit weiteren Hinweisen in E. 2e). Sodann erachtete<br />
das <strong>Verwaltungsgericht</strong> eine Gemeinde als legitimiert, die Verletzung von § 357<br />
Abs. 1 PBG geltend zu machen, welche Bestimmung sich mit den zulässigen Änderungen<br />
an vorschriftswidrigen Bauten befasst (VGr, 8. Oktober 2003, VB.2003.00196,<br />
www.vgrzh.ch, Leitsatz in RB 2003 Nr. 14). Mit Urteil vom 30. September 2004<br />
(VB.2004.00321, www.vgrzh.ch) verneinte das <strong>Verwaltungsgericht</strong> die Legitimation<br />
einer Gemeinde, Beschwerde gegen einen bezirksrätlichen Rekursentscheid zu führen,<br />
womit in Auslegung von § 41 BestattV der ablehnende Beschluss der Gemeinde<br />
betreffend die Exhumierung eines Leichnams aufgehoben worden war. Das Gericht<br />
hielt darin am Gr<strong>und</strong>satz fest, dass sich die Gemeinde in Fällen, in denen ihr<br />
das kantonale Recht keinen qualifizierten – d.h. mit der Gemeindeautonomie zusammenhängenden<br />
– Entscheidungs- <strong>und</strong> Ermessensspielraum belässt, nicht gegen<br />
die ihrer Meinung nach unrichtige Anwendung dieses Rechts durch die Rekursinstanz<br />
wehren kann; der blosse Vollzug von kantonalem Recht <strong>und</strong> von B<strong>und</strong>esrecht<br />
berühre die Gemeinde nicht in ihren eigenen schutzwürdigen Interessen (so<br />
schon RB 1998 Nr. 14 betreffend die im ganzen Kanton einheitlich zu beantwortende<br />
Frage <strong>des</strong> Abfallbegriffs; vgl. auch RB 1996 Nr. 11).<br />
1.2.2 Im vorliegenden Fall lässt sich die Rechtsmittellegitimation der Beschwerdeführerin<br />
nicht schon aus der erwähnten Praxis zur Legitimation der Gemeinden<br />
in Quartierplanstreitigkeiten ableiten, geht es hier doch gerade nicht um<br />
deren treuhänderische Funktion zur Verteidigung <strong>des</strong> im Festsetzungsbeschluss<br />
54
erzielten Interessensausgleichs; vielmehr wehrt sie sich gegen den Entscheid der<br />
Baurekurskommission, wonach die streitbetroffenen Kosten dem Quartierplan<br />
überhaupt nicht belastet werden dürfen <strong>und</strong> daher die Gemeinde (sofern sie nicht<br />
vom Staat zu übernehmen sind) definitiv belasten würden. Den Beschwerdegegnern<br />
ist auch darin zuzustimmen, dass der Beschwerdeführerin bei der in erster<br />
Linie kontroversen Anwendung von § 7 Abs. 2 lit. a StrassG kein erheblicher, der<br />
Gemeindeautonomie entspringender Entscheidungsspielraum zukommt. Hingegen<br />
stehen für die Gemeinde erhebliche eigene finanzielle Interessen auf dem Spiel; insofern<br />
unterscheidet sich der vorliegende Fall vom erwähnten Urteil VB.2004.00321,<br />
in dem ausschliesslich das Kriterium der erheblichen autonomiebezogenen Entscheidungsfreiheit,<br />
die dort verneint wurde, massgebend war. In Anlehnung an das<br />
erwähnte Urteil RB 2001 Nr. 9 ist die Rechtsmittellegitimation im Hinblick auf die<br />
erheblichen eigenen finanziellen Interessen der Gemeinde auch hier zu bejahen.<br />
Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat denn auch in einem vergleichbaren Fall, in dem in Auslegung<br />
der Bestimmungen <strong>des</strong> kantonalen Strassengesetzes die Aufteilung der Kosten<br />
für einen Verkehrskreisel zwischen Staat <strong>und</strong> Gemeinde streitig war, die Beschwerdelegitimation<br />
der Gemeinde stillschweigend bejaht (VGr, 19. August 2004,<br />
VB.2004.00198, www.vgrzh.ch). Im Übrigen soll nunmehr – im Rahmen der Vorlage<br />
zu einem neuen Volksschulgesetz (vgl. ABl 2004, 927) – § 21 lit. b VRG dahin<br />
geändert werden, dass der legitimationsbegründende Tatbestand «zur Wahrung der<br />
von ihr vertretenen schutzwürdigen Interessen» durch den Zusatz «insbesondere,<br />
wenn der Entscheid oder die Beachtung <strong>des</strong>selben in gleichartigen Fällen für die<br />
Gemeinde besondere finanzielle Auswirkungen hat» ergänzt wird.<br />
VB.2004.00423 3. Kammer, 2. Dezember<br />
7. Die Beschwerde laut Rechtsmittelbelehrung <strong>des</strong> angefochtenen Beschlusses<br />
entfaltet aufschiebende Wirkung auch insofern, als das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
unzuständig ist. Die Vorinstanz ist auf den Rekurs wegen Verspätung zu<br />
Recht nicht eingetreten: Nach dem ersten Zurückgehen der zu erwartenden,<br />
aber nicht abgeholten erstinstanzlichen Verfügung war, wie der Rekurrent<br />
zumin<strong>des</strong>t wusste, <strong>des</strong>sen Name vom Briefkasten entfernt worden, weshalb<br />
jedenfalls die zweite, ebenso gescheiterte Zustellung als schuldhaft verhindert<br />
<strong>und</strong> mithin als gelungen zu fingieren ist; sollte der Verfügung eine<br />
Rechtsmittelbelehrung gefehlt haben, hätte es gemäss – namentlich bei Beteiligung<br />
Rechtsk<strong>und</strong>iger – strenger Praxis <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s dennoch<br />
früher zu rekurrieren gegolten als hier geschehen. § 55 Abs. 1 VRG.<br />
§ 177, § 179, § 181, § 187 GVG.<br />
6, 7<br />
55
7<br />
3. Der angefochtene Entscheid hatte eine vorbehaltlose Rechtsmittelbelehrung<br />
erteilt. Der laufenden Frist für die Beschwerde sowie deren Einreichung kam<br />
<strong>des</strong>halb laut § 55 Abs. 1 VRG unbekümmert um die Zuständigkeit <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s<br />
umfassend aufschiebende Wirkung zu (Kölz/Bosshart/Röhl, § 55 N. 2).<br />
Das galt demnach auch insofern, als die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin beauftragt<br />
hatte, dem Beschwerdeführer eine neue Frist zum Einstellen der Erwerbstätigkeit<br />
<strong>und</strong> Verlassen <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich anzusetzen, obwohl es etwa betreffend Wegweisung<br />
kein Rechtsmittel beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> gibt (VGr, 30. April 2003,<br />
VB.2003.00124, E. 2 Ingress, mit Hinweis, www.vgrzh.ch).<br />
Darum <strong>und</strong> weil die Beschwerde verschwieg, dass die Beschwerdegegnerin<br />
bereits Frist zum Verlassen <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> gesetzt hatte, wurde zu Rechtsmittelantrag 2<br />
nichts vorgekehrt. Der Beschwerdeführer hat sich beim Gericht auch nicht mehr<br />
gemeldet.<br />
Durch den heutigen Entscheid in der Sache verliert der hier interessierende<br />
Verfahrenspunkt seinen Gegenstand (vgl. VGr, 7. April 2004, PB.2004.00003, E. 5.1<br />
Abs. 1, mit Zitaten, www.vgrzh.ch). Trotzdem drängt sich eine Bemerkung an die<br />
Adresse der Beschwerdegegnerin auf: Sie darf Wegweisungsaufträgen, wie der angefochtene<br />
Beschluss einen enthält, bis zum instanzabschliessenden Entscheid <strong>des</strong><br />
<strong>Verwaltungsgericht</strong>s ohne <strong>des</strong>sen anderweitige Anordnung nicht entsprechen, wenn<br />
die Vorinstanz Rechtsmittelbelehrungen auf vorliegende Art erteilt, das heisst vorbehaltlos<br />
<strong>und</strong> ohne einschlägigen Entzug aufschiebender Wirkung.<br />
4.1 Analog § 187 Abs. 1 in Verbindung mit § 177 Abs. 1 GVG teilen auch<br />
Zürcher Verwaltungsbehörden ihre schriftlichen Anordnungen meist postalisch mit<br />
(VGr, 29. Mai 2002, ZR 101/2002 Nr. 86 E. 3b S. 264). Anwendung finden alsdann<br />
ebenso § 179 GVG, wonach gescheiterte Zustellungen wiederholt werden (Abs. 1)<br />
bzw. bei ihrer schuldhaften Verhinderung als erfolgt gelten (Abs. 2), <strong>und</strong> § 181<br />
GVG, welche Bestimmung einer Partei Änderungen <strong>des</strong> gewöhnlichen Aufenthaltsorts<br />
während <strong>des</strong> Verfahrens unverzüglich anzuzeigen auferlegt, ansonsten Zustellungen<br />
an die letztbekannte Adresse rechtswirksam sind (RB 1999 Nr. 8, 1998 Nr. 2<br />
E. 1 = ZR 98/1999 Nr. 26 E. a).<br />
Schuldhafte Verhinderung liegt vor, wenn der Adressat das Erforderliche für<br />
den Empfang von Post nicht vorkehrt, obwohl er auf Gr<strong>und</strong> eines bestehenden Prozessrechtsverhältnisses<br />
die Sendung eines behördlichen Akts konkret mit gewisser<br />
Wahrscheinlichkeit erwarten muss. Selbst im Fall einer zweiten Zustellung gilt die<br />
erste als geschehen, sofern sich ihre schuldhafte Verhinderung nachweisen lässt.<br />
56
Hierzu genügt zu erhärten, dass etwa eine Abholungseinladung in den Machtbereich<br />
<strong>des</strong> Adressaten gelangte, zum Beispiel in <strong>des</strong>sen Brief- oder Postfach. Ist<br />
die erste Zustellung dargetan, hat eine zweite für den Fristenlauf prinzipiell – unter<br />
Vorbehalt einzig <strong>des</strong> Vertrauensschutzes – keine Bedeutung mehr. Nach zwei erfolglosen<br />
Chargé-Zustellungsversuchen darf man gestützt auf die allgemeine Erfahrung<br />
vermuten, zumin<strong>des</strong>t eine Abholungseinladung sei richtig deponiert worden,<br />
wobei dann freilich zu Gunsten <strong>des</strong> Adressaten erst der zweite Versuch den<br />
Fristenlauf auslöst (zum Ganzen RB 2002 Nr. 114 E. 2b, mit Hinweisen insbesondere<br />
auf OGr, 18. September 1998, ZR 98/1999 Nr. 18, E. II.3e <strong>und</strong> f, <strong>und</strong> 1. Juli 1999,<br />
ZR 98/1999 Nr. 43, sowie BGr, 23. Juli 2002, 1P.209/2002, E. 2.2.1, www.bger.ch).<br />
Nicht nur wissentliche Weigerung, sondern ebenso passive Nichtannahme<br />
von Post bedeutet schuldhafte Verhinderung. Bloss bei wissentlicher Annahmeverweigerung<br />
lässt sich auf einen zweiten Zustellungsversuch verzichten. Bei passiver<br />
Nichtannahme darf die Behörde erst nach zweimaligem vergeblichem Versuch –<br />
widerlegbar – vermuten, eine Abholungseinladung sei korrekt hinterlegt worden<br />
<strong>und</strong> der Adressat hätte die Sendung rechtzeitig abholen können. Im Fall schuldhafter<br />
Vereitelung gilt der letzte Tag der siebentägigen Abholungsfrist als Zustellungsdatum.<br />
Die Empfangspflicht dauert selbst dann fort, wenn über mehrere Monate<br />
keine Verfahrenshandlungen erfolgen, allerdings lediglich noch in abgeschwächter<br />
Form, sofern seit dem letzten verfahrensbezogenen Kontakt sehr lange Zeit verstrichen<br />
ist (zum Ganzen VGr, 19. Mai 2000, VB.2000.00127, E. 2a, mit Hinweisen,<br />
www.vgrzh.ch).<br />
4.1.1 Mit Fug nimmt der angefochtene Entscheid für die beschwerdegegnerische<br />
Verfügung vom 10. September 2003 eine Empfangspflicht <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
an <strong>und</strong> bestreitet Letzterer eine solche nicht. Diese Pflicht bestand um die<br />
Monatswende September/Oktober 2003 unabgeschwächt, nachdem die Parteien noch<br />
im Juni jenes Jahres wegen der kontroversen Aufenthaltsbewilligung miteinander<br />
korrespondiert hatten (oben 4.1 Abs. 2 f.).<br />
Die Vorinstanz geht davon aus, der Beschwerdeführer habe beim ersten Versuch,<br />
ihm die Verfügung vom 10. September 2003 auszuhändigen, eine Abholungseinladung<br />
erhalten; <strong>des</strong>halb habe er schon seinerzeit die Zustellung schuldhaft verhindert<br />
<strong>und</strong> müsse diese als erfolgt gelten. Der Beschwerdeführer wiederholt vor<br />
<strong>Verwaltungsgericht</strong>, was der angefochtene Entscheid als Schutzbehauptung apostrophiert,<br />
nämlich keine Abholungseinladung bekommen zu haben.<br />
7<br />
57
7<br />
Offen bleiben darf, ob sich die vorinstanzliche Auffassung mit der aufgezeigten<br />
Praxis vereinbaren lasse (oben 4.1). Denn es erweist sich sogleich, dass jedenfalls<br />
der zweite Versuch einer Zustellung zwischen dem 29. September sowie dem<br />
6. Oktober 2003 als geglückt zu fingieren ist. Mithin begann die 30-tägige Rekursfrist<br />
spätestens am 7. Oktober 2003 zu laufen <strong>und</strong> hatte sich längst erschöpft, als<br />
der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel beim Regierungsrat einlegte (§§ 11, 22<br />
Abs. 1 VRG). Dieser ist darauf im Ergebnis zu Recht nicht eingetreten. Wie es um<br />
die Ehe <strong>des</strong> Beschwerdeführers insbesondere angesichts neuerer Beteuerungen der<br />
Gattin steht, spielt hier darum keine Rolle.<br />
4.1.2 Als die Post die Verfügung vom 10. September 2003 erneut zuzustellen<br />
versuchte, fehlte an der L-Strasse in Y im Gegensatz zum ersten Mal unstreitig eine<br />
Briefkastenbeschriftung mit dem Namen A. Der Beschwerdeführer behauptet nirgends,<br />
diese Veränderung nicht gekannt zu haben. In einer solchen liegt ohne weiteres<br />
eine schuldhafte Verhinderung der Zustellung, welche daher als erfolgt gilt<br />
(oben 4.1). Eines dritten Anlaufs der Beschwerdegegnerin bedurfte es alsdann nicht<br />
(Kölz/Bosshart/Röhl, § 10 N. 27 f.). Ebenso wenig muss sich die Post vorwerfen<br />
lassen, sie hätte von vorher wissen sollen, dass der Beschwerdeführer – angeblich<br />
– an der von der Beschwerdegegnerin benützten Adresse wohne.<br />
Auf der beschwerdeführerischen Antwort zum Brief <strong>des</strong> Migrationsamts vom<br />
4. Juni 2003, welchen es an die L-Strasse in Y gesandt hatte, prangte als Geschlechtsname<br />
nur «A» sowie dieselbe Adresse. Die Beschwerdegegnerin durfte<br />
folglich die Verfügung vom 10. September 2003 im Sinn von § 181 GVG dorthin<br />
schicken <strong>und</strong> musste nicht den Allianznamen A–C verwenden. Eine schuldhafte<br />
Vereitelung spätestens der zweiten Zustellung lässt sich annehmen, sodass eine solche<br />
nachträglich am Arbeitsort <strong>des</strong> Beschwerdeführers nicht noch ein drittes Mal<br />
versucht zu werden brauchte (siehe Kölz/Bosshart/Röhl, § 10 N. 29).<br />
Allerdings rügt der Beschwerdeführer, die Beschwerdegegnerin habe seine<br />
Anmeldung in Y hintertrieben, die Verfügung vom 10. September 2003 jedoch<br />
trotzdem dorthin gesandt, wo er nach ihrer Auffassung zudem gar nicht wohne. Wie<br />
es sich damit verhalte, darf in<strong>des</strong> dahin stehen. Denn der kommunale Mel<strong>des</strong>tatus<br />
einer Person hat nichts damit zu schaffen, welche Adresse jene in einem anderen<br />
Verfahren – für Zustellungen bindend – nennt.<br />
4.2 Der Beschwerdeführer behauptet, die Verfügung der Beschwerdegegnerin<br />
vom 10. September 2003 habe beim zweiten Zustellungsversuch einer Rechtsmittelbelehrung<br />
ermangelt. Deshalb habe die Beschwerdefrist weder damals noch bei<br />
58
Akteneinsichtnahme durch seinen Vertreter am 5. November 2003 zu laufen begonnen.<br />
Die Vorinstanz sei auf die gleiche Argumentation in der Rekursschrift nicht<br />
eingegangen. Wegen so missachteter Garantie <strong>des</strong> Anspruchs auf rechtliches Gehör<br />
nach Art. 9 (richtig: 29) Abs. 2 BV müsse der angefochtene Entscheid aufgehoben<br />
werden.<br />
4.2.1 Offensichtlich hat der Beschwerdeführer nur Blatt 1 jener Verfügung zur<br />
Kenntnis genommen <strong>und</strong> kopiert. Es gab bei beiden Zustellungsversuchen in<strong>des</strong><br />
auch ein Blatt 2 mit Rechtsmittelbelehrung. Dass der angefochtene Entscheid dieses<br />
Thema nicht behandelt, lässt sich vor <strong>Verwaltungsgericht</strong> ohne weiteres wettmachen<br />
(vgl. VGr, 28. April 2004, PB.2003.00041, E. 2.4, mit Hinweisen, www.vgrzh.ch).<br />
4.2.2 Ansonsten würde das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung nicht bedeuten,<br />
es hätte sich noch irgendwann rekurrieren lassen (Kölz/Bosshart/Röhl, § 10 N. 51,<br />
auch zum Weiteren). Die Anfechtbarkeit von Anordnungen wird nämlich als allgemein<br />
bekannt vorausgesetzt. Deshalb erwartet man von den Rechtssuchenden, das<br />
statthafte Rechtsmittel zu erfragen sowie es binnen gebührender Frist zu ergreifen,<br />
welche die Rechtsmittelfrist durchaus an Länge übertreffen kann. Die Messlatte ist<br />
dabei für Rechtsk<strong>und</strong>ige höher zu legen. Überhaupt aber verfolgt das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
insofern eine relativ strenge Praxis: Es trat zum Beispiel auf die Beschwerde<br />
eines Privaten nicht ein, der erst einen Monat nach Zustellung <strong>des</strong> vorinstanzlichen<br />
Entscheids einen Anwalt konsultiert hatte, welcher hinwiederum kurz hierauf<br />
das Rechtsmittel einreichte; <strong>und</strong> einer anderen beschwerdeführenden Partei<br />
hielt es entgegen, deren Vertreter habe das Rechtsmittel etwas mehr als einen Monat<br />
nach seinem Beizug erhoben (zum Ganzen VGr, 23. März 2000, VB.1999.00394,<br />
E. 3b Abs. 3, www.vgrzh.ch).<br />
Die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 10. September 2003 gilt als spätestens<br />
am 6. Oktober 2003 dem Beschwerdeführer zugestellt (oben 4.1.1 Abs. 3).<br />
Dieser suchte am 23. letzteren Monats seinen Vertreter auf, der nach eigener<br />
Angabe von jener Verfügung am 5. November 2003 Kenntnis erhalten hat. Der Rekurs<br />
datiert vom 5. Dezember 2003.<br />
7<br />
59
7, 8<br />
Angesichts <strong>des</strong> im vorvorherigen Absatz Gesagten wäre dieses Rechtsmittel<br />
selbst ohne einschlägige Belehrung verspätet gewesen <strong>und</strong> das Nichteintreten <strong>des</strong><br />
angefochtenen Entscheids folglich auch insofern zu schützen.<br />
60<br />
VB.2004.00105 4. Kammer, 9. Juni<br />
ZR 104/2005 Nr. 5<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde<br />
abgewiesen (BGr, 31. August 2004, 2A.467/2004, www.bger.ch).<br />
8. Intertemporales Verwaltungsverfahrensrecht. Neues Verfahrensrecht ist<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich sofort anzuwenden, doch richtet sich die Zuständigkeit für<br />
hängige Verfahren nach bisherigem Recht. Hängigkeit tritt mit Erhebung<br />
<strong>des</strong> Rechtsmittels ein. Der weitere Instanzenzug folgt neuem Recht, wobei<br />
ein neugeschaffenes Rechtsmittel nicht mehr ergriffen werden kann, wenn<br />
es als Ersatz für ein altrechtliches, bereits beanspruchtes Rechtsmittel dient.<br />
§ 101, Art. XV Abs. 3 (Übergangsbestimmung) VRG.<br />
3.1 Laut B<strong>und</strong>esgericht gebieten die intertemporalrechtlichen Regeln zum<br />
Verfahrensrecht, neues Prozessrecht in analoger Anwendung von Art. 2 Schlusstitel<br />
ZGB sofort anzuwenden, sofern einschlägige Übergangsbestimmungen nicht etwas<br />
anderes vorsehen <strong>und</strong> die Kontinuität <strong>des</strong> bisherigen (materiellen) Rechts dadurch<br />
nicht gefährdet wird (BGE 126 III 431 E. 2b; vgl. auch Rhinow/Krähenmann,<br />
Nr. 15 B III f mit weitern Hinweisen). Was die Zuständigkeit betrifft, wandte das<br />
B<strong>und</strong>esgericht allerdings Art. 81 VwVG sowie Art. 171 OG <strong>und</strong> Ziff. III Abs. 2 der<br />
Schlussbestimmungen der Änderung <strong>des</strong> Letzteren vom 20. Dezember 1968 analog<br />
an, als es eine diesbezügliche Gesetzeslücke zu füllen galt. Gestützt darauf entschied<br />
es, die betreffenden neuen Zuständigkeitsbestimmungen gälten nur dann,<br />
wenn der angefochtene Entscheid nach ihrem Inkrafttreten ergangen sei (BGE 115 II<br />
97 E. 2c; vgl. zum B<strong>und</strong>esrechtspflegegesetz auch Ziff. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmungen<br />
der Änderung vom 4. Oktober 1991). In der Lehre gilt insbesondere als<br />
sinnvoll, dass das Gesetz als massgebenden Zeitpunkt die Eröffnung <strong>des</strong> angefochtenen<br />
Rechtsakts durch die jeweilige Vorinstanz festlege, wenn es vorsehe, dass das<br />
neue Prozessrecht keine Anwendung auf die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bei<br />
bestimmten Rechtsmittelinstanzen hängigen Streitigkeiten finde (Alfred Kölz,<br />
Intertemporales Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 II, S. 101 ff., 222 f.; Kölz/Häner,<br />
Rz. 79). Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat das Weitergelten der bisherigen Zuständigkeit<br />
zu den «allgemeinen übergangsrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen» gezählt, allerdings bei
der Anwendung von B<strong>und</strong>esrecht, das eine solche Regelung in den Verfahrensgesetzen<br />
ausdrücklich vorsieht (VGr, 3. Juli 1997, VB.96.00103, E. 1).<br />
3.2 Das Bildungsgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen; [...] Die<br />
Lücke ist im Sinn <strong>des</strong> allgemeinen Rechtsgr<strong>und</strong>satzes, <strong>des</strong>sen Ausdruck Art. 1 Abs.<br />
2 ZGB ist, nach gesetzgeberischer Methode auszufüllen. Dabei liegt es nahe, die<br />
intertemporalrechtlichen Bestimmungen <strong>des</strong> Verwaltungsrechtspflegegesetzes heranzuziehen<br />
(vgl. BGE 115 II 97 E. 2c S. 100).<br />
3.2.1 Der heutige § 101 VRG besagt, dass die beim Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes<br />
vor bestimmten Instanzen anhängigen Streitigkeiten aufgr<strong>und</strong> der bisherigen Zuständigkeitsvorschriften<br />
zu beurteilen <strong>und</strong> weiterzuziehen seien. Nach Art. XV Abs. 3<br />
der Schluss- <strong>und</strong> Übergangsbestimmungen der Gesetzesrevision vom 8. Juni 1997<br />
zum Verwaltungsrechtspflegegesetz bestimmt sich die Zuständigkeit in den im<br />
Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens der Gesetzesnovelle hängigen Rechtsmittelverfahren<br />
nach bisherigem Recht.<br />
3.2.2 Der Begriff <strong>des</strong> «hängigen Rechtsmittelverfahrens» in Art. XV Abs. 3<br />
VRG meint nach – soweit ersichtlich – konstanter Rechtsprechung jene Verfahren,<br />
die vor dem Stichtag vor die betreffende Rechtsmittelinstanz gebracht wurden (VGr,<br />
27. Mai 2003, VB.2003.00039, E. 1, www.vgrzh.ch; 19. März 1998, VB.98.00018,<br />
E. 2a [Leitsatz in RB 1998 Nr. 43]; RB 1960 Nr. 9; Kölz/Bosshart/Röhl, Art. XV<br />
N. 3). Auf die Regelung der Zivilprozessordnung, wonach der Zeitpunkt der Fällung<br />
bzw. Eröffnung <strong>des</strong> angefochtenen Entscheids relevant ist, wurde nicht zurückgegriffen<br />
(vgl. § 3 der dortigen Einführungs- <strong>und</strong> Übergangsbestimmungen, § 2 der<br />
Übergangsbestimmungen zur Gesetzesänderung vom 24. September 1995). Massgeblich<br />
ist demnach nicht der Zeitpunkt <strong>des</strong> Erlasses oder der Eröffnung <strong>des</strong> angefochtenen<br />
Entscheids, sondern jener von <strong>des</strong>sen Anfechtung. Es besteht kein Anlass,<br />
von dieser dem Gesetzeswortlaut entsprechenden Praxis abzuweichen. Insbesondere<br />
können dabei auch keine Unklarheiten in Bezug auf die Rechtsmittelfrist<br />
entstehen, weil diese ohnehin einheitlich 30 Tage beträgt.<br />
3.2.3 Zu prüfen bleibt, ob gemäss Art. XV Abs. 3 in Verbindung mit § 101 VRG<br />
sich der gesamte Rechtsweg nach altem Recht richten würde, wenn ein Verfahren<br />
im Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens <strong>des</strong> neuen Rechts bei der ersten Rekursinstanz hängig<br />
war. Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien<br />
festgehalten, dass mit Art. XV Abs. 3 VRG eine zu § 101 VRG analoge Bestimmung<br />
geschaffen werden sollte (VGr, 19. März 1998, VB.98.00018, E. 2b; Weisung<br />
<strong>des</strong> Regierungsrats vom 3. Mai 1995 zum Verwaltungsrechtspflegegesetz, ABl 1995<br />
8<br />
61
8<br />
II 1520, 1559). Es hat demgemäss an die frühere Praxis zum heutigen § 101 VRG<br />
angeknüpft, wonach die Verbindung der altrechtlichen mit den neurechtlichen<br />
Zuständigkeiten ausgeschlossen sei (VGr, 19. März 1998, VB.09.00018, E. 2b;<br />
RB 1960 Nr. 9). Dies gilt unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Regelung durch<br />
höherrangiges Recht (vgl. VGr, 4. Dezember 2003, VB.2003.00304, E. 1; 13. November<br />
2003, VB.2003.00333, E. 1 [je unter www.vgrzh.ch]).<br />
3.2.4 Diese Praxis hat allerdings nur einen beschränkten Anwendungsbereich.<br />
Im Kern geht es darum, dass die Rechtsmittel nach altem <strong>und</strong> nach neuem Recht<br />
nicht kumulativ gegeben sein sollen, wenn durch das neue Recht die Zuständigkeit<br />
der einen Behörde durch diejenige einer andern abgelöst wird. Wer den Rechtsweg<br />
nach altem Recht vollständig beschritten hat, soll nicht ein weiteres Rechtsmittel<br />
nach dem neuen Recht in Anspruch nehmen können, wenn dieses als Ersatz für ein<br />
von der betreffenden Person bereits benutztes altrechtliches Rechtsmittel geschaffen<br />
wurde. Diesen Gr<strong>und</strong>satz wandte das <strong>Verwaltungsgericht</strong> jeweils an, soweit das<br />
neu in Kraft getretene Recht den Rekurs an den Regierungsrat durch die Beschwerde<br />
an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> ersetzt hatte: Es trat nicht auf Beschwerden gegen<br />
Beschlüsse ein, die der Regierungsrat noch nach altem Recht als zweite Rekursinstanz<br />
gefällt hatte (RB 1998 Nr. 43; vgl. auch RB 1960 Nr. 9). Der Rechtsprechung<br />
zu Art. XV Abs. 3 VRG kann demnach nicht entnommen werden, dass der gesamte<br />
Rechtsmittelweg nach altem Recht bestehen bleibt, wenn im Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens<br />
<strong>des</strong> neuen Rechts ein Verfahren vor einer (ersten) Rekursinstanz hängig<br />
war. Insofern ist die Analogie zu § 101 VRG beschränkt. Dies ergibt sich bereits<br />
aus dem unterschiedlichen Wortlaut der beiden Bestimmungen, da Art. XV Abs. 3<br />
VRG im Gegensatz zu § 101 VRG den Weiterzug nicht dem alten Recht unterstellt.<br />
Sodann folgt es aus dem in den Materialien genannten Zweck von Art. XV Abs. 3<br />
VRG: Gemäss der Weisung vom 3. Mai 1995 sollte mit dieser Bestimmung einzig<br />
«ein 'Herumschieben' von Prozessen vermieden» werden, «das erheblichen Aufwand<br />
<strong>und</strong> bedeutende Verzögerungen bewirken würde» (ABl 1995 II 1559).<br />
Diesem Ergebnis widerspricht im Übrigen auch nicht, dass das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
auf eine Beschwerde in einem Fall eingetreten war, der im Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens<br />
<strong>des</strong> neuen Rechts vor der Vorinstanz – dem Regierungsrat – hängig gewesen<br />
war. In diesem Spezialfall hatte das neue B<strong>und</strong>esrecht das kantonale Verfahren<br />
überhaupt beseitigt. Dies war der Gr<strong>und</strong>, weshalb das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
das Verfahren gemäss der altrechtlichen, kantonalen Zuständigkeit noch zu Ende<br />
führte (VGr, 3. Juli 1997, VB.96.00103, E. 1).<br />
62
8, 9, 10<br />
Letztlich stellen die genannten Entscheide somit Ausnahmen zum Gr<strong>und</strong>satz<br />
auf, dass der Rechtsweg sich nach neuem Recht richtet, wenn ein Entscheid nach<br />
<strong>des</strong>sen Inkrafttreten angefochten wird (vgl. auch RB 1998 Nr. 43, wo als Rechtsmittel<br />
gegen erstinstanzliche Rekursentscheide der Baurekurskommissionen, die<br />
beim Inkrafttreten <strong>des</strong> neuen Rechts noch nicht an den Regierungsrat weitergezogen<br />
worden waren, die Beschwerde an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> gemäss dem neuen<br />
Recht bezeichnet wurde).<br />
VB.2004.00046 4. Kammer, 7. April<br />
II. <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbarkeit<br />
1. <strong>Verwaltungsgericht</strong>liche Beschwerde<br />
9. Hat ein Richter in einem früheren Verfahren bereits zu Vorfragen Stellung<br />
genommen, die sich im neuen Verfahren wiederum stellen, begründet dies<br />
noch keinen Ausstandsgr<strong>und</strong>. Gegen eine zu strenge Handhabung der Unvereinbarkeit<br />
spricht neben praktischen Schwierigkeiten, die sich für die<br />
Gerichtsorganisation <strong>und</strong> den Verfahrensablauf ergeben können, auch die<br />
Gefahr unkoordinierter, widersprüchlicher Entscheide. Allein aus der Tatsache,<br />
dass das Gericht zwei Verfahren, die es ohne weiteres gleichzeitig hätte<br />
beurteilen dürfen, nicht gemeinsam, sondern nacheinander behandelt,<br />
lässt sich keine unzulässige Vorbefassung ableiten. § 5a Abs. 2, § 86 VRG.<br />
VK.2004.00002 1. Kammer, 8. Dezember<br />
BEZ 2005 Nr. 4<br />
10. Wurde das Beschwerdeverfahren in erster Linie durch eine mangelhafte<br />
Ausschreibung ausgelöst, können die Verfahrenskosten der Vergabebehörde<br />
auch dann auferlegt werden, wenn die Beschwerde abgewiesen wird. § 13<br />
Abs. 2 Satz 2 VRG.<br />
VB.2004.00195 1. Kammer, 27. Oktober<br />
BEZ 2005 Nr. 5<br />
63
11, 12, 13<br />
11. Eine gesetzmässige Kautionierung <strong>des</strong> Gesuchstellers durch den Abteilungspräsidenten<br />
stellt keinen Ausstandsgr<strong>und</strong> dar. § 15 Abs. 2 lit. b VRG.<br />
64<br />
RG.2004.00003 2. Kammer, 5. Mai<br />
12. Die für die Rekurs- <strong>und</strong> Beschwerdelegitimation erforderliche Betroffenheit<br />
<strong>des</strong> Anfechtenden muss unmittelbar sein, das heisst der geltend gemachte<br />
Nachteil darf nicht bloss eine Folge <strong>des</strong> dem Adressaten durch die Verfügung<br />
gebotenen Handelns sein. § 21 lit. a VRG. § 338 a Abs. 1 PBG.<br />
VB.2004.00146 1. Kammer, 14. Juli<br />
VB.2004.00147 BEZ 2004 Nr. 50<br />
13. Der Klärschlamm-Entsorgungsplan <strong>des</strong> Regierungsrats enthält individuellkonkrete<br />
Anordnungen, die beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> angefochten werden<br />
können. Die betroffenen Gemeinden sind insoweit zur Beschwerde legitimiert.<br />
§ 21 lit. b, § 41 VRG.<br />
1.2 Der Überprüfung durch das <strong>Verwaltungsgericht</strong> entzogen ist [...] die abstrakte<br />
Normenkontrolle. Nicht anfechtbar sind <strong>des</strong>halb generell-abstrakte Erlasse.<br />
Diesbezüglich ist bloss eine akzessorische Kontrolle möglich (vgl. Kölz/Bosshart/<br />
Röhl, § 41 N. 8, § 50 N. 117).<br />
1.2.1 Gemäss Art. 31 Abs. 1 USG erstellen die Kantone eine Abfallplanung,<br />
ermitteln insbesondere ihren Bedarf an Abfallanlagen, vermeiden Überkapazitäten<br />
<strong>und</strong> legen die Standorte der Abfallanlagen fest. Siedlungsabfälle, Abfälle aus dem<br />
öffentlichen Strassenunterhalt <strong>und</strong> der öffentlichen Abwasserreinigung werden von<br />
den Kantonen entsorgt (Art. 31b Abs. 1 USG). Die Kantone legen für diese Abfälle<br />
Einzugsgebiete fest <strong>und</strong> sorgen für einen wirtschaftlichen Betrieb der Abfallanlagen.<br />
Der Inhaber muss die Abfälle den von den Kantonen vorgesehenen Sammlungen<br />
oder Sammelstellen übergeben (Abs. 2 <strong>und</strong> 3; vgl. ferner Art. 18 Abs. 1 TVA).<br />
1.2.2 Auf diesen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen legte der Regierungsrat in Dispositiv-<br />
Ziffer I.1 <strong>des</strong> angefochtenen Beschlusses fest, dass der gesamte in zürcherischen<br />
Abwasserreinigungsanlagen anfallende Klärschlamm ab 1. Oktober 2006 über zürcherische<br />
Kehricht-, Klärschlammverbrennungsanlagen oder in der Zementindu-
strie entsorgt werde. Dazu würden die Abwasserreinigungsanlagen verschiedenen<br />
Einzugsgebieten zur Schlammentsorgung zugewiesen. Diese Zuweisung erfolge für<br />
zehn Jahre (Dispositiv-Ziffer I.6). Sodann enthält Dispositiv-Ziffer I zahlreiche<br />
weitere ergänzende Bestimmungen betreffend Notfallkonzept, Planung, Kontrolle<br />
<strong>und</strong> dergleichen. Für einzelne Abwasserreinigungsanlagen, welche vom vorliegenden<br />
Beschwerdeverfahren nicht berührt sind, werden schliesslich Sonderregelungen<br />
getroffen.<br />
Soweit es in dieser Dispositiv-Ziffer nicht um die letztgenannten Sonderregelungen<br />
für einzelne Abwasserreinigungsanlagen geht, liegt keine konkrete Anordnung<br />
vor. Es werden vielmehr die Gr<strong>und</strong>züge <strong>des</strong> Entsorgungskonzepts <strong>und</strong> die<br />
Pflichten der betroffenen Gemeinden <strong>und</strong> Gemeindeverbände in allgemeiner Weise<br />
festgelegt. Die Dispositiv-Ziffer richtet sich insofern auch gleichermassen an sämtliche<br />
Inhaber von öffentlichen Abwasserreinigungsanlagen. Jedenfalls mit Bezug<br />
auf die Beschwerdeführerin handelt es sich bei den Regelungen in Dispositiv-Ziffer<br />
I somit um generell-abstrakte Anordnungen. Soweit die Beschwerde auf eine Änderung<br />
bzw. Ergänzung dieser allgemeinen Bestimmungen abzielt, ist darauf nicht<br />
einzutreten.<br />
1.2.3 In den Dispositiv-Ziffern II ff. erfolgt die individuelle Zuordnung der<br />
einzelnen kommunalen Abwasserreinigungsanlagen zu jeweils einer bestimmten<br />
Aufbereitungs- oder Entsorgungsanlage. Die Inhaber der Abwasserreinigungsanlagen<br />
werden ausdrücklich verpflichtet, den anfallenden Klärschlamm über die bezeichneten<br />
Anlagen zu entsorgen <strong>und</strong> die Verträge zur Sicherstellung der Entsorgungsoptionen<br />
<strong>und</strong> zur Festlegung angemessener finanzieller Beteiligung bis<br />
31. März 2004 abzuschliessen.<br />
Wohl wird die Festsetzung eines Einzugsgebiets für die Abfallentsorgung<br />
(Art. 31b Abs. 2 USG) gewöhnlich als eine generell-abstrakte Regelung aufgefasst<br />
(Pierre Tschannen in: Kommentar USG, Art. 31b N. 20). In<strong>des</strong> stehen vorliegend<br />
nicht allgemein Siedlungsabfälle einer unbestimmten Vielzahl von Personen oder<br />
eine unbestimmte Vielzahl von Lebenssachverhalten zur Diskussion. Vielmehr geht<br />
es um die konkrete Verpflichtung der namentlich aufgeführten Inhaber der Abwasserreinigungsanlagen,<br />
ihren Klärschlamm über die ihnen jeweils zugewiesene Anlage<br />
zu entsorgen. Mit Bezug auf die Dispositiv-Ziffern II ff. erscheint der angefochtene<br />
Beschluss – in Übereinstimmung mit der vorinstanzlichen Rechtsmittelbelehrung<br />
– demzufolge als anfechtbare individuell-konkrete Anordnung.<br />
1.3.2 Mit der an die Gemeinden <strong>und</strong> Gemeindeverbände gerichteten Anordnung,<br />
den bei ihren Abwasserreinigungsanlagen anfallenden Klärschlamm einer<br />
13<br />
65
13, 14, 15<br />
bestimmten Entsorgungs- oder Aufbereitungsanlage zuzuführen, sind finanzielle<br />
Pflichten verb<strong>und</strong>en. Es liegt auf der Hand, dass die getroffene Zuordnung für die<br />
einzelnen Körperschaften unterschiedliche Kosten zur Folge hat (vgl. namentlich<br />
Dispositiv-Ziffer V <strong>des</strong> angefochtenen Entscheids). Es lässt sich daher durchaus sagen,<br />
dass die beschwerdeführende Gemeinde mit ihrem Rechtsmittel die teilweise<br />
Abwehr finanzieller Verpflichtungen bezweckt. Im Zusammenhang mit diesen Folgekosten<br />
erscheint die Beschwerdeführerin auch im Interesse ihrer Einwohnerschaft<br />
als legitimiert: Die Einwohner haben als die ursprünglichen Verursacher zu<br />
gelten <strong>und</strong> daher letztlich die Kosten für die Entsorgung der Abfälle aus der Abwasserreinigung<br />
zu tragen (vgl. dazu Art. 60a Abs. 1 GSchG; Ursula Brunner in: Kommentar<br />
USG, Art. 32 N. 21).<br />
66<br />
VB.2004.00016 4. Kammer, 26. Mai<br />
VB.2004.00029<br />
VB.2004.00044<br />
14. Wird wegen ungerechtfertigter Kündigung eine angemessene Entschädigung<br />
verlangt, ohne dass deren Höhe spezifiziert wird, ist zur Bestimmung<br />
<strong>des</strong> Streitwerts gr<strong>und</strong>sätzlich auf die in den anwendbaren Erlassen vorgesehenen<br />
Obergrenzen abzustellen. § 38 Abs. 2 VRG. § 3 Abs. 1 GebV VGr.<br />
PB.2003.00036 4. Kammer, 24. März<br />
15. Die wegen Arbeitsverweigerung erfolgte Disziplinierung eines Strafgefangenen<br />
durch bloss vorübergehende Verschärfung der Haftbedingungen<br />
stützt sich nicht auf öffentliches Recht <strong>des</strong> B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> stellt auch keine<br />
strafrechtliche Anklage im Sinn von Art. 6 Abs. 1 EMRK dar, weshalb sich<br />
nicht Beschwerde beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> erheben lässt. Art. 6 Abs. 1<br />
EMRK. § 43 Abs. 1 lit. g VRG.<br />
VB.2004.00229 ER 4. Abteilung, 24. Juni<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht ist auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid nicht eingetreten<br />
(BGr, 2. August 2004, 6A.46/2004, www.bger.ch).
16. Voraussetzung für die Gültigkeit der Beschwerde ist der Beschwerdewille.<br />
Ein nachträglicher Verzicht auf die Erhebung eines Rechtsmittels ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
– unter Vorbehalt von Willensmängeln – verbindlich. Der Beschwerdewille<br />
muss im Zeitpunkt <strong>des</strong> Ablaufs der Beschwerdefrist vorhanden<br />
sein. Eine vorsorgliche Beschwerdeerhebung ist nur in den gesetzlich<br />
geregelten Fällen zulässig. Die Möglichkeit, den Beschluss <strong>des</strong> verbandsintern<br />
zuständigen Organs, auf die Beschwerde zu verzichten, verbandsintern<br />
anzufechten, führt zu keiner anderen Beurteilung (Gestaltungsplan «Stadion<br />
Zürich», Beschwerde <strong>des</strong> Verkehrsclubs der Schweiz [VCS]). § 54 VRG.<br />
2.1 Primäre Voraussetzung für die Gültigkeit je<strong>des</strong> Rechtsmittels ist der Beschwerdewille<br />
<strong>des</strong> Betroffenen, der eine diesbezügliche Rechtsschrift einreicht.<br />
Das bedeutet, dass ein Rekurs oder eine Beschwerde vorbehaltlos erhoben werden<br />
muss. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist muss Klarheit herrschen, ob der ergangene<br />
Entscheid angefochten oder anerkannt worden ist (Kölz/Bosshart/Röhl, § 23 N. 8<br />
<strong>und</strong> 9).<br />
2.2 In Lehre <strong>und</strong> Rechtsprechung wird nicht ausgeschlossen, dass auch in der<br />
Verwaltungsrechtspflege ein im Nachhinein, das heisst nach Inempfangnahme <strong>des</strong><br />
begründeten Entscheids erklärter Verzicht auf die Erhebung eines Rechtsmittels<br />
wirksam in dem Sinn sei, als der Verzicht gr<strong>und</strong>sätzlich verbindlich ist <strong>und</strong> auf ihn<br />
nur unter besonderen Voraussetzungen, etwa bei Vorliegen von Willensmängeln im<br />
Sinn von Art. 23 ff. OR, zurückgekommen werden kann (Kölz/Bosshart/Röhl,<br />
Vorbem. zu §§ 19–28 N. 56 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall hat die erweiterte<br />
UVP-Kommission <strong>des</strong> VCS Schweiz wie erwähnt an ihrer Sitzung vom 21. Mai 2004<br />
auf eine Beschwerdeerhebung ausdrücklich verzichtet, welcher Beschluss in der<br />
Öffentlichkeit bekannt gegeben worden ist. Wenn die VCS-Sektion Zürich als eine<br />
Sektion <strong>des</strong> allein beschwerdeberechtigten VCS Schweiz nunmehr geltend macht,<br />
der genannte Beschluss der erweiterten UVP-Kommission sei infolge von Statutenverletzungen<br />
nichtig oder fehlerhaft zustande gekommen, so macht er damit keine<br />
Willensmängel geltend. Ob der am 21. Mai 2004 beschlossene <strong>und</strong> kommunizierte<br />
Verzicht auf Beschwerdeerhebung ungeachtet der verbandsinternen Anfechtung<br />
wirksam <strong>und</strong> verbindlich im vorstehend dargelegten Sinn sei <strong>und</strong> die von der VCS-<br />
Sektion Zürich namens <strong>des</strong> VCS Schweiz beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> erhobene Beschwerde<br />
schon aus diesem Gr<strong>und</strong> ungültig sei, ist in<strong>des</strong>sen fraglich. Während die<br />
Wirksamkeit einer solchen Verzichtserklärung im Zivilprozess ausdrücklich geregelt<br />
ist (§ 190 Abs. 2 Satz 2 ZPO), fehlt in der Verwaltungsrechtspflege eine diesbezügliche<br />
gesetzliche Normierung. Zudem ist im vorliegenden Fall die Verzichtserklärung<br />
der erweiterten UVP-Kommission nicht in schriftlicher Form gegenüber<br />
16<br />
67
16<br />
einer hierfür als Adressatin in Betracht fallenden Behörde (dem Regierungsrat als<br />
Rekursbehörde, die den fraglichen Entscheid gefällt hat, oder dem <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
als Beschwerdeinstanz) erfolgt (vgl. demgegenüber RB 1983 Nr. 61). Die<br />
Frage der Wirksamkeit der Verzichtserklärung vom 21. Mai 2004 kann in<strong>des</strong>sen aus<br />
den nachfolgenden Erwägungen offen gelassen werden.<br />
2.3 Mit dem Gr<strong>und</strong>satz, dass nach Ablauf der Rechtsmittelfrist der Beschwerdewille<br />
feststehen muss, hat sich die Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang<br />
mit unter Bedingungen oder Vorbehalten erhobenen Rechtsmitteln befasst, <strong>und</strong><br />
dazu erkannt, dass derartige Bedingungen, sofern sie nicht binnen der Rechtsmittelfrist<br />
eintreten oder nicht von «ausserhalb <strong>des</strong> Verfahrens liegenden Umständen»<br />
abhängen, unzulässig seien. Mit «Bedingungen, deren Eintritt von ausserhalb <strong>des</strong><br />
Verfahrens liegenden Umständen abhängt», sind jedoch stets bedingt erhobene<br />
Rechtsmittel gemeint, bei denen der Schluss möglich ist, sie hätten ebenso gut<br />
bedingungslos erhoben <strong>und</strong> später zurückgezogen werden können (vgl. etwa<br />
BGE 100 Ib 351 E. 1; Gadola, S. 267 f.; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage <strong>und</strong><br />
Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege,<br />
Zürich 1998, § 39 N. 9). Denn Rechtsmittel, in denen der Rückzug bei<br />
Eintritt einer Bedingung in Aussicht gestellt wird, sind ohne weiteres zulässig. Bei<br />
dieser Unterscheidung ist entscheidend, dass die Verfahrensherrschaft der Rechtsmittelbehörde<br />
gewahrt bleibt: So kann sie etwa ein Rechtsmittel, deren Rückzug für<br />
den Fall eines zugleich gestellten Wiedererwägungsgesuchs in Aussicht gestellt<br />
wird, aus verfahrensökonomischen Gründen sistieren. Sie kann aber ohne weiteres<br />
auf eine solche Sistierung zurückkommen, wenn sie findet, überwiegende andere<br />
Interessen sprächen für eine möglichst rasche Entscheidung.<br />
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob mit Rücksicht auf die interne<br />
Willensbildung bei einer Organisation oder einem Verband vom Erfordernis abgesehen<br />
werden könne, dass bei Ablauf der Beschwerdefrist der Beschwerdewille<br />
feststehen müsse. Dabei geht es nicht um ein «bedingt» erhobenes Rechtsmittel im<br />
Sinn der vorstehend dargelegten Rechtsprechung. Diese betrifft nicht Fälle, in<br />
denen die verbands- oder organisationsinterne Willensbildung in Frage stand.<br />
Gleichwohl ist die erwähnte Rechtsprechung durchaus auch zur Beantwortung der<br />
vorliegenden Frage heranzuziehen. Der in den erwähnten Fällen massgebende<br />
Gr<strong>und</strong>satz, dass bei Ablauf der Beschwerdefrist klar sein muss, ob der angefochtene<br />
Entscheid anerkannt ist oder angefochten werden soll, ist nicht nur bei Rechtsmitteln<br />
wegleitend, welche unter einer Bedingung erhoben werden. Auch im Zusammenhang<br />
mit Rechtsmitteln von Organisationen <strong>und</strong> Verbänden, deren Beschwerdeerhebung<br />
eine interne Willensbildung erfordert, ist eine vorsorgliche<br />
68
Rekurs- bzw. Beschwerdeerhebung zwecks Fristwahrung gr<strong>und</strong>sätzlich unzulässig<br />
(Kölz/Bosshart/Röhl, § 22 N. 9). Das muss auch hinsichtlich der Willensbildung<br />
privatrechtlich organisierter Verbände, denen das Recht zur ideellen Verbandsbeschwerde<br />
zusteht, gelten. Der VCS Schweiz ist ein im Handelsregister eingetragener<br />
Verein im Sinn von Art. 60 ff. ZGB.<br />
2.4 Vorbehalten bleibt eine vorsorgliche Beschwerdeerhebung aufgr<strong>und</strong> von<br />
speziellen gesetzlichen Regelungen, die ein solches Vorgehen ausdrücklich für zulässig<br />
erklären. Dies trifft etwa auf den Weiterzug eines Rekursentscheids über Beschlüsse<br />
der Gemeinde oder <strong>des</strong> Grossen Gemeinderats zu; hier sieht das Gesetz<br />
selber vor, dass der für diesen Weiterzug erforderliche Beschluss der Gemeindeversammlung<br />
oder <strong>des</strong> Grossen Gemeinderats nachgebracht werden kann, wenn die<br />
Gemeindevorsteherschaft das Rechtsmittel bereits ergriffen hat (§ 155 Abs. 4<br />
GemeindeG; dazu Thalmann, § 155 N. 4.2). Dieser Spezialregelung liegt gerade der<br />
Gedanke zugr<strong>und</strong>e, dass ohne sie eine derartige vorsorgliche Beschwerdeerhebung<br />
ohne feststehenden Beschwerdewillen nach allgemeinen prozessrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />
nicht zulässig wäre. Darüber hinaus hat die Praxis eine Ausnahme gemacht<br />
mit Bezug auf die Konkursverwaltung, die sich selber zwar einem finanziellen Anspruch<br />
<strong>des</strong> Gemeinwesens nicht widersetzt, diese Möglichkeit aber den Gläubigern im<br />
Hinblick auf deren Rechte nach Art. 260 SchKG offen halten will (VGr, 2. März 1977,<br />
ZBl 78/1977, S. 329 = ZR 76/1977 Nr. 49). Diese Rechtsprechung betreffend vorsorgliche<br />
Beschwerdeerhebung durch die Konkursverwaltung lässt sich aber mit<br />
dem vorliegenden Sachverhalt nicht gleichsetzen. Ausnahmen in diesem Sinn sind<br />
nur dort zu rechtfertigen, wo aufgr<strong>und</strong> der für die betreffende Organisation (etwa<br />
ein Gemeinwesen oder eine Konkursmasse) geltenden Regelung vernünftigerweise<br />
davon auszugehen ist, dass eine Beschlussfassung <strong>des</strong> innerhalb dieser Organisation<br />
zuständigen Organs binnen der Rechtsmittelfrist nicht möglich ist (zur Prozessführungsbefugnis<br />
der Konkursmasse <strong>und</strong> der Gläubiger im Konkursverfahren vgl.<br />
Kölz/Bosshart/Röhl, § 21 N. 16).<br />
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Hier geht es vielmehr darum, dass der<br />
vom zuständigen Organ innerhalb der Rechtsmittelfrist gefasste Beschluss, auf eine<br />
Beschwerde zu verzichten, verbandsintern von der VCS-Sektion Zürich sowie von<br />
Vorstandsmitgliedern <strong>und</strong> Mitgliedern dieser Sektion angefochten worden ist. Die<br />
Möglichkeit, dass derartige Beschlüsse verbandsintern anfechtbar sind, wie auch<br />
im einzelnen Fall der Umstand, dass davon Gebrauch gemacht worden ist, bildet<br />
keinen Gr<strong>und</strong>, vom Prinzip abzuweichen, dass bei Ablauf der Rechtsmittelfrist der<br />
Beschwerdewille <strong>des</strong> Verbands – als eine Gültigkeitsvoraussetzung der Beschwerde<br />
– feststehen muss. Demnach wäre die Gültigkeit der Beschwerde selbst dann zu<br />
16<br />
69
16, 17, 18, 19<br />
verneinen, wenn diese vorsorglich von der Geschäftsleitung im Hinblick darauf eingereicht<br />
würde, dass eine Beschlussfassung durch das zuständige verbandsinterne<br />
Organ aus irgendwelchen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Um so mehr muss<br />
dies im vorliegenden Fall gelten, in welchem das zuständige Verbandsorgan innerhalb<br />
der Beschwerdefrist ausdrücklich beschlossen hat, keine Beschwerde zu erheben.<br />
70<br />
VB.2004.00233 3. Kammer, 16. Juni<br />
BEZ 2004 Nr. 51<br />
17. Trifft ein Rechtsmittel beim <strong>Verwaltungsgericht</strong> ein, so ist bei Bestehen eines<br />
Beschwerdewillens – selbst bei Vorliegen gravierender, das heisst nicht verbesserungsfähiger<br />
Mängel – durch das Gericht unverzüglich ein entsprechen<strong>des</strong><br />
Geschäft zu eröffnen. Von diesem Zeitpunkt an ist ein formloser<br />
Rückzug nicht mehr möglich. § 56 VRG. § 157 Abs. 4 StG.<br />
RG.2004.00007 2. Kammer, 17. Juni<br />
2. Personalrechtliche Verfahren<br />
18. Ob gegen erstinstanzliche Personalentscheide von Organen selbständiger<br />
öffentlichrechtlicher kantonaler Anstalten, die sich anstaltsintern nicht anfechten<br />
lassen, Rekurs beim Regierungsrat zu erheben ist, zeigt die jeweilige<br />
gesetzliche Regelung. Gegen erstinstanzliche personalrechtliche Entscheide<br />
<strong>des</strong> Universitätsrats muss an den Regierungsrat rekurriert werden.<br />
Die direkte Beschwerde an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> ergibt sich weder aus<br />
einer Analogie zwischen Universitätsrat <strong>und</strong> Bildungsrat noch daraus, dass<br />
das Universitätsgesetz die entsprechende Zuständigkeit <strong>des</strong> Universitätsrats<br />
als «abschliessend» bezeichnet. § 74 Abs. 1 VRG. § 46 Abs. 1 UniversitätsG.<br />
PB.2003.00010 4. Kammer, 23. Januar<br />
19. Im Gegensatz zu unwesentlichen Änderungen <strong>des</strong> Tätigkeitsbereichs <strong>und</strong><br />
kleinräumigen Versetzungen stellt die auf angeblich fehlerhaftes Verhalten<br />
eines Arbeitnehmers zurückgehende Versetzung in eine andere Funktion,
19, 20<br />
die zudem keine Führungsaufgaben mehr enthält, eine anfechtbare Verfügung<br />
dar. § 74 Abs. 1 VRG.<br />
PB.2003.00041 4. Kammer, 28. April<br />
20. Überleitung in neues Personalrecht einer Gemeinde; Anfechtung der Funktionsstufeneinreihung<br />
durch Inventarsachbeamte <strong>des</strong> Steueramts. Der Ausschluss<br />
der Beschwerde in Besoldungsstreitigkeiten nach § 74 Abs. 2 VRG<br />
kommt nicht zum Tragen, wenn höherrangiges Recht eine gerichtliche<br />
Beurteilung schon im Kanton verlangt (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Inventarisierung<br />
durch Sachbearbeiter <strong>des</strong> Steueramts bildet eine wesentliche<br />
Gr<strong>und</strong>lage für Steuereinschätzungen bei To<strong>des</strong>fällen, was zumin<strong>des</strong>t mittelbar<br />
eine Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt <strong>und</strong> überdies der Interessenwahrung<br />
<strong>des</strong> Gemeinwesens dient. Es liegt mithin kein «civil right» vor.<br />
Art. 6 Abs. 1 EMRK. § 74 Abs. 2 VRG.<br />
2.2 […] Art. 6 Abs. 1 EMRK sodann findet – so lange es sich wie hier nicht<br />
um Pensionsangelegenheiten dreht – keine Anwendung auf staatlich Beschäftigte,<br />
deren Tätigkeit im Licht ihnen übertragener Aufgaben sowie Verantwortlichkeiten<br />
eine unmittelbar oder mittelbare Teilhabe an der öffentlichen Gewalt darstellt <strong>und</strong><br />
das allgemeine Interesse <strong>des</strong> Gemeinwesens wahren soll; das trifft regelmässig auf<br />
Angestellte der Steuerverwaltung zu, etwa dortige Inspektorinnen oder Inspektoren<br />
(BGE 129 I 207, E. 4.3; VGr, 28. Mai 2003, PB.2002.00049, E. 2a/dd,<br />
www.vgrzh.ch; EGMR, 1. Juli 2003, Sidabras <strong>und</strong> Dziautas, 55480/00 <strong>und</strong> 59330/00,<br />
hudoc.echr.coe.int). Weil die Inventarisierungen durch den Beschwerdeführer wesentliche<br />
Gr<strong>und</strong>lage für Steuereinschätzungen bei To<strong>des</strong>fällen bilden, muss dieser<br />
im Sinn der eben aufgezeigten Praxis den Garantien von Art. 6 Abs. 1 EMRK entzogen<br />
bleiben, übt er doch insbesondere zumin<strong>des</strong>t mittelbar öffentliche Gewalt zu<br />
generellen Gunsten von Beschwerdegegnerin, Kanton Zürich <strong>und</strong> B<strong>und</strong> aus. Endlich<br />
handelt es sich beim Streit der Parteien um einen solchen betreffend Saläreinreihung,<br />
wo § 74 Abs. 2 VRG die Beschwerde ausschliesst (vgl. VGr, 28. Mai 2003,<br />
PB.2002.00049, E. 2a/bb, mit Hinweisen, www.vgrzh.ch).<br />
PB.2004.00012 4. Kammer, 7. Juli<br />
PB.2004.00013<br />
PB.2004.00018<br />
PB.2004.00010 ER 4. Abteilung, 7. Juli<br />
71
21<br />
21. Die Beschwerde an das <strong>Verwaltungsgericht</strong> betreffend Besoldung eines<br />
Amtsvorm<strong>und</strong>s ist zulässig, da ein zivilrechtlicher Anspruch vorliegt. Art. 6<br />
Abs. 1 EMRK. § 74 Abs. 2 VRG.<br />
1.1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen einen Rekursentscheid <strong>des</strong> Bezirksrats<br />
über eine personalrechtliche Anordnung gemäss § 74 Abs. 1 VRG. Nach § 74<br />
Abs. 2 VRG ist allerdings das <strong>Verwaltungsgericht</strong> unter anderm nicht zuständig zur<br />
Behandlung von Beschwerden gegen Anordnungen <strong>und</strong> Rekursentscheide über die<br />
Einreihung <strong>und</strong> Beförderung in Besoldungsklassen <strong>und</strong> -stufen.<br />
1.1.2 Die Anwendung von § 74 Abs. 2 VRG kann durch höherrangiges Recht<br />
ausgeschlossen werden. Vorliegend könnte dies der Fall sein, wenn ein Anspruch<br />
auf eine gerichtliche Beurteilung aufgr<strong>und</strong> von Art. 6 Abs. 1 EMRK besteht. Nach<br />
der neueren Praxis <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
B<strong>und</strong>esgerichts, der sich das <strong>Verwaltungsgericht</strong> angeschlossen hat, stellen Vermögensansprüche<br />
aus dem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
zivilrechtliche Streitigkeiten im Sinn von Art. 6 Abs. 1 EMRK dar. Besoldungsstreitigkeiten<br />
sind hiervon nur ausgenommen, wenn die betreffenden Angestellten<br />
<strong>des</strong> Gemeinwesens allgemeine Staatsinteressen zu wahren haben <strong>und</strong> an der Ausübung<br />
der öffentlichen Gewalt teilhaben. Dies trifft namentlich auf die Angehörigen<br />
von Armee <strong>und</strong> Polizei zu (vgl. EGMR, 8. Dezember 1999, Pellegrin, 28541/95, § 66<br />
in Verbindung mit §§ 37–41, Rec. 1999-VIII, hudoc.echr.coe.int; VGr, 11. Juni 2003,<br />
PB.2003.00009, E. 1c, www.vgrzh.ch; RB 2002 Nr. 24 mit weiteren Hinweisen).<br />
1.1.3 Die Vorm<strong>und</strong>schaft ist ein Institut zum Schutz von Hilfsbedürftigen<br />
(Peter Tuor et al., Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. A., Zürich etc. 2002,<br />
S. 479). Sie ist zwar im Zivilgesetzbuch geregelt (Art. 360 ff. ZGB), weist aber eine<br />
Doppelnatur auf, da sie materiell zwischen dem Privatrecht <strong>und</strong> dem öffentlichen<br />
Recht anzusiedeln ist. Von den Normen <strong>des</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsrechts können einige<br />
dem einen, andere dem andern Rechtsbereich zugeordnet werden (Tuor et al.,<br />
S. 479 f.; BGE 98 V 230 E. 4a [je mit weiteren Hinweisen]; vgl. auch BGE 100 Ib<br />
113 E. 1 S. 114). Beim Amt <strong>des</strong> Vorm<strong>und</strong>s handelt es sich um eine öffentliche Funktion,<br />
die der Verwirklichung materiellen Zivilrechts dient (BGE 98 V 230 E. 4a).<br />
Der Vorm<strong>und</strong> vertritt allgemein die Interessen <strong>des</strong> Mündels nach aussen <strong>und</strong> wahrt<br />
sie nach innen sowohl in persönlicher als auch in vermögensrechtlicher Hinsicht<br />
(Tuor et al., S. 484). Die Amtsvorm<strong>und</strong>schaft ist in § 82 EG ZGB vorgesehen, wonach<br />
(für Unmündige) subsidiär zur Berufung einer der in Art. 380 f. ZGB genannten<br />
Personen <strong>und</strong> zur Bestellung eines Einzelvorm<strong>und</strong>s ein besonderer Vorm<strong>und</strong>schaftsverwalter<br />
(Amtsvorm<strong>und</strong>) eingesetzt werden soll.<br />
72
1.1.4 Die Frage, ob die Besoldung <strong>des</strong> Amtsvorm<strong>und</strong>s einen zivilrechtlichen<br />
Anspruch nach Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt, wurde – soweit ersichtlich – noch<br />
nicht entschieden. Das B<strong>und</strong>esgericht bejahte zwar die Anwendbarkeit von Art. 6<br />
Abs. 1 EMRK auf Angestellte <strong>des</strong> «Office du tuteur général» <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Waadt,<br />
dies aber hauptsächlich wegen deren subalterner Stellung <strong>und</strong> rein administrativer<br />
Aufgaben (BGr, 24. Oktober 2001, 2P.198/2001 <strong>und</strong> 2P.216/2001, je E. 3a,<br />
www.bger.ch). Die Frage ist aufgr<strong>und</strong> einer autonomen Auslegung von Art. 6 Abs. 1<br />
EMRK zu lösen; die Behandlung im innerstaatlichen Recht steht nicht im Vordergr<strong>und</strong><br />
(Jens Meyer-Ladewig, Konvention zum Schutz der Menschenrechte <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>freiheiten, Handkommentar, Baden-Baden 2003, Art. 6 Rn. 7). Massgeblich<br />
ist, ob die Tätigkeit <strong>des</strong> Amtsvorm<strong>und</strong>s die Wahrung allgemeiner Staatsinteressen<br />
bezweckt <strong>und</strong> eine Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt. Daher ist nicht entscheidend,<br />
dass Streitigkeiten um die Entschädigung <strong>des</strong> Vorm<strong>und</strong>s nicht mit der<br />
zivilrechtlichen Berufung vor das B<strong>und</strong>esgericht gebracht werden können (BGr,<br />
25. August 2003, 5C.139/2003, E. 1, www.bger.ch) <strong>und</strong> dass das B<strong>und</strong>esgericht den<br />
Streit um die Absetzung eines Beistands nicht als zivilrechtliche Angelegenheit<br />
angesehen hat (BGr, 10. Juli 2002, E. 2.2, zitiert bei: Giorgio Malinverni/Michel<br />
Hottelier, La pratique suisse relative aux droits de l'homme 2002, SZIER 2003,<br />
S. 301 ff., 312 f.). Die letztere Frage dürfte im Übrigen kaum abschliessend beantwortet<br />
worden sein; das Obergericht <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich hat jedenfalls das<br />
Vorschlagsrecht der Eltern bei der Bezeichnung eines Vorm<strong>und</strong>s nach Art. 381 ZGB<br />
als zivilrechtlichen Anspruch im Sinn von Art. 6 Abs. 1 EMRK betrachtet (21. Juni<br />
1996, ZR 96 Nr. 34, E. 1c; vgl. auch Weisung <strong>des</strong> Regierungsrats vom 22. September<br />
1999 zum Gesetz betreffend Anpassung <strong>des</strong> Prozessrechts im Personen- <strong>und</strong><br />
Familienrecht [vom 27. März 2000; OS 56, 187], ABl 1999 II 1232 ff., 1232 f.,<br />
1289 f.).<br />
1.1.5 Zwar stellt eine vorm<strong>und</strong>schaftliche Massnahme einen hoheitlichen<br />
Eingriff dar (vgl. Bernhard Schnyder/Erwin Murer, Berner Kommentar, 1984, Systematischer<br />
Teil zu den Art. 360–397 ZGB N. 54, 81 ff.). Die Anordnung vorm<strong>und</strong>schaftlicher<br />
Massnahmen gehört aber gerade nicht zur Tätigkeit <strong>des</strong> Beschwerdeführers;<br />
diese umfasst vielmehr – wie sich aus den gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />
auch aus der Stellenbeschreibung ergibt – im Wesentlichen die Betreuung der Mündel,<br />
die Wahrung von deren Interessen <strong>und</strong> deren rechtsgeschäftliche Vertretung. Im<br />
Kern unterscheidet sich die Tätigkeit <strong>des</strong> Amtsvorm<strong>und</strong>s nicht von derjenigen einer<br />
als Vorm<strong>und</strong> bestellten Privatperson. Soweit diese Tätigkeit dem Verwaltungsrecht<br />
zuzuordnen ist, weist sie Ähnlichkeiten mit der Leistungsverwaltung auf (Schnyder/<br />
Murer, Systematischer Teil zu den Art. 360–397 ZGB N. 83 mit Hinweis). Der<br />
Amtsvorm<strong>und</strong> ist in erster Linie den Interessen <strong>des</strong> Mündels verpflichtet, nicht<br />
jenen <strong>des</strong> Staats, auch wenn seine Tätigkeit allgemein der Rechtssicherheit sowie<br />
21<br />
73
21, 22<br />
Treu <strong>und</strong> Glauben im Geschäftsverkehr zugute kommt. Somit ist zu verneinen, dass<br />
der Amtsvorm<strong>und</strong> allgemeine Staatsinteressen wahre <strong>und</strong> öffentliche Gewalt ausübe.<br />
§ 74 Abs. 2 VRG steht also der Anhandnahme der vorliegenden Beschwerde<br />
nicht entgegen.<br />
74<br />
PB.2004.00009 4. Kammer, 18. August<br />
22. Wegen der Subsidiarität <strong>des</strong> Feststellungsbegehrens ist auf eine Beschwerde,<br />
die nur die Feststellung der Unrechtmässigkeit einer Kündigung <strong>und</strong><br />
nicht auch eine Entschädigung verlangt, nicht einzutreten, es würden denn<br />
anderweitige schutzwürdige Interessen dargelegt. § 80 Abs. 2 VRG.<br />
PB.2003.00040 4. Kammer, 25. Februar<br />
PB.2004.00001 12. Mai<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid abgewiesen,<br />
soweit darauf einzutreten war (BGr, 14. Januar 2005, 2P.208/2004, www.bger.ch).<br />
PB.2004.00006 9. Juni<br />
PB.2004.00024 18. August<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht ist auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid am 18.<br />
November 2004 nicht eingetreten.
B. Allgemeines Verwaltungsrecht<br />
I. Bürgerrecht<br />
23, 24<br />
23. Kommunale Einbürgerung; rechtliches Gehör: Zur Beschwerdelegitimation<br />
der Gemeinde. – Unbescholtener Ruf gemäss § 21 GemeindeG ist nicht mit<br />
Eignung zu vermischen. Er setzt kein generell positives Verhalten voraus.<br />
Vielmehr geht es allein um den straf- <strong>und</strong> den betreibungsrechtlichen<br />
Leum<strong>und</strong>. – Nach Praxis der Kammer hängt die Einbürgerung ausländischer<br />
Personen bei Anspruchsfällen nur in B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kanton von der Eignung<br />
ab, nicht aber in der Gemeinde. Die 1997 erfolgte Änderung von § 21<br />
GemeindeG berührte die durch Abs. 2 erfassten, in der Schweiz geborenen<br />
Ausländer bezüglich <strong>des</strong> hier Interessierenden nicht. Die regierungsrätliche<br />
Weisung zu dieser Revision wirkt unklar <strong>und</strong> verwirrend, indem sie festhält,<br />
schlecht beleumdete <strong>und</strong> offensichtlich nicht integrierte Bewerber könnten<br />
auch unter den neuen Bestimmungen nach wie vor abgelehnt werden. Der<br />
Text von § 21 GemeindeG verlangte schon immer unbescholtenen Ruf, aber<br />
noch nie Eignung. Eine historische Auslegung von § 21 GemeindeG führt<br />
zum Schluss, dass sich die kommunale Einbürgerung nicht mangels<br />
Integration verweigern lasse. – Betreffend wirtschaftliche Erhaltungsfähigkeit,<br />
die es bei Angewiesensein auf Fürsorge zu verneinen gälte, hat die<br />
Vorinstanz den Anspruch der Gemeinde auf Gewährung rechtlichen Gehörs<br />
verletzt, was das <strong>Verwaltungsgericht</strong> wegen seiner gegenüber der Rekursbehörde<br />
eingeschränkten Kognition nicht zu heilen vermag. § 21 VRG. § 20,<br />
§ 21 GemeindeG. § 21, § 22 BürgerrechtsV.<br />
VB.2003.00450 4. Kammer, 15. Dezember<br />
II. Niederlassung, Aufenthalt<br />
24. Erneutes Gesuch um Aufenthaltsbewilligung <strong>des</strong> wegen Drogenhandels zu<br />
26 Monaten Gefängnis verurteilten Ehegatten einer Schweizerin. Das Gesuch<br />
ist materiell zu prüfen, weil das Wohlverhalten <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
während vier Jahren angesichts der Umstände (unbegründeter Strafent-<br />
75
24<br />
76<br />
scheid, kein besonders hohes Strafmass, keine von vornherein unbegründeten<br />
Rechtsmittelerhebungen zur Verlängerung der Anwesenheit in der<br />
Schweiz) ein anderes Ergebnis in der Gesamtabwägung zeitigen könnte.<br />
Art. 8 EMRK. Art. 7 Abs. 1 ANAG.<br />
2.5.3 Die seit dem begangenen Delikt vergangene Zeit <strong>und</strong> das Verhalten <strong>des</strong><br />
Betreffenden in diesem Zeitraum sind jedenfalls bei der Abwägung, ob eine<br />
Anwesenheitsberechtigung beendet werden kann, zu berücksichtigen (EGMR,<br />
2. August 2001, Boultif, 54273/00, §§ 48 <strong>und</strong> 51, hudoc.echr.coe.int). Entsprechend<br />
wurden sie in verschiedenen, nach dem Leitentscheid <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs<br />
für Menschenrechte im Fall Boultif gefällten Urteilen mitberücksichtigt<br />
(vgl. etwa BGr, 21. April 2004, 2A.615/2002, E. 4.4; 9. Juli 2003, 2A.539/2002,<br />
E. 3.4, 4.1; 25. Juni 2003, 2A.73/2003, E. 3.1.3 [alle unter www.bger.ch]; VGr,<br />
16. Dezember 2003, VB.2003.00277, E. 3d/aa, www.vgrzh.ch; 8. Januar 2003,<br />
VB.2002.00301, E. 3a/cc; 25. September 2002, VB.2002.00200, E. 1b/ee). Die Vorinstanz<br />
scheint sich auf die frühere Praxis zu stützen, wonach Wohlverhalten im<br />
Strafvollzug, in der Probezeit <strong>und</strong> auch während allfälliger Verfahren betreffend die<br />
weitere Anwesenheit in der Schweiz unerheblich sei, da die Bemühungen um deliktfreies<br />
Verhalten unter diesen Umständen eine Selbstverständlichkeit darstellten<br />
(vgl. als Beispiel VGr, 24. Februar 1999, VB.98.00343, E. 3f mit Hinweis auf BGr,<br />
19. Januar 1999, 2A.15/1999). Im Licht der Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs<br />
für Menschenrechte lässt sich diese Praxis jedoch nicht uneingeschränkt<br />
aufrechterhalten (vgl. VGr, 16. Dezember 2003, VB.2003.00277, E. 3d/aa,<br />
www.vgrzh.ch; Spescha/Sträuli, S. 50 ff.; Andreas Zünd in: Peter Uebersax et al.<br />
[Hrsg.], Ausländerrecht, Basel etc. 2002, Rz. 6.56). Immerhin muss eine unterschiedliche<br />
Gewichtung <strong>des</strong> Wohlverhaltens entsprechend der Verschiedenheit der<br />
Umstände zulässig sein, weshalb insbesondere dem untadeligen Verhalten <strong>des</strong><br />
Beschwerdeführers 1 im Strafvollzug, aber auch jenem während der Probezeit<br />
wenig Bedeutung beizumessen ist (vgl. auch BGr, 25. Juni 2003, 2A.73/2003,<br />
E. 3.1.3; 22. Oktober 2001, 2A.296/2001, E. 3c/cc, dd [je unter www.bger.ch]).<br />
2.5.4 Am 5. Juli 2000, als der Regierungsrat mit später rechtskräftig gewordenem<br />
Beschluss die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
1 verweigerte, befand sich dieser bereits etwas mehr als ein Jahr in Freiheit,<br />
ohne weitere Straftaten verübt zu haben, was dem Regierungsrat bewusst war. Im<br />
vorliegenden Verfahren kann von vornherein nur massgebend sein, dass bis zur<br />
Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 17. September 2003 über das neue Gesuch<br />
um eine Aufenthaltsbewilligung wiederum etwas mehr als drei Jahre (bzw. bis<br />
zum vorliegenden Entscheid knapp vier Jahre) vergangen sind, ohne dass sich der
Beschwerdeführer 1 etwas hätte zuschulden kommen lassen, wobei er sich bis zum<br />
14. Mai 2001 noch in der Probezeit befand. Sein Aufenthalt in der Schweiz beruht<br />
auf der aufschiebenden Wirkung der eingelegten Rechtsmittel im Verfahren betreffend<br />
den Vollzug der Wegweisung <strong>und</strong> im vorliegenden neuen Verfahren um eine<br />
Aufenthaltsbewilligung. Anzumerken ist, dass ihm das Fehlen einer beruflichen<br />
Integration [...] nicht zur Last gelegt werden kann, weil ein Stellenantritt infolge<br />
seiner ungesicherten ausländerrechtlichen Situation nicht bewilligt wurde. [...]<br />
2.5.5 Nicht uneingeschränkt gefolgt werden kann dem Vorwurf der Beschwerdeführenden<br />
an die Adresse der Vorinstanz, diese habe den Wegfall massgeblicher<br />
Entscheidungsgründe – vorliegend der Rückfallgefahr – nicht gleich behandelt wie<br />
das Eintreten neuer Tatsachen: Es ist nicht so, dass ein massgeblicher Gr<strong>und</strong>, der<br />
den Regierungsrat dazu bewog, im Entscheid vom 5. Juli 2000 die Aufenthaltsbewilligung<br />
nicht zu verlängern, weggefallen wäre. Vielmehr hatte der Regierungsrat<br />
in jenem Beschluss die Gefahr, die vom Beschwerdeführer 1 für die öffentliche<br />
Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit ausging, unter anderem anhand der Rückfallgefahr beurteilt,<br />
was in der folgenden Formulierung zum Ausdruck kommt: «Zum Schutze der<br />
öffentlichen Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit ist von einem erheblichen Fernhalteinteresse<br />
auszugehen, zumal die Gefahr eines Rückfalls nicht ausgeschlossen werden kann.»<br />
Dass der Beschwerdeführer 1 bis heute noch nicht rückfällig geworden ist, bedeutet<br />
nun nicht, dass die Rückfallgefahr weggefallen wäre. Zu deren Beurteilung ist<br />
namentlich auch auf das Verschulden abzustellen (vgl. VGr, 16. Dezember 2003,<br />
VB.2003.00277, E. 3d/aa, www.vgrzh.ch). Immerhin hat sie sich relativiert.<br />
2.5.6 Zu fragen ist demnach, ob die Rückfallprognose in der Interessenabwägung<br />
derart bedeutsam ist, dass ihre Relativierung einen andern Entscheid herbeiführen<br />
könnte. Dabei fällt ins Gewicht, dass ein massgeben<strong>des</strong> Kriterium, das Verschulden<br />
<strong>des</strong> Beschwerdeführers 1, im Strafurteil nicht festgestellt wurde. Das Urteil<br />
<strong>des</strong> Bezirksgerichts X vom 3. Dezember 1998 ist nämlich nach § 160a Abs. 1<br />
GVG unbegründet; allerdings bezeichnete der Regierungsrat im Beschluss vom<br />
5. Juli 2000 das Verschulden als schwer. Sodann liegt die auferlegte Strafe von 26<br />
Monaten Gefängnis nur wenig über dem Richtwert einer Freiheitsstrafe von zwei<br />
Jahren, bei <strong>des</strong>sen Überschreiten in der Regel keine Bewilligung mehr erteilt wird,<br />
wenn eine mit einer Schweizerin oder einem Schweizer verheiratete ausländische<br />
Person erstmals um eine Aufenthaltsgenehmigung oder nach kurzer Aufenthaltsdauer<br />
um die Verlängerung einer solchen ersucht (BGr, 22. Oktober 2001, 2A.296/2001,<br />
E. 3a/aa, www.bger.ch; BGE 120 Ib 6 E. 4b; Spescha/Sträuli, S. 45). Schliesslich<br />
ist zu beachten, dass sich der Aufenthalt <strong>des</strong> Beschwerdeführers 1 in der Schweiz<br />
zwar seit r<strong>und</strong> dreieinhalb Jahren einzig auf die aufschiebende Wirkung bzw. die<br />
24<br />
77
24, 25, 26<br />
vorsorglichen Massnahmen in den von ihm angestrengten Wiedererwägungsverfahren<br />
stützt. Doch darf ihm die lange Dauer <strong>des</strong> Verfahrens vor dem EJPD nicht<br />
zum Vorwurf gemacht werden. Auch kann angesichts der am 21. Oktober 1993 verfügten<br />
<strong>und</strong> infolge der Heirat gemäss Art. 14b Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1<br />
ANAG erloschenen vorläufigen Aufnahme sowie der Situation in Afghanistan nicht<br />
angenommen werden, die Anhebung <strong>des</strong> Wiedererwägungsverfahrens zur Überprüfung<br />
<strong>des</strong> Wegweisungsvollzugs sei von vornherein unbegründet gewesen (vgl.<br />
BGr, 9. Juli 2003, 2A.539/2003, E. 4.1, www.bger.ch). Unter diesen Umständen<br />
stellt die im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verfügung über dreijährige <strong>und</strong> mittlerweile<br />
bald vierjährige neuerliche Bewährung in der Freiheit – wobei in den letzten<br />
drei Jahren keine Probezeit mehr lief – eine Tatsache dar, die zu einem andern<br />
Ergebnis der Gesamtabwägung führen könnte (vgl. auch BGr, 9. Juli 2003,<br />
2A.539/2002, Sachverhalt H <strong>und</strong> E. 4.1, www.bger.ch). Die Beschwerdegegnerin<br />
hat demnach das Gesuch vom 5. September 2003, es sei dem Beschwerdeführer 1<br />
eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, materiell zu prüfen.<br />
78<br />
VB.2004.00047 4. Kammer, 12. Mai<br />
25. Aus dem Gr<strong>und</strong>satz <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs fliesst kein Anspruch <strong>des</strong><br />
Rechtsvertreters, an einer im Rahmen <strong>des</strong> Ausweisungsverfahrens durchgeführten<br />
persönlichen Befragung seines Mandanten teilzunehmen; es genügt,<br />
wenn er nachträglich die Möglichkeit erhält, zu den Antworten Stellung<br />
zu nehmen. Art. 29 Abs. 2 BV.<br />
VB.2004.00043 2. Kammer, 19. Mai<br />
26. Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger nach dem Freizügigkeitsabkommen<br />
setzt voraus, dass diese sich bereits rechtmässig in einem Vertragsstaat<br />
aufhalten. Eine Ausübung <strong>des</strong> Freizügigkeitsrechts als solche löst somit<br />
keinen Nachzugsanspruch für Drittstaatsangehörige aus. Wurde aber<br />
der Aufenthalt der Drittstaatsangehörigen durch einen Vertragsstaat im<br />
Rahmen <strong>des</strong> Familiennachzugs bewilligt, so spielt seine Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />
keine Rolle. Insbesondere ist nicht entscheidend, ob der Familiennachzug<br />
nach nationalem Recht oder gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen erfolgte.<br />
Der Aufenthalt als Familienmitglied im Gebiet eines Vertragsstaats<br />
gilt also auch dann als Anspruchsgr<strong>und</strong>lage nach Art. 3 Anhang I FZA bei
26, 27, 28, 29<br />
der (Rück-) Übersiedlung in die Schweiz, wenn er im Rahmen eines Familiennachzugs<br />
gestützt auf denselben Art. 3 Anhang I FZA bewilligt wurde.<br />
Vorbehalten bleiben Fälle von Rechtsmissbrauch. Art. 3 Anhang I FZA.<br />
VB.2003.00465 4. Kammer, 7. April<br />
27. Will eine ausländische Person sich mehr als nur vorübergehend in einem<br />
anderen als dem die Bewilligung erteilenden Kanton aufhalten <strong>und</strong> dort erwerbstätig<br />
werden, ist sie verpflichtet, im neuen Kanton um eine Bewilligung<br />
nachzusuchen. Wird dort eine solche erteilt, erlischt die Bewilligung<br />
<strong>des</strong> Wegzugskantons, ohne dass es dafür eines besonderen Rechtsakts bedürfte.<br />
Art. 8 ANAG.<br />
VB.2003.00378 2. Kammer, 17. Juni<br />
28. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung für eine gut 18-jährige Ausländerin,<br />
die im Alter von 14? Jahren als angebliche Tochter einer eingebürgerten<br />
Schweizerin hierher nachgezogen wurde, ist rechtmässig. Das<br />
Erschleichen der Niederlassungsbewilligung durch Machenschaften, welche<br />
die blosse Nichte als Tochter der Schweizerin auswiesen, muss sich Erstere<br />
auch entgegenhalten lassen, wenn sie sich nur mittelbar an der Täuschung<br />
beteiligte, da sie von dieser wusste oder zumin<strong>des</strong>t wissen musste.<br />
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG.<br />
VB.2003.00392 4. Kammer, 7. Januar<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde<br />
abgewiesen (BGr, 16. März 2004, 2A.148/2004, www.bger.ch).<br />
29. Bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung findet für die Bestimmung<br />
<strong>des</strong> Verschuldens eines strafrechtlich Verurteilten unter anderem die Höhe<br />
der ausgesprochenen Freiheitsstrafen Berücksichtigung. Dabei ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auf die Summe der bisher ausgesprochenen Strafen abzustellen.<br />
Art. 11 Abs. 3 ANAG. Art. 16 Abs. 3 ANAV.<br />
79
29<br />
2.4 Ausgangspunkt der Abwägung ist die Schwere <strong>des</strong> durch die Verurteilung<br />
zu einer Freiheitsstrafe ausgedrückten Verschuldens. Nach der Gerichtspraxis liegt<br />
die Grenze, von der an in der Regel keine Bewilligung mehr erteilt wird, bei zwei<br />
Jahren Freiheitsstrafe, wenn die betroffene ausländische Person, die mit einem<br />
schweizerischen Ehegatten verheiratet ist, um die erstmalige Erteilung oder nach<br />
einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz um die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung<br />
nachsucht (zum Beispiel BGE 120 Ib 6 E. 4b). Massgebend ist dabei nicht<br />
zuletzt, dass der neu zugezogene oder noch nicht lange in der Schweiz weilende<br />
Ausländer mit einem schweizerischen Ehepartner eine Ehe führen will bzw. durch<br />
die Ausweisung oder Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung an der Führung<br />
einer Ehe mit dem schweizerischen Partner gehindert würde (BGr, 10. Oktober<br />
2001, 2A.288/2001, E. 3b, www.bger.ch).<br />
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die ersten beiden Verurteilungen<br />
bereits zehn bzw. neun Jahre zurücklägen, weshalb sie heute weniger ins Gewicht<br />
fielen. Ausserdem dürften bei der dynamischen Auslegung der Zweijahresregel<br />
durch das B<strong>und</strong>esgericht die ausgefällten Strafen nicht einfach zusammengezählt<br />
werden, denn bei einer einzigen Verurteilung wegen mehrerer Straftaten würden<br />
im Rahmen der Strafzumessung die Strafen der einzelnen Taten nach Art. 68 StGB<br />
auch nicht einfach zusammengezählt, sondern führten nur zu einer angemessenen<br />
Erhöhung <strong>des</strong> Strafmasses. Es sei <strong>des</strong>halb klar, dass mehrere unabhängige Verurteilungen<br />
zusammengezählt eine höhere Strafe ergäben, als wenn alle Straftaten in<br />
einem einzigen Urteil erledigt worden wären.<br />
3.2 Der Auffassung <strong>des</strong> Beschwerdeführers ist nicht zu folgen. Es besteht weder<br />
ein Anlass noch eine Rechtsgr<strong>und</strong>lage dafür, im vorliegenden Verfahren retrospektiv<br />
eine neuerliche strafrechtliche Beurteilung seines Verhaltens vorzunehmen.<br />
Noch weniger besteht ein Anspruch darauf, die strafrechtliche Beurteilung trotz<br />
zeitlich weit auseinander liegender Deliktsbegehung retrospektiv auf der Basis eines<br />
einzigen hypothetischen Urteils erfolgen zu lassen, wobei die später begangenen<br />
Delikte nur zu einer Erhöhung <strong>des</strong> Strafmasses führen dürften. Es ist von den<br />
Strafurteilen, wie sie gefällt wurden, <strong>und</strong> damit von insgesamt 26 Monaten Freiheitsstrafe<br />
auszugehen.<br />
3.3 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass die Strafurteile von<br />
1993 <strong>und</strong> 1994 aus zeitlichen Gründen heute weniger ins Gewicht fielen, ist immerhin<br />
zu bemerken, dass aufgr<strong>und</strong> seines Verhaltens der Strafrest von 113 Tagen Freiheitsstrafe<br />
erst im Sommer 2003 verbüsst wurde <strong>und</strong> die Straftaten insofern bis<br />
dahin nachwirkten.<br />
80
29, 30<br />
3.4 Beim Strafmass von zwei Jahren Gefängnis (vorn E. 2.4) handelt es sich<br />
nicht um einen festen Wert, <strong>des</strong>sen Unterschreitung etwa einen unbedingten Anspruch<br />
auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bewirkte. Vielmehr hängt die<br />
Abwägung von öffentlichen <strong>und</strong> privaten Interessen wesentlich von den Umständen<br />
<strong>des</strong> Einzelfalls ab (BGr, 4. März 2002, 2A.473/2001, E. 3a, <strong>und</strong> 18. November 2002,<br />
2A.438/2002, E. 2.2.2 – bei<strong>des</strong> unter www.bger.ch). Das B<strong>und</strong>esgericht hat entsprechend<br />
in verschiedenen Entscheiden die Ausweisung oder Nichterteilung/<br />
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung<br />
der Verhältnisse geschützt, obwohl der Betreffende im Einzelfall zu einer geringeren<br />
Strafe verurteilt worden war (29. April 2002, 2A.571/2001, E. 3; 4. März 2002,<br />
2A.473/2001, E. 3a; 10. Oktober 2001, 2A.288/2001, E. 3b; 18. November 2002,<br />
2A.438/2002, E. 2.2, wo der Beschwerdeführer zwar mit genau zwei Jahren<br />
Gefängnis bestraft worden war, sich aber schon seit 13 Jahren in der Schweiz aufhielt<br />
– alle Entscheide unter www.bger.ch).<br />
VB.2003.00342 4. Kammer, 4. April<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde<br />
abgewiesen (BGr, 27. August 2004, 2A.253/2004, E. 3.3, www.bger.ch).<br />
30. Familiennachzugsgesuch eines in der Schweiz Niedergelassenen. Die b<strong>und</strong>esgerichtliche<br />
Rechtsprechung schuf mit dem Anspruch verwitweter Eltern<br />
auf Familiennachzug neben den beiden Kategorien der zusammen <strong>und</strong><br />
der getrennt lebenden Eltern eine dritte Kategorie von Berechtigten. Der<br />
Anspruch verwitweter Elternteile auf Nachzug ihrer Kinder ist nach der<br />
Rechtsprechung «bedingungslos», sofern folgende Kriterien erfüllt sind:<br />
Bestehen einer tatsächlich gelebten Familiengemeinschaft, nur vorübergehende<br />
Fremdbetreuung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> nach dem Versterben <strong>des</strong> einen Elternteils<br />
<strong>und</strong> Wahrnehmen der Elternrolle durch den überlebenden Elternteil,<br />
Anstreben <strong>des</strong> Zusammenlebens mit dem nachzuziehenden Kind bzw. erkennbares<br />
Vorbehalten dieser Möglichkeit durch die persönliche Lebensgestaltung.<br />
Sonst gelten die von der Rechtsprechung für getrennt lebende<br />
Elternteile entwickelten Voraussetzungen: Vorrangige Beziehung zwischen<br />
dem Elternteil <strong>und</strong> dem Kind, Notwendigkeit <strong>des</strong> Nachzugs. Art. 8 Abs. 1<br />
EMRK. Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG.<br />
VB.2004.00194 4. Kammer, 18. August<br />
81
31<br />
82<br />
III. Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzug<br />
31. Bei der Beurteilung der Aktualität eines psychiatrischen Gutachtens ist <strong>des</strong>sen<br />
Anlass mitzuberücksichtigen. Ein Anspruch auf Neubegutachtung setzt<br />
einen erheblichen Aktualitätsverlust <strong>des</strong> früheren Gutachtens voraus, wenn<br />
die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verlangt wird, ohne dass bereits<br />
Vollzugslockerungen stattgef<strong>und</strong>en hätten. Art. 38 Ziff. 1 StGB.<br />
4.2 Bei der Frage, ob eine neue Begutachtung zu erfolgen hat, ist gemäss der<br />
neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts nicht an das formale Kriterium eines<br />
bestimmten Alters <strong>des</strong> bereits vorhandenen Gutachtens anzuknüpfen. Es kann auf<br />
ein älteres Gutachten abgestellt werden, wenn sich die Verhältnisse seit <strong>des</strong>sen Erstellung<br />
nicht verändert haben. Soweit allerdings frühere Gutachten mit Ablauf der<br />
Zeit <strong>und</strong> zufolge veränderter Verhältnisse an Aktualität eingebüsst haben, sind neuere<br />
Abklärungen unabdingbar. Gelegentlich dürfe es aber genügen, statt eines<br />
neuen umfassenden Gutachtens bei einem bereits tätig gewordenen Sachverständigen<br />
oder bei einer anderen Fachperson ein Ergänzungsgutachten einzuholen. Nach<br />
Auffassung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts gilt es ferner zu beachten, dass nach neuerer forensisch-psychiatrischer<br />
Lehre Gefährlichkeitsprognosen lediglich für den Zeitraum<br />
eines Jahres zuverlässig gestellt werden können (BGE 128 IV 241 E. 3.4).<br />
4.3 Diesen Schwierigkeiten bei Gefährlichkeitsprognosen ist Rechnung zu<br />
tragen: Bei psychiatrischen Gutachten, welche sich mit der Gefährlichkeit eines<br />
Verurteilten befassen, sind an das Kriterium der Aktualitätseinbusse keine allzu<br />
hohen Anforderungen zu stellen. Dabei liegt die Annahme ungenügender Aktualität<br />
naturgemäss umso näher, je länger die Erstellung eines Gutachtens zurückliegt.<br />
4.4 Weiter ist in<strong>des</strong>sen auch relevant, für welche Fragen ein Straftäter die<br />
Neubeurteilung der Fremdgefährlichkeit verlangt. Geht es um erste Vollzugslockerungen<br />
eines Verurteilten (zum stufenmässigen Strafvollzug vgl. etwa Jörg<br />
Rehberg, Strafrecht II, 7. A., Zürich 2001, S. 27 ff.; Günter Stratenwerth, Schweizerisches<br />
Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Bern 1989, N. 32 ff. mit Hinweisen), so<br />
bleibt es dabei, dass an die Aktualitätseinbusse verhältnismässig geringe Anforderungen<br />
zu stellen sind.<br />
Die bedingte Entlassung dagegen – als vierte Stufe <strong>des</strong> Strafvollzugs –<br />
schliesst jedenfalls bei bislang als fremdgefährlich eingestuften Tätern in der Regel<br />
an vorangegangene <strong>und</strong> erfolgreich verlaufene Vollzugslockerungen an. Auch wen-
31, 32, 33<br />
det das B<strong>und</strong>esgericht bei der Frage nach einer bedingten Entlassung von Gewalttätern,<br />
die eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verbüssen, besonders strenge Kriterien<br />
an (vgl. BGE 125 IV 113 E. 2a). Ist in solchen Fällen über die bedingte Entlassung<br />
zu entscheiden, ohne dass bisher Vollzugslockerungen erfolgt waren, so<br />
setzt der Anspruch auf Neubegutachtung einen Aktualitätsverlust <strong>des</strong> früheren Gutachtens<br />
von erheblichem Gewicht voraus.<br />
VB.2004.00011 ER 4. Abteilung, 22. April<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid abgewiesen<br />
(BGr, 1. Oktober 2004, 6A.34/2004, www.bger.ch).<br />
32. Die Besuchsregelung im Strafvollzug muss nicht in allen Einzelheiten auf<br />
Vorschriften beruhen. Sie wird durch das Interesse an einem ordnungsgemässen<br />
Anstaltsbetrieb gerechtfertigt, zumal sie im Einzelfall Ausnahmen<br />
vorsieht. Die anstaltsinterne Praxis, wonach sich nicht beanspruchte Besuchsst<strong>und</strong>en<br />
bis zu einem gewissen Mass aufrechnen <strong>und</strong> für längere Besuche<br />
von im Ausland wohnhaften Angehörigen verwenden lassen, ist rechtmässig.<br />
§ 99 JVV.<br />
VB.2003.00459 ER 4. Abteilung, 24. März<br />
ähnlich VB.2003.00457<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen den letzteren Entscheid<br />
abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist (BGr, 9. August 2004, 6A.27/2004, www.bger.ch).<br />
IV. Polizei<br />
33. Die Veranstalterin, welche an drei verschiedenen Standorten Open-Air-Kinos<br />
organisiert, bei denen es sich um organisatorisch selbständige Veranstaltungen<br />
handelt, benötigt keine Reisendengewerbebewilligung. Art. 2<br />
Abs. 1 lit. c RGG.<br />
3.1 Umstritten ist in erster Linie, ob auf die Tätigkeit der Beschwerdeführerin<br />
das Reisendengewerbegesetz anwendbar ist. Gemäss Art. 1 Abs. 1 RGG will das<br />
Gesetz das Gewerbe von Reisenden regeln. Darunter werden Berufe verstanden, die<br />
83
33, 34<br />
Personen im Umherziehen ausüben (BBl 2000, 4187). RGG <strong>und</strong> die Reisendengewerbeverordnung<br />
(RGV) unterscheiden zwischen der Bewilligung für Reisende<br />
(Art. 4 RGG; Art. 3 ff. RGV) <strong>und</strong> der Bewilligung für Schausteller <strong>und</strong> Zirkusse<br />
(Art. 5 RGG; Art. 19 ff. RGV). Gemäss Art. 2 lit. c <strong>und</strong> lit. d RGV handelt es sich<br />
bei Schaustellern <strong>und</strong> Zirkusbetreibern um natürliche oder juristische Personen, die<br />
gewerbsmässig <strong>und</strong> an häufig wechselnden Standorten das Publikum unterhalten,<br />
indem sie ihm Anlagen zur Verfügung stellen resp. das Publikum in oder auf Anlagen<br />
mit Darbietungen unterhalten. Damit präzisiert der Verordnungsgeber, dass<br />
auch auf Schausteller <strong>und</strong> Zirkusbetreiber RGG <strong>und</strong> RGV nur anwendbar sind, falls<br />
diese ihre Tätigkeiten «im Umherziehen» ausüben. Dies ergibt sich schon aus der<br />
b<strong>und</strong>esrätlichen Botschaft, wonach als Schausteller Unternehmen, welche im<br />
Umherziehen auf Chilbiplätzen, Jahrmärkten, Messen usw. Fahrgeschäfte, Schiessbuden,<br />
Karussells <strong>und</strong> andere Schaustellungen, Belustigungen <strong>und</strong> Attraktionen für<br />
die Besucher betreiben, <strong>und</strong> als Zirkusse Wanderzirkusse, befristete Zirkusvorstellungen,<br />
wandernde Variétés <strong>und</strong> Wandertheater gelten (BBl 2000, 4208).<br />
3.2 Vorliegend stellt sich die Frage, ob die für die drei Open-Air-Kinos notwendigen<br />
Gitterrohrtribühnen mit einer Höhe von 8.75 m, 6.53 m <strong>und</strong> 4.64 m sowie<br />
einer Platzzahl von 1548, 1058 <strong>und</strong> 392 Personen eine Reisendengewerbebewilligung<br />
benötigen. Die Beschwerdeführerin hat überzeugend dargetan, dass es sich<br />
bei den drei Open-Air-Kinos um organisatorisch selbständige Veranstaltungen handelt,<br />
die auch von den eingesetzten Anlagen her nichts miteinander zu tun haben.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der unterschiedlichen Erfordernisse der drei Standorte Zürich, Basel <strong>und</strong><br />
Bern kommen an den drei Standorten nämlich zwangsläufig unterschiedliche Materialien<br />
zum Einsatz. Somit ergibt sich aber auch, dass die Beschwerdeführerin<br />
keine Tätigkeit im Umherziehen ausführt, sondern drei voneinander unabhängige<br />
Einzelveranstaltungen organisiert. Dies wird auch von der Vorinstanz anerkannt.<br />
Insoweit sie jedoch darlegt, dass sich eine Bewilligungspflicht gestützt auf das<br />
RGG aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Gefahrenpotenzials der eingesetzten Anlagen ergeben soll, kann<br />
ihr nicht gefolgt werden. Das RGG will nämlich einzig das Reisendengewerbe der<br />
Bewilligungspflicht unterstellen.<br />
84<br />
VB.2003.00458 3. Kammer, 26. Februar<br />
34. Fahrende haben in der Regel dort ihre polizeiliche Niederlassung, wo sie<br />
über einen festen Standplatz für längere Aufenthalte (z.B. über den Winter)<br />
verfügen. § 32 Abs. 1 GemeindeG.<br />
VB.2004.00153 3. Kammer, 3. August
V. Abgaben (ohne Steuern)<br />
35. Eine Konzessionsgebühr von Fr. 28 700.– für ein Sondernutzungsrecht zur<br />
Benützung <strong>des</strong> öffentlichen Luftraums für ein (an der Fassade angebrachtes)<br />
Sonnenstorenelement <strong>des</strong> dort betriebenen Boulevardcafés, welches<br />
eine Teilfläche von 2,15 m 2 beschlägt, verletzt das Äquivalenzprinzip. § 231<br />
PBG. Art. 1, Art. 3 GebR Stadt Zürich.<br />
3.2 Nach dem Äquivalenzprinzip muss die Höhe der Gebühr im Einzelfall in<br />
einem vernünftigen Verhältnis zum Wert stehen, den die staatliche Leistung für den<br />
Abgabepflichtigen hat (Häfelin/Müller, Rz. 2641 ff.). Mit Bezug auf Gebühren für<br />
die Inanspruchnahme öffentlichen Gr<strong>und</strong>es wird dieses Prinzip in § 231 Abs. 3<br />
PBG konkretisiert, wonach bei der Bemessung insbesondere das Ausmass <strong>und</strong> die<br />
Dauer der Beanspruchung, der wirtschaftliche Nutzen für den Konzessionär <strong>und</strong><br />
die allfälligen Nachteile für das Gemeinwesen zu berücksichtigen sind. Der Konkretisierung<br />
<strong>des</strong> Äquivalenzprinzips dienen sodann die in Art. 3 Abs. 2 lit. c <strong>und</strong> d<br />
GebR genannten Bemessungskriterien, nämlich die Art der Benützung <strong>und</strong> der daraus<br />
erwachsende Vorteil für den Konzessionär bzw. die für die zugestandene Benützung<br />
erforderliche bauliche Vorrichtung (lit. c) sowie die mit der Sondernutzung<br />
verb<strong>und</strong>ene Einschränkung <strong>des</strong> Gemeingebrauchs (lit. d). Das Äquivalenzprinzip<br />
ist seinerseits Ausfluss verfassungsrechtlich geschützter Prinzipien, nämlich <strong>des</strong><br />
Gleichheitsgebots, <strong>des</strong> Willkürverbots <strong>und</strong> <strong>des</strong> Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />
(Art. 5 Abs. 2, Art. 8 <strong>und</strong> Art. 9 BV). Das bedeutet, dass, gestützt auf das Äquivalenzprinzip,<br />
unter Umständen vom Ergebnis einer Gebührenberechnung selbst dann<br />
abgewichen werden muss, wenn diese Berechnung an sich den massgebenden Reglementbestimmungen<br />
entspricht. Ferner ist das Äquivalenzprinzip bei der Anwendung<br />
relativ unbestimmter Reglementbestimmungen im Sinn einer verfassungskonformen<br />
Auslegung zu berücksichtigen. Bezogen auf die hier massgebenden Bestimmungen<br />
<strong>des</strong> Gebührenreglements kann dies nach zutreffender Auffassung der<br />
Vorinstanz dazu führen, dass zur Wahrung <strong>des</strong> Äquivalenzprinzips von den (rechnerisch<br />
unmittelbar umsetzbaren) Berechnungsregeln von Art. 3 Abs. 2 lit. a <strong>und</strong> b<br />
in Verbindung mit Art. 7 GebR abgewichen <strong>und</strong> die Bemessungsregeln von Art. 3<br />
Abs. 2 lit. c <strong>und</strong> d GebR heranzuziehen sind.<br />
3.3 Auf ein offensichtliches Missverhältnis zwischen der veranlagten Gebühr<br />
von Fr. 28700.– <strong>und</strong> dem Nutzen der Konzession für die Beschwerdegegnerin<br />
schliesst die Baurekurskommission <strong>des</strong>wegen, weil bezüglich der Teilfläche von<br />
2,15 m 2 unterhalb <strong>des</strong> an der Fassade angebrachten Sonnenstorenelements nach den<br />
35<br />
85
35<br />
für die periodisch erhobene Benutzungsgebühr massgebenden Ansätzen lediglich<br />
ein kapitalisierter Wert von Fr. 5 350.– resultiere <strong>und</strong> weil der an der Fassade angebrachte<br />
Sonnenstorenkasten den Gemeingebrauch kaum zusätzlich einschränke<br />
<strong>und</strong> der Beschwerdegegnerin nur geringfügige zusätzliche Vorteile bringe.<br />
Die Beschwerde führende Stadt Zürich weist zwar zutreffend darauf hin, dass<br />
mit der streitbetroffenen Gebühr eine – konzessionspflichtige – Sondernutzung abgegolten<br />
wird, während die von der Beschwerdegegnerin ebenfalls zu entrichtende<br />
periodische Gebühr für die Inanspruchnahme <strong>des</strong> öffentlichen Gr<strong>und</strong>es lediglich<br />
den damit verb<strong>und</strong>enen gesteigerten Gemeingebrauch abgilt. Der Betrieb eines<br />
Boulevardcafés bzw. die damit einhergehende Nutzung <strong>des</strong> öffentlichen Gr<strong>und</strong>es<br />
stellt gesteigerten Gemeingebauch dar; das gilt jedenfalls insoweit, als eine solche<br />
Nutzung, wie dies hier abgesehen vom streitbetroffenen Sonnenstorenelement<br />
zutrifft, nicht mit baulichen Vorkehren verb<strong>und</strong>en ist (vgl. VGr, 9. April 1998,<br />
VB.1998.00050; 16. Dezember 1999, VB.1999.00266; zu wenig differenzierend:<br />
VGr, 21. Juni 2001, VB.2000.00419). Für zeitlich unbegrenzt bewilligte bauliche<br />
Vorrichtungen im, auf oder über dem öffentlichen Gr<strong>und</strong> – wie hier das streitige<br />
Sonnenstorenelement – bedarf es einer Sondernutzungskonzession (Art. 1 GebR;<br />
RB 1989 Nr. 81; vgl. allgemein Häfelin/Müller, Rz. 2607 in Verbindung mit<br />
Rz. 2423 ff.). Dieser Unterschied in den rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen der den Gebühren<br />
zugr<strong>und</strong>e liegenden Bewilligungen bedeutet aber nicht, dass der praktische Nutzen<br />
einer konzessionspflichtigen Vorrichtung ungeachtet von deren Art <strong>und</strong> Funktion<br />
nur wegen dieser besonderen rechtlichen Ausgestaltung um ein Vielfaches höher<br />
als der Nutzen eines bloss bewilligungspflichtigen gesteigerten Gemeingebrauchs<br />
sein muss. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass zwischen den beiden<br />
Erscheinungsformen nicht mehr gemeinverträglicher Nutzungen <strong>des</strong> öffentlichen<br />
Gr<strong>und</strong>es fliessende Übergänge bestehen (vgl. etwa VGr, 9. April 1998,<br />
VB.1998.00050, E. 3 bezüglich eines – immerhin baubewilligungspflichtigen –<br />
Po<strong>des</strong>ts für ein Boulevardcafé). Damit zusammen hängt auch, dass die Rechtsnatur<br />
von Gebühren für die Sondernutzung von öffentlichen Sachen, welche eine<br />
Konzession erfordert, in Lehre <strong>und</strong> Rechtsprechung umstritten ist; teils werden derartige<br />
Abgaben als Konzessionsgebühren, teils als Benutzungsgebühren bezeichnet<br />
(vgl. Häfelin/Müller, Rz. 2630). Bei der hier streitigen Sonnenstorenvorrichtung<br />
dürfte es sich um einen Grenzfall einer konzessionspflichtigen Anlage handeln.<br />
Nach der durch die Beschwerdeführerin nicht entkräfteten Beurteilung der<br />
Vorinstanz schränkt das an der Fassade unmittelbar unterhalb eines ohnehin bestehenden<br />
baulichen Vorsprungs angebrachte Sonnenstorenelement den Gemeingebrauch<br />
auf dem öffentlichen Gr<strong>und</strong> nicht ein <strong>und</strong> bringt es der Beschwerdegegnerin<br />
86
35, 36<br />
als Konzessionärin – gegenüber der durch die periodische Benutzungsgebühr abgegoltenen<br />
Bewilligung <strong>des</strong> Boulevardcafés auf öffentlichem Gr<strong>und</strong> – nur geringfügige<br />
zusätzliche Vorteile. Unter diesen Umständen liefert der von der Vorinstanz<br />
ermittelte Vergleichswert – kapitalisierter Wert der Benutzungsgebühr, die im vorliegenden<br />
Fall für die Teilfläche von 2,15 m 2 unterhalb <strong>des</strong> an der Fassade angebrachten<br />
Sonnenstorenelements zu entrichten wäre – durchaus einen schlüssigen<br />
Anhaltspunkt dafür, dass die veranlagte Konzessionsgebühr von Fr. 28 700.– mit<br />
dem Äquivalenzprinzip nicht mehr vereinbar ist. Die diesbezügliche Beurteilung<br />
der Vorinstanz überzeugt, beruht sie doch auf einer plausiblen Gewichtung der aus<br />
der streitigen Vorrichtung für die Beschwerdegegnerin resultierenden Vorteile <strong>und</strong><br />
der für die Beschwerdeführerin bzw. den Gemeingebrauch resultierenden Nachteile.<br />
Daran vermag auch der für sich genommen zutreffende Einwand der Beschwerdeführerin,<br />
dass in Art. 3 Abs. 2 lit. c GebR Vorteile, die der Konzessionärin<br />
zugute kommen, <strong>und</strong> nicht solche für das betreffende Gebäude gemeint sind, nichts<br />
zu ändern.<br />
Ist demnach davon auszugehen, dass die ursprünglich veranlagte Gebühr von<br />
Fr. 28 700.– in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Wert der staatlichen<br />
Leistung für die Beschwerdegegnerin steht, so erweist sich der Vorwurf der<br />
Beschwerdeführerin, die Baurekurskommission habe mit der Aufhebung <strong>und</strong> Neubemessung<br />
dieser Gebühr in unzulässiger Weise in die ihr bei der Anwendung kommunalen<br />
Rechts zustehende Beurteilungs- <strong>und</strong> Entscheidungsfreiheit eingegriffen,<br />
als unbegründet.<br />
VB.2004.00003 ER 3. Abteilung, 30. März<br />
36. Eine Konzessionsgebühr von Fr. 214 000.– für ein Sondernutzungsrecht zur<br />
Benützung <strong>des</strong> öffentlichen Gr<strong>und</strong>es für Treppenstufen, die an bester<br />
Passantenlage 20,55 m 2 <strong>des</strong> Trottoirs in Anspruch nehmen, verletzt das<br />
Äquivalenzprinzip. § 231 PBG. Art. 1, Art. 3 GebR Stadt Zürich.<br />
VB.2004.00154 3. Kammer, 19. August<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid am 14. Juni<br />
2005 gutgeheissen.<br />
87
37, 38<br />
37. Nachbezug von Anschlussgebühren für Wasser <strong>und</strong> Abwasser: Anwendbar<br />
ist jenes Recht, welches im Zeitpunkt der Verwirklichung <strong>des</strong> die Gebührenpflicht<br />
auslösenden Sachverhalts in Kraft stand. Bei Neubauten entsteht die<br />
Anschlussgebührenpflicht mit dem Anschluss an das betreffende Versorgungsnetz,<br />
nicht mit der Schätzung der Liegenschaft durch die Gebäudeversicherungsanstalt.<br />
«Anschluss» bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der<br />
behördlichen Abnahme der Anschlussleitung oder nach jenem der tatsächlichen<br />
Benutzungsmöglichkeit. Bei Um- <strong>und</strong> Erweiterungsbauten gelten die<br />
gleichen Gr<strong>und</strong>sätze. Die Pflicht zur Leistung einer Anschlussgebühr trifft<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich den Gr<strong>und</strong>eigentümer im Zeitpunkt <strong>des</strong> Anschlusses. § 45 EG<br />
GSchG. § 29 WasserwirtschaftsG.<br />
88<br />
VB.2004.00162 ER 3. Abteilung, 26. August<br />
VI. Beschaffungswesen<br />
38. Ortskenntnisse dürfen von einem Anbieter nur verlangt werden, wenn sie<br />
wegen der Eigenart <strong>des</strong> zu vergebenden Auftrags von besonderem Nutzen<br />
sind <strong>und</strong> damit als sachlich gerechtfertigtes Kriterium erscheinen. Angesichts<br />
der damit verb<strong>und</strong>enen Gefahr der Diskriminierung auswärtiger Anbieter<br />
sind an den Nachweis, dass für den betreffenden Auftrag Ortskenntnisse<br />
erforderlich sind, hohe Anforderungen zu stellen. Art. 5 Abs. 1<br />
BGBM. Art. 1 Abs. 3 lit. b IVöB.<br />
5.1 Die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen<br />
bezweckt unter anderem, die Gleichbehandlung aller Anbietenden zu gewährleisten<br />
(Art. 1 Abs. 3 lit. b IVöB). Auch gemäss Art. 5 Abs. 1 BGBM dürfen ortsfremde<br />
Anbietende bei einer öffentlichen Beschaffung nicht benachteiligt werden. Zulässig<br />
sind ihnen gegenüber nach Art. 3 Abs. 1 BGBM nur Beschränkungen, welche<br />
gleichermassen auch für ortsansässige Personen gelten (lit. a), zur Wahrung überwiegender<br />
öffentlicher Interessen unerlässlich sind (lit. b) <strong>und</strong> dem Gr<strong>und</strong>satz der<br />
Verhältnismässigkeit entsprechen (lit. c). Im Rahmen eines Einladungsverfahrens<br />
ist eine gewisse Bevorzugung ortsansässiger oder regionaler Anbieter gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auch insofern zulässig, als es der Vergabebehörde erlaubt ist, für einen bestimmten<br />
Auftrag nur einheimische Unternehmen zur Offertstellung einzuladen. Werden aber<br />
auch Anbieter aus anderen Regionen <strong>und</strong> Kantonen eingeladen, ist die Vergabe-
38, 39<br />
behörde ihnen gegenüber an das Gebot der Gleichbehandlung bzw. das Verbot der<br />
Diskriminierung geb<strong>und</strong>en.<br />
Das Abstellen auf Ortskenntnisse eines Bewerbers ist unter dem Gesichtspunkt<br />
der Gleichbehandlung auswärtiger Anbieter ausgesprochen problematisch;<br />
die generelle Anwendung eines solchen Vergabekriteriums würde den vom Binnenmarktgesetz<br />
angestrebten freien <strong>und</strong> gleichberechtigten Zugang zum Markt auf<br />
dem ganzen Gebiet der Schweiz (Art. 1–3 BGBM) stark einschränken. Ortskenntnisse<br />
dürfen daher nur verlangt werden, wenn sie wegen der Eigenart <strong>des</strong> zu vergebenden<br />
Auftrags von besonderem Nutzen sind <strong>und</strong> damit als sachlich gerechtfertigt<br />
erscheinen (VGr, 6. Juni 2001, VB.2000.00391, E. 3d/aa, www.vgrzh.ch; VGr AG,<br />
AGVE 1998, S. 375 E. 6c). Angesichts der mit diesem Kriterium verb<strong>und</strong>enen Gefahr<br />
der Diskriminierung auswärtiger Anbieter sind an den Nachweis, dass für den<br />
betreffenden Auftrag Ortskenntnisse erforderlich sind, hohe Anforderungen zu stellen.<br />
VB.2004.00305 1. Kammer, 24. November<br />
39. Nicht jeder Beitrag im Rahmen der Vorbereitung einer Submission führt<br />
zwingend zum Ausschluss <strong>des</strong> betreffenden Anbieters oder der mit ihm verb<strong>und</strong>enen<br />
Unternehmen. § 9, § 16 Abs. 4 SubmV.<br />
3.3.2 Nicht zu beanstanden ist ein Wissensvorsprung, der nicht dem Submissionsverfahren,<br />
sondern der bisherigen Tätigkeit <strong>des</strong> Submittenten entspringt (VGr,<br />
13. August 2003, VB.2003.00161, E. 3a, www.vgrzh.ch; RB 2001 Nr. 44 = BEZ 2001<br />
Nr. 24 E. 4c; Galli/Moser/Lang, Rz. 516). So kann einem Anbieter nicht verwehrt<br />
werden, Vorwissen auszunützen, das er sich durch frühere Arbeiten für denselben<br />
Auftraggeber – allenfalls sogar am selben Objekt – erworben hat. So wird z.B. bei<br />
der Erweiterung eines Spitalgebäu<strong>des</strong> auch der ursprüngliche Erbauer zum Angebot<br />
zugelassen, <strong>und</strong> bei der Neuausschreibung eines Dauerauftrags (etwa für die<br />
Kehrichtsammlung oder die Leistungen eines Gemeindegeometers) wird der bisherige<br />
Inhaber <strong>des</strong> Auftrags nicht wegen Vorbefassung ausgeschlossen.<br />
Auch im Rahmen der Vorbereitung einer Submission führt nicht jeder Beitrag<br />
zwingend zum Ausschluss <strong>des</strong> betreffenden Anbieters oder der mit ihm verb<strong>und</strong>enen<br />
Unternehmen (VGr, 13. August 2003, VB.2003.00161, E. 3a, www.vgrzh.ch).<br />
Zwar kommt es nach dem Gesagten nicht in Frage, dass interessierte Unternehmungen,<br />
die später als Anbieter an der Submission teilnehmen wollen, direkt oder indi-<br />
89
39, 40, 41<br />
rekt an der Ausarbeitung der Ausschreibungsunterlagen mitwirken. Dagegen müssen<br />
Vorarbeiten, mit denen nur Gr<strong>und</strong>lagen für die spätere Projektierung <strong>und</strong> Ausschreibung<br />
bereitgestellt werden (z.B. Machbarkeitsstudien) nicht zwingend zum<br />
Ausschluss der damit befassten Personen oder Unternehmen führen. Als wesentlicher<br />
Gesichtspunkt fällt dabei in Betracht, dass die Mitarbeiter der Vergabestelle,<br />
welche in der Folge die eigentlichen Ausschreibungsunterlagen erstellen, in der<br />
Lage sind, die vorbereitenden Studien aus eigener Sachkenntnis kritisch zu würdigen,<br />
<strong>und</strong> diese nicht ungeprüft in die Ausschreibung einfliessen lassen. Ferner ist<br />
darauf zu achten, dass bei den Vorarbeiten anfallende Informationen auch den<br />
andern Anbietern umfassend <strong>und</strong> frühzeitig zugänglich gemacht werden.<br />
90<br />
VB.2004.00304 1. Kammer, 8. Dezember<br />
BEZ 2005 Nr. 5<br />
40. Die allgemeine verwaltungsrechtliche Weiterleitungs- <strong>und</strong> Überweisungspflicht<br />
gelangt im Fall der Einreichung einer Offerte bei der falschen Amtsstelle<br />
nicht zur Anwendung. Nur eine strikte Respektierung von Eingabefrist<br />
<strong>und</strong> Eingabeort kann eine effiziente Abwicklung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens<br />
sicherstellen <strong>und</strong> die Gleichbehandlung der Antragsteller wahren.<br />
§ 5 Abs. 2 VRG. § 13 Abs. 1 lit. j, § 25 SubmV.<br />
VB.2004.00331 1. Kammer, 24. November<br />
41. Wenn die Jury bei einem Gesamtleistungswettbewerb keinen Gewinner ermittelt<br />
hat, sind die Voraussetzungen für eine freihändige Vergabe <strong>des</strong> Auftrags<br />
nicht gegeben. § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV.<br />
1.2 Im vorliegenden Fall wurde ein Gesamtleistungswettbewerb durchgeführt<br />
<strong>und</strong> in Aussicht gestellt, mit dem Anbieter <strong>des</strong> vom Preisgericht für die Realisierung<br />
empfohlenen Lösungsvorschlags einen Totalunternehmervertrag abzuschliessen.<br />
Vorbehalten blieb nach Ziff. 1.6 <strong>des</strong> Wettbewerbsprogramms die Ablehnung<br />
oder Rückweisung <strong>des</strong> Projekts bzw. <strong>des</strong> Baukredits durch die Gemeinde.<br />
Die im Wettbewerbsprogramm vorgesehene Wettbewerbsorganisation entspricht<br />
nach der übereinstimmenden <strong>und</strong> zutreffenden Auffassung der Parteien den<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>des</strong> aIVöB-BeitrittsG <strong>und</strong> der aSubmV. Insbesondere wurde das
Verfahren zweistufig durchgeführt, <strong>und</strong> die anonym eingereichten Arbeiten wurden<br />
durch eine unabhängige Jury beurteilt.<br />
Nach Ziff. 1.1 <strong>des</strong> Wettbewerbsprogramms war sodann neben den Vorschriften<br />
der aIVöB <strong>und</strong> der aSubmV zum selektiven Verfahren subsidiär die SIA-Ordnung<br />
142 (Ausgabe 1998) anwendbar.<br />
2.1 § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV lässt für die in ihrem Anwendungsbereich liegenden<br />
Aufträge eine freihändige Vergabe nach durchgeführtem Wettbewerb nur<br />
zu, wenn die Vergabe an den Gewinner <strong>des</strong> Wettbewerbs erfolgt. Auch Art. XV Ziff.<br />
1 lit. j GPA, welcher Gr<strong>und</strong>lage von § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV bildet, lässt die freihändige<br />
Vergabe nach durchgeführtem Wettbewerb nur an den Wettbewerbsgewinner<br />
zu. Umgekehrt kann ein Auftrag, der einem anderen als dem Wettbewerbsgewinner<br />
erteilt werden soll, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht freihändig, sondern nur nach Durchführung<br />
eines neuen Vergabeverfahrens vergeben werden (vgl. Galli/Moser/Lang,<br />
S. 227 f.; Galli/Lehmann/Rechsteiner, Rz. 637).<br />
2.2 Ein auf der SIA-Ordnung 142 basierender Juryentscheid setzt sich in der<br />
Regel aus drei Elementen zusammen: der Festlegung der Rangfolge (Art. 21), der<br />
Zusprechung der Preise <strong>und</strong> Ankäufe (Art. 22) <strong>und</strong> der Empfehlung (Art. 23).<br />
Diese Elemente sind vergaberechtlich nur insoweit relevant, als sie der Bestimmung<br />
<strong>des</strong> Wettbewerbsgewinners im Sinn von § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV dienen. Der Gewinner<br />
<strong>des</strong> Wettbewerbs lässt sich dann ohne Probleme feststellen, wenn die Jury<br />
eine bestimmte Arbeit sowohl in den ersten Rang setzt, ihr den ersten Preis zuspricht<br />
<strong>und</strong> auch die Vergabe an den entsprechenden Anbieter empfiehlt. Weniger<br />
eindeutig fällt das Ergebnis aus, wenn die einzelnen Elemente <strong>des</strong> Juryentscheids<br />
in Widerspruch zueinander treten, sei es etwa, weil die Empfehlung nicht der Rangierung<br />
entspricht oder weil ein Preis für das erstrangierte Projekt wegen Programmwidrigkeit<br />
ausser Betracht fällt (vgl. Art. 52 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 VoeB, Art. 22.3<br />
SIA-Ordnung 142).<br />
Voraussetzung einer freihändigen Vergabe im Sinn von § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV<br />
ist in jedem Fall, dass die Jury einen Gewinner ermittelt hat. Dies setzt zumin<strong>des</strong>t<br />
eine eindeutige Festlegung der Rangfolge voraus, wobei eine gleichrangige Bewertung<br />
zweier Projekte nach der SIA-Ordnung 142 problematisch ist (vgl. Art. 22.1,<br />
der jedenfalls Ex-aequo-Preise verbietet). Eine Empfehlung der Jury zuhanden der<br />
Auftraggeberin ist vergaberechtlich nur insoweit relevant, als sie dazu dient, den<br />
Gewinner <strong>des</strong> Wettbewerbs zu ermitteln. Andere Empfehlungen wie etwa betreffend<br />
die Weiterbearbeitung eines oder mehrerer Projekte sind vergaberechtlich<br />
ohne Belang.<br />
41<br />
91
41<br />
2.3 Wie weit die Behörde nach der Durchführung eines Planungs- <strong>und</strong> Gesamtleistungswettbewerbs<br />
an den Juryentscheid geb<strong>und</strong>en ist, wird durch das zürcherische<br />
Recht nicht ausdrücklich geregelt. Auf B<strong>und</strong>esebene ist die Auftraggeberin<br />
zwar in der Regel an die Empfehlung <strong>des</strong> Preisgerichts geb<strong>und</strong>en, kann sich<br />
von dieser Verpflichtung jedoch ausnahmsweise durch eine Abgeltung befreien<br />
(Art. 53 in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 lit. c VoeB). Auch Art. 27.1 SIA-Ordnung<br />
142 räumt dem Wettbewerbsgewinner einen Anspruch auf den Auftrag ein, wobei<br />
sich die Auftraggeberin auch hier durch eine Abgeltung sowie durch den generellen<br />
Verzicht auf die Realisierung <strong>des</strong> Vorhabens (Art. 27.2 <strong>und</strong> 27.3) befreien kann.<br />
In seiner bisherigen Rechtsprechung ist das <strong>Verwaltungsgericht</strong> von einer gewissen<br />
Bindung der Vergabebehörde an den Juryentscheid ausgegangen, ohne sich<br />
aber im Einzelnen dazu zu äussern (vgl. VGr, 13. Februar 2002, BEZ 2002 Nrn. 28<br />
<strong>und</strong> 33 mit Hinweisen). Dieser Entscheid wurde in der Lehre teilweise kritisiert<br />
(vgl. Christian Pfammatter, Concours et marchés publics, in: RDAF 2002, S. 439 ff.,<br />
455; Denis Esseiva in: BR 4/2003, S. 150 f.). Das Konzept der freihändigen Vergabe<br />
spricht in der Tat eher gegen das Bestehen einer Verpflichtung der Behörde,<br />
nach durchgeführtem Wettbewerb überhaupt einen Zuschlag zu erteilen. § 11 Abs. 1<br />
aSubmV zählt verschiedene Fälle auf, die es der Vergabebehörde erlauben, Aufträge,<br />
die an sich im offenen oder selektiven Verfahren auszuschreiben wären, ohne<br />
ein solches Verfahren freihändig zu vergeben. Damit wird durchwegs eine Handlungsmöglichkeit,<br />
nicht aber eine Handlungspflicht aufgezeigt. Anders als im ordentlichen<br />
Vergabeverfahren verlangt auch die Vielfalt möglicher Lösungen im<br />
Rahmen von Planungs- <strong>und</strong> Gesamtleistungswettbewerben eine gewisse Freiheit<br />
der Vergabebehörde im Entscheid über die Realisierung. Dem trägt die SIA-Ordnung<br />
142 mit ihrem Art. 27.2 auch Rechnung. Eine Vergabebehörde soll nicht<br />
gegen ihren Willen dazu gezwungen werden, ein Projekt zu realisieren, dem sie –<br />
aus welchen Gründen auch immer – ablehnend gegenübersteht. Die Bindung der<br />
Behörde an den Juryentscheid ist somit in erster Linie eine negative, indem es ihr<br />
versagt ist, die freihändige Vergabe an einen andern Anbieter als den Gewinner <strong>des</strong><br />
Wettbewerbs vorzunehmen (vorn E. 2.1; vgl. VGr, 12. März 2003, BEZ 2003<br />
Nr. 26 E. 2c).<br />
Anzumerken ist, dass der Vertragsschluss selbst im Anschluss an einen rechtskräftigen<br />
Zuschlag nicht im öffentlichrechtlichen Vergabeverfahren erzwungen<br />
werden könnte. Der Verzicht auf den Vertragsschluss hat letztlich ebenso wie ein<br />
unzulässiger Verfahrensabbruch, ein späterer Rücktritt vom Werkvertrag (Art. 377 OR)<br />
oder eine Kündigung <strong>des</strong> Auftrags zur Unzeit (Art. 404 Abs. 2 OR) nur privatrechtliche<br />
Schadenersatzansprüche zur Folge, über die im Zivilprozess <strong>und</strong> nicht<br />
92
durch das <strong>Verwaltungsgericht</strong> zu entscheiden ist (vgl. auch BGr, 20. November 2003,<br />
2P.155/2003, www.bger.ch).<br />
3.1 Das Preisgericht setzte sich aus zwei Sachpreisrichtern der Schulverwaltung<br />
<strong>und</strong> drei Fachpreisrichtern, zwei Architekten <strong>und</strong> einem Bauingenieur, zusammen.<br />
Zusätzlich gehörten der Jury verschiedene Interessenvertreter vorwiegend aus<br />
der Gemeinde als nicht stimmberechtigte Experten (vgl. Art. 11 SIA-Ordnung 142)<br />
an. Bei der Beurteilung der vorgelegten Projekte in vorerst zwei Bewertungsr<strong>und</strong>en<br />
gaben alle Jurymitglieder ihre Bewertungen ab, ohne dass zwischen den stimmberechtigten<br />
<strong>und</strong> den nicht stimmberechtigten Mitgliedern unterschieden worden<br />
wäre. Dabei zeigte sich, dass alle Jurymitglieder zusammen dem Projekt «N» die<br />
meisten Punkte gaben, gefolgt vom Projekt «O». Die stimmberechtigten Mitglieder<br />
hingegen hatten umgekehrt dem Projekt «O» die höchste <strong>und</strong> dem Projekt «N» die<br />
zweithöchste Punktzahl gegeben. Im dritten Durchgang kam die Jury zum Schluss,<br />
dass beide Projekte nicht ohne Überarbeitung realisiert werden könnten <strong>und</strong> empfahl<br />
beide zur Weiterbearbeitung. Demgemäss sprach das Preisgericht in seinem<br />
Bericht unter dem Titel «Festlegung der Rangfolge» die Empfehlung zur Weiterbearbeitung<br />
von «O» <strong>und</strong> «N» aus.<br />
3.2 Aufgr<strong>und</strong> dieser Umstände ist davon auszugehen, dass die Jury keinen<br />
Wettbewerbsgewinner im Sinn von § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV ermittelt hat. Weder<br />
enthielt der Entscheid eine Rangfolge, noch wurde die Vergabe an einen bestimmten<br />
Bewerber empfohlen. Zwar hatten die stimmberechtigten Jurymitglieder im<br />
zweiten Durchgang das Projekt «O» an erste Stelle gesetzt, jedoch verzichteten sie<br />
in der Folge offenbar bewusst auf eine definitive Rangierung der Projekte im dritten<br />
Durchgang. Dieser wohl aus Rücksicht auf die Mehrheitsmeinung der nicht<br />
stimmberechtigten Jurymitglieder getroffene Verzicht verbietet es, dem Preisgericht<br />
eine bestimmte Rangfolge als mutmasslichen Entscheid im dritten Durchgang<br />
zu unterstellen. Die zuvor abgegebene Bewertung erfolgte noch unter Mitwirkung<br />
der nicht stimmberechtigten Mitglieder <strong>und</strong> kann daher nur als konsultative Stimmabgabe<br />
der Stimmberechtigten angesehen werden. Damit blieb offen, ob die stimmberechtigten<br />
Jurymitglieder ihre Beurteilung mit Rücksicht auf die von den anderen<br />
Mitgliedern abgegebenen Bewertungen im dritten Durchgang allenfalls noch<br />
angepasst hätten.<br />
3.3 Da die Jury somit keinen Gewinner <strong>des</strong> Wettbewerbs ermittelt hat, sind die<br />
Voraussetzungen von § 11 Abs. 1 lit. k aSubmV für eine freihändige Vergabe <strong>des</strong><br />
Auftrags nicht gegeben, <strong>und</strong> die angefochtene Verfügung ist aufzuheben. Der Ver-<br />
41<br />
93
41, 42, 43<br />
gabebehörde steht es frei, nunmehr entweder ein ordentliches Vergabeverfahren zu<br />
eröffnen oder einen neuen Gesamtleistungswettbewerb auszuschreiben.<br />
94<br />
VB.2003.00234 1. Kammer, 28. Januar<br />
BEZ 2004 Nr. 35<br />
42. Als Zuschlagskriterien können auch Eigenschaften <strong>des</strong> Anbieters verwendet<br />
werden, die bereits als Eignungskriterien benutzt wurden. § 22 aSubmV.<br />
VB.2003.00236 1. Kammer, 28. Januar<br />
BEZ 2004 Nr. 13<br />
43. Die Aufzählung der Anfechtungsobjekte im Vergabeverfahren ist nicht abschliessend.<br />
Auch gegen den Entscheid zur Wiederholung einer Submission<br />
ist die Beschwerde zulässig. In besonderen Fällen kann auch die Nichteinladung<br />
im Einladungsverfahren angefochten werden.Art. 30 Abs. 2 VoeB. § 4<br />
aIVöB-BeitrittsG. § 35 aSubmV.<br />
2.1 Die Beschwerde richtet sich zunächst gegen die Verfügung <strong>des</strong> Hochbauamts<br />
vom 31. Januar 2003, gemäss welcher das Vergabeverfahren «abgebrochen<br />
<strong>und</strong> neu durchgeführt» wurde. Da der Beschwerdegegner nicht auf die strittige Beschaffung<br />
zu verzichten gedenkt, sondern das ursprüngliche Projekt nach seinen<br />
Angaben weit gehend unverändert weiter verfolgt, handelt es sich bei dieser Anordnung<br />
nicht um einen definitiven Abbruch (§ 35 Abs. 1 aSubmV), sondern um die<br />
Wiederholung <strong>des</strong> Vergabeverfahrens (§ 35 Abs. 2 aSubmV).<br />
Der Entscheid zur Wiederholung <strong>des</strong> Verfahrens wird in § 4 aIVöB-BeitrittsG<br />
im Gegensatz zum Abbruch nicht ausdrücklich als anfechtbarer Entscheid erwähnt.<br />
Dabei ist allerdings nicht deutlich, ob die Wiederholung vom Gesetzgeber nur als<br />
Unterart bzw. Folge eines Abbruchs betrachtet wurde (vgl. dazu die Regelung in<br />
Art. 30 Abs. 2 VoeB sowie in der revidierten Submissionsverordnung vom 23. Juli<br />
2003). Die Aufzählung <strong>des</strong> Gesetzes ist in<strong>des</strong>sen ohnehin nicht abschliessend, da<br />
gemäss Art. 9 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BGBM das kantonale Rechtsmittel gegen alle «Beschränkungen<br />
<strong>des</strong> freien Zugangs zum Markt» im Rahmen eines Vergabeverfahrens<br />
zur Verfügung stehen muss (vgl. Evelyne Clerc, Kommentar zu Art. 5 <strong>und</strong> 9 BGBM,<br />
in: Pierre Tercier/Christian Bovet [Hrsg.], Droit de la concurrence, Genf/Basel/
München 2002, zu Art. 9 N. 46 f.; Galli/Lehmann/Rechsteiner, N. 532). Eine unterschiedliche<br />
Behandlung der beiden Entscheide mit Bezug auf die Anfechtbarkeit<br />
wäre denn auch nicht gerechtfertigt.<br />
2.2 Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat in seinem zwischen denselben Parteien ergangenen<br />
Entscheid vom 18. Dezember 2002 (RB 2002 Nr. 42 = BEZ 2003 Nr. 12)<br />
erklärt, dass dem Beschwerdegegner die Möglichkeit offen stehe, das Verfahren<br />
vollständig zu wiederholen, da angesichts der erkannten Mängel der Vergabeunterlagen<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> reduzierten Teilnehmerfel<strong>des</strong> ausreichende Gründe im Sinn von § 35<br />
Abs. 2 aSubmV für eine Wiederholung sprächen. Diese Feststellung entfaltet entgegen<br />
der Meinung <strong>des</strong> Beschwerdegegners keine materielle Rechtskraft, da das<br />
Gericht an seine im ersten Rechtsgang vertretene Rechtsauffassung nicht geb<strong>und</strong>en<br />
ist (Kölz/Bosshart/Röhl, § 64 N. 13). Sie erweist sich jedoch aus den damals genannten<br />
Gründen auch heute als zutreffend. Der Entscheid zur Wiederholung <strong>des</strong><br />
Verfahrens war daher zulässig. Soweit sich die Beschwerde gegen diesen richtet, ist<br />
sie unbegründet.<br />
3.1 Die Beschwerde richtet sich <strong>des</strong> weitern gegen den Entscheid <strong>des</strong> Beschwerdegegners,<br />
die Beschwerdeführerin bei der Wiederholung <strong>des</strong> Einladungsverfahrens<br />
nicht mehr in dieses einzubeziehen.<br />
Ein formeller Entscheid über die erneute Durchführung <strong>des</strong> Einladungsverfahrens<br />
bzw. über die Auswahl der einzuladenden Anbieter liegt dem Gericht nicht<br />
vor. Der Beschwerdegegner hat jedoch bestätigt, dass das Verfahren erneut durchgeführt<br />
wurde, ohne die Beschwerdeführerin zu einem Angebot einzuladen. Dieser<br />
Entscheid ist nicht mit jenem betreffend die Wiederholung <strong>des</strong> Verfahrens gleichzusetzen.<br />
Falls die beiden Entscheide zusammen getroffen wurden, sind sie dennoch<br />
mit Bezug auf ihren Inhalt <strong>und</strong> die Möglichkeit einer Anfechtung auseinander<br />
zu halten.<br />
3.2 Es stellt sich damit die Frage, ob ein nicht eingeladener Interessent befugt<br />
ist, die Einleitung eines Einladungsverfahrens anzufechten, um geltend zu machen,<br />
dass auch er hätte eingeladen werden müssen.<br />
Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat zugelassen, dass ein Interessent die Durchführung<br />
einer freihändigen Vergabe mit der Begründung anfocht, es hätte anstelle <strong>des</strong> freihändigen<br />
ein Einladungsverfahren durchgeführt werden müssen; vorausgesetzt<br />
wurde lediglich, dass der Beschwerdeführer offensichtlich zum Kreis der für eine<br />
Einladung in Frage kommenden Anbieter zählte (RB 2001 Nr. 20 = ZBl 104/2003,<br />
43<br />
95
43<br />
S. 57 = BEZ 2001 Nr. 55). Dass der erfolgreiche Beschwerdeführer auch die Einleitung<br />
<strong>des</strong> anschliessenden Einladungsverfahrens hätte anfechten können, falls er<br />
nicht in dasselbe einbezogen wurde, ergibt sich daraus jedoch nicht ohne weiteres.<br />
Da ein Interessent gr<strong>und</strong>sätzlich keinen Anspruch darauf hat, zum Einreichen eines<br />
Angebots eingeladen zu werden, <strong>und</strong> die Vergabebehörde bei der Auswahl der Anbieter<br />
weit gehend frei ist, erscheint es tatsächlich als fraglich, ob der nicht Eingeladene<br />
im Regelfall ein ausreichen<strong>des</strong> rechtliches Interesse für die Anfechtung <strong>des</strong><br />
Auswahlentscheids besitzt.<br />
Ausnahmsweise können jedoch Umstände vorliegen, die den Einbezug eines<br />
bestimmten Anbieters in das Verfahren gebieten (hinten E. 3.4). Wo ein Interessent<br />
solche Gründe geltend macht, muss er daher mit der Beschwerde gegen die Einladung<br />
zugelassen werden. Dass er sein Anliegen allenfalls noch mit der Beschwerde<br />
gegen den Zuschlag vorbringen könnte, vermag die vorgängige Beschwerdemöglichkeit<br />
nicht zu ersetzen, da er bei einem Einladungsverfahren, an welchem er<br />
nicht beteiligt ist, keine Gewähr besitzt, rechtzeitig vom Zuschlag zu erfahren.<br />
Auch für den Ablauf <strong>des</strong> Vergabeverfahrens erscheint es als zweckmässiger, wenn<br />
der Interessent, der von der Einleitung <strong>des</strong> Verfahrens Kenntnis erhält, frühzeitig<br />
gegen seinen Nichteinbezug vorgehen kann.<br />
3.3 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass bei der Wiederholung<br />
<strong>des</strong> Verfahrens nur noch der ursprüngliche Zuschlagsempfänger <strong>und</strong> sie selber am<br />
neuen Verfahren zu beteiligen seien. Sie beruft sich dabei auf die Rechtsprechung<br />
der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen<br />
<strong>und</strong> anderer kantonaler Gerichte, welche in diesem Sinn entschieden hätten. Die erwähnten<br />
Entscheide beziehen sich jedoch nicht auf die eigentliche Wiederholung<br />
<strong>des</strong> Verfahrens, sondern auf die Frage, welche Anbieter nach der Aufhebung eines<br />
Vergabeentscheids durch die Rechtsmittelinstanz in die danach erforderliche neue<br />
Beurteilung einzubeziehen sind; auch in dieser Frage befolgt das Zürcher <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
im Übrigen eine andere Praxis als die Eidgenössische Rekurskommission<br />
(vgl. Robert Wolf, Die Beschwerde gegen Vergabeentscheide – Eine Übersicht<br />
über die Rechtsprechung zu den neuen Rechtsmitteln, ZBl 104/2003, S. 27 Fn. 142).<br />
Bei einer eigentlichen Wiederholung <strong>des</strong> Verfahrens kann die Beschränkung auf die<br />
bisherigen Teilnehmer schon <strong>des</strong>halb nicht richtig sein, weil die Gründe, welche die<br />
Wiederholung rechtfertigen (§ 35 Abs. 2 aSubmV; vgl. Art. 30 Abs. 2 VoeB), unter<br />
Umständen eine Erweiterung <strong>des</strong> Anbieterkreises geradezu erfordern. Von vornherein<br />
nicht begrenzen lässt sich der Teilnehmerkreis bei der Wiederholung eines<br />
offenen oder selektiven Verfahrens mit erneuter Ausschreibung.<br />
96
3.4.1 Bei der Durchführung eines Einladungsverfahrens hat gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
kein Interessent einen Anspruch, zur Abgabe eines Angebots eingeladen zu werden<br />
(RB 2002 Nr. 45; RB 2001 Nr. 20 E. 2c = ZBl 104/2003, S. 57 = BEZ 2001 Nr. 55).<br />
Die Vergabebehörde ist vielmehr bei der Auswahl der Anbieter weit gehend frei.<br />
Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Umstände vor, welche die Freiheit<br />
der Vergabebehörde einschränken. Die Beschwerdeführerin wurde bei der erstmaligen<br />
Durchführung <strong>des</strong> Verfahrens zum Angebot eingeladen <strong>und</strong> hat ein solches<br />
abgegeben. Nachdem der Zuschlag in jenem Verfahren an eine andere Anbieterin<br />
ergangen war, focht sie diese Verfügung mit Beschwerde beim <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
an. Mit Entscheid vom 18. Dezember 2002 (VB.2002.00263) hiess das Gericht die<br />
Beschwerde gut, hob den Zuschlag auf <strong>und</strong> wies die Sache zu neuer Beurteilung an<br />
die Baudirektion zurück. Wie das Gericht in jenem Entscheid festhielt, hatte der<br />
Beschwerdegegner anschliessend die Möglichkeit, das Vergabeverfahren auf der<br />
bisherigen Gr<strong>und</strong>lage fortzusetzen (unter Ausschluss der ursprünglichen Zuschlagsempfängerin)<br />
oder es aber vollständig zu wiederholen. Bei der Fortsetzung<br />
<strong>des</strong> Verfahrens auf der bisherigen Gr<strong>und</strong>lage hätte die Beschwerdeführerin, welche<br />
das preislich günstigste Angebot eingereicht hatte <strong>und</strong> gute Qualifikationen besass,<br />
gute Aussichten auf die Erteilung <strong>des</strong> Zuschlags gehabt.<br />
Wenn sich der Beschwerdegegner statt<strong>des</strong>sen dafür entschied, das Verfahren<br />
zu wiederholen, was ihm erlaubt war (vorn E. 2.2), so war er gr<strong>und</strong>sätzlich auch befugt,<br />
die einzuladenden Anbieter neu zu bestimmen. In einer Situation wie der vorliegenden,<br />
da die Wiederholung auf die erfolgreiche Beschwerde eines Anbieters<br />
der ersten Submission zurückzuführen ist, kann die Vergabebehörde jedoch nicht<br />
ohne triftige Gründe darauf verzichten, diesen Anbieter auch im neuen Verfahren<br />
wieder zum Angebot einzuladen. Sie hätte es sonst in der Hand, den Erfolg der Beschwerde<br />
nachträglich zunichte zu machen <strong>und</strong> den Beschwerdeführer für die Anfechtung<br />
<strong>des</strong> ursprünglichen Vergabeentscheids zu «bestrafen». Beschwerden gegen<br />
das Ergebnis eines Einladungsverfahrens würden damit ihrer Wirksamkeit weit<br />
gehend beraubt. Eine derartige Schwächung der gesetzlichen Anfechtungsmöglichkeiten<br />
ist nicht zuzulassen.<br />
3.4.2 Die Durchführung <strong>des</strong> neuen Einladungsverfahrens ohne Beteiligung<br />
der Beschwerdeführerin war dem Beschwerdegegner demnach nur gestattet, wenn<br />
triftige Gründe gegen ihre Teilnahme sprachen. Um einer rechtsmissbräuchlichen<br />
Benachteiligung erfolgreicher Beschwerdeführer entgegen zu wirken, sind dabei an<br />
die Gründe für den Verzicht auf eine Einladung hohe Anforderungen zu stellen.<br />
43<br />
97
43<br />
Der Beschwerdegegner macht geltend, dass objektive Gründe bestanden hätten,<br />
die gegen eine Teilnahme der Beschwerdeführerin sprachen. Diese sei mit ihrer<br />
Offerte in der ersten Submission teilweise weit von den planerischen Vorgaben der<br />
Behörde abgewichen, <strong>und</strong> sie habe im Rahmen <strong>des</strong> damaligen Beschwerdeverfahrens<br />
ausgeführt, dass sie an der blossen Ausführung eines fertig durchgeplanten<br />
Projekts kein Interesse besitze.<br />
Nach den Erkenntnissen <strong>des</strong> ersten Beschwerdeverfahrens (VB.2002.00263)<br />
trifft diese Sachdarstellung teilweise zu. Das Gericht stellte damals aber auch fest,<br />
dass die Vergabeunterlagen kaum funktionale Anforderungen, dafür aber in vielen<br />
Punkten sehr detaillierte Angaben zur Konstruktion enthielten, was für eine Vergabe<br />
dieser Art eher ungewöhnlich sei; sie entsprächen daher wohl nicht der Anforderung<br />
von § 18 Abs. 1 lit. a aSubmV, wonach technische Spezifikationen eher in<br />
Bezug auf die Leistung als in Bezug auf die Konstruktion umschrieben werden sollen.<br />
Die Frage wurde damals offen gelassen. Auch mit Bezug auf das neue Verfahren<br />
lässt sie sich nicht beurteilen, da aus der Stellungnahme <strong>des</strong> Beschwerdegegners<br />
nicht ersichtlich wird, mit welchen Vorgaben die Submission diesmal<br />
durchgeführt wurde, <strong>und</strong> er auch keine diesbezüglichen Unterlagen eingereicht hat.<br />
Ein Gr<strong>und</strong> für die Nichtteilnahme der Beschwerdeführerin am neuen Verfahren<br />
lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten. Dass die Beschwerdeführerin nach<br />
Meinung <strong>des</strong> Beschwerdegegners nicht am Auftrag interessiert gewesen sei, genügte<br />
ebenfalls nicht zur Begründung <strong>des</strong> Verzichts auf ihre Einladung, denn ob sie tatsächlich<br />
ein Angebot einreichen wollte, konnte ihr selber überlassen bleiben. Mit<br />
ihrem Vorgehen gegen die Wiederholung <strong>des</strong> Verfahrens hat sie denn auch deutlich<br />
zum Ausdruck gebracht, dass sie den Auftrag weiter anstrebte, <strong>und</strong> in der Replik<br />
äusserte sie sich im gleichen Sinn.<br />
3.4.3 Da somit keine ausreichenden Gründe gegen eine Teilnahme der Beschwerdeführerin<br />
am wiederholten Einladungsverfahren vorlagen, hätte sie nach<br />
dem Gesagten zum Einreichen einer Offerte eingeladen werden müssen. Der Entscheid,<br />
das Einladungsverfahren ohne die Beschwerdeführerin durchzuführen, war<br />
daher nicht zulässig.<br />
Dieser Entscheid kann im heutigen Zeitpunkt nicht mehr aufgehoben werden,<br />
da das Vergabeverfahren inzwischen beendet <strong>und</strong> der Vertrag mit dem ausgewählten<br />
Anbieter abgeschlossen ist. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin<br />
hat der Beschwerdegegner mit diesem Vorgehen nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt;<br />
denn nachdem der vorliegenden Beschwerde keine aufschiebende Wirkung<br />
zukam <strong>und</strong> keine vorsorglichen Massnahmen angeordnet wurden, war er zur Wei-<br />
98
43, 44, 45<br />
terführung <strong>des</strong> Verfahrens <strong>und</strong> zum Abschluss <strong>des</strong> Vertrags befugt. In Anwendung<br />
von Art. 9 Abs. 3 BGBM <strong>und</strong> Art. 18 Abs. 2 aIVöB ist daher lediglich festzustellen,<br />
dass der Entscheid, das neue Einladungsverfahren ohne Beteiligung der Beschwerdeführerin<br />
durchzuführen, rechtswidrig war. Da der Entscheid dem Gericht<br />
nicht schriftlich vorliegt <strong>und</strong> auch das Entscheiddatum nicht bekannt ist, ist er im<br />
Dispositiv inhaltlich zu umschreiben.<br />
VB.2003.00058 1. Kammer, 11. Februar<br />
BEZ 2004 Nr. 37<br />
44. Im Rahmen eines Beschaffungsverfahrens ist es nicht Sache der Vergabebehörde,<br />
die Zulässigkeit <strong>des</strong> Exports von Sonderabfällen zu prüfen. Es<br />
muss ihr vielmehr genügen, dass die Anbieterin, deren Offerte einen Export<br />
von Sondermüll vorsieht, über die notwendige Berechtigung zur Ausfuhr<br />
verfügt bzw. mit einer solchen rechnen kann. Das BUWAL gestattet den<br />
Export von Sonderabfällen nur, wenn dieser den Anforderungen der Verordnung<br />
über den Verkehr mit Sonderabfällen entspricht. Mit der Zulassung<br />
der Ausfuhr durch die dafür zuständige Stelle <strong>des</strong> B<strong>und</strong>es ist auch die Frage<br />
einer allfälligen Priorität der Inlandentsorgung beurteilt. Art. 30 Abs. 3<br />
USG. § 31 SubmV.<br />
VB.2004.00112 1. Kammer, 10. September<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid am 9. Februar<br />
2005 abgewiesen (BGr, 9. Februar 2005, 2P.264/2004, www.bger.ch).<br />
45. Wählt die Vergabebehörde eine Variante, die gegenüber den Anforderungen<br />
in den Vergabekriterien eine Minderleistung vorschlägt, müssen die übrigen<br />
Anbieter Gelegenheit zur Anpassung ihrer Offerten erhalten. Auf dieses Erfordernis<br />
kann verzichtet werden, wenn eine Aufrechnung <strong>des</strong> Preisvorteils<br />
zu keinem anderen Ergebnis führt. § 31 Abs. 1 SubmV.<br />
VB.2004.00006 1. Kammer, 20. Juli<br />
BEZ 2004 Nr. 70<br />
99
46<br />
100<br />
VII. Administrativmassnahmen SVG<br />
46. Die gesetzliche Min<strong>des</strong>tentzugsdauer <strong>des</strong> Warnungsentzugs muss in der Regel<br />
unterschritten werden, wenn die Zurechnungsfähigkeit <strong>des</strong> Fahrzeuglenkers<br />
stark vermindert war. Art. 17 Abs. 1 SVG. Art. 33 Abs. 2 VZV.<br />
2.1 Die Behörde muss demjenigen, der sich vorsätzlich einer Blutprobe entzieht,<br />
den Führerausweis für min<strong>des</strong>tens einen Monat entziehen (Art. 16 Abs. 3 lit.<br />
g SVG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG; BGE 121 II 134 E. 3c). Die<br />
Beschwerdegegnerin legte die Dauer <strong>des</strong> Entzugs auf diese gesetzliche Min<strong>des</strong>tdauer<br />
fest. Der Regierungsrat hielt im angefochtenen Entscheid dafür, dass die Beschwerdegegnerin<br />
dadurch dem «unbelasteten automobilistischen Leum<strong>und</strong>» <strong>des</strong><br />
Beschwerdeführers genügend Rechnung getragen habe. Die Rüge der fehlenden<br />
Berücksichtigung der stark verminderten Zurechnungsfähigkeit behandelte die Vorinstanz<br />
mit keinem Wort. Diese Beurteilung ist hier nachzuholen. – Aufgr<strong>und</strong> von<br />
Art. 33 Abs. 2 VZV verfügt die Behörde bei der Bemessung der Dauer <strong>des</strong> Ausweisentzugs<br />
über Ermessen. Aufgr<strong>und</strong> von § 50 Abs. 2 lit. c VRG dürfte das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
diesen Ermessenspielraum an sich nicht frei überprüfen <strong>und</strong> nur<br />
bei Ermessensmissbrauch, -überschreitung oder -unterschreitung einschreiten. Bei<br />
einem Warnentzug handelt es sich jedoch um eine strafrechtliche Anklage im Sinn<br />
von Art. 6 Abs. 1 EMRK (BGE 121 II 22 E. 3b). Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangt, dass<br />
das Strafmass entweder erstinstanzlich von einem Gericht festgelegt wird oder aber<br />
– wenn das Strafmass zunächst von einer Administrativ- oder Disziplinarbehörde<br />
festgelegt wurde – von einem Gericht frei überprüft werden kann (BGE 115 Ia 406<br />
E. 3b; vgl. § 50 Abs. 3 VRG). Die Festsetzung der Dauer <strong>des</strong> Ausweisentzugs ist<br />
hinsichtlich <strong>des</strong> Ermessensspielraums <strong>und</strong> der dabei anzuwendenden Kriterien<br />
(Art. 33 Abs. 2 VZV) <strong>und</strong> mit der Festsetzung <strong>des</strong> Strafmasses (Art. 63 ff. StGB)<br />
vergleichbar. Deshalb hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> als erste richterliche Instanz die<br />
Angemessenheit der Dauer von Warnungsentzügen frei zu überprüfen (BGE 121 II<br />
219 E. 2b; RB 1997 Nr. 124).<br />
2.2 Die Dauer <strong>des</strong> Warnungsentzugs richtet sich unter anderem nach der<br />
Schwere <strong>des</strong> Verschuldens <strong>und</strong> dem automobilistischen Leum<strong>und</strong> (Art. 33 Abs. 2<br />
VZV). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das Verschulden <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
äusserst gering wog. Zwar entfernte er sich vom Unfallort, obwohl<br />
er sich bewusst sein musste, dass er frem<strong>des</strong> Eigentum beschädigt hatte. Andererseits<br />
war seine Zurechnungsfähigkeit in diesem Zeitpunkt durch die Hirnerschütterung<br />
stark vermindert. Hinzu kommt, dass er die Hirnerschütterung in keiner
Weise selbst verschuldete (etwa indem er die Treppe hinunter gefallen wäre). – Ist<br />
die Zurechnungsfähigkeit, wie hier, derart stark vermindert, bildet die Unterschreitung<br />
der gesetzlichen Min<strong>des</strong>tentzugsdauer die Regel (BGr, 9. März 2000,<br />
6A.56/1999, E. 3b, www.bger.ch). Ausnahmen von dieser Regel können in besonderen<br />
Fällen gerechtfertigt sein (so etwa wegen eines stark beeinträchtigten automobilistischen<br />
Leum<strong>und</strong>es). Ist die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit jedoch<br />
unverschuldet, bleibt für ein Abweichen von dieser Regel kein Raum. Weshalb<br />
die Beschwerdegegnerin dennoch am gesetzlichen Minimum festhielt, geht aus der<br />
angefochtenen Verfügung nicht hervor. In ihrer Rekursantwort deutete sie an, dass<br />
eine Unterschreitung der gesetzlichen Min<strong>des</strong>tentzugsdauer nur bei vollständiger<br />
Unzurechnungsfähigkeit in Betracht zu ziehen sei. Eine solche Praxis erweist sich<br />
jedoch aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> soeben zitierten Urteils <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts als unangemessen.<br />
Als angemessen erscheint im vorliegenden Fall die Unterschreitung der gesetzlichen<br />
Min<strong>des</strong>tdauer um min<strong>des</strong>tens zwei Wochen. Damit fragt sich, ob die erstinstanzliche<br />
Verfügung entsprechend zu berichtigen ist.<br />
2.3 Besonderen Umständen wie stark verminderter Zurechnungsfähigkeit kann<br />
in der Regel ohne weiteres durch ein Unterschreiten der gesetzlichen Min<strong>des</strong>tentzugsdauer<br />
Rechnung getragen werden (BGr, 9. März 2000, 6A.56/1999, E. 3b,<br />
www.bger.ch). Beträgt die Min<strong>des</strong>tentzugsdauer beispielsweise sechs Monate (Art. 17<br />
Abs. 1 lit. c SVG), kann ein Warnungsentzug von nur vier Monaten verfügt werden<br />
usw. Im vorliegenden Fall beträgt die Min<strong>des</strong>tentzugsdauer in<strong>des</strong>sen lediglich einen<br />
Monat (Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG). Dabei handelt es sich um die tiefste der in Art. 17<br />
Abs. 1 SVG vorgesehenen Grenzen. Damit fragt sich, ob eine Entzugsdauer von<br />
weniger als einem Monat anzuordnen oder ob von einem Führerausweisentzug<br />
gänzlich abzusehen ist. Das B<strong>und</strong>esgericht hat die Frage offen gelassen (BGE 123<br />
II 225, 231). In der kantonalen Rechtsprechung wurde die Zulässigkeit eines<br />
Führerausweisentzugs von nur zwei oder drei Wochen verneint (Obergerichtskommission<br />
<strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Obwalden, 9. April 1999, SJZ 97/2001, S. 524 f.). Auch in der<br />
Literatur wird ein Führerausweisentzug von weniger als einem Monat mehrheitlich<br />
abgelehnt (Schaffhauser, Band III, Rz. 2419; Hans Giger, SVG, Kommentar zu Art. 17<br />
Abs. 1; a.M. dagegen Philippe Weissenberger, Die Zumessung <strong>des</strong> Warnungsentzugs<br />
von Führerausweisen nach der neueren Praxis <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts, SJZ 95/1999,<br />
S. 457, 513, 514). – Ein Warnungsentzug von weniger als einem Monat dürfte wohl<br />
nur in seltenen Fällen die von Art. 30 Abs. 2 VZV bezweckte Besserung <strong>des</strong> Fahrzeugführers<br />
bewirken. Einem einwöchigen Entzug könnte der Betroffene beispielsweise<br />
ohne weiteres mit einem kurzen Ferienaufenthalt «ausweichen». Auch ein<br />
Entzug von nur zwei Wochen dürfte von den meisten Automobilisten kaum als einschneidend<br />
empf<strong>und</strong>en werden. Ein Entzug wird in den meisten Fällen nur dann<br />
das notwendige Gewicht aufweisen, wenn er für einen Monat festgelegt wird. Ob<br />
46<br />
101
46, 47<br />
im vorliegenden Fall dennoch eine kürzere Dauer (von nur einer oder zwei Wochen)<br />
anzuordnen ist, kann in<strong>des</strong>sen offen gelassen werden, da der angefochtene Entscheid<br />
<strong>und</strong> die Entzugsverfügung bereits aus einem anderen Gr<strong>und</strong> [unangemessene<br />
Verfahrensdauer] aufzuheben sind.<br />
102<br />
VB.2004.00089 1. Kammer, 24. März<br />
47. Die Dauer <strong>des</strong> Warnungsentzugs ist zu reduzieren oder auf einen Entzug ist<br />
ganz zu verzichten, wenn zwischen dem massnahmeauslösenden Ereignis<br />
<strong>und</strong> dem Rekursentscheid relativ viel Zeit verstrichen ist, ohne dass der<br />
Fahrzeuglenker dafür verantwortlich ist, <strong>und</strong> wenn er sich in der Zwischenzeit<br />
wohl verhalten hat. Art. 6 Abs. 1 EMRK. Art. 29 Abs. 1 BV. Art. 17 Abs. 1<br />
SVG. Art. 30 Abs. 2, Art. 33 Abs. 2 VZV. § 4a, § 27a Abs. 1 VRG.<br />
3.1 Die Parteien haben im Verfahren vor Gerichts- <strong>und</strong> Verwaltungsinstanzen<br />
Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV; § 4a VRG).<br />
Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist zunächst zu berücksichtigen,<br />
dass mit dem Warnungsentzug eine Besserung <strong>des</strong> Fahrzeugführers bzw.<br />
eine Bekämpfung der Rückfallgefahr erreicht werden soll (Art. 30 Abs. 2 VZV).<br />
Aufgr<strong>und</strong> seines präventiven <strong>und</strong> erzieherischen Charakters muss der Warnungsentzug<br />
gemäss b<strong>und</strong>esgerichtlicher Rechtsprechung mit der Verkehrsregelverletzung<br />
in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang stehen (BGE 120 Ib 504 E.<br />
4b). Ist dieser Zusammenhang nicht mehr gegeben, muss die gesetzliche Min<strong>des</strong>tentzugsdauer<br />
unterschritten (BGE 127 II 297 E. 3b; BGE 120 Ib 504, 510 E. 4e)<br />
oder sogar gänzlich von einer Massnahme abgesehen werden (vgl. den Sachverhalt<br />
in BGE 115 Ia 159, 162). Für eine Reduktion der Entzugsdauer bzw. einen gänzlichen<br />
Verzicht müssen aufgr<strong>und</strong> der zitierten Rechtsprechung folgende Voraussetzungen<br />
erfüllt sein:<br />
– Zwischen dem massnahmeauslösenden Ereignis <strong>und</strong> dem Entscheid der letzten<br />
Instanz ist relativ viel Zeit verstrichen;<br />
– den Beschwerdeführer trifft an dieser langen Verfahrensdauer keine Schuld<br />
(oder positiv ausgedrückt: das Prozessverhalten <strong>des</strong> Beschwerdeführers muss<br />
nachvollziehbar sein; vgl. EGMR, 26. Oktober 1988, Martins Moreira, 11371/85,<br />
§ 49, hudoc.echr.coe.int: «natural and <strong>und</strong>erstandable»);<br />
– der Beschwerdeführer hat sich in der Zwischenzeit wohl verhalten.
Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdeantwort nicht geltend gemacht,<br />
dass es an der letztgenannten Voraussetzung fehlt. Die zweite Voraussetzung<br />
ist ebenfalls erfüllt. Zwar wurde die Länge <strong>des</strong> Strafverfahrens vom Beschwerdeführer<br />
teilweise «mitverursacht» (BGE 127 II 297, 301 E. 3d), indem er den Entscheid<br />
<strong>des</strong> Einzelrichters ans Obergericht weiterzog. Dies darf jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
nicht zum Nachteil <strong>des</strong> Beschwerdeführers berücksichtigt werden (EGMR, 23. April<br />
1987, Poiss, 9816/82, § 57, hudoc.echr.coe.int). Hinzu kommt, dass sein Rechtsmittel<br />
vorliegend begründet war (vgl. den analogen Fall in BGE 120 Ib 504, 506 E. 3):<br />
Der Einzelrichter verurteilte ihn noch wegen einer ganzen Reihe von Strassenverkehrsdelikten<br />
(insbesondere Fahren in angetrunkenem Zustand) zu einer bedingten<br />
Gefängnisstrafe von 10 Tagen. Das Obergericht sprach ihn demgegenüber von<br />
Fahren in angetrunkenem Zustand frei <strong>und</strong> verurteilte ihn nur noch wegen einer<br />
Vereitelung einer Blutprobe zu einer Busse von Fr. 2 000.– (die übrigen Übertretungstatbestände<br />
waren inzwischen verjährt). Gegen dieses Urteil wurde nach Eröffnung<br />
<strong>des</strong> Dispositivs kantonale Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Nach Vorliegen<br />
<strong>des</strong> begründeten Entscheids zog sie der Beschwerdeführer jedoch zurück.<br />
Das Verhalten <strong>des</strong> Beschwerdeführers im Strafverfahren ist damit ohne weiteres<br />
nachvollziehbar. Er ist auch für die Dauer <strong>des</strong> übrigen Verfahrens nicht verantwortlich.<br />
So war der Beschwerdeführer insbesondere nicht gehalten, das<br />
Administrativverfahren durch eigene Handlungen – gleichsam «gegen sich selbst»<br />
(BGE 127 II 297, 301 E. 3d) – voranzutreiben. Damit ist im Folgenden zu prüfen,<br />
ob die Voraussetzung der überlangen Verfahrensdauer erfüllt ist.<br />
3.2 Zwischen dem massnahmeauslösenden Ereignis (29. November 1998)<br />
<strong>und</strong> dem angefochtenen Entscheid (21. Januar 2004) liegen knapp 5 Jahre <strong>und</strong> 2<br />
Monate. Ob diese Verfahrensdauer als überlang zu gelten hat, bemisst sich zunächst<br />
aufgr<strong>und</strong> der anwendbaren Verfahrensordnung. Enthält diese eine Behandlungsfrist,<br />
ist in erster Linie darauf abzustellen (vgl. etwa BGE 108 Ia 165 E. 2b). Bestehen<br />
keine gesetzlichen Behandlungsfristen, sind die konkreten Umstände <strong>des</strong><br />
Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. BGE 127 II 297, 300 E. 3d). Da der Warnungsentzug<br />
eine strafrechtliche Anklage im Sinn von Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt<br />
(BGE 121 II 22 E. 3b), sind für die Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer<br />
die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entwickelten<br />
Kriterien zu berücksichtigen: Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer,<br />
Komplexität <strong>des</strong> Falls, Verhalten <strong>des</strong> Beschwerdeführers sowie Behandlung<br />
<strong>des</strong> Falls durch die Behörden (EGMR, 28. Juni 1978, König, 6232/73, § 99,<br />
hudoc.echr.coe.int; Übersicht bei Villiger, Rz. 459 ff.). Dabei ist zunächst (E. 3.3)<br />
die Dauer der einzelnen Verfahrensabschnitte <strong>und</strong> anschliessend (E. 3.4) die Dauer<br />
<strong>des</strong> Verfahrens als Ganzes zu beurteilen:<br />
47<br />
103
47<br />
3.3 Vom Selbstunfall bis zur Anklageerhebung vergingen etwas mehr als 11<br />
Monate; zwischen Anklagerhebung <strong>und</strong> Fällung <strong>des</strong> Urteils durch das Obergericht<br />
verstrichen 1 Jahr <strong>und</strong> 5 Monate. Im Strafverfahren mussten zahlreiche Festteilnehmer<br />
als Zeugen einvernommen <strong>und</strong> ein neurologisches Gutachten eingeholt werden.<br />
Das Strafverfahren wurde von den Ermittlungs- <strong>und</strong> den gerichtlichen Behörden<br />
mit der notwendigen Beförderlichkeit vorangetrieben. Es erweist sich damit<br />
nicht als übermässig lang. Dass das Administrativverfahren so lange sistiert bleiben<br />
musste, ist nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts in Kauf zu nehmen, da das<br />
Strafverfahren dank der umfassenden Verteidigungsrechte <strong>und</strong> den spezialisierten<br />
Ermittlungsorganen zu zuverlässigen Ergebnissen führt (BGE 119 Ib 158,162 E. 2c/cc).<br />
Das Strassenverkehrsamt erhielt am 30. Juli 2001 vom Rückzug der Nichtigkeitsbeschwerde<br />
gegen das Urteil <strong>des</strong> Obergerichts Kenntnis. Bis zur Zustellung<br />
der Entzugsverfügung vergingen drei Monate. Auch diese Dauer erweist sich nicht<br />
übermässig lang, da dem Beschwerdeführer nach Abschluss <strong>des</strong> Strafverfahrens zunächst<br />
das rechtliche Gehör eingeräumt werden musste.<br />
Vom Abschluss <strong>des</strong> Schriftenwechsels (Rekursvernehmlassung vom 7. Dezember<br />
2001) bis zum Entscheid <strong>des</strong> Regierungsrats vergingen etwas mehr als 2<br />
Jahre <strong>und</strong> 1 Monat. Diese Dauer ist zunächst an der Behandlungsfrist in der anwendbaren<br />
Verfahrensordnung (§ 27a Abs. 1 VRG) zu messen. Danach entscheiden<br />
Rekursinstanzen innert 60 Tagen seit Abschluss der Sachverhaltsermittlungen. Im<br />
vorliegenden Fall hatte der Regierungsrat vollumfänglich auf die eingehende<br />
Ermittlung <strong>des</strong> Sachverhalts durch Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> Strafgerichte<br />
abzustellen. Eigene Sachverhaltsermittlungen waren aufgr<strong>und</strong> der Rechtsprechung<br />
(BGE 119 Ib 158 E. 3c/aa) klarerweise nicht mehr erforderlich. Bei der Frist in<br />
§ 27a Abs. 1 VRG handelt es sich zwar um eine Ordnungs- <strong>und</strong> nicht um eine Verwirkungsfrist<br />
(Kölz/Bosshart/Röhl, § 27a N. 10). Gerade in komplizierteren Verfahren<br />
wird sich die Frist in aller Regel als zu kurz erweisen, weshalb der Rekursbehörde<br />
denn auch die Möglichkeit eingeräumt wird, den Parteien die Nichteinhaltung<br />
der Frist anzuzeigen (§ 27a Abs. 2 VRG). Die Frist ist jedoch als eines der<br />
hauptsächlichen Kriterien zu berücksichtigen, wenn es um die Bestimmung der<br />
angemessenen Verfahrensdauer im Sinn von Art. 29 Abs. 1 BV <strong>und</strong> Art. 6 Abs. 1<br />
EMRK geht. Deshalb ist zunächst festzuhalten, dass die Behandlungsfrist vorliegend<br />
um mehr als das 12fache überschritten wurde.<br />
Für die Beurteilung der Verfahrensdauer ist weiter die Bedeutung der Sache<br />
für den Beschwerdeführer zu berücksichtigen. Der Führerausweisentzug wurde für<br />
eine vergleichsweise kurze Dauer angeordnet. Diese Massnahme tangiert zwar die<br />
104
persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), bedeutet jedoch etwa im Vergleich zu<br />
einer Haftstrafe oder einem Berufsverbot einen eher leichten Eingriff. Allein aufgr<strong>und</strong><br />
dieses Kriteriums wäre eine zweijährige Verfahrensdauer an sich noch nicht<br />
zu beanstanden. Als weiteres Kriterium ist in<strong>des</strong>sen die Komplexität <strong>des</strong> Falls zu<br />
berücksichtigen. Hier fällt auf, dass der Regierungsrat nicht nur in Bezug auf den<br />
Sachverhalt, sondern auch in Bezug auf die rechtliche Würdigung auf das Urteil<br />
<strong>des</strong> Obergerichts abzustellen hatte (BGE 119 Ib 158 E. 3c). Hinsichtlich <strong>des</strong><br />
Tatbestands der Vereitelung der Blutprobe konnte der Regierungsrat ohne weiteres<br />
von der strafrechtlichen (Art. 91 Abs. 3 SVG) auf die verwaltungsrechtliche Qualifikation<br />
(Art. 16 Abs. 3 lit. g SVG) schliessen. Der Regierungsrat hätte sich somit<br />
nur noch mit den Rügen der rechtsungleichen Behandlung <strong>und</strong> der Unverhältnismässigkeit<br />
der angeordneten Massnahme auseinander setzen müssen (was er dann<br />
allerdings unterliess; […]). Der Fall erwies sich damit nach Abschluss <strong>des</strong> Strafverfahrens<br />
weder in Bezug auf Sachverhalt noch rechtliche Beurteilung als sonderlich<br />
komplex. Die Verfahrensdauer steht daher in einem Missverhältnis zur Komplexität<br />
<strong>des</strong> Falls. Weiter hatte der Beschwerdeführer, wie bereits erwähnt (E. 3.1), an der<br />
Verfahrensdauer keinerlei Verschulden. Als Letztes ist schliesslich die Behandlung<br />
<strong>des</strong> Falls durch die Rekursinstanz zu berücksichtigen. Hier fällt in Betracht, dass für<br />
die Zeit zwischen Abschluss <strong>des</strong> Schriftenwechsels <strong>und</strong> Entscheid der Vorinstanz<br />
aus den Akten keinerlei Verfahrenshandlungen hervorgehen. Unter Berücksichtigung<br />
der genannten Kriterien erweist sich die Dauer <strong>des</strong> Rekursverfahrens als zu<br />
lang.<br />
3.4 Betrachtet man das Verfahren in seiner Gesamtheit, ist eine Verletzung <strong>des</strong><br />
Beschleunigungsgebots festzustellen. Die Sistierung <strong>des</strong> Administrativverfahrens<br />
bis zum Abschluss <strong>des</strong> Strafverfahrens dient der sorgfältigen – <strong>und</strong> in aller Regel<br />
für die Entzugsbehörde verbindlichen – Abklärung <strong>des</strong> Sachverhalts durch die<br />
Strafbehörden. Steht das Resultat jedoch erst einmal fest, haben Verwaltungsbehörde<br />
<strong>und</strong> Rechtsmittelinstanzen das Administrativverfahren mit der notwendigen<br />
Beförderlichkeit zu erledigen (vgl. BGE 127 II 297, 301 E. 3d; vgl. auch BGE 120<br />
Ib 504 E. 5: Dauer von insgesamt fünfeinhalb Jahren; zwei Entscheide <strong>des</strong> kantonalen<br />
Rekursgerichts wurden jeweils vom B<strong>und</strong>esgericht aufgehoben). Anderenfalls<br />
führt der Dualismus von Straf- <strong>und</strong> Entzugsverfahren zu einer überlangen<br />
Verfahrensdauer (vgl. Andreas Kley, Die Anwendung der Garantien <strong>des</strong> Art. 6<br />
EMRK auf Verfahren betreffend den Führerausweisentzug, in: René Schaffhauser<br />
[Hrsg.], Aktuelle Fragen <strong>des</strong> Straf- <strong>und</strong> Administrativmassnahmenrechts im Strassenverkehr,<br />
St. Gallen 1995, S. 99, 122). Die Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung<br />
wurde im vorliegenden Fall durch die Vorinstanz verletzt. Damit sind alle von der<br />
b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen (E. 3.1) für<br />
eine Unterschreitung der Min<strong>des</strong>tdauer oder gar einen gänzlichen Verzicht auf den<br />
47<br />
105
47, 48<br />
Ausweisentzug erfüllt. Damit ist im Folgenden zu prüfen, welche der beiden Möglichkeiten<br />
zu wählen ist.<br />
3.5 Ob ein Ausweisentzug von nur ein bis drei Wochen überhaupt zulässig ist,<br />
kann offen gelassen werden. Entscheidend ist vorliegend, dass seit dem Selbstunfall<br />
über 5 Jahre verstrichen sind. Der Warnungsentzug könnte hier seinen Zweck nicht<br />
mehr erreichen: Der Beschwerdeführer würde den Ausweisentzug unabhängig von<br />
<strong>des</strong>sen Dauer kaum mehr mit der Vereitelung der Blutprobe in Verbindung bringen.<br />
Von einem Ausweisentzug ist <strong>des</strong>halb gänzlich abzusehen. Aus denselben Gründen<br />
ist auch auf die Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin zu verzichten,<br />
damit diese eine Verwarnung gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG ausspricht. Eine<br />
solche Rückweisung würde sich etwa dann aufdrängen, wenn von einem Entzug<br />
aus besonderen Gründen (z.B. analog Anwendung von Art. 66bis Abs. 1 StGB, besondere<br />
Massnahmeempfindlichkeit) abzusehen wäre. Hier würde jedoch auch<br />
eine Verwarnung angesichts der überlangen Verfahrensdauer nicht mehr mit dem<br />
Unfallereignis in Verbindung gebracht <strong>und</strong> folglich nicht mehr zur erwünschten<br />
Besserung <strong>des</strong> Beschwerdeführers beitragen.<br />
106<br />
VB.2004.00089 1. Kammer, 24. März<br />
VIII. Ges<strong>und</strong>heit<br />
48. Das Verbot <strong>des</strong> Hinweises auf therapeutische Eigenschaften gilt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
für alle Kosmetikprodukte. Art. 3 GebrV.<br />
3. Die Beschwerdeführerin anerkennt gr<strong>und</strong>sätzlich zu Recht die Anwendbarkeit<br />
von Art. 3 Abs. 2 GebrV. Das B<strong>und</strong>esgericht hat das in der Lebensmittelgesetzgebung<br />
enthaltene Verbot der Heilanpreisung für Lebensmittel <strong>und</strong> Gebrauchsgegenstände<br />
in der Vergangenheit bereits mehrfach für zulässig erklärt (BGE 127 II<br />
91 E. 3 betreffend Kuh-Lovely-Werbung; BGr, 23. Juni 2000, ZBl 103/2002, S. 30,<br />
E. 2 betreffend Schlank-Crème; BGr, 19. Juni 2002, sic!/Zeitschrift für Immaterialgüter-,<br />
Informations- <strong>und</strong> Wettbewerbsrecht 8/2002, S. 615 betreffend Schlechtwetter<br />
Bad <strong>und</strong> Muskel Vital Bad).<br />
Auch scheint die Beschwerdeführerin zu anerkennen, dass mit der Bezeichnung<br />
«Aroma Therapy» dem reinen Wortsinn nach auf eine krankheitsheilende
Wirkung <strong>des</strong> Produkts verwiesen wird. Zu Recht erachtet sie es offenbar auch selber<br />
nicht als entscheidend, dass dieser Hinweis ohne konkreten Bezug zu einer<br />
bestimmten Krankheit erfolgt. Nach den zutreffenden Ausführungen der Ges<strong>und</strong>heitsdirektion<br />
wird der Begriff Therapie im Allgemeinen als Kranken- <strong>und</strong> Heilbehandlung<br />
verstanden, <strong>und</strong> soll die Aromatherapie im Besonderen dank dem Einsatz<br />
ätherischer Öle heilende Wirkung versprechen. Die von der Vorinstanz hierzu angerufenen<br />
Internetseiten sprechen sogar ausdrücklich von bestimmten Krankheitszuständen<br />
wie Angstzuständen, psychosomatischen Erkrankungen wie Krämpfen,<br />
Verstopfung, Durchfall, Asthma (www.sro.ch/a/fk/Aromat_823.asp), Erkältung,<br />
Wechseljahrbeschwerden <strong>und</strong> nervösen Magen-Darm-Beschwerden (www.hotsport.ch/sportlexikon.ch<br />
unter Therapien/Aromatherapie). Die Aromatherapie wird<br />
denn auch teilweise in öffentlichen Spitälern praktiziert, worauf bereits das<br />
Kantonale Labor hingewiesen hat. So bietet etwa das Universitätsspital entsprechende<br />
Kurse für die Pflegefachleute an <strong>und</strong> setzt die Aromatherapie zur Linderung<br />
von Tumorschmerzen ein.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> überzeugt der Einwand der Beschwerdeführerin hinsichtlich<br />
der Bedeutung der Aromatherapie im Verständnis <strong>des</strong> Durchschnittskonsumenten<br />
nicht. Es spielt gr<strong>und</strong>sätzlich keine Rolle, welcher Stellenwert der Aromatherapie<br />
als Therapiemethode der Naturheilk<strong>und</strong>e im gesamten Bereich medizinischer<br />
Therapien zukommt. Auch kommt es nicht darauf an, dass der Begriff<br />
Aromatherapie nur im Zusammenhang mit einem Duschgel verwendet wird. Das<br />
Verbot <strong>des</strong> Hinweises auf therapeutische Eigenschaften gilt gr<strong>und</strong>sätzlich für alle<br />
Kosmetikprodukte. Von solchen Produkten wird sich der Durchschnittskonsument<br />
zwar dank deren spezifischen äusserlichen Anwendung <strong>und</strong> angesichts <strong>des</strong> in Art.<br />
21 Abs. 2 GebrV enthaltenen Verbots, innere Wirkung zu entfalten, generell keinen<br />
allzu grossen medizinisch-therapeutischen Nutzen versprechen. Zu Recht hat die<br />
Ges<strong>und</strong>heitsdirektion aber in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die<br />
Bezeichnung kosmetischer Produkte mit einem Begriff wie «Therapie» zu einer<br />
Verwässerung der Grenze zwischen Kosmetika <strong>und</strong> Arzneimittel führe. Da auch<br />
Arzneimittel in Formen angeboten werden, die rein äusserlich auf der Haut angewendet<br />
oder – wie die ätherischen Öle der Aromatherapie – inhaliert werden, müssen<br />
mögliche Verwechslungen zwischen Arzneimitteln <strong>und</strong> kosmetischen Produkten<br />
durch eine klare Abgrenzung vermieden werden.<br />
VB.2004.00346 3. Kammer, 11. November<br />
48<br />
107
49<br />
108<br />
IX. Fürsorge<br />
49. Auf nur vorübergehend unterstützte Personen (während bis zu drei Monaten)<br />
können die SKOS-Richtlinien lediglich sinngemäss <strong>und</strong> entsprechend<br />
der individuellen Situation angewendet werden. Angesichts <strong>des</strong>sen, dass<br />
dem Sozialhilfebezüger seitens der Arbeitslosenversicherung wegen selbstverschuldeter<br />
Arbeitslosigkeit der Anspruch auf Taggelder gekürzt wird,<br />
besteht ein sachlicher, legitimer Gr<strong>und</strong>, kurzfristige, als Überbrückung zu<br />
leistende Sozialhilfe auf ein Minimum zu begrenzen. Die Streichung <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>bedarfs II erweist sich somit als zulässig. § 15 SHG. § 17 SHV.<br />
3.1 Die Praxis <strong>und</strong> weit gehend auch die Lehre unterscheiden zwischen dem<br />
absoluten <strong>und</strong> dem sozialen Existenzminimum. Diese Unterscheidung findet sich<br />
insbesondere in den SKOS-Richtlinien (Ziff. A.1 <strong>und</strong> A.6). Dort wird als absolutes<br />
Existenzminimum das zum Überleben absolut notwendige Minimum (Ernährung,<br />
Kleidung, Obdach <strong>und</strong> medizinische Gr<strong>und</strong>versorgung) bezeichnet, während das<br />
soziale Existenzminimum nicht nur die Existenz <strong>und</strong> das Überleben der Bedürftigen,<br />
sondern auch ihre Teilhabe am Sozial- <strong>und</strong> Arbeitsleben umfasst. Sozialhilfe<br />
bezweckt die Gewährleistung <strong>des</strong> sozialen Existenzminimums. […]<br />
3.3 Die SKOS-Richtlinien gelten gemäss ihrer Einleitung für alle längerfristig<br />
unterstützten Personen. Auf nur vorübergehend unterstützte Personen können sie lediglich<br />
sinngemäss <strong>und</strong> entsprechend der individuellen Situation angewendet werden.<br />
Zur Berechnung <strong>des</strong> Unterstützungsbudgets bei kurzfristigen Unterstützungen<br />
mit Überbrückungscharakter (während bis zu drei Monaten) <strong>und</strong> einer realistischen<br />
Chance für Wiederherstellung der materiellen Unabhängigkeit wird ausgeführt,<br />
hier könne das soziale Existenzminimum sowohl unterschritten als auch überschritten<br />
werden, wobei das absolute Existenzminimum in jedem Fall gewährleistet sein<br />
müsse (SKOS-Richtlinien, Ziff. A.6). […]<br />
4. Vorliegend steht keine Kürzung von Leistungen im Sinn von § 24 SHG zur<br />
Diskussion. Die Frage ist vielmehr, ob sich die Verfügung der Sozialhilfebehörde<br />
auf § 15 Abs. 1 SHG <strong>und</strong> § 17 SHV stützen lässt. Das ist zu bejahen. Wie zuvor<br />
ausgeführt, lassen die SKOS-Richtlinien bei kurzfristigen Unterstützungen Unterschreitungen<br />
<strong>des</strong> sozialen Existenzminimums zu. Es darf angenommen werden,<br />
dass die SKOS-Richtlinien konkretisieren, was die «üblichen Aufwendungen für<br />
den Lebensunterhalt» im Sinn von § 15 Abs. 1 SHG umfassen. Zudem ist von Bedeutung,<br />
dass gemäss dieser Bestimmung individuelle Bedürfnisse angemessen<br />
berücksichtigt werden sollen.
49, 50<br />
Ein erklärtes Ziel der Sozialhilfe besteht darin, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten<br />
<strong>und</strong> die berufliche Integration zu fördern. Dieses Ziel steht im Zusammenhang mit<br />
dem Gr<strong>und</strong>satz der Subsidiarität, nach welchem Sozialhilfe nur so weit zu leisten<br />
ist, als die Hilfe suchende Person die Notlage nicht aus eigenen Kräften abwenden<br />
oder beheben kann (SKOS-Richtlinien, Ziff. A.1 <strong>und</strong> A.4.1; Wolffers, S. 71 f.). Die<br />
Sanktionen der Arbeitslosenversicherung sollen dazu beitragen, dass Versicherte<br />
sich ernsthaft bemühen, eine Anstellung zu finden oder zu behalten. Dieser wirtschaftliche<br />
Anreiz stellt einen bedeutsamen Beitrag zur Förderung der Selbsthilfe<br />
<strong>und</strong> zur wirtschaftlichen Integration dar. Es erscheint gr<strong>und</strong>sätzlich geboten, dafür<br />
zu sorgen, dass Sozialhilfe derartige Anreize nicht unterläuft. Wenn wie vorliegend<br />
die Einstellung von Taggeldern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu<br />
erwarten ist, <strong>und</strong> erst recht, wenn sie bereits verfügt ist, so besteht ein sachlicher,<br />
legitimer Gr<strong>und</strong>, kurzfristige, als Überbrückung zu leistende Sozialhilfe auf ein<br />
Minimum zu begrenzen, sofern nicht konkrete Umstände dagegen sprechen.<br />
Solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere hat der<br />
Beschwerdegegner keine Unterhaltspflichten gegenüber Dritten zu erfüllen. Die<br />
Einschränkungen, die sich hinsichtlich der Teilhabe am sozialen Leben ergeben<br />
mögen, wenn ihm der Gr<strong>und</strong>bedarf II vorübergehend abhanden kommt, sind angesichts<br />
der beschränkten Dauer dieser Einschränkung von höchstens drei Monaten,<br />
aber auch <strong>des</strong> Zwecks, der den entsprechenden Sanktionen der Arbeitslosenversicherung<br />
zukommt, ohne weiteres verhältnismässig. Schliesslich teilt das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
die Auffassung der Arbeitslosenversicherung <strong>und</strong> der Beschwerdeführerin,<br />
dass es dem Beschwerdegegner zumutbar gewesen wäre, sich an seiner<br />
Arbeitsstelle um eine interne Versetzung zu bemühen, statt die Stelle zu kündigen.<br />
VB.2004.00250 3. Kammer, 22. Oktober<br />
50. Einer Sozialhilfebezügerin, der die Hilfe mangels Mitwirkung bei der Abklärung<br />
<strong>des</strong> massgebenden Sachverhalts bzw. mangels Nachweises der<br />
Bedürftigkeit zulässigerweise entzogen worden ist <strong>und</strong> die erst im Rechtsmittelverfahren<br />
die fehlenden Unterlagen nachreicht, steht kein Anspruch<br />
zu, dass die Sozialhilfe nahtlos – rückwirkend auf den Zeitraum der verfügten<br />
Einstellung – wieder aufgenommen wird. § 18 SHG.<br />
VB.2004.00412 ER 3. Abteilung, 2. Dezember<br />
109
51, 52<br />
51. Wer Vermögenswerte verschweigt <strong>und</strong> damit unter unwahren oder unvollständigen<br />
Angaben wirtschaftliche Hilfe erwirkt hat, kann sich gegenüber<br />
der Rückerstattungsforderung der Gemeinde nicht darauf berufen, dass die<br />
Realisierung der Vermögenswerte nicht möglich oder nicht zumutbar sei.<br />
§ 20, § 26 SHG.<br />
110<br />
VB.2004.00033 3. Kammer, 18. März<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid am 21. Mai 2004<br />
abgewiesen (BGr, 21. Mai 2004, 2P.120/2004, www.bger.ch).<br />
52. Die Weisung an einen Sozialhilfebezüger, eine zumutbare Erwerbsarbeit<br />
anzunehmen, ist auch dann zulässig, wenn dieser ein zurzeit noch hängiges<br />
Gesuch um Ausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung gestellt hat.<br />
§ 21 SHG.<br />
3.3.2 Soweit der Beschwerdeführer geltend machen will, allein die<br />
Verpflichtung, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen, würde das Gesuch um<br />
Ausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung als hinfällig erscheinen lassen,<br />
ist ihm ebenfalls nicht zu folgen. Weder das B<strong>und</strong>esgesetz über die Invalidenversicherung<br />
noch die Verordnung über die Invalidenversicherung sehen den Verlust<br />
<strong>des</strong> Rentenanspruchs vor, wenn ein Versicherter während seines hängigen Gesuchs<br />
um Ausrichtung einer IV-Rente sich vermitteln lässt oder erwerbstätig ist. Vielmehr<br />
richtet sich der Anspruch auf eine Invalidenrente nach dem Grad der festgestellten<br />
Invalidität (Art. 28 IVG) <strong>und</strong> nicht nach dem geleisteten Arbeitspensum. Vom Beschwerdeführer<br />
wird mit der beanstandeten Anordnung der Beschwerdegegnerin<br />
denn auch in keiner Weise verlangt, mittels seiner Bemühungen um eine Erwerbsarbeit<br />
zu beweisen, dass er einer IV-Rente nicht bedürfte. Auch Dr. D erachtete<br />
überdies eine Erwerbstätigkeit <strong>des</strong> Beschwerdeführers trotz Anmeldung bei der IV<br />
nicht als ausgeschlossen. Der Entscheid über das Ausmass einer möglichen Erwerbsunfähigkeit<br />
<strong>und</strong> daraus abgeleitet den Grad der Invalidität bleibt damit entgegen<br />
der Ansicht <strong>des</strong> Beschwerdeführers den dafür zuständigen Instanzen vorbehalten<br />
<strong>und</strong> wird vom angefochtenen Beschluss nicht tangiert. Entsprechend braucht<br />
das Verfahren auch nicht bis zum Abschluss <strong>des</strong> invalidenrechtlichen Verfahrens<br />
sistiert zu werden, noch sind die Akten jenes Verfahrens beizuziehen.<br />
VB.2004.00125 3. Kammer, 10. Juni
53. Voraussetzungen, unter denen Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung<br />
der Sozialhilfebezügerin bei der Abklärung der Bedürftigkeit oder wegen<br />
Missachtung einer Weisung gänzlich eingestellt werden dürfen. § 21, § 24 SHG.<br />
3.1 […] Die «Anordnungen», deren Missachtung gemäss § 24 SHG zu einer<br />
Leistungskürzung führen können, knüpfen, wie die in dieser Bestimmung nicht<br />
abschliessend genannten Anwendungsfälle zeigen, an zwei verschiedene Aspekte<br />
der den Sozialhilfeempfänger treffenden Mitwirkungspflicht an. Zum einen hat er<br />
über seine Verhältnisse Auskunft zu erteilen, soweit dies für die Beurteilung seiner<br />
Hilfebedürftigkeit – ob überhaupt ein Anspruch bestehe <strong>und</strong> wie die Hilfe zu<br />
bemessen sei – erforderlich <strong>und</strong> zweckmässig ist (vgl. § 18 SHG <strong>und</strong> § 28 SHV).<br />
Diese Pflicht zur Mitwirkung bei der Abklärung <strong>des</strong> Sachverhalts trifft den Hilfesuchenden<br />
nicht nur bei der Einreichung eines Unterstützungsgesuchs, sondern<br />
auch während der Dauer der Unterstützung. Denn bei der Gewährung von wirtschaftlicher<br />
Hilfe handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der einen Dauersachverhalt<br />
betrifft; die Hilfeleistung steht daher unter dem Vorbehalt sich ändernder<br />
Verhältnisse; der Hilfebezüger ist verpflichtet, solche Änderungen von sich aus zu<br />
melden (§ 28 SHV), <strong>und</strong> ebenso hat die Behörde alle hängigen Hilfefälle von Amts<br />
wegen min<strong>des</strong>tens einmal jährlich zu überprüfen. Eine Mitwirkungspflicht trifft<br />
den Hilfeempfänger sodann im Hinblick auf das Ziel der Sozialhilfe, das soziale<br />
Existenzminimum (<strong>und</strong> nur dieses) zu gewährleisten sowie die Wiederintegration<br />
in den Arbeitsmarkt <strong>und</strong> damit die Loslösung von dieser Hilfe zu erreichen. Zu diesem<br />
Zweck kann gemäss § 21 SHG die wirtschaftliche Hilfe mit Auflagen <strong>und</strong> Weisungen<br />
verb<strong>und</strong>en werden, die sich auf die richtige Verwendung der Beiträge beziehen<br />
oder geeignet sind, die Lage <strong>des</strong> Hilfeempfängers zu verbessern (vgl. § 23 SHV,<br />
welcher § 21 SHG konkretisiert). Während derartige auf ein bestimmtes Verhalten<br />
<strong>des</strong> Hilfeempfängers abzielende Auflagen direkt mit Rekurs anfechtbar sind, trifft<br />
dies auf Auflagen zur Abklärung der Hilfebedürftigkeit in der Regel nicht zu (vgl.<br />
RB 1998 Nr. 34 <strong>und</strong> Nr. 35).<br />
3.2 Aus § 24 SHG <strong>und</strong> § 24 SHV kann nicht abgeleitet werden, die wirtschaftliche<br />
Hilfe dürfe bei der Missachtung von Anordnungen lediglich gekürzt,<br />
das heisst unter keinen Umständen vollständig eingestellt werden. Geht es um die<br />
Missachtung von Anordnungen, die geeignet sind, die Lage <strong>des</strong> Hilfeempfängers zu<br />
verbessern, ist eine vollständige Einstellung der Leistungen allenfalls zulässig,<br />
wenn sich der Hilfeempfänger beharrlich weigert, eine ihm zumutbare Arbeitsstelle<br />
zu suchen <strong>und</strong> anzutreten; diesfalls rechtfertigt sich der Schluss, es liege keine<br />
Notlage im Sinn von § 14 SHG, jedenfalls keine Notlage im Sinn von Art. 12 BV,<br />
vor; denn zur Annahme einer solchen Notlage, die den verfassungsrechtlichen<br />
53<br />
111
53, 54, 55<br />
Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe auslöst, genügt es nicht, dass die betroffene Person<br />
in Not gerät; der verfassungsrechtliche Anspruch auf Nothilfe setzt zusätzlich<br />
voraus, dass sie nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen (vgl. BGr, 4. März 2003,<br />
2P.147/2002, E. 3.2, www.vgrzh.ch). Geht es um die Missachtung von Anordnungen,<br />
die auf die Abklärung der für die Gewährung <strong>und</strong> Bemessung von Sozialhilfe<br />
massgebenden Verhältnisse abzielen (also prozessrechtlich um so genannte verfahrensleitende<br />
Anordnungen zur Klärung <strong>des</strong> anspruchbegründenden Sachverhalts),<br />
kann sich die Verweigerung oder die Einstellung von Sozialhilfe allenfalls dann<br />
rechtfertigen, wenn wegen der Missachtung der verfahrensleitenden Anordnung bestehende<br />
erhebliche Zweifel an der Bedürftigkeit nicht beseitigt werden können<br />
(SKOS-Richtlinien, Ziff. A.8.4; Sozialhilfe-Behördenhandbuch, hrsg. von der Abteilung<br />
Öffentliche Fürsorge <strong>des</strong> Sozialamts <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich, Zürich 1994,<br />
Fassung vom Januar 2004, Ziff. 2.1.3 S. 3; VGr, 10. Juli 2003, VB.2003.00049, E. 4c).<br />
Wenn Sozialhilfeleistungen unter den dargelegten engen Voraussetzungen nicht nur<br />
gekürzt, sondern gänzlich eingestellt werden, erweist sich dies – namentlich bei<br />
Missachtung von der Abklärung der Verhältnisse dienenden Auflagen – auch insofern<br />
als verfassungsrechtlich unbedenklich, als es die betroffene Person unter solchen<br />
Umständen in der Hand hat, die Wiederaufnahme der Sozialhilfe durch ein<br />
kooperatives Verhalten herbeizuführen. In diesem Sinn ist denn auch im vorliegenden<br />
Fall die am 16. Dezember 2003 «mangels Nachweis der wirtschaftlichen Notlage»<br />
verfügte Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe per 31. Dezember 2003 mit<br />
der weiteren Anordnung verb<strong>und</strong>en worden, auf ein neues Unterstützungsgesuch<br />
werde (erst) wieder eingetreten, wenn die Beschwerdeführerin näher bezeichnete<br />
Unterlagen vorlege.<br />
112<br />
VB.2004.00412 ER 3. Abteilung, 2. Dezember<br />
54. Eine Weisung an einen Sozialhilfebezüger, sich an einem Beschäftigungsprogramm<br />
zu beteiligen, ist zulässig, wenn es sich dabei um eine zumutbare<br />
Arbeit handelt. § 21 SHG.<br />
VB.2004.00333 ER 3. Abteilung, 6. Dezember<br />
55. Die Sozialbehörde darf die Übernahme der Kosten einer zahnärztlichen Behandlung<br />
nicht einzig <strong>des</strong>wegen ablehnen, weil der Sozialhilfebezüger keinen<br />
Kostenvoranschlag eingereicht hat. Vielmehr muss untersucht werden,
ob die Sozialbehörde die Kosten der zahnärztlichen Behandlung übernommen<br />
hätte, wenn der Sozialhilfebezüger sein Gesuch rechtzeitig eingereicht<br />
hätte. § 19 SHV.<br />
VB.2004.00019 ER 3. Abteilung, 5. März<br />
X. Gebäudeversicherung<br />
55, 56<br />
56. Die Rekurskommission der Gebäudeversicherung ist kein unabhängiges<br />
Gericht. Art. 6 Abs. 1 EMRK. Art. 30 Abs. 1 BV. § 75 Abs. 4 GebäudeversG.<br />
Zwar wird in § 75 Abs. 4 GebäudeversG der Rekurskommission Unabhängigkeit<br />
in der Rechtsprechung garantiert. Doch werden das juristische Sekretariat <strong>und</strong><br />
die Kanzlei der Kommission von der Direktion der Justiz <strong>und</strong> <strong>des</strong> Innern bestellt,<br />
bei der sich auch der Sitz der Rekurskommission befindet. Die Direktion übt<br />
zudem die administrative Aufsicht über die Rekurskommission aus (§ 1 Abs. 3 <strong>und</strong><br />
§ 2 der Verordnung über die Rekurskommission der Gebäudeversicherung vom<br />
1. März 2000). Angesichts dieser Verflechtung mit der zuständigen Direktion ist die<br />
Rekurskommission der Gebäudeversicherung kein unabhängiges Gericht im Sinn<br />
von Art. 30 Abs. 1 BV <strong>und</strong> Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. auch BGr, 3. November 2003,<br />
2P.252/2003, E. 3.4.1, www.bger.ch, zur ähnlich organisierten Rekurskommission<br />
der Universität; BGE 123 I 87 E. 4a).<br />
VB.2003.00434 4. Kammer, 25. Februar<br />
113
57<br />
114<br />
C. <strong>Raumplanungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Baurecht</strong><br />
I. Nutzungsplanungen<br />
57. Wird die Festsetzung eines Nutzungsplans nicht genehmigt <strong>und</strong> diese Nichtgenehmigung<br />
nicht angefochten, so fehlt es im Rechtsmittelverfahren gegen<br />
die Festsetzung an einem Anfechtungsobjekt. Dieses Rechtsmittelverfahren<br />
ist <strong>des</strong>halb infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben. § 43 Abs. 1 lit. d<br />
VRG. § 89, § 329 Abs. 4 PBG.<br />
2.1 Aus § 329 Abs. 4 PBG ergibt sich, dass in Fällen, in denen eine kommunale<br />
Zonenplanfestsetzung angefochten wird, der Genehmigungsentscheid der<br />
Baudirektion bzw. <strong>des</strong> Regierungsrats erst nach Vorliegen <strong>des</strong> Rekursentscheids der<br />
Baurekurskommission zu treffen ist. Wird der Rekursentscheid an das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
weiter gezogen, hat dieses den Genehmigungsentscheid der Baudirektion<br />
bzw. <strong>des</strong> Regierungsrats einzuholen <strong>und</strong> dementsprechend auch die erforderliche<br />
Koordination zwischen dem Rechtsmittelverfahren über die Nutzungsplanung <strong>und</strong><br />
dem genehmigungsrechtlichen Entscheid sicherzustellen (zur Rechtsbeständigkeit<br />
von § 329 Abs. 4 PBG vgl. BGr, 22. November 2000, ZBl 102/2001, S. 383; damit<br />
ist die frühere Praxis <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s, die von der B<strong>und</strong>esrechtswidrigkeit<br />
der genannten Vorschrift ausging <strong>und</strong> eine entsprechende Koordination bereits im<br />
Rekursverfahren vor Baurekurskommission für erforderlich hielt, hinfällig geworden;<br />
zu dieser früheren Praxis vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, § 19 N. 38 <strong>und</strong> 106).<br />
Gemäss § 43 Abs. 1 lit. d VRG ist die Beschwerde gegen Entscheide betreffend<br />
die Genehmigung von Erlassen gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen, jedoch (im Sinn<br />
einer Gegenausnahme) gegen Nichtgenehmigungen auf dem Gebiet <strong>des</strong> <strong>Raumplanungs</strong>-,<br />
Bau- <strong>und</strong> Strassenrechts zulässig. Demnach ist bei genehmigungsrechtlichen<br />
Entscheiden der Baudirektion bzw. <strong>des</strong> Regierungsrats betreffend Bau- <strong>und</strong><br />
Zonenordnungen (§ 89 in Verbindung mit § 2 lit. a <strong>und</strong> b PBG) zwischen Genehmigungen<br />
einerseits <strong>und</strong> Nichtgenehmigungen bzw. nicht vorbehaltlosen Genehmigungen<br />
anderseits zu unterscheiden; ersteren kommt kein Verfügungscharakter zu,<br />
während letztere ein selbständiges Anfechtungsobjekt bilden (Kölz/Bosshart/Röhl,<br />
§ 43 N. 12; vgl. auch § 19 N. 37). Von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist auch bei der gestützt<br />
auf § 329 Abs. 4 PBG erforderlichen Koordination auszugehen. Nach der in Anwendung<br />
dieser Bestimmung massgebenden Praxis <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s wird<br />
ein Beschwerdeverfahren betreffend eine kommunale Bau- <strong>und</strong> Zonenordnung
57, 58<br />
gegenstandslos, soweit der Regierungsrat die streitbetroffene Festlegung nicht<br />
genehmigt <strong>und</strong> sofern die davon betroffene Prozesspartei gegen die Nichtgenehmigung<br />
nicht fristgerecht Beschwerde erhebt.<br />
VB.2002.00249 3. Kammer, 9. September<br />
58. Begriff der Erschliessung in der Richt- <strong>und</strong> Nutzungsplanung: Unterschieden<br />
werden muss zwischen einem weiten Erschliessungsbegriff der Richtplanung<br />
<strong>und</strong> einem engeren Erschliessungsbegriff der Nutzungsplanung<br />
im Sinn der Bauzonenerschliessung. Der Begriff der Erschliessung in § 31<br />
Abs. 2 PBG beinhaltet den weiten Erschliessungsbegriff der Richtplanung<br />
<strong>und</strong> geht demnach weiter als jener in § 91 PBG bzw. Art. 19 RPG. Art. 19<br />
RPG. § 31 Abs. 2, § 91 PBG.<br />
4. Da mithin unter Groberschliessung im Sinn von § 31 Abs. 2 PBG nicht dasselbe<br />
zu verstehen ist wie unter Groberschliessung im Sinn von §§ 90 ff. PBG, kann<br />
zur Bestimmung, welche Strassen in den Verkehrsplan aufgenommen werden dürfen,<br />
auch nicht ausschliesslich auf die für die Bauzonenerschliessung entwickelte<br />
Unterscheidung zwischen Groberschliessung <strong>und</strong> Feinerschliessung abgestellt werden.<br />
Oder anders gesagt, kann zur Inhaltsbestimmung <strong>des</strong> Verkehrsplans nicht nur<br />
auf die Erschliessung als Bauvoraussetzung abgestellt werden. Dies im Gegensatz<br />
zur Gewährung von Staatsbeiträgen gestützt auf die StrassenbeitragsV (vgl. dazu<br />
E. 4.2). Vielmehr müssen die Unterscheidungen sowohl für die Bauzonenerschliessung<br />
als auch für die Wald- <strong>und</strong> Landwirtschaftsgebietserschliessung vorgenommen<br />
werden. Aus diesem Gr<strong>und</strong> greift die Argumentation <strong>des</strong> Regierungsrats, wie<br />
nachfolgend zu zeigen sein wird, zu kurz.<br />
4.1. Das <strong>Raumplanungs</strong>gesetz enthält keine Begriffe für die Unterscheidung<br />
verschiedener Erschliessungsebenen wie Gr<strong>und</strong> , Grob <strong>und</strong> Feinerschliessung. Die<br />
Umschreibung der Erschliessungsgrade ist vielmehr uneinheitlich (Begriffe zur<br />
Raumplanung, Ein Nachschlagewerk für die Praxis, VLP-Schrift Nr. 67, Bern<br />
1996, S. 59 f.). Das B<strong>und</strong>esrecht verlangt auch nicht, dass die Kantone entsprechende<br />
Begriffsbestimmungen einführen. Eine besondere b<strong>und</strong>esrechtliche Begriffsbestimmung<br />
enthält allerdings das Wohnbau <strong>und</strong> Eigentumsförderungsgesetz<br />
(WEG). Unter Groberschliessung für die Bauzonenerschliessung wird danach die<br />
Versorgung eines zu überbauenden Gebiets mit den Hauptsträngen der Erschliessungsanlagen<br />
verstanden, namentlich Wasser, Energieversorgungs <strong>und</strong> Abwasserleitungen<br />
sowie Strassen <strong>und</strong> Wege, die unmittelbar dem zu erschliessenden Gebiet<br />
115
58<br />
dienen. Die Feinerschliessung der Bauzone umfasst den Anschluss der einzelnen<br />
Gr<strong>und</strong>stücke an die Hauptstränge der Erschliessungsanlagen mit Einschluss von<br />
öffentlich zugänglichen Quartierstrassen <strong>und</strong> öffentlichen Leitungen (Art. 4 WEG).<br />
Strassenmässig erfüllen die Funktion der Groberschliessung vor allem die Sammelstrassen<br />
(vgl. RB 1983 Nr. 96; Peter Engeler, Die Erschliessung von Baugr<strong>und</strong>stücken<br />
nach zürcherischem Recht, Zürich 1976, S. 31). Als Entscheidungshilfen<br />
für die Qualifizierung von Strassen können im Weiteren auch die Normen der Vereinigung<br />
Schweizerischer Strassenfachleute (VSS-Normen) herangezogen werden,<br />
wie es der Regierungsrat getan hat. So subsumiert der Regierungsrat unter den Begriff<br />
der Strassen der Groberschliessung unter Bezugnahme auf die VSS-Normen<br />
Sammelstrassen. Danach sind Sammelstrassen Strassen innerhalb besiedelter Gebiete,<br />
welche den Verkehr aus den Erschliessungsstrassen sammeln <strong>und</strong> ihn zu<br />
Strassen <strong>des</strong> nächsthöheren oder gleichen Typs führen. Zusammen mit den Hauptverkehrsstrassen<br />
stellen sie die lokalen Verbindungen zwischen den einzelnen<br />
Quartieren oder Ortschaften sicher (vgl. VSS-Norm 640 044). Bei der Abgrenzung<br />
zwischen Grob <strong>und</strong> Feinerschliessung steht den Gemeinden ein weiter Ermessensspielraum<br />
zu (RB 1988 Nr. 59). Ein pflichtgemässes Ermessen hat die Funktion der<br />
Erschliessungsanlagen zu berücksichtigen als auch die Vorgaben von Plänen <strong>und</strong><br />
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen (BEZ 1997 Nr. 6 E. 2a).<br />
Zu prüfen ist die siedlungserschliessende Funktion der projektierten Strasse.<br />
Der Regierungsrat lehnt die Klassierung der umstrittenen Strasse in der Gemeinde<br />
Zell als Sammelstrasse <strong>des</strong>halb ab, weil er ihr nur die Aufgabe der Feinerschliessung<br />
der Wohnhäuser nördlich der Bahnlinie zumisst. Ob die vorliegend im Streit<br />
liegende Strassenprojektierung als Sammelstrasse einzustufen ist, muss zu Recht<br />
bezweifelt werden. Die Strasse befindet sich ab dem Bahnübergang ausserhalb <strong>des</strong><br />
Siedlungsgebiets. Bauzonen erschliesst sie nicht, sondern sie dient lediglich der<br />
Zufahrt von einigen Wohnhäusern, welche sich in der Landwirtschaftszone befinden.<br />
Diese Höfe können nicht als Weiler oder Quartier qualifiziert werden, weshalb<br />
ihr in diesem Sinn auch keine Verbindungsfunktion zukommt. Die in der Beschwer<strong>des</strong>chrift<br />
angeführten Beispiele in den Gemeinden Fehraltorf, Russikon <strong>und</strong> Bauma<br />
haben – wie dem Regierungsrat beizupflichten ist – ausnahmslos die Funktion der<br />
Erschliessung von in der Bauzone gelegenen Weilern <strong>und</strong>/oder der Verbindung zu<br />
benachbarten Gemeinden. In keinem der erwähnten Fälle wurde, wie dies vorliegend<br />
erfolgen soll, mit einer Sammelstrasse eine Gebäudegruppe von lediglich vier<br />
Wohnhäusern in der Landwirtschaftszone erschlossen, von denen zudem nur drei<br />
nahe beieinander liegen. Zwar endet die Strasse nicht bei dieser Häusergruppe, sondern<br />
führt in den Wald <strong>und</strong> nach Unterlangenhard. Dieser interkommunalen Verbindung<br />
kommt aber nur sehr untergeordnete Bedeutung zu, weshalb die neu zu erstellende<br />
Strasse nicht aus diesem Gr<strong>und</strong> allein als Sammelstrasse bezeichnet werden<br />
116
kann. Auch kann dem Teilstück der geplanten Strasse zwischen der Tösstalstrasse<br />
bis <strong>und</strong> mit dem Bahnübergang nicht Groberschliessungscharakter beigemessen<br />
werden, solange eine offenbar ebenfalls in Planung stehende durchführende Strassenverbindung<br />
zwischen Kollbrunn nach Rikon auf der Nordseite der Tösstal-<br />
Bahnlinie nicht besteht.<br />
Zusammenfassend ist dem Regierungsrat also insofern beizupflichten, dass es<br />
sich bei der vorliegend zur Debatte stehenden Strasse nicht um eine Strasse mit<br />
<strong>Baurecht</strong>serschliessungscharakter handelt. Die projektierte Strasse erschliesst kein<br />
Siedlungsgebiet, sondern dient lediglich der Feinerschliessung der kleinen Häusergruppe<br />
auf der Nordseite der Tösstal-Bahnlinie. Damit ist in<strong>des</strong>sen – entgegen der<br />
Ansicht <strong>des</strong> Regierungsrats <strong>und</strong> der Baudirektion – noch nicht abschliessend entschieden,<br />
ob die fragliche Strasse in den Verkehrsplan aufgenommen werden muss<br />
oder nicht. Dazu muss vielmehr überdies geprüft werden, ob ihr Groberschliessungsfunktion<br />
im Sinn <strong>des</strong> weiter gefassten Erschliessungsbegriffs der Richtplanung<br />
zukommt.<br />
4.2. Zu prüfen ist die Funktion der projektierten Strasse in Bezug auf die<br />
Erschliessung der Wald- <strong>und</strong> Landwirtschaftsgebiete im Raum Rütschetbüel-<br />
Rutzen-Rutzentobel-Schöntalerweid. In der Forst- <strong>und</strong> Landwirtschaft bedeutet Erschliessung<br />
Flächenerschliessung, da die Bewirtschaftung gleichzeitig an verschiedenen<br />
Orten erfolgen muss (vgl. Viktor Kuonen, Generelle Erschliessungsplanung,<br />
Zürich 1979, S. 21). Die Groberschliessung von Waldbeständen erlaubt dabei die<br />
Zufahrt ins Arbeitsgebiet <strong>und</strong> die Abfuhr von Holz vom Lagerplatz an den Verbrauchsort.<br />
Sie erfolgt über Waldstrassen, die an das öffentliche Strassennetz angeschlossen<br />
werden (Walter Wüthrich, Die Feinerschliessung von Waldbeständen –<br />
Planung, Anlage <strong>und</strong> Benützung, Berichte der Eidgenössische Forschungsanstalt<br />
für Wald, Schnee <strong>und</strong> Landschaft, Birmensdorf 1992, S. 14; Peter Dietz/Wolfgang<br />
Knigge/Hans Löffler, Walderschliessung, Hamburg/Berlin 1984, S. 13). Demgegenüber<br />
ermöglicht die Feinerschliessung den Zugang zu jedem Arbeitsort <strong>und</strong> das<br />
Bringen <strong>des</strong> Holzes vom Fällort zum Aufbereitungs- <strong>und</strong> Lagerort im Wald mittels<br />
Rückegassen, Maschinenwegen <strong>und</strong> Seillinien (vgl. Wüthrich, S. 14; Kuonen, S. 21 f.).<br />
Analog dazu führen die landwirtschaftlichen Güterstrassen mit Groberschliessungsfunktion<br />
bis an die Grenze der landwirtschaftlich genutzten Gebiete, während die<br />
Feinerschliessung durch Bewirtschaftungswege innerhalb der Feldparzellen erfolgt.<br />
Im vorliegenden Fall kommt der neu zu erstellenden Strasse gemäss dem<br />
Schreiben <strong>des</strong> Amts für Landschaft <strong>und</strong> Natur vom 22. August 2003 Groberschliessungsfunktion<br />
zu für die Feldparzellen nördlich der Tösstal-Bahnlinie sowie für den<br />
58<br />
117
58, 59<br />
Wald im Gebiet Rutzentobel, in welchem regelmässig Holznutzungen stattfinden,<br />
<strong>und</strong> im Gebiet Schönthalerweid <strong>und</strong> Schönthalerhalden, welchem besondere<br />
Schutzfunktion zugemessen wird <strong>und</strong> welches gänzlich unerschlossen ist. Wegen<br />
dieser land- <strong>und</strong> forstwirtschaftlichen Bedeutung der im Verkehrsplan festgesetzten<br />
Strasse wurde der Gemeinde Zell vom Kanton auch ein einmaliger Beitrag von<br />
maximal Fr. 231000.– an die Baukosten der vorliegend umstrittenen Strasse bewilligt.<br />
Hieraus wird nun ebenso ersichtlich, dass Beiträge gestützt auf § 1 der StrassenbeitragsV<br />
nur für Strassen mit Siedlungserschliessungsfunktion (unter Ausschluss<br />
der Feinerschliessung) ausgeschüttet werden, während sich das Beitragswesen<br />
für Strassen mit Bedeutung für die Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft nach den einschlägigen<br />
Bestimmungen der Forst- <strong>und</strong> Landwirtschaftsgesetzgebung richtet. Die<br />
StrassenbeitragsV geht somit vom engen Begriff der Erschliessung gemäss Art. 19<br />
RPG bzw. von der Bauzonenerschliessung aus, weshalb bei der Beurteilung, ob<br />
eine Strasse in den kommunalen Verkehrsplan aufzunehmen ist, nicht allein auf die<br />
Beitragspflicht gemäss § 1 StrassenbeitragsV abgestellt werden darf.<br />
5.1. Da der projektierten Strasse Groberschliessungsfunktion zukommt <strong>und</strong><br />
sie in Bezug auf die Walderschliessung von kommunaler Bedeutung ist, ist sie in<br />
den kommunalen Verkehrsplan aufzunehmen. Die Beschwerde ist <strong>des</strong>halb gutzuheissen<br />
<strong>und</strong> der Regierungsrat anzuweisen, den Verkehrsplan der Gemeinde Zell<br />
vom 22. September 2003 zu genehmigen.<br />
118<br />
VB.2004.00245 3. Kammer, 9. September<br />
59. Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr: Tragweite dieser Anforderung<br />
hinsichtlich eines Bauvorhabens, für welches ein Gestaltungsplan festgesetzt<br />
wird. Die Umweltverträglichkeit ist bereits im Gestaltungsplanverfahren<br />
zu prüfen; es genügt jedoch, dass bei der Planfestsetzung eine hinreichende<br />
Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr in den wesentlichen<br />
Zügen feststeht. § 237 PBG. § 2, § 13 AngebotsV.<br />
6.2.1 […] Vorliegend ist nicht eine Baubewilligung, sondern ein Sondernutzungsplan<br />
zu beurteilen. Es fragt sich, ob dies die Anwendbarkeit von § 237<br />
PBG beeinflusst. Im Zeitpunkt <strong>des</strong> Planungsentscheids muss das Gemeinwesen lediglich<br />
bereit sein, die für die Groberschliessung der Bauzonen notwendigen Werke<br />
<strong>und</strong> Anlagen innert bestimmten zeitlichen Etappen zu erstellen (vgl. Art. 15 lit. b
RPG <strong>und</strong> § 91 PBG; VGr, 22. Januar 2004, VB.2003.00223, www.vgrzh.ch). Hingegen<br />
wäre es weder zweck- noch verhältnismässig, wenn anlässlich der Festsetzung<br />
eines Sondernutzungsplans bereits ein detailliertes Konzept der Erschliessung<br />
mit dem öffentlichen Verkehr vorliegen müsste. Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat<br />
kürzlich darauf hingewiesen, aus dem kantonalen Recht (§§ 91 <strong>und</strong> 237 PBG)<br />
könne nicht abgeleitet werden, dass ein Zonenplan in einem bestimmten Areal<br />
grössere Überbauungen nur dann zulassen darf, wenn die Erschliessung mit öffentlichem<br />
Verkehr bereits erfolgt ist <strong>und</strong> damit die Voraussetzungen für eine<br />
Baubewilligung in dieser Hinsicht gegeben sind. Es wäre unsinnig, das Angebot an<br />
öffentlichem Verkehr mit seinen allenfalls beträchtlichen Investitionen schon in<br />
einem Zeitpunkt auszubauen, wo noch keineswegs feststehe, ob in einem bestimmten<br />
Gebiet aufgr<strong>und</strong> seiner künftigen Entwicklung auch tatsächlich mit einem grösseren<br />
Benutzer- oder Publikumsverkehr zu rechnen sei (VGr, 21. März 2002,<br />
VB.2001.00245, E. 6b, www.vgrzh.ch [Winterthur]). Diese Erwägung lässt sich in<strong>des</strong>sen<br />
laut dem Entscheid VB.2004.00234 vom 5. Juli 2004, E. 5.2 (www.vgrzh.ch;<br />
«Stadion Zürich»), nicht auf einen projektbezogenen Gestaltungsplan übertragen,<br />
erst recht nicht, wenn er wie vorliegend im Hinblick auf die möglichst rasche Verwirklichung<br />
<strong>des</strong> Vorhabens festgesetzt wurde. Dementsprechend ist denn auch die<br />
Umweltverträglichkeit nicht bloss <strong>des</strong> Plans, sondern <strong>des</strong> Vorhabens bereits im jetzigen<br />
Verfahren zu prüfen. Weil auf das Gestaltungsplanverfahren noch ein Baubewilligungsverfahren<br />
folgt, in dem ein detailliertes Projekt auf seine Vereinbarkeit<br />
mit dem massgebenden öffentlichen Recht überprüft wird (Haller/Karlen, N. 506 ff.),<br />
genügt es aber einstweilen, dass eine hinreichende Erschliessung in den wesentlichen<br />
Zügen feststeht.<br />
6.2.2 Im Urteil Adliswil (Pra 91/2002 Nr. 20 = URP 2001, S. 1061 E. 4g<br />
S. 1071 f.) hat das B<strong>und</strong>esgericht angedeutet, dass es die mit der erwähnten Auslegung<br />
von § 237 Abs. 1 PBG verb<strong>und</strong>ene Unbestimmtheit hinsichtlich der Anforderungen<br />
an die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr als nicht unproblematisch<br />
ansieht. Denn es sei für Baugesuchsteller insbesondere bei verkehrsintensiven<br />
Projekten schwer vorhersehbar, welche Güte der Erschliessung tatsächlich abverlangt<br />
werde. Diese Unbestimmtheit werde in<strong>des</strong>sen dadurch gemildert, dass<br />
§ 237 Abs. 1 PBG einerseits mit der kantonalen Gesetzgebung über den öffentlichen<br />
Verkehr <strong>und</strong> andererseits mit der kantonalen Wegleitung zur Ermittlung <strong>des</strong><br />
Parkplatzbedarfs verknüpft werden könne. Das B<strong>und</strong>esgericht nahm damit auf das<br />
kantonale Personenverkehrsgesetz sowie die hierzu ergangene Angebotsverordnung<br />
Bezug, worauf auch der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid hinweist.<br />
Die nach dem Gesagten anzuwendende Angebotsverordnung unterscheidet<br />
drei Angebotsbereiche. Die beste Versorgung besteht innerhalb <strong>des</strong> Angebots-<br />
59<br />
119
59<br />
bereichs 3, wo für grosse, dichte Siedlungsgebiete aufgr<strong>und</strong> der starken Nachfrage<br />
<strong>und</strong> der Vielfalt der Verkehrsbeziehungen ein flächendecken<strong>des</strong> Angebot festgelegt<br />
wird (§ 2 lit. c AngebotsV). Dieses wird in § 13 AngebotsV in der Weise konkretisiert,<br />
dass gr<strong>und</strong>sätzlich ein 15-Minuten-Takt angeboten wird (Abs. 1). Bei entsprechender<br />
Nachfrage wird das Intervall auf 10, 7 1 /2, 6 oder weniger Minuten verkürzt<br />
(Abs. 2); bei mangelnder Nachfrage während der Nebenverkehrszeiten kann<br />
das Intervall auf 30 Minuten ausgedehnt werden. Die Wegleitung unterscheidet vier<br />
Güteklassen der Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr, die aufgr<strong>und</strong> der<br />
Qualität der vorhandenen Haltestellen bzw. <strong>des</strong> dort vorhandenen Verkehrsangebots<br />
<strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der mittleren Distanz zu dieser Haltestelle bestimmt werden. Klasse<br />
A bezeichnet die höchste Güteklasse (sehr gut), B die zweithöchste (gut), C die<br />
zweitkleinste (mittelmässig) <strong>und</strong> D die kleinste (ungenügend).<br />
6.3.1 Ob das Gebiet <strong>des</strong> Gestaltungsplans Bodacher (Stadt Dietikon) den in<br />
dieser Weise konkretisierten Anforderungen an die Erschliessung mit öffentlichem<br />
Verkehr genügt, hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> nur unter dem Gesichtswinkel der<br />
Rechtsverletzung zu prüfen. Eine zusätzliche Bushaltestelle der ZVV-Linie Nr. 303<br />
sowie ein Ortsbus lassen sich aufgr<strong>und</strong> der vorliegenden Akten ohne weiteres realisieren.<br />
Das Gericht darf Zusagen <strong>des</strong> Regierungsrats <strong>und</strong> der Stadt Dietikon, wonach<br />
das Verkehrsangebot zukünftig in bestimmter Weise verbessert wird, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
berücksichtigen, wenn keine triftigen Gründe gegen die Realisierung sprechen.<br />
Im Licht der jüngsten Planungsgeschichte bestehen heute keine ernsthaften<br />
Zweifel an einem starken Ausbau <strong>des</strong> öffentlichen Verkehrs im Bereich Niderfeld<br />
wie im Limmattal überhaupt. Damit diese Zusage letztlich eingehalten wird, hat auf<br />
der Stufe <strong>des</strong> nachfolgenden Baubewilligungsverfahrens eine verbindlich zugesicherte<br />
Konkretisierung <strong>des</strong> Erschliessungskonzepts vorzuliegen. Dabei dürfte es<br />
nach § 233 Abs. 1 PBG genügen, wenn <strong>des</strong>sen Umsetzung, also die Inbetriebnahme<br />
<strong>des</strong> erweiterten Fahrplanangebots, noch nicht auf den Baubeginn, sondern erst auf<br />
den Zeitpunkt der Bauvollendung der publikumswirksamen Anlagen verwirklicht<br />
wird.<br />
6.3.2 Im Entscheid VB.2002.00159 vom 2. September 2002 (www.vgrzh.ch;<br />
Dietikon) hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> unter Hinweis auf die aktuelle b<strong>und</strong>esgerichtliche<br />
Rechtsprechung (BGr, 14. Februar 2002, URP 2002, S. 441, E. 3.2 S. 446<br />
f. <strong>und</strong> E. 6 S. 452 ff.) erwogen, dass publikumswirksame Betriebe an den bestehenden<br />
Knotenpunkten <strong>des</strong> öffentlichen Verkehrs zu errichten seien (E. 2d). Denn<br />
die Schaffung einer attraktiven öffentlichen Verkehrsverbindung liege weitgehend<br />
ausserhalb der Macht <strong>des</strong> privaten Bauherrn. Die öffentliche Hand sei nicht verpflichtet,<br />
alle Gebiete, in denen nach der Zonenordnung Einkaufszentren oder an-<br />
120
dere publikumsintensive Einrichtungen geschaffen werden könnten, mit einem auf<br />
deren Bedürfnisse ausgerichteten Angebot an öffentlichem Verkehr zu bedienen<br />
oder den öffentlichen Verkehr gar punktuell auf einzelne Vorhaben auszurichten.<br />
Nach Auffassung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts sei es gerade nicht der Sinn von § 237 Abs. 1<br />
Satz 2 PBG, die Erstellung von publikumsintensiven Betrieben an jedem denkbaren<br />
Standort zu ermöglichen.<br />
Anders als im obgenannten Entscheid <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s liegt hier nicht<br />
eine Baubewilligung, sondern ein Gestaltungsplan im Streit. Zudem hat dieser wie<br />
gesagt die Funktion, anstelle der gescheiterten Rahmennutzungsplanung für das<br />
Gebiet Niderfeld eine Teillösung zu schaffen. Seit Jahren hat sich die Stadt<br />
Dietikon um eine Erschliessungslösung im Niderfeld bzw. zusammen mit den zuständigen<br />
Instanzen der Kantone Zürich <strong>und</strong> Aargau im Limmattal bemüht. Im<br />
Unterschied zum Präjudiz Adliswil verhält es sich beim Gestaltungsplan Bodacher<br />
nicht so, dass publikumsintensive Betriebe an peripherer Lage projektiert werden.<br />
Vielmehr befindet sich das Niderfeld unmittelbar an der Überlandstrasse sowie an<br />
der Mutschellenstrasse, die eine Zufahrt zur Nationalstrasse A1 aufweist, ferner<br />
nahe bei der Bahnlinie Zürich-Bern <strong>und</strong> überhaupt an zentraler Lage im Wirtschaftsraum<br />
Limmattal. Obschon das vom B<strong>und</strong>esgericht aufgehobene Projekt für<br />
ein Coop-Einkaufszentrum nur etwa 1 km vom Gebiet <strong>des</strong> Gestaltungsplans Bodacher<br />
entfernt liegt, ist letzteres mit Bezug auf den öffentlichen Verkehr wesentlich<br />
günstiger situiert. Anzumerken ist, dass der Ausdruck «Knotenpunkt» der Veranschaulichung<br />
dient <strong>und</strong> keinen eigenständigen rechtlichen Gehalt hat.<br />
6.3.3 Bei den mit dem Gestaltungsplan projektierten Betrieben handelt es sich<br />
nach Art. 9 der Bestimmungen zum Gestaltungsplan (GPV) überwiegend um Fachmärkte,<br />
die erfahrungsgemäss einen geringeren Publikumsverkehr erzeugen als Ladengeschäfte<br />
mit Artikeln <strong>des</strong> täglichen Gebrauchs. Die für den Verkauf von Lebensmitteln<br />
vorgesehene Fläche beträgt höchstens 4500 m 2 . Die Parteiauffassungen<br />
über die mutmasslichen Anteile der K<strong>und</strong>en, die ein privates Motorfahrzeug verwenden<br />
<strong>und</strong> jener, die den öffentlichen Verkehr benützen, gehen weit auseinander.<br />
Tatsächlich dürfte die Quote der mit dem öffentlichen Verkehr zu- <strong>und</strong> wegfahrenden<br />
K<strong>und</strong>en von zahlreichen Faktoren abhangen, die sich heute nicht zuverlässig<br />
abschätzen lassen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Annahme von 40 km<br />
als Einzugsgebiet für die IKEA Dietikon in östlicher <strong>und</strong> nördlicher Richtung angesichts<br />
der IKEA Pratteln <strong>und</strong> IKEA Dietlikon zu relativieren ist. Die Studie<br />
«Mobilitätsverhalten/Einkaufs- <strong>und</strong> Freizeitverkehr Glattal» der Regionalplanung<br />
Zürich <strong>und</strong> Umgebung (RZU) schätzt, dass von den Besuchern der Einkaufszentren<br />
nur 5–11 % potenziell auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Jedenfalls zeigt die<br />
59<br />
121
59<br />
Erfahrung, dass trotz eines optimalen Angebots an öffentlichen Verkehrsmitteln ein<br />
gewisses Segment von Besuchern stets den eigenen PW verwendet. Diesem<br />
Personenkreis werden mit (805–187 =) 618 K<strong>und</strong>enparkplätzen Schranken gesetzt,<br />
womit den Anforderungen an die Luftreinhaltung insoweit Genüge getan ist.<br />
Die Buslinie Nr. 303 <strong>des</strong> Zürcher Verkehrsverb<strong>und</strong>s (Zürich-Altstetten<br />
[Farbhof] – Schlieren Bahnhof – Dietikon Bahnhof – Spreitenbach Shopping-Center)<br />
bedient in Dietikon unter anderem die Haltestelle Gjuchstrasse <strong>und</strong> in<br />
Spreitenbach die Haltestelle Asp, die beide r<strong>und</strong> 500 m vom Gestaltungsplangebiet<br />
entfernt liegen. Art. 12 GPV bestimmt, dass die Gr<strong>und</strong>eigentümer im Gestaltungsplangebiet<br />
an der Überlandstrasse auf eigene Kosten eine zusätzliche Bushaltestelle<br />
einrichten. In Spitzenzeiten beträgt der Takt laut erläuterndem Beschluss zum<br />
Gestaltungsplan 10 Minuten, ausserhalb derselben 15 Minuten. Ferner bestimmt<br />
Art. 12 GPV, dass eine neu zu schaffende zweite Buslinie mit Haltestelle an der<br />
Eigenstrasse «min<strong>des</strong>tens» im 15-Minuten-Takt eine Verbindung zum Bahnhof<br />
Dietikon gewährleisten soll. Obschon die Kombination der beiden Verbindungen<br />
wegen der etwas peripheren Lage der neuen ZVV-Haltestelle <strong>und</strong> möglicher<br />
Schwierigkeiten in der Abstimmung <strong>des</strong> Takts entgegen der Auffassung der<br />
Beschwerdegegnerinnen kaum auf ein 7 1 /2-Minuten-Intervall hinausläuft, ergibt<br />
sich doch eine deutliche Verminderung gegenüber dem heutigen 15-Minuten-Takt.<br />
Wenn der Regierungsrat das bestehende erste Angebot der Güteklasse C <strong>und</strong> das<br />
künftige zweite der Güteklasse C oder D gemäss Wegleitung zuordnet, erscheint<br />
diese Wertung als angemessen. Die Einstufung <strong>des</strong> neuen Ortsbusses in die Klasse<br />
C oder D ist allerdings eher streng, weil dieser zum Bahnhof Dietikon <strong>und</strong> damit zu<br />
einem wichtigen Knoten <strong>des</strong> öffentlichen Verkehrs führt. Dass die Kombination der<br />
beiden Angebote im Ergebnis der Güteklasse B nahe komme, ist ebenfalls vertretbar;<br />
entgegen der Auffassung <strong>des</strong> Beschwerdeführers liegt darin zumin<strong>des</strong>t keine<br />
Rechtsverletzung, in die das <strong>Verwaltungsgericht</strong> kraft § 50 VRG korrigierend eingreifen<br />
müsste. Mit der – knappen – Zuordnung zur Güteklasse B ist den von der<br />
b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen Genüge getan;<br />
denn aus den Urteilen vom 14. Februar 2002 (URP 2002, S. 441, E. 6.3 S. 654 ff.<br />
[Dietikon]) <strong>und</strong> 5. September 2001 (Pra 91/2002 Nr. 20 = URP 2001, S. 1061,<br />
E. 4e-h S. S. 1070 ff. [Adliswil]) ergibt sich nur, dass jedenfalls die Güteklasse D<br />
nicht ausreicht. Selbst wenn die Taktfrequenz als ungenügend zu würdigen wäre,<br />
hätte dies nicht ohne weiteres die Aufhebung <strong>des</strong> Gestaltungsplans zur Folge. Denn<br />
aus Gründen der Verhältnismässigkeit müsste den Beschwerdegegnerinnen<br />
Gelegenheit eingeräumt werden, Massnahmen zur Behebung eines solchen heilbaren<br />
Mangels zu treffen. Im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren wird der<br />
Stadtrat Dietikon anhand der konkreten Baugesuche die Erreichbarkeit <strong>des</strong> Gestaltungsplangebiets<br />
mit dem öffentlichen Verkehr nochmals prüfen <strong>und</strong> dabei nöti-<br />
122
59, 60<br />
genfalls zusätzliche Anforderungen – etwa hinsichtlich <strong>des</strong> Konzepts der Haltestellen,<br />
allfälliger Fahrplanverdichtungen, zusätzlicher Linien oder der Transportkapazität<br />
der verwendeten Verkehrsmittel – stellen. Treten künftige Engpässe bei der<br />
Personenbeförderung zwar mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein, lassen sie sich<br />
jedoch auch nicht ausschliessen, so fällt ein – als Auflage in die Baubewilligung<br />
aufzunehmender – Vorbehalt späterer Massnahmen in Betracht.<br />
VB.2004.00041 3. Kammer, 30. September<br />
BEZ 2004 Nr. 63<br />
60. Fahrtenmodell in einem Gestaltungsplan: Das kantonale Recht erlaubt es,<br />
ein Fahrtenmodell anzuwenden, das anstelle einer maximalen Parkplatzzahl<br />
eine Begrenzung der durch das Bauvorhaben erzeugten Fahrten vorsieht<br />
(Gestaltungsplan «Stadion Zürich», Beschwerde der Nachbarn). § 242 PBG.<br />
4.2.1 Gemäss § 242 PBG legt die kommunale Bau- <strong>und</strong> Zonenordnung die<br />
Zahl der Abstellplätze für Verkehrsmittel, insbesondere für Motorfahrzeuge fest,<br />
die nach den örtlichen Verhältnissen, nach dem Angebot <strong>des</strong> öffentlichen Verkehrs<br />
sowie nach Ausnützung <strong>und</strong> Nutzweise <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks für Bewohner, Beschäftigte<br />
<strong>und</strong> Besucher erforderlich sind (Abs. 1). Im Normalfall soll die Zahl der Abstellplätze<br />
so festgelegt werden, dass die Fahrzeuge der Benützer einer Baute oder Anlage<br />
ausserhalb <strong>des</strong> öffentlichen Gr<strong>und</strong>es aufgestellt werden können. Besteht ein<br />
überwiegen<strong>des</strong> öffentliches Interesse, insbesondere <strong>des</strong> Verkehrs oder <strong>des</strong> Schutzes<br />
von Wohngebieten, Natur- <strong>und</strong> Heimatschutzobjekten, Luft <strong>und</strong> Gewässern, kann<br />
die Zahl der erforderlichen Plätze tiefer angesetzt <strong>und</strong> die Gesamtzahl begrenzt<br />
werden (Abs. 2).<br />
§ 242 PBG dient somit zwei teilweise gegenläufigen Zielen (vgl. RB 1996 Nr. 89;<br />
Fritz Frey, Ausgewählte Fragen zur Erstellung von Abstellplätzen, in: PBG-aktuell<br />
3/1999, S. 5 ff., bes. 11): Einerseits verfolgt er einen primär verkehrspolizeilichen<br />
Zweck, nämlich die Freihaltung <strong>des</strong> Strassenraums von (ordnungswidrig) parkierten<br />
Fahrzeugen. Hierzu werden Min<strong>des</strong>tparkplatzzahlen vorgesehen. Mit einer<br />
Begrenzung der zulässigen Anzahl Parkplätze soll demgegenüber die Attraktivität<br />
für die Benutzung <strong>des</strong> Automobils verringert <strong>und</strong> – in Verbindung mit einem guten<br />
Angebot <strong>des</strong> öffentlichen Verkehrs (öV) – eine Beschränkung der Fahrten <strong>des</strong> motorisierten<br />
Individualverkehrs erreicht werden. Die Möglichkeit, die Zahl der Abstellplätze<br />
wegen überwiegender öffentlicher Interessen zu begrenzen (heute<br />
§ 242 Abs. 2 Satz 2 PBG), wurde mit Gesetzesrevision vom 21. Juni 1987 ins PBG<br />
123
60<br />
eingefügt (damals § 243 Abs. 2 PBG; vgl. dazu die Weisung <strong>des</strong> Regierungsrats<br />
vom 26. März 1986, ABl 1986, 673 ff.). Anlässlich der PBG-Revision vom 1. September<br />
1991 wurde in erster Linie eine formelle Neugliederung vorgenommen.<br />
Materiell neu war in § 242 Abs. 1 PBG der Hinweis auf das Angebot <strong>des</strong> öffentlichen<br />
Verkehrs als massgeblichen Mitberechnungsfaktor, dies neben den örtlichen<br />
Verhältnissen <strong>und</strong> der Ausnützung sowie der Nutzweise <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks. In § 242<br />
Abs. 2 Satz 2 PBG wurde ferner neu die Möglichkeit der Begrenzung der<br />
Gesamtzahl der Abstellplätze eingeführt, sofern die dort genannten Voraussetzungen<br />
gegeben sind (vgl. Prot. KR [1987-1991], S. 13428 f.).<br />
4.2.2 § 242 PBG verpflichtet wie erwähnt die Gemeinden dazu, die Zahl der<br />
Abstellplätze in der Bau- <strong>und</strong> Zonenordnung festzusetzen. Hierzu werden nach der<br />
Praxis schon seit längerem auch separate Parkplatzverordnungen <strong>und</strong> -reglemente<br />
gezählt (vgl. Frey, S. 11). Die Stadt Zürich hat gestützt auf § 242 PBG am 11. Dezember<br />
1996 eine Parkplatzverordnung (PPV) erlassen, die sich klar innerhalb <strong>des</strong><br />
durch das kantonale Gesetz vorgegebenen Rahmens hält (VGr, 20. August 1999,<br />
VB.1999.00157, in RB 1999 Nr. 117 nicht abgedruckte E. 3c). Das Bestehen der<br />
PPV hindert die Stadt allerdings nicht daran, im Rahmen <strong>des</strong> Gestaltungsplans für<br />
ein bestimmtes Planungsgebiet abweichende oder ergänzende Vorschriften über die<br />
Parkierung zu erlassen. Die Regelung in einem Gestaltungsplan, der durch den<br />
Gemeinderat <strong>und</strong> an der Urne gutgeheissen wurde, stellt ein Element der Bau- <strong>und</strong><br />
Zonenordnung dar (vgl. die systematische Einordnung der §§ 83 ff. über die<br />
Gestaltungspläne unter den Titel B, Die Bau- <strong>und</strong> Zonenordnung, §§ 45 ff. PBG),<br />
mit dem angesichts der rechtshierarchischen Gleichwertigkeit der Erlassform von<br />
der PPV abgewichen werden darf.<br />
Unzutreffend erscheint insbesondere auch der Einwand, nach § 83 PBG könne<br />
mit einem Gestaltungsplan zwar von der Regelbauweise <strong>und</strong> den kantonalen Min<strong>des</strong>tabständen<br />
abgewichen werden, nicht jedoch von der Zahl der Abstellplätze<br />
nach § 242 PBG. Diese Argumentation übersieht, dass § 242 PBG keine Zahl der<br />
Abstellplätze festsetzt, sondern bloss die Gemeinden verpflichtet, dies zu tun. Gemäss<br />
§ 83 Abs. 3 PBG hat der Gestaltungsplan auch die Erschliessung sowie die<br />
gemeinschaftlichen Ausstattungen <strong>und</strong> Ausrüstungen (zu denen die Abstellplätze<br />
gehören) zu ordnen. Das PBG steht daher einer Regelung der Parkplätze in einem<br />
Gestaltungsplan, selbst wenn dieser von der kommunalen Gr<strong>und</strong>ordnung der Abstellplätze<br />
abweicht, auch in dieser Hinsicht nicht entgegen.<br />
4.3 Das Fahrtenmodell gemäss den Gestaltungsplanvorschriften beschränkt<br />
neben oder statt der Anzahl Parkplätze die Anzahl Fahrten, die einer bestimmten<br />
124
Anlage zugestanden werden. Es beruht auf der Überlegung, dass die Anzahl Fahrten<br />
für die Umweltauswirkungen einer verkehrserzeugenden Anlage wesentlich<br />
relevanter ist als die Parkplatzzahl selbst. Bei der Berechnung dieser Fahrten ist zu<br />
beachten, dass das spezifische Verkehrspotenzial (SVP) von Parkplätzen je nach<br />
der Nutzung, für welche sie zur Verfügung stehen, sehr unterschiedlich ist. So geht<br />
man bei der Wohnnutzung von einem SVP von 2.5 aus, während das SVP bei<br />
Einkaufszentren mit 18 angegeben wird (vgl. Tiefbauamt der Stadt Zürich,<br />
Verkehrs- <strong>und</strong> Parkierungskonzept Zürich West, Dezember 1999, S. 14 f., S. 15;<br />
Thomas Spoerri, Fahrtenmodell – Stapellauf ins Ungewisse, in: PBG-aktuell<br />
4/2003, S. 6 ff., 9).<br />
Einen gedanklichen Schritt weiter geht das Fahrleistungsmodell, wie es seit<br />
kurzem im Kanton Bern praktiziert wird. Dabei wird eine zulässige Anzahl Fahrten<br />
ausgehend von der Menge noch zu tolerierender Luftschadstoffemissionen ermittelt<br />
<strong>und</strong> mittels raumplanerischer Massnahmen auf kantonale Entwicklungsschwerpunkte<br />
verteilt (siehe Rudolf Muggli, Publikumsintensive Einrichtungen – Verbesserte<br />
Koordination zwischen Luftreinhaltung <strong>und</strong> Raumplanung, Schriftenreihe<br />
Umwelt Nr. 346, hrsg. vom B<strong>und</strong>esamt für Umwelt, Wald <strong>und</strong> Landschaft, Bern<br />
2002, S. 62 ff.; vgl. auch Karl Ludwig Fahrländer, Planerische Abstimmung von<br />
Grossprojekten, zwei Fallbeispiele, in: URP 2001, S. 336, 347 ff., sowie den<br />
Entscheid der Bau- <strong>und</strong> Verkehrsdirektion <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Bern betreffend das<br />
Zentrum Bern-WESTSide vom 15. April 2004, www.ra.bve.be.ch/Beschwerdeverfahren/Archiv<br />
aktueller Entscheide).<br />
4.4 Vorliegend ist zu entscheiden, ob es zulässig ist, in einem privaten Gestaltungsplan<br />
im Hinblick auf die Mehrfachnutzung von Parkplätzen ein Fahrtenmodell<br />
vorzusehen. Diese Frage ist nicht identisch mit der hier nicht zu behandelnden<br />
Frage, ob einer Bauherrschaft ein Fahrtenmodell in Umsetzung der<br />
Parkierungsvorschriften gegen deren Willen vorgeschrieben werden könnte.<br />
Das Planungs- <strong>und</strong> Baugesetz enthält keine Vorschriften über das Fahrtenmodell,<br />
ebenso wenig übrigens wie die Parkplatzverordnung. § 242 PBG räumt den<br />
Gemeinden bei der Umsetzung eine gewisse Autonomie ein. Diese ergibt sich aus<br />
der inhaltlichen Unbestimmtheit der Kriterien, die in § 242 PBG aufgeführt werden.<br />
Eingeschränkt wird die kommunale Autonomie in diesem Bereich allerdings<br />
durch das B<strong>und</strong>esumweltschutzrecht, welches unter anderem die Begrenzung der<br />
Emissionen von Anlagen verlangt, die Luftverschmutzung <strong>und</strong> Lärm verursachen.<br />
Nach dem so weit klaren Wortlaut von § 242 PBG sind die Abstellplätze zahlenmässig<br />
festzulegen. Sachlich geboten erscheint dies namentlich im Hinblick auf die<br />
60<br />
125
60, 61<br />
Funktion, eine Min<strong>des</strong>tmenge an Abstellplätzen vorzusehen. Hingegen kann –<br />
jedenfalls bei einer projektbezogenen Planung wie der vorliegenden – an die Stelle<br />
einer Begrenzung der Parkplätze nach oben auch eine Begrenzung der durch das<br />
Vorhaben erzeugten Fahrten treten. Die mit der Parkplatzbegrenzung angestrebten<br />
Ziele werden auf diese Weise ebenso gut, wenn nicht besser, erreicht als beim konventionellen<br />
Vorgehen. Den Gemeinden steht es daher im Rahmen ihrer Autonomie<br />
zu, in ihren auf § 242 PBG gestützten Vorschriften auch ein Fahrtenmodell zuzulassen.<br />
VB.2004.00234 3. Kammer, 5. Juli<br />
BEZ 2004 Nr. 46<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid am 3. Dezember<br />
2004 teilweise gutgeheissen. Die wiedergegebenen Erwägungen über die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Zulässigkeit eines Fahrtenmodells sind von der teilweisen Gutheissung nicht betroffen<br />
(BGr, 3. Dezember 2004, 1A.189/2004, www.bger.ch).<br />
126<br />
II. Quartierpläne<br />
61. Quartierplangenossen, die über voll erschlossenes Land verfügen oder keinerlei<br />
Nutzen aus dem Quartierplan ziehen, dürfen mit Quartierplanmassnahmen<br />
nur belastet werden, wenn sie nach enteignungsrechtlichen<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen entschädigt werden. Art. 26 BV.<br />
VB.2003.00408 3. Kammer, 10. Juni
III. Naturschutz- <strong>und</strong><br />
Denkmalschutzmassnahmen<br />
62, 63<br />
62. Die amtliche Publikation von Unterschutzstellungsverfügungen <strong>und</strong> von<br />
Inventarentlassungen mit definitivem Verzicht auf Unterschutzstellung stellt<br />
gegenüber Dritten eine rechtsgenügende Eröffnung dar. § 10 Abs. 3 VRG.<br />
§ 211 PBG.<br />
VB.2003.00386 1. Kammer, 10. März<br />
BEZ 2004 Nr. 25<br />
63. Bei der Frist, innert welcher das Gemeinwesen nach einem Gesuch <strong>des</strong><br />
Eigentümers (Provokationsbegehren) eine Schutzmassnahme anordnen<br />
kann, handelt es sich um eine Verwirkungsfrist. § 213 Abs. 3 PBG.<br />
3.2 Nach § 213 Abs. 3 PBG trifft das zuständige Gemeinwesen den Entscheid<br />
über die Schutzwürdigkeit spätestens innert Jahresfrist, wobei es in Ausnahmefällen<br />
vor Fristablauf dem Gr<strong>und</strong>eigentümer anzeigen kann, die Behandlungsdauer<br />
erstrecke sich um höchstens ein weiteres Jahr. Liegt vor Fristablauf kein Entscheid<br />
vor, kann eine Schutzmassnahme nur bei wesentlich veränderten Verhältnissen angeordnet<br />
werden. Die Bestimmung ist auf die Gr<strong>und</strong>eigentümerinteressen ausgerichtet<br />
<strong>und</strong> zwingt die Behörde zugunsten der Eigentümerschaft zum Handeln.<br />
§ 209 PBG richtet sich demgegenüber auf den Schutz <strong>des</strong> Objekts <strong>und</strong> bewirkt<br />
zugunsten <strong>des</strong> Denkmals ein Veränderungsverbot (Dominik Bachmann, Ausgewählte<br />
Fragen zum Denkmalrecht, PBG aktuell 1/2000, S. 6).<br />
3.3 Ob eine öffentlichrechtliche Fristbestimmung den Charakter einer Verwirkungsfrist<br />
hat, muss durch eine Analyse bzw. Auslegung <strong>des</strong> massgebenden Erlasses<br />
festgestellt werden (Attilio R. Gadola, Verjährung <strong>und</strong> Verwirkung im öffentlichen<br />
Recht, AJP 1995, S. 56). In der ursprünglichen Fassung wurde § 213 Abs. 3 PBG<br />
als Ordnungsfrist ohne Verwirkungsfolge aufgefasst (RB 1989 Nr. 69). Ob die Revision<br />
<strong>des</strong> Planungs- <strong>und</strong> Baugesetzes vom 1. September 1991 aus der blossen Ordnungsfrist<br />
eine Verwirkungsfrist gemacht hat, hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> bisher<br />
jedoch noch nicht entschieden. Hingegen ist die Baurekurskommission in einem<br />
Entscheid vom 13. November 1998 gestützt auf eine historische Auslegung zum<br />
Schluss gekommen, dass es sich bei § 213 Abs. 3 PBG in der revidierten Fassung<br />
127
63<br />
um eine Verwirkungsfrist handle (BRK I, 13. November 1998, BEZ 1999 Nr. 5).<br />
Tatsächlich sprechen die Materialien für diese Ansicht. In der Sitzung vom 20. Dezember<br />
1990 beschloss die vorberatende Kommission den Gr<strong>und</strong>satz, eine<br />
Verwirkung vorzusehen (Prot. S. 594). Tags darauf stimmte sie der heute geltenden<br />
Formulierung von § 213 Abs. 3 Satz 1 PBG zu. Darauf bemerkte ein Kommissionsmitglied,<br />
es fehle nun aber eine Verwirkungsfrist. Wenn schon, so müsse die<br />
Schutzwürdigkeit nach zwei Jahren verwirkt <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>eigentümer wieder frei<br />
sein. Darauf wurde eine Diskussion betreffend die Verwirkung geführt. Der Vorsitzende<br />
meinte, die Frage der Schutzwürdigkeit müsse nach Ablauf der Frist nur<br />
bei veränderten Verhältnissen wieder aufgenommen werden können, worauf einstimmig<br />
der heute geltende Satz 2 von Abs. 3 der Bestimmung beschlossen wurde.<br />
Die ganze Diskussion war von dem Anliegen geprägt, bei der Revision dieser<br />
Bestimmung die Rechtssicherheit zugunsten der Eigentümerschaft zu erhöhen.<br />
Dies bringt auch die systematische Einordnung zum Ausdruck, steht § 213 PBG<br />
doch unter dem Randtitel «G. Ansprüche <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>eigentümers». Der Wortlaut<br />
von Abs. 3, wonach bei wesentlich veränderten Verhältnissen auch später noch eine<br />
Schutzmassnahme angeordnet werden kann, verdeutlicht nur einen allgemeinen<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>satz <strong>und</strong> besagt entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin<br />
keineswegs, dass es sich nicht um eine eigentliche Verwirkungsfrist handle. Eine<br />
Unterbrechung dieser Verwirkungsfrist – etwa wegen laufender Vertragsverhandlungen<br />
– ist nicht möglich, <strong>und</strong> zwar schon aus praktischen Gründen, bliebe doch<br />
völlig unklar, wann die unterbrochene Frist wieder zu laufen beginnen würde. Die<br />
Zweijahresfrist ist demnach während <strong>des</strong> Rekursverfahrens mit Verwirkungsfolge<br />
abgelaufen <strong>und</strong> die angefochtene Schutzmassnahme somit dahingefallen.<br />
3.4 Eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinn von § 213 Abs. 3<br />
Satz 2 PBG liegt nicht vor. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin<br />
kann in der Tatsache, dass während <strong>des</strong> Laufs der verlängerten Jahresfrist ein<br />
Eigentümerwechsel stattgef<strong>und</strong>en hat, keinesfalls eine wesentliche Veränderung<br />
der Verhältnisse erblickt werden, selbst wenn ein Vertragsabschluss unmittelbar<br />
bevorstand. Eine wesentliche Veränderung im Sinn von § 213 Abs. 3 PBG liegt nur<br />
vor, wenn sich die Verhältnisse in Bezug auf das Schutzobjekt selbst verändert<br />
haben, etwa indem neue schützenswerte Bauteile erst nach Fristablauf entdeckt<br />
werden.<br />
128<br />
VB.2003.00046 1. Kammer, 18. August<br />
BEZ 2004 Nr. 65
IV. Bewilligungen<br />
64. Es verletzt den Gr<strong>und</strong>satz von Treu <strong>und</strong> Glauben gemäss Art. 5 Abs. 3 BV,<br />
wenn die Bauherrschaft im Rahmen <strong>des</strong> Bewilligungsverfahrens einer<br />
Kompromisslösung zugestimmt hat <strong>und</strong> hernach geltend macht, die<br />
Durchsetzung dieser in der Folge bewilligten Lösung sei unverhältnismässig.<br />
Im Interesse <strong>des</strong> Vertrauensschutzes <strong>und</strong> der Rechtssicherheit ist in<br />
einem solchen Fall die Herbeiführung <strong>des</strong> bewilligten Zustands auch dann<br />
gerechtfertigt, wenn die Abweichung von der vereinbarten <strong>und</strong> bewilligten<br />
Lösung nur geringfügig ist. Art. 5 Abs. 3 BV.<br />
3.2 Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass sich mit der Verschiebung der<br />
Dachfenster um eine Ziegelreihe nur eine geringfügige gestalterische Verbesserung<br />
erzielen lässt, welche für sich allein den von der Bauherrschaft auf gegen<br />
Fr. 10 000.– bezifferten Aufwand für die Verschiebung nicht zu rechtfertigen vermöchte.<br />
Die Vorinstanz hat jedoch die weiteren Umstände, welche bei der Überprüfung<br />
der Verhältnismässigkeit einer Wiederherstellung ebenfalls in Rechnung zu<br />
stellen sind, nur unzureichend gewürdigt. Der Bauherrschaft mag zwar nicht klar<br />
gewesen sein, dass sie die nachträgliche Baubewilligung nicht erhalten würde, doch<br />
musste ihr beim Einbau der Fenster zumin<strong>des</strong>t bewusst gewesen sein, dass mit der<br />
nachträglichen Bewilligung nicht ohne weiteres gerechnet werden konnte. So lässt<br />
sich bereits den Erwägungen zur Baubewilligung vom 3. Februar 1998 entnehmen,<br />
dass im Interesse eines ruhigen Dachbil<strong>des</strong> Belichtungsflächen im Dach nur mit<br />
grösster Zurückhaltung bewilligt <strong>und</strong> Glasziegelflächen dem Einbau von Dachfenstern<br />
vorgezogen wurden.<br />
Entscheidend ist jedoch, dass die Baubehörde der Bauherrschaft bereits mit<br />
der nachträglichen Bewilligung von Dachflächenfenstern anstelle der ursprünglich<br />
vorgesehenen Glasziegelfelder entgegengekommen ist <strong>und</strong> dieser Lösung offenk<strong>und</strong>ig<br />
nur <strong>des</strong>halb zugestimmt hat, weil so eine einvernehmliche Lösung möglich<br />
schien. Wie sich der Baubewilligung vom 11. November 2003 entnehmen lässt,<br />
wurden beim Augenschein vom 31. Oktober 2003 unter Berücksichtigung der damit<br />
verb<strong>und</strong>enen Kosten verschiedene Möglichkeiten geprüft <strong>und</strong> schliesslich diejenige<br />
bewilligt, der die Bauherrschaft nach einer Bedenkfrist zugestimmt hatte.<br />
Dieser Umstand muss bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der heute noch<br />
streitigen Verschiebung der Dachflächenfenster mitberücksichtig werden. Der<br />
Gr<strong>und</strong>satz von Treu <strong>und</strong> Glauben gemäss Art. 5 Abs. 3 BV, der von der früheren<br />
Rechtsprechung aus Art. 4 Abs. 1 aBV hergeleitet wurde (RB 1981 Nr. 147, mit<br />
64<br />
129
64, 65<br />
Hinweisen), gilt nicht nur für die Behörden, sondern auch für das Verhalten der<br />
Privaten untereinander <strong>und</strong> gegenüber dem Gemeinwesen (Rhinow, Rz. 2397); er<br />
gebietet ein loyales <strong>und</strong> vertrauenswürdiges Verhalten im Rechtsverkehr (Yvo<br />
Hangartner in: St. Galler Kommentar zur Schweizerischen B<strong>und</strong>esverfassung,<br />
Art. 5 BV Rz. 39). Es verletzt diesen Gr<strong>und</strong>satz, wenn die Bauherrschaft im<br />
Rahmen <strong>des</strong> Bewilligungsverfahrens einer Kompromisslösung zugestimmt hat <strong>und</strong><br />
hernach geltend macht, die Durchsetzung dieser in der Folge bewilligten Lösung<br />
sei unverhältnismässig. Im Interesse <strong>des</strong> Vertrauensschutzes <strong>und</strong> der Rechtssicherheit<br />
ist in einem solchen Fall die Herbeiführung <strong>des</strong> bewilligten Zustands auch dann<br />
gerechtfertigt, wenn die Abweichung von der vereinbarten <strong>und</strong> bewilligten Lösung<br />
nur geringfügig ist.<br />
130<br />
VB.2004.00356 1. Kammer, 8. Dezember<br />
VB.2004.00375 BEZ 2005 Nr. 3<br />
65. Der Begriff der gewerblichen Baute im Sinn von Art. 37a RPG ist restriktiv<br />
auszulegen. Nicht jede irgendwie geartete teilweise gewerbliche Nutzung einer<br />
Baute macht diese zu einer gewerblichen Baute. Vielmehr ist zu verlangen,<br />
dass die gewerbliche Baute entweder einen eigenständigen Betrieb beherbergt<br />
oder aber dass in der Baute zumin<strong>des</strong>t ein wesentlicher Betriebsteil<br />
eines bestehenden Betriebs angesiedelt ist. Art. 37a RPG. Art. 43 RPV.<br />
4.1 Gegen eine Bewilligung nach Art. 37a RPG führte die Baudirektion an,<br />
diese Bestimmung erlaube nach ihrer Zielsetzung nur eine Umnutzung von Gewerbe<br />
zu Gewerbe <strong>und</strong> nicht eine solche von Gewerbe zu Wohnen. Der Regierungsrat<br />
nahm diese Argumentation in seinem Rekursentscheid nicht auf, sondern erachtete<br />
Art. 37a RPG <strong>des</strong>wegen für nicht anwendbar, weil die Liegenschaft gar nicht mehr<br />
gewerblich genutzt sei. Die Beschwerdeführerin könne sich auf keine durchgehend<br />
rechtmässige gewerbliche Nutzung berufen. Der heutigen Nutzung als Archiv für<br />
das Architekturbüro komme keine Bedeutung zu, da die Identität der Nutzungsänderung<br />
vom Magazin <strong>des</strong> Baugeschäfts zum rechtswidrigen Architekturbüro<br />
bzw. vom Architekturbüro zum Archiv nicht gegeben sei. Demgegenüber macht die<br />
Beschwerdeführerin geltend, Gewerbebauten dürften nach Art. 37a RPG durchaus<br />
auch zu Wohnzwecken umgebaut werden. Die heute bestehende gewerbliche Nutzung<br />
sei massgebend. Der Auszug <strong>des</strong> Architekturbüros sei von den Behörden unter<br />
vollständig anderen rechtlichen Voraussetzungen, als sie heute bestünden, erzwungen<br />
worden. Die Identität der bisherigen gewerblichen Nutzungen sei nach dem<br />
neueren günstigeren Recht zu beurteilen.
4.2 Gemäss Art. 37a RPG regelt der B<strong>und</strong>esrat, unter welchen Voraussetzungen<br />
Zweckänderungen gewerblich genutzter Bauten <strong>und</strong> Anlagen zulässig sind, die<br />
vor dem 1. Januar 1980 erstellt wurden oder seither als Folge von Änderungen der<br />
Nutzungspläne zonenwidrig geworden sind. Nach Art. 43 Abs. 1 RPV sind solche<br />
Zweckänderungen <strong>und</strong> Erweiterungen unter verschiedenen kumulativ zu erfüllenden<br />
Voraussetzungen (lit. a–f) zulässig. Dazu gehört insbesondere, dass die Baute<br />
oder Anlage rechtmässig erstellt oder geändert worden ist (lit. a). Sodann darf die<br />
zonenwidrig genutzte Fläche um maximal 30 Prozent erweitert werden, wobei<br />
Erweiterungen innerhalb <strong>des</strong> bestehenden Gebäudevolumens nur zur Hälfte angerechnet<br />
werden (Abs. 2). Eine Erweiterung um mehr als 100 m 2 ausserhalb <strong>des</strong> bestehenden<br />
Gebäudevolumens ist nur zulässig, wenn dies für die Fortführung <strong>des</strong><br />
Betriebs erforderlich ist (Abs. 3).<br />
Mit Art. 37a RPG verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, den sich ausserhalb der<br />
Bauzonen befindlichen Gewerbebetrieben jene Umstrukturierungen <strong>und</strong> Strukturbereinigungen<br />
zu ermöglichen, die zwecks Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit erforderlich<br />
sind (B<strong>und</strong>esamt für Raumentwicklung, Neues <strong>Raumplanungs</strong>recht,<br />
Erläuterungen zur <strong>Raumplanungs</strong>verordnung <strong>und</strong> Empfehlungen für den Vollzug,<br />
Bern 2000, S. 47 ff.). Hierfür dehnt die Sondernorm von Art. 43 RPV die Grenzen<br />
der Bestan<strong>des</strong>garantie für Gewerbebauten gegenüber der Gr<strong>und</strong>norm von Art. 24c<br />
RPG etwas aus, lässt insbesondere auch vollständige Zweckänderungen zu <strong>und</strong><br />
zieht für Erweiterungen weniger restriktive quantitative Grenzen (vgl. Peter Karlen,<br />
Die Ausnahmebewilligung nach Art. 24–24d RPG, in: ZBl 102/2001, S. 291, 302<br />
mit Hinweisen).<br />
4.3 Der fragliche Hausteil ist vor dem 1. Januar 1980 rechtmässig erstellt <strong>und</strong><br />
gewerblich genutzt worden. Seit er nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt<br />
wurde, diente er stets in irgendeiner Weise gewerblichen Zwecken. Dabei wurde jedoch<br />
die ursprüngliche Lagernutzung <strong>des</strong> Baugeschäfts 1976 aufgegeben zu Gunsten<br />
einer nach dem seinerzeitig anwendbaren Recht nicht bewilligungsfähigen<br />
Zwischennutzung als Architekturbüro. Eine gewerbliche Nutzung besteht heute insoweit<br />
fort, als der Hausteil teilweise dem umgesiedelten Architekturbüro als Archiv<br />
dient.<br />
Unter diesen Umständen ist in der Tat äusserst fraglich, ob eine rechtmässig<br />
erstellte oder geänderte gewerbliche Baute im Sinn von Art. 37a RPG in Verbindung<br />
mit Art. 43 Abs. 1 lit. a RPV vorliegt. Zu Recht ist der Regierungsrat im angefochtenen<br />
Entscheid <strong>und</strong> das B<strong>und</strong>esamt für Raumentwicklung in seiner Stellungnahme<br />
davon ausgegangen, dass die Zwischennutzung als Architekturbüro nach<br />
65<br />
131
65<br />
dem damaligen Recht unrechtmässig war <strong>und</strong> als Nutzungsänderung daher keine<br />
Berücksichtigung finden darf. Anknüpfungspunkt einer rechtmässigen gewerblichen<br />
Nutzung könnte daher von vornherein nur entweder die Lagernutzung <strong>des</strong><br />
Baugeschäfts oder die heute bestehende Archivnutzung <strong>des</strong> Architekturbüros sein.<br />
Beide Nutzungen weisen jedoch keinen hinreichenden Bezug zu einem Gewerbebetrieb<br />
auf, den der Gesetzgeber mit der Schaffung von Art. 37a RPG privilegieren<br />
wollte. Das Baugeschäft gab die Gebäudenutzung bereits 1976 auf <strong>und</strong> ist demnach<br />
nicht auf Umstrukturierungen oder Strukturbereinigungen mittels Umnutzung der<br />
Ökonomiebaute angewiesen. Die Archivnutzung <strong>des</strong> Architekturbüros wurde als<br />
solche nie einem Bewilligungsverfahren unterzogen <strong>und</strong> blieb letztlich nur als<br />
Restnutzung der aufgegebenen widerrechtlichen Büronutzung bestehen. Bereits<br />
aus diesem Gr<strong>und</strong> ist hier fraglich, ob von einer rechtmässigen Nutzungsänderung<br />
im Sinn von Art. 43 Abs. 1 lit. a RPV ausgegangen werden kann. Diese Frage könnte<br />
zwar insofern noch bejaht werden, als jedenfalls einem direkten Wechsel vom<br />
Baugeschäftslager zum Büroarchiv nach damaligem <strong>und</strong> heutigem Recht nichts<br />
entgegengestanden hätte. Jedoch ist diesbezüglich festzustellen, dass auch das in<br />
der Bauzone betriebene Architekturbüro kein Betrieb ist, der für die Erhaltung seiner<br />
Konkurrenzfähigkeit auf erweiterte Umnutzungsmöglichkeiten seines ausserhalb<br />
der Bauzone gelegenen Archivs angewiesen ist. Angesichts der stark fokussierten<br />
Zielsetzung von Art. 37a RPG auf bestehende Gewerbebetriebe ausserhalb<br />
der Bauzonen <strong>und</strong> der in Art. 43 RPV erfolgten Lockerung gegenüber den Anforderungen<br />
nach Art. 24c RPG in Verbindung mit Art. 42 RPV rechtfertigt es sich in<br />
jedem Fall, den Begriff der gewerblichen Baute im Sinn von Art. 37a RPG restriktiv<br />
auszulegen. Nicht jede irgendwie geartete teilweise gewerbliche Nutzung einer<br />
Baute macht diese zu einer gewerblichen Baute im Sinn von Art. 37a RPG. Vielmehr<br />
ist zu verlangen, dass die gewerbliche Baute entweder einen eigenständigen<br />
Betrieb beherbergt oder aber dass in der Baute zumin<strong>des</strong>t ein wesentlicher Betriebsteil<br />
eines bestehenden Betriebs angesiedelt ist. Eine lediglich teilweise <strong>und</strong><br />
bezogen auf den Gesamtbetrieb eines Architekturbüros nur untergeordnete Archivnutzung<br />
wie im vorliegenden Fall macht den bestehenden Hausteil daher nicht zu<br />
einer gewerblichen Baute mit erhöhtem Bestan<strong>des</strong>schutz. Insofern kommt der<br />
bestehenden zonenwidrigen Nutzung einer Baute durchaus ein unterschiedliches<br />
Gewicht zu je nachdem, ob sie als Begründung der bestimmungsgemässen Nutzbarkeit<br />
der Baute im Sinn von Art. 24c RPG oder aber zur Begründung einer<br />
gewerblichen Baute im Sinn von Art. 37a RPG herangezogen wird.<br />
Zum gleichen Schluss gelangte auch das B<strong>und</strong>esamt für Raumentwicklung in<br />
seiner Stellungnahme, wenn es ausführt, das Gebäude sei nicht als Gewerbebau<br />
konzipiert, es liege ein atypischer Fall vor <strong>und</strong> der Archivraum <strong>des</strong> Architekturbüros<br />
mache die Baute nicht zur Gewerbebaute. Was die Beschwerdeführerin dage-<br />
132
65, 66<br />
gen vorbringt, sticht nicht. Insbesondere lässt sich aus der allgemeinen Zielsetzung<br />
der RPG-Revision nichts Massgebliches zum Anwendungsbereich von Art. 37a<br />
RPG ableiten. Soweit der Gesetzgeber generell die Umnutzung bestehender Bausubstanz<br />
ausserhalb der Bauzonen erleichtern wollte, ist dieses Anliegen in erster<br />
Linie in die neuen Bestimmungen von Art. 24a–24d RPG eingeflossen. Auch der<br />
Umstand, dass der Wortlaut von Art. 37a RPG <strong>und</strong> Art. 43 RPV eine Umnutzung<br />
von Gewerbe zu Wohnen nicht generell ausschliesst <strong>und</strong> auch die Materialien zu<br />
dieser Frage keine klaren Hinweise ergeben, spricht weniger gegen als für einen<br />
beschränkten Anwendungsbereich von Art. 37a RPG. Die Beschwerde ist daher in<br />
ihrem Hauptantrag abzuweisen.<br />
VB.2003.00416 3. Kammer, 8. Juli<br />
BEZ 2004 Nr. 61<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid am<br />
12. Mai 2005 abgewiesen (BGr, 12. Mai 2005, 1A.186/2004, www.bger.ch).<br />
66. Die Rechtsprechung zu Art. 24c Abs. 2 RPG, dass die Möglichkeit der teilweisen<br />
Änderung nur einmal ausgeschöpft werden darf, lässt sich nicht uneingeschränkt<br />
auf zonenfremde Gewerbebauten gemäss Art. 37a RPG übertragen.<br />
Art. 43 Abs. 1 RPV sieht Erweiterung <strong>und</strong> Zweckänderung als selbständige<br />
<strong>und</strong> nebeneinander zu verwirklichende Massnahmen vor. Daraus<br />
ergibt sich, dass die Ausschöpfung einer bereits früher erfolgten Erweiterung<br />
der beabsichtigten Umnutzung nicht entgegensteht. Art. 37a RPG.<br />
Art. 43 RPV.<br />
3.3 Nach der Rechtsprechung zu Art. 24 Abs. 2 aRPG (Fassung vom 22. Juni<br />
1979) <strong>und</strong> zu Art. 24c Abs. 2 RPG darf die Möglichkeit der teilweisen Änderung<br />
nur einmal ausgeschöpft werden. Demnach sind für die Beurteilung der Frage, ob<br />
die Identität der Baute im Wesentlichen gewahrt sei, alle seit Inkrafttreten der Erlass-<br />
oder Planänderung vollzogenen Änderungen zu berücksichtigen (BGE 127 II<br />
215 E. 3a <strong>und</strong> b, mit Hinweisen).<br />
Es ist fraglich, ob <strong>und</strong> inwieweit sich diese Rechtsprechung auf die Umnutzung<br />
zonenfremder Gewerbebauten gemäss Art. 37a RPG übertragen lässt. Dabei<br />
ist zu beachten, dass die Identität der Baute gemäss Art. 42 Abs. 3 RPV nur im<br />
Anwendungsbereich von Art. 24c RPG im Wesentlichen gewahrt werden muss,<br />
während Art. 43 RPV eine solche Einschränkung bei Bewilligungen nach Art. 37a<br />
133
66<br />
RPG gerade nicht kennt. Diese Bestimmungen eröffnen für gewerbliche Bauten<br />
wesentlich weiter gehenden Änderungsmöglichkeiten <strong>und</strong> lassen insbesondere<br />
auch die vollständige Zweckänderung zu (B<strong>und</strong>esamt für Raumentwicklung, Neues<br />
<strong>Raumplanungs</strong>recht, Erläuterungen zur <strong>Raumplanungs</strong>verordnung <strong>und</strong> Empfehlungen<br />
für den Vollzug, Bern 2000, S. 47), was nach der Rechtsprechung zu Art. 24<br />
Abs. 2 aRPG gerade zum Verlust der Identität der Baute führt (vgl. BGE 113 Ib 303).<br />
Art. 43 RPV unterwirft denn auch in seinen Abs. 2 <strong>und</strong> 3 nur gerade die Erweiterung<br />
einer flächenmässigen Beschränkung. Die Rechtsprechung basiert letztlich<br />
auf der Überlegung, dass ein Baugesuchsteller weder davon profitieren soll, dass er<br />
eine Änderung oder Erweiterung in mehreren Schritten ausführt, noch bei einer<br />
schrittweisen Änderung oder Erweiterung schlechter gestellt sein soll, als wenn er<br />
diese in einer einmaligen Baumassnahme realisiert hätte. Insofern sind alle bereits<br />
vollzogenen <strong>und</strong> geplanten baulichen Massnahmen stets gesamthaft zu betrachten<br />
<strong>und</strong> in Vergleich zum ursprünglichen Referenzzustand zu würdigen. Nicht anders<br />
ist auch bei der Anwendung von Art. 37a RPG in Verbindung mit Art. 43 RPV vorzugehen.<br />
Dies führt jedoch noch nicht zum Schluss, dass eine einmal realisierte<br />
Erweiterung jede spätere Umnutzung verunmöglicht, sondern hat nur zur Folge,<br />
dass die geplante Umnutzung so zu beurteilen ist, wie wenn sie gleichzeitig mit der<br />
bereits realisierten Erweiterung erfolgen würde.<br />
Art. 43 Abs. 1 RPV sieht Erweiterung <strong>und</strong> Zweckänderung als selbständige<br />
<strong>und</strong> nebeneinander zu verwirklichende Massnahmen vor. Weder der Wortlaut der<br />
Bestimmung noch deren Sinn <strong>und</strong> Zweck oder die Materialien dazu legen die<br />
Annahme nahe, dass die beiden Änderungsarten sich gegenseitig ausschliessen <strong>und</strong><br />
ein Baugesuchsteller nur die eine oder andere vollziehen kann. Daraus ergibt sich<br />
im vorliegenden Fall, dass die Ausschöpfung einer bereits früher erfolgten Erweiterung<br />
der beabsichtigten Umnutzung nicht entgegensteht.<br />
Vorliegend liegt eine reine Zweckänderung ohne Erweiterung der bestehenden<br />
Betriebsfläche im Streit. Soweit die Baudirektion im angefochtenen Entscheid<br />
von einer Wohnraumerweiterung – dies allerdings im Zusammenhang mit der Anwendung<br />
von Art. 24c RPG – spricht, kann dem nicht gefolgt werden. Betriebsleiterwohnung,<br />
Personal- <strong>und</strong> Gästezimmer im Obergeschoss sind betriebszugehörig<br />
<strong>und</strong> haben daher als gewerblich genutzte Flächen zu gelten. Das hat bereits der<br />
Regierungsrat im angefochtenen Entscheid richtig gestellt. Der vorgesehenen<br />
Zweckänderung kann daher die bereits 1983 erfolgte Erweiterung nicht entgegengehalten<br />
werden. Die Umnutzung <strong>des</strong> Restaurants zu Büroräumen ist demnach<br />
zulässig, falls die weiteren Voraussetzungen von Art. 43 RPV erfüllt sind. Ob dies<br />
hier der Fall ist, haben die beiden Vorinstanzen noch nicht geprüft.<br />
134
66, 67<br />
3.4 Fraglich ist jedoch, ob Art. 37a RPG in Verbindung mit Art. 43 RPV auch<br />
eine Zweckänderung zur Wohnnutzung zulässt. Der Rekursentscheid äussert sich<br />
nicht zu dieser Frage. Die Baudirektion hat die Frage in der angefochtenen<br />
Verfügung unter Hinweis auf die Zielsetzung der Gesetzesrevision verneint.<br />
Im Wortlaut der beiden Bestimmungen findet sich kein Anhaltspunkt dafür,<br />
dass Art. 37a RPG bzw. Art. 43 RPV von vornherein nur Umnutzungen von Gewerbe<br />
zu Gewerbe zulassen würde. Obwohl das Hauptmotiv für Art. 37a RPG darin bestand,<br />
gewerbliche Umstrukturierungen zu erleichtern, beschränkt sich die b<strong>und</strong>esrätliche<br />
Ausführungsnorm dazu keineswegs auf solche <strong>und</strong> verlangt einzig bei<br />
Überschreiten <strong>des</strong> absoluten Masses der externen Erweiterungen gemäss Art 43<br />
Abs. 3 RPV die Fortführung <strong>des</strong> Betriebs. Entgegen der Auffassung der Baudirektion<br />
kann Art. 37a RPG gerade nicht als Spezialfall der teilweisen Änderung verstanden<br />
werden, da dieser Sondertatbestand den Rahmen der Bestan<strong>des</strong>garantie explizit<br />
weiter zieht als der Gr<strong>und</strong>tatbestand von Art. 24c Abs. 2 RPG <strong>und</strong> auch vollständige<br />
Zweckänderungen zulässt. Soweit in den Erläuterungen <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esamts<br />
für Raumentwicklung (S. 47) auf das Motto «Gewerbe bleibt Gewerbe» hingewiesen<br />
wird, steht dies nicht im Zusammenhang mit der vorliegend interessierenden<br />
Frage. Das Motto wurde vielmehr in dem Sinne relativiert, als nicht jede<br />
Umwandlung in eine andere gewerbliche Nutzung ohne Berücksichtigung der<br />
Auswirkungen auf Raum <strong>und</strong> Umwelt bewilligt werden müsse. Auch aus den Materialien<br />
ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber unter Art. 37a<br />
RPG eine Zweckänderung in Richtung Wohnnutzung ausschliessen wollte. Angesichts<br />
<strong>des</strong> Umstands, dass die Wohnnutzung in der Regel weniger Auswirkungen<br />
auf Raum <strong>und</strong> Umwelt hat als eine gewerbliche Nutzung, muss daher angenommen<br />
werden, dass der neue Art. 37a RPG auch Umnutzungen von Gewerbebauten zu<br />
Wohnzwecken zulässt, wenn die Schranken von Art. 43 RPV eingehalten sind (vgl.<br />
Peter Karlen, Die Ausnahmebewilligung nach Art. 24–24d RPG, in: ZBl 102/2001,<br />
S. 291, 302). Allerdings dürfte eine derartige vollständige Zweckänderung zur Folge<br />
haben, dass damit das Privileg, welches Art. 37a RPG nur für gewerbliche Bauten<br />
<strong>und</strong> Anlagen gewährt, für die umgenutzte Wohnbaute nicht mehr beansprucht<br />
werden kann (vgl. VGr, 8. Juli 2004, VB.2003.00416 E. 4.3 = RB 2004 Nr. 65).<br />
VB.2004.00314 3. Kammer, 11. November<br />
BEZ 2005 Nr. 1<br />
67. Die Verlegung eines öffentlichen Fusswegs, welche die Wegstrecke um über<br />
60 m verlängert, ist nicht mehr von untergeordneter Bedeutung. Die Weg-<br />
135
67<br />
136<br />
verlegung liegt daher nicht mehr im Anordnungsspielraum der kommunalen<br />
Baubehörde <strong>und</strong> kann nicht im Rahmen <strong>des</strong> Baubewilligungsverfahrens<br />
genehmigt werden. § 16 PBG.<br />
4.3.1 Die im Verkehrsplan vorgesehene Fusswegverbindung besteht bereits,<br />
womit deren Lage örtlich genau bestimmt <strong>und</strong> der Plan somit verwirklicht ist.<br />
Damit ist jedoch der Anordnungsspielraum, der trotz grösserem Detaillierungsgrad<br />
selbst bei einem Verkehrsplan besteht, nicht bleibend ausgeschöpft. Ergibt sich ein<br />
Änderungsbedarf, so ist im Rahmen <strong>des</strong> Anordnungsspielraums der zuständigen<br />
kommunalen Bewilligungsbehörde auch eine Verlegung <strong>des</strong> Fusswegs zulässig. Im<br />
vorliegenden Fall wurde die Abweichung vom kommunalen Verkehrsplan als Folge<br />
einer konkreten Gr<strong>und</strong>stücksnutzung im Baubewilligungsverfahren genehmigt. Es<br />
stellt sich somit die Frage, ob sich die vorgesehene Wegverschiebung noch im<br />
Rahmen <strong>des</strong> Anordnungsspielraums der Baubehörde bewegt <strong>und</strong> folglich richtplankonform<br />
ist.<br />
4.3.2 Die Planungen unterer Stufen haben derjenigen der obern Stufe, die<br />
Nutzungsplanungen jeder Art <strong>und</strong> Stufe der Richtplanung zu entsprechen (§ 16<br />
Abs. 1 PBG). Abweichungen sind nur zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt <strong>und</strong><br />
untergeordneter Natur sind (§ 16 Abs. 2 PBG).<br />
Im Verhältnis zwischen Richtplanung <strong>und</strong> Nutzungsplanung lässt die b<strong>und</strong>esgerichtliche<br />
Rechtsprechung Abweichungen vom Richtplan zu, wenn diese sachlich<br />
gerechtfertigt <strong>und</strong> von untergeordneter Bedeutung sind <strong>und</strong> es nach den Umständen<br />
als unzumutbar erscheint, vorher den Richtplan im förmlichen Verfahren zu ändern<br />
(Haller/Karlen, Rz. 225, unter Hinweis auf BGE 119 Ia 362, [Retschwil]). Was im<br />
Verhältnis zwischen Richt- <strong>und</strong> Nutzungsplanung gilt, muss in analoger Weise auch<br />
hier, wo der kommunale Richtplan (Verkehrsplan) nicht mittels Nutzungsplanung,<br />
sondern unmittelbar mit der Baubewilligung umgesetzt wird, gelten.<br />
4.3.3 Mit der vorgesehenen Wegführung wird deutlich vom bisherigen Verlauf<br />
gemäss Verkehrsplan abgewichen. Die Änderung führt unter anderem dazu, dass<br />
sich die Strecke in nördlicher Richtung zum Unterdorf für Fussgänger vom <strong>und</strong><br />
zum L-Weg um über 60 m verlängert. Damit ist sie nicht mehr von untergeordneter<br />
Bedeutung. Die Verschmälerung auf eine Breite von 2 m <strong>und</strong> die vorgesehene<br />
Belegung mit Betonsickersteinen sowie die gleichzeitige Funktion als Zugang zum<br />
6-Familienhaus würden die Nutzung als Verbindungsweg zusätzlich beeinträchtigen.<br />
Radfahrer <strong>und</strong> Fussgänger bevorzugen erfahrungsgemäss direkte <strong>und</strong> steigungsarme<br />
Wegverbindungen (VGr, 14. April 1999, VB.98.00307, E. 3b). Das mit
67, 68<br />
der Verlegung <strong>des</strong> Wegs verfolgte Ziel, die Durchschneidung der beiden Baugr<strong>und</strong>stücke<br />
zu vermeiden, steht vorwiegend im privaten Interesse <strong>und</strong> vermag die Verlängerung<br />
<strong>des</strong> öffentlichen Wegs nicht zu rechtfertigen.<br />
Was die Zumutbarkeit einer förmlichen Planänderung betrifft, ist in Erwägung<br />
zu ziehen, dass mit dem Verkehrsplan 1997 eine andere Wegverschiebung in<br />
der Gemeinde X einer förmlichen Planänderung unterworfen wurde. Dort wurde<br />
der als Verlängerung der M-Strasse in Richtung U führende Weg bei <strong>des</strong>sen Ersatz<br />
zur Aufhebung vorgesehen. Das von der Verlegung betroffene Wegstück ist zwar<br />
länger als im vorliegenden Fall. Der Umfang der Verschiebung auf der Ost-West-<br />
Achse <strong>und</strong> somit die allfällige Verlängerung der Wegstrecke ist jedoch praktisch<br />
gleich, wie eine Nachmessung auf dem Übersichtsplan im Massstab 1:500 ergibt.<br />
Wesentliche Unterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle<br />
rechtfertigen würden, sind nicht feststellbar. Ein Gr<strong>und</strong>, weshalb im vorliegenden<br />
Fall die örtliche Baubehörde im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens von der<br />
Festsetzung <strong>des</strong> kompetenten kommunalen Planungsträgers sollte abweichen können,<br />
ohne das förmliche Planänderungsverfahren zu durchlaufen, ist ebenfalls nicht<br />
ersichtlich.<br />
Somit ergibt sich, dass das Ausmass der Wegverlegung nicht mehr im Anordnungsspielraum<br />
der kommunalen Baubehörde liegt <strong>und</strong> folglich richtplanwidrig ist.<br />
VB.2004.00169 1. Kammer, 29. September<br />
BEZ 2004 Nr. 62<br />
68. Bei der Beurteilung, ob eine bauliche Veränderung der im Gang befindlichen<br />
Planung widerspricht, ist nicht allein auf die bei Erlass der Planungszonen<br />
herrschenden Planungsvorstellungen abzustellen, sondern die im Lauf<br />
<strong>des</strong> Planungsverfahrens gewonnenen Ansichten <strong>und</strong> neu formulierten Planungsideen<br />
<strong>und</strong> -ziele sind ebenfalls zu berücksichtigen.Art. 27 Abs. 1 RPG.<br />
§ 346 Abs. 1 PBG.<br />
2.1 […] In ihren Rechtswirkungen entspricht damit die kantonalrechtliche<br />
Planungszone gemäss § 346 PBG der im B<strong>und</strong>esrecht vorgesehenen Planungszone<br />
nach Art. 27 Abs. 1 RPG, wonach innerhalb der Planungszone nichts unternommen<br />
werden darf, was die Nutzungsplanung erschweren könnte.<br />
137
68, 69<br />
Die Planungszone dient der Sicherung der geplanten Nutzungsänderung, insbesondere<br />
der Bewahrung der Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsfreiheit der Behörden,<br />
die nicht durch Vorhaben, die den Planungsabsichten widersprechen, beeinträchtigt<br />
werden soll. Es muss ausgeschlossen werden, was immer die Planungsabsicht behindern<br />
könnte (Alexander Ruch in: Kommentar RPG, Art. 27 Rz. 21, mit Hinweisen).<br />
Voraussetzung der Anordnung der Planungszonen ist eine Absicht der Behörden,<br />
eine bestehende planerische Ordnung abzuändern. An die Konkretheit der Absicht<br />
ist kein strenger Massstab anzulegen; eine «einigermassen konkretisierte Absicht<br />
genügt» (BGE 113 Ia 362 E. 2a/bb). Die Planungsabsicht der Behörden kann<br />
in Vorstellungen oder gar Entwürfen über die neue Nutzungsordnung zum Ausdruck<br />
kommen. Die Planungsbehörde können in<strong>des</strong>sen nicht auf diese Vorstellungen<br />
verpflichtet werden; sie können im Lauf <strong>des</strong> Planungsverfahrens aufgr<strong>und</strong><br />
neuer Erkenntnisse <strong>und</strong> Einsichten ändern (Ruch, Art. 27 Rz. 29).<br />
Anders als bei einer vom Gemeinderat beantragten planungsrechtlichen<br />
Festlegung im Sinn von § 234 PBG wird durch das förmliche Festsetzen einer Planungszone<br />
das Vertrauen der Gr<strong>und</strong>eigentümer in das noch geltende Recht beseitigt;<br />
der Gr<strong>und</strong>eigentümer weiss, dass das sein Gr<strong>und</strong>stück betreffende Recht geändert<br />
werden soll <strong>und</strong> er <strong>des</strong>halb einstweilen nicht bauen darf (VGr, 2. September<br />
2002, BEZ 2002 Nr. 61) bzw. ihm nur dann eine Baubewilligung erteilt werden<br />
darf, wenn feststeht, dass das Bauvorhaben den künftigen planungsrechtlichen Festlegungen<br />
nicht – oder jedenfalls mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht – widerspricht<br />
(RB 1984 Nr. 97). Massgebend ist dabei der Planungsstand im Zeitpunkt<br />
<strong>des</strong> Entscheids über das Bauvorhaben. Nach dem Gesagten ist dabei nicht allein auf<br />
die bei Erlass der Planungszonen herrschenden Planungsvorstellungen abzustellen,<br />
sondern die im Laufe <strong>des</strong> Planungsverfahrens gewonnenen Ansichten <strong>und</strong> neu formulierte<br />
Planungsideen <strong>und</strong> -ziele sind ebenfalls zu berücksichtigen. Ansonsten<br />
würde das Institut der Planungszone seinen Zweck gerade nicht erfüllen.<br />
138<br />
VB.2004.00090 1. Kammer, 2. Juni<br />
BEZ 2004 Nr. 45<br />
69. Der Antrag <strong>des</strong> Gemeinderats auf eine planungsrechtliche Festlegung bleibt<br />
rechtserheblich, wenn die Gemeindeversammlung den Antrag an den Gemeinderat<br />
zurückgewiesen <strong>und</strong> ihn zur Vorlage von weiter gehenden Änderungen<br />
angewiesen hat. Zeitpunkt, ab welchem eine beabsichtigte Planänderung<br />
hinreichend konkretisiert ist. § 234 PBG.
3.1 Damit einem Bauvorhaben die Änderung einer planungsrechtlichen Festlegung<br />
entgegengehalten werden kann, muss sie nach dem Wortlaut von § 234 PBG<br />
(in der Fassung vom 1. September 1991) vom Gemeinderat «beantragt» sein. Damit<br />
ist klargestellt, dass beabsichtigte Planänderungen nur zu berücksichtigen sind,<br />
wenn sie vom Gemeinderat, das heisst von der Gemeindeexekutive ausgehen, <strong>und</strong><br />
ein entsprechender formeller Beschluss der Gesamtbehörde vorliegt (Wolf/Kull,<br />
Rz. 266). Allerdings ist nicht erst der formelle Änderungsantrag der Gemeindeexekutive<br />
an die Gemeindeversammlung oder zu Handen <strong>des</strong> Gemeindeparlaments<br />
massgebend, sondern muss bereits die Vorbereitungsphase der Planung mit der<br />
gemäss Art. 4 RPG <strong>und</strong> § 7 PBG vorgeschriebenen Mitwirkung der Bevölkerung<br />
vor einer Präjudizierung geschützt sein (Wolf/Kull, Rz. 267; Fritzsche/Bösch, S. 9–8).<br />
Als in diesem Sinn beantragte Änderung hat es <strong>des</strong>halb die Baurekurskommission<br />
genügen lassen, dass der Gemeinderat noch vor der vorgeschriebenen öffentlichen<br />
Auflage über einen ersten Revisionsentwurf ein freiwilliges Vernehmlassungsverfahren<br />
bei «interessierten Kreisen» durchgeführt hatte (BRK IV Nr. 166/1993, BEZ<br />
1994 Nr. 3). Diese Auslegung stützt sich auf die in der kantonsrätlichen Beratung<br />
betonte Stossrichtung der Neuformulierung von § 234 PBG, nämlich zu verhindern,<br />
dass mit Volksinitiativen, parlamentarischen Motionen <strong>und</strong> dergleichen missliebige<br />
Bauvorhaben verhindert werden können. Sie wird überdies gestützt durch<br />
die Rechtsprechung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts, welches in BGE 116 Ia 449 E. 4a darauf<br />
hingewiesen hat, dass § 234 PBG die Funktion einer Planungszone im Sinn von<br />
Art. 27 RPG habe <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb auch dem Schutz von Planänderungen vor Präjudizierung<br />
diene. Auch aus dieser b<strong>und</strong>esrechtlichen Sicht darf die Voraussetzung von<br />
§ 234 PBG, dass die Planänderung vom Gemeinderat beantragt sein muss, nicht<br />
derart eng ausgelegt werden, dass der Schutz vor Präjudizierung nicht mehr wirksam<br />
ist; die von der Exekutive mit formellen Beschlüssen dokumentierten Revisionsbestrebungen<br />
könnten sonst durch nachträglich eingereichte Baugesuche<br />
unterlaufen werden. Jedenfalls aber muss die vorgesehene Planänderung hinreichend<br />
konkretisiert sein <strong>und</strong> ernsthafte Realisierungschancen haben (RB 1982<br />
Nr. 140 = BEZ 1982 Nr. 19; RB 1993 Nr. 40). Auf den unspezifiziert gehaltenen<br />
Exekutivbeschluss, die BZO einer Revision zu unterziehen, lässt sich eine Bauverweigerung<br />
nicht stützen (Fritzsche/Bösch, S. 9–8).<br />
3.2 Die Bestrebungen zur Revision der BZO der Gemeinde Küsnacht vom<br />
5. Dezember 1994 haben eine längere Geschichte. Eine erste vom Gemeinderat<br />
beantragte Teilrevision mit dem Ziel, die Möglichkeiten zur baulichen Verdichtung<br />
zu beschränken, hat die Gemeindeversammlung vom 10. Dezember 2001 als zu wenig<br />
weit gehend zur Überarbeitung an den Gemeinderat zurückgewiesen. Dieser hat<br />
darauf am 16. Mai 2002 eine Ortsplanungskommission mit der Aufgabe beauftragt,<br />
eine neue Vorlage auszuarbeiten «als Gr<strong>und</strong>lage für Antrag <strong>und</strong> Weisung zu Han-<br />
69<br />
139
69<br />
den der Gemeindeversammlung». In einem R<strong>und</strong>schreiben von anfangs Februar 2003<br />
an alle Haushaltungen hat diese Kommission ihre am 22. Januar 2003 beschlossenen<br />
Änderungsanträge der Öffentlichkeit bekannt gegeben <strong>und</strong> am 27. Mai 2003<br />
ihren Entwurf dem Gemeinderat zur Durchführung von Anhörung <strong>und</strong> öffentlicher<br />
Auflage abgeliefert. Am 2. Oktober 2003 hat sie dem Gemeinderat ihren abschliessenden<br />
Bericht erstattet, welcher dem Gemeinderat als Gr<strong>und</strong>lage für Antrag <strong>und</strong><br />
Weisung vom 30. Oktober 2003 zu Handen der Gemeindeversammlung diente. In<br />
den Gemeindeversammlungen vom 12., 19. <strong>und</strong> 26. Januar sowie 2. Februar 2004<br />
wurde dem Antrag <strong>des</strong> Gemeinderats mit im vorliegenden Zusammenhang unwesentlichen<br />
Änderungen zugestimmt.<br />
3.3 Wie dieser Ablauf zeigt, lag ein erster Antrag zur Änderung der BZO, wie<br />
ihn § 234 PBG voraussetzt, bereits im Zeitpunkt der Gemeindeversammlung vom<br />
10. Dezember 2001 vor. Mit dem Rückweisungsbeschluss wurde die vom Gemeinderat<br />
angestrebte Planänderung nicht gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage gestellt, sondern durch<br />
den Auftrag, die vorgesehenen Beschränkungen zu verschärfen, zusätzlich unterstützt.<br />
Den ersten Antrag <strong>des</strong> Gemeinderats hat die private Beschwerdegegnerin<br />
berücksichtigt, indem sie die Gebäudelänge ihres Projekts bereits auf 35 m begrenzte.<br />
Insofern wurde dem Präjudizierungsverbot von § 234 PBG Rechnung getragen.<br />
Der von der Ortsplanungskommission im Auftrag <strong>des</strong> Gemeinderats ausgearbeitete<br />
neue Entwurf hat das Änderungsvorhaben <strong>des</strong> Gemeinderats in der von<br />
der Gemeindeversammlung vorgegebenen Zielrichtung, das heisst hin zu einer weiteren<br />
Beschränkung der baulichen Verdichtungsmöglichkeiten, weiter ausgeführt.<br />
Am Tatbestand einer vom Gemeinderat beantragten Änderung hat sich damit nichts<br />
geändert.<br />
3.4 Sodann stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Absicht zu einer<br />
Planänderung, welche die weitere Begrenzung der Gebäudelänge auf 25 m zum Gegenstand<br />
hatte, hinreichend konkretisiert war, um gestützt auf § 234 PBG einem<br />
Bauvorhaben entgegenhalten zu werden.<br />
Wie dem Zwischenbericht der Ortsplanungskommission vom 3. Februar 2003<br />
entnommen werden kann, sollte unter anderem zur Erhaltung einer wohnlichen <strong>und</strong><br />
durchgrünten Gemeinde in verschiedenen Zonen die Baumassenziffer reduziert<br />
<strong>und</strong> zur Verhinderung der unerwünschten «Riegelwirkung» in den zweigeschossigen<br />
Wohnzonen die Maximallänge für geschlossene Überbauungen von 40 auf 25 m<br />
verkürzt werden. Diese bei der Erteilung der Baubewilligung am 22. April 2003<br />
vorliegenden Änderungsvorschläge waren hinreichend konkret, um erkennen zu<br />
lassen, dass das am 20. Januar 2003 eingereichte Baugesuch der privaten Be-<br />
140
69, 70<br />
schwerdegegnerin mit einer Baumassenziffer von nahezu 1,50 <strong>und</strong> einer Länge von<br />
35 m diese in Änderung begriffenen planungsrechtlichen Festlegungen präjudizieren<br />
würde. Der Bericht stammte zwar nicht vom Gemeinderat, wie in § 234 PBG<br />
vorgesehen, betraf aber die Vorbereitungsphase der Planung, die nach dem<br />
Gesagten ebenfalls vor einer Präjudizierung zu schützen ist (vorn E. 3.1). Dabei ist<br />
zu berücksichtigen, dass der Wille, die Gebäudelänge zu beschränken, bereits aus<br />
dem ersten Entwurf <strong>des</strong> Gemeinderats hervorgegangen war <strong>und</strong> dass die<br />
Gemeindeversammlung diesen als zu wenig weit gehend zurückgewiesen hatte. Die<br />
von der Ortsplanungskommission vorgeschlagene Neuordnung wurde somit zumin<strong>des</strong>t<br />
dem Gr<strong>und</strong>satz nach von Gemeinderat <strong>und</strong> Gemeindeversammlung unterstützt,<br />
<strong>und</strong> es bestand eine hinreichend grosse Wahrscheinlichkeit, dass die vorgeschlagenen<br />
Änderungen verwirklicht würden. Unter diesen Umständen war mit<br />
dem Antrag der Kommission die Planänderung hinreichend konkretisiert <strong>und</strong> hätte<br />
daher bei der Beurteilung <strong>des</strong> Baugesuchs durch die Baubehörde am 22. April 2003<br />
berücksichtigt werden müssen.<br />
Bereits die Baukommission hätte <strong>des</strong>halb die Baubewilligung auch gestützt<br />
auf § 234 PBG verweigern müssen. Art. 19 Abs. 1a lit. e der revidierten BZO ändert<br />
daran nichts. Diese Bestimmung, wonach für Bauten, «welche vor dem 6. Juni 2003<br />
(Beginn der Vorwirkung der Teilrevision) bewilligt worden sind», die Bestimmungen<br />
von Artikel 19a gelten, will den Anwendungsbereich der Sonderbauvorschriften<br />
für bestehende Bauten gemäss Artikel 19a ordnen <strong>und</strong> nicht die Frage der negativen<br />
Vorwirkung entscheiden, die ohnehin abschliessend durch das kantonale<br />
Recht geregelt ist.<br />
VB.2004.00028 1. Kammer, 21. April<br />
70. Bei der Beurteilung der Verkehrssicherheit einer Zufahrt steht der Gemeinde<br />
ein von der Rekursinstanz zu beachtender Ermessenspielraum zu. Aus<br />
wichtigen Gründen kann von den im Anhang zur Verkehrssicherheitsverordnung<br />
geregelten technischen Anforderungen an Ausfahrten abgewichen<br />
werden. § 237, § 360 Abs. 3 PBG. § 6 Abs. 2 VerkehrssicherheitsV.<br />
4.1 […] Bei der Beurteilung der hinreichenden strassenmässigen Erschliessung<br />
steht der Gemeinde ein von der Rekursinstanz zu beachtender Ermessensspielraum<br />
zu (RB 1986 Nr. 13). Dies gilt auch bei der Prüfung der Frage der<br />
Verkehrssicherheit (VGr, 18. Dezember 2001, VB.2001.00205). Dem Katalog der<br />
zulässigen Abweichungen in § 6 Abs. 2 VerkehrssicherheitsV von den im Anhang<br />
141
70, 71<br />
dieser Verordnung geregelten technischen Anforderungen an Ausfahrten kommt<br />
keine abschliessende Bedeutung zu. Denn dies würde im Widerspruch zum genannten,<br />
der Gemeinde bei der Anwendung von § 237 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 PBG zukommenden<br />
Ermessensspielraum stehen. Entsprechend hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> schon mehrmals<br />
entschieden, dass es sich (auch) beim Anhang zur Verkehrssicherheitsverordnung<br />
um Normalien handle, von denen allgemein gestützt auf § 360 Abs. 3 PBG<br />
abgewichen werden könne (VGr, 27. September 1988, VB 88/0078; zu § 11 Zugangsnormalien<br />
vgl. RB 1988 Nr. 74 = BEZ 1988 Nr. 45). Das folgt letztlich auch<br />
aus § 237 Abs. 2 PBG, wonach der Regierungsrat über die Anforderungen (an Zufahrten)<br />
Normalien erlässt.<br />
142<br />
VB.2003.00430 1. Kammer, 18. August<br />
BEZ 2004 Nr. 64<br />
71. Gr<strong>und</strong>sätzlich dienen Flurwege der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung.<br />
Eine anderweitige Benützung eines Flurwegs bedarf der Zustimmung<br />
der Mehrheit der übrigen Flurwegeigentümer. Die Ermittlung dieser Mehrheit<br />
richtet sich nach dem Kopfstimmrechtsprinzip. Jedem Gr<strong>und</strong>eigentümer<br />
kommt demnach unabhängig von der Anzahl oder der Grösse seiner<br />
Gr<strong>und</strong>stücke nur eine Stimme zu. § 237 Abs. 1 PBG. § 108 Abs. 1 lit. b, § 110<br />
LandwirtschaftsG.<br />
2. […] Flurwege dürfen nach § 110 Abs. 1 LandwirtschaftsG von den Flurwegeigentümern<br />
unbeschränkt zur land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung ihrer<br />
Gr<strong>und</strong>stücke benutzt werden. Eine anderweitige Benützung bedarf laut § 110 Abs.<br />
2 LandwirtschaftsG der Zustimmung der Mehrheit der übrigen Eigentümer. Diese<br />
Zustimmung ist zu erteilen, wenn der Ausbaustand <strong>des</strong> Wegs für den vorgesehenen<br />
Gebrauch genügt <strong>und</strong> dieser den land- oder forstwirtschaftlichen Verkehr nicht<br />
wesentlich beeinträchtigt (§ 110 Abs. 3 LandwirtschaftsG). Kommt keine Einigung<br />
unter den Flurwegeigentümern zustande, entscheidet gemäss § 110 Abs. 4 LandwirtschaftsG<br />
der Gemeinderat.<br />
2.1 Flurwege dienen der Erschliessung von land- oder forstwirtschaftlichen<br />
Gr<strong>und</strong>stücken. Sie stehen im Gesamteigentum der Anstösser <strong>und</strong> sind als ausgeschiedene<br />
Gr<strong>und</strong>stücke ins Gr<strong>und</strong>buch aufzunehmen (§ 108 Abs. 1 lit. b LandwirtschaftsG).<br />
Das Verhältnis unter den Beteiligten richtet sich vorbehältlich besonderer<br />
Bestimmungen nach Privatrecht. Die genannte Bestimmung verweist somit auf<br />
B<strong>und</strong>eszivilrecht bzw. auf Art. 652 ff. ZGB (OGr, 29. April 1986, ZR 85/1986 Nr. 99,
E. 2b; vgl. auch Hans Huber, Das Flurwegrecht <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich, Affoltern am<br />
Albis 1944, S. 136 ff.). Zu Recht hat die Vorinstanz die Gemeinschaft der Anstösser<br />
– ein gesetzlich bestimmtes Gesamthandschaftsverhältnis – den Regeln der einfachen<br />
Gesellschaft (Art. 530 ff. OR) unterstellt, welche vom Gesetzgeber als Auffanggesellschaft<br />
konzipiert wurde.<br />
Gemäss Art. 534 OR ist für Beschlüsse der einfachen Gesellschaft gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
Einstimmigkeit erforderlich (Abs. 1). Sind vertraglich Mehrheitsbeschlüsse<br />
vorgesehen, so errechnet sich die Mehrheit nach der Personenzahl (Abs. 2); es gilt<br />
also das Kopfstimmprinzip. Mangels einer besonderen Bestimmung im Landwirtschaftsgesetz<br />
gilt das Kopfstimmprinzip auch bei Ermittlung der Mehrheit im Sinn<br />
von § 110 Abs. 2 LandwirtschaftsG. Es steht mithin jedem Gr<strong>und</strong>eigentümer unabhängig<br />
von der Anzahl Gr<strong>und</strong>stücke in seinem Eigentum eine Stimme zu (vgl. auch<br />
Huber, S. 159). Eine Gesetzeslücke liegt nicht vor, regelt doch das Recht der einfachen<br />
Gesellschaft, auf welches das Landwirtschaftsgesetz verweist, das Kopfstimmprinzip<br />
ausdrücklich. Wenn der Gesetzgeber das bei Mehrheitsbeschlüssen<br />
der einfachen Gesellschaft geltende Stimmprinzip bei Mehrheitsbeschlüssen der<br />
Gemeinschaft der Flurweggesamteigentümer nicht beabsichtigt haben sollte, wie<br />
die Beschwerdeführenden geltend machen, hätte er im Gesetz – wie bei den<br />
Unterhaltsgenossenschaften (§ 49 Abs. 2 LandwirtschaftsG) – besondere Bestimmungen<br />
erlassen können. So ist beispielsweise für die Gründung von Unterhaltsgenossenschaften<br />
gemäss § 52 Abs. 1 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 LandwirtschaftsG<br />
entweder die Mehrheit der beteiligten Gr<strong>und</strong>eigentümer oder die Mehrheit<br />
der beigezogenen Fläche erforderlich, während nach § 59 Abs. 2 LandwirtschaftsG<br />
in der Genossenschaftsversammlung jedem Mitglied «ohne Rücksicht auf<br />
den Umfang seines Gr<strong>und</strong>eigentums» eine Stimme zukommt <strong>und</strong> das Mehrheitsprinzip<br />
gilt (§ 61 Abs. 1 LandwirtschaftsG). Dass sich die Stimmrechtsverhältnisse<br />
ändern, wenn ein Eigentümer sein Gr<strong>und</strong>eigentum ganz oder teilweise auf verschiedene<br />
Personen überträgt, ist eine Folge von Art. 534 Abs. 2 OR, wonach jedem (Gesamt)Eigentümer<br />
eine Stimme zugemessen <strong>und</strong> die Stimmkraft nicht nach anderen<br />
Kriterien – z.B. nach der Gr<strong>und</strong>stücksfläche – geregelt wird. Zu Recht hat die<br />
Vorinstanz festgehalten, dass bei Ermittlung der Mehrheit im Sinn von § 110 Abs. 2<br />
LandwirtschaftsG jedem Gr<strong>und</strong>eigentümer unabhängig von der Anzahl oder Grösse<br />
seiner Gr<strong>und</strong>stücke (nur) eine Stimme zukommt.<br />
VB.2003.00050 1. Kammer, 5. Mai<br />
BEZ 2004 Nr. 24<br />
71<br />
143
72<br />
72. Für grossformatige Plakatwerbungen, sog. Megaposter, dürfen die Gemeinden<br />
die kantonale Einordnungsbestimmung durch eine Verwaltungsverordnung<br />
konkretisieren. Zulässige Anordnungen, um den Eindruck der Flüchtigkeit<br />
solcher Werbung sicherzustellen. § 238, § 321 Abs. 1 PBG.<br />
2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Megaposter nur unter der<br />
Auflage bewilligt werden kann, dass die Fläche während drei Monaten pro Jahr leer<br />
bleibt (so genannte «Brache»). Indem die Baurekurskommission diese Nebenbestimmung<br />
aufhob, habe sie ihr Ermessen zu Unrecht anstelle jenes der Beschwerdeführerin<br />
gesetzt.<br />
Anordnungen betreffend die maximale Dauer von Werbung tangieren die<br />
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV; vgl. BGE 128 I 3 E. 3a). Die vorliegend zu beurteilende<br />
Nebenbestimmung muss somit auf einer gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage beruhen<br />
(Art. 36 Abs. 1 BV). Nebenbestimmungen von Baubewilligungen können in der<br />
Regel auf § 321 Abs. 1 PBG abgestützt werden. Danach ist die Baubewilligung mit<br />
den erforderlichen Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen, Befristungen)<br />
zu verknüpfen, wenn damit Mängel <strong>des</strong> Bauvorhabens ohne besondere Schwierigkeiten<br />
behoben werden können. Die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen kann<br />
sich auch aus dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck ergeben; sie können insbesondere<br />
dann gerechtfertigt sein, falls eine Bewilligung ohne Nebenstimmungen<br />
hätte verweigert werden müssen (Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 121 II 88 E. 3a; VGr, 23. Januar<br />
2003, VB.2002.00351, E. 3a, www.vgrzh.ch; Häfelin/Müller, Rz. 902 <strong>und</strong> 918).<br />
Erteilt die Baubehörde, wie hier, eine Baubewilligung aus Einordnungsgründen<br />
nur unter einer Auflage, so darf die Baurekurskommission aufgr<strong>und</strong> ihrer eingeschränkten<br />
Kognition nur überprüfen, ob die Baubehörde aus vernünftigen Gründen<br />
annehmen durfte, dass mit der Nebenbestimmung Mängel <strong>des</strong> Bauvorhabens<br />
ohne besondere Schwierigkeiten behoben werden können (vgl. § 321 Abs. 1 PBG).<br />
Lassen sich ebenso vernünftige Gründe für weniger oder andere Nebenbestimmungen<br />
finden, darf die Rekurskommission nicht ihr Ermessen anstelle jenes der Baubehörde<br />
setzen. Die Baurekurskommission darf jedoch dann eingreifen, wenn die<br />
Gemeinde ihr Ermessen missbrauchte, überschritt oder sonst in irgendeiner Weise<br />
rechtsverletzend handhabte. Damit ist im Folgenden zu prüfen, ob die angeordnete<br />
«Brache» eine geeignete <strong>und</strong> erforderliche Massnahme darstellt, um die mit den<br />
Einordnungsvorschriften verfolgten öffentlichen Interessen zu erreichen (Art. 36<br />
Abs. 3 BV) beziehungsweise Mängel <strong>des</strong> Bauvorhabens zu beheben (§ 321 Abs. 1<br />
PBG).<br />
144
3.1 Die Baubehörde ordnete in der Bewilligung eine «Brache» an (Zeitraum,<br />
in dem die Fläche nicht mit Werbung versehen werden darf). Die Rekurskommission<br />
hob diese Auflage auf, da sich die Plakatwerbestelle genügend einordne. Die<br />
Beschwerdeführerin macht dagegen wie bereits im Rekursverfahren geltend, dass<br />
durch die «Brachzeiten» die Fassade ohne Werbung wahrgenommen werden könne.<br />
Durch den Wechsel von Verhüllen <strong>und</strong> Enthüllen würde eine Dynamik erreicht, die<br />
für den Standort <strong>und</strong> für die Art der Werbung nur Vorteile bringe. Die Beschwerdeführerin<br />
stützt sich dabei das Konzept für «grossflächige Werbebilder in der Stadt<br />
Zürich», das sie in den Jahren 1999 <strong>und</strong> 2000 im Dialog mit Vertretern der Werbebranche<br />
entwickelte. Gemäss diesem Konzept soll für ortsgeb<strong>und</strong>ene Fremdwerbung<br />
eine «Brache» von 3 Monaten <strong>und</strong> für ortsgeb<strong>und</strong>ene Eigenwerbung eine<br />
«Brache» von 8 Monaten gelten. Im Konzept wird dies wie folgt begründet:<br />
«Die neuen grossflächigen Werbebilder wirken zusammen mit den bestehenden Reklameobjekten<br />
(Plakate, Schaufenster, Logos <strong>und</strong> Schriftzüge), dem Mobiliar im<br />
Aussenraum <strong>und</strong> der Beleuchtung als ephemere (flüchtige, sich schnell verändernde)<br />
Schicht an der Oberfläche der beständigeren Bauwerke, die sie wie ein leichter,<br />
durchsichtiger Schleier umhüllt. Mit dieser in schnellen Rhythmen transformierten<br />
Schicht aktualisiert sich die Erscheinung <strong>des</strong> öffentlichen Raumes der Stadt.<br />
Die ephemere Schicht soll so gewirkt sein, dass sie die Wahrnehmung der Stadt im<br />
Tages- <strong>und</strong> im Kunstlicht mehrdeutig – in der Art von Kippfiguren – ermöglicht.<br />
Sowohl die Schicht als auch die Bauwerke sollen für sich <strong>und</strong> in ihren Überlagerungen<br />
in den Blick genommen werden können. Um dies zu gewährleisten, sind bei der<br />
Installation der sehr stark in Erscheinung tretenden grossflächigen Bilder Brachen<br />
erforderlich, Zeiträume, in der die dafür vorgesehen Stelle leer bleibt. Damit wird<br />
auch die Nachhaltigkeit der Wirkung <strong>des</strong> Auftrittes unterstützt.»<br />
Die Beschwerdeführerin darf die Modalitäten der Plakatierung im Rahmen<br />
eines Gesamtkonzepts regeln (BGE 128 I 3, 16). Aufgr<strong>und</strong> ihrer Autonomie steht<br />
es ihr auch zu, für einzelne Kategorien von Plakaten aufgr<strong>und</strong> von deren Art <strong>und</strong><br />
Grösse besondere Konzepte zu entwickeln (vgl. BGE 128 I 3, 15 E. 3e/cc). Die<br />
Beschwerdeführerin möchte mit dem vorliegenden Megaposter-Konzept eine<br />
rechtsgleiche Handhabung der Einordnungsvorschrift sicherstellen. Der Bewilligungsbehörde<br />
sollen damit Leitlinien <strong>und</strong> Gesichtspunkte zur Konkretisierung der<br />
Ermessensvorschrift von § 238 PBG vorgegeben werden. Das Konzept erweist sich<br />
damit als Verwaltungsverordnung (Häfelin/Müller, Rz. 123 f.). Weil es somit keine<br />
Rechtsquelle darstellt, sind die Gerichte nicht daran geb<strong>und</strong>en (Tschannen/<br />
Zimmerli/Kiener, S. 274). Zu berücksichtigen ist das Megaposter-Konzept nur<br />
insoweit, als es eine dem Einzelfall gerecht werdende Auslegung der massgebenden<br />
Bestimmungen zulässt (BGE 122 V 19, 25 E. 5b/bb). Für die Bewilligungs-<br />
72<br />
145
72, 73<br />
behörde heisst das wiederum, dass sie bei der Verweigerung oder der Erteilung der<br />
Bewilligung unter Auflagen nicht einfach auf die Verwaltungsverordnung verweisen<br />
darf. Vielmehr hat sie im Einzelfall zu begründen, weshalb sich die geplante<br />
Werbeanlage gerade am vorgesehenen Standort nicht befriedigend einordnet (vgl.<br />
BGr, 21. Mai 1997, ZBl 99/1998, S. 170, 175). Die Grösse der Plakatwerbung darf<br />
dabei als eines unter anderen Kriterien berücksichtigt werden; sie allein rechtfertigt<br />
jedoch nicht die Verweigerung der Bewilligung (RB 1988 Nr. 76).<br />
3.2 Mit der angeordneten «Brachezeit» soll für den Betrachter ein Wechsel<br />
bzw. eine gewisse Dynamik erkennbar werden. Die Plakatwerbestellen sollen als<br />
eine sich ständig verändernde Schicht erscheinen. Diese Dynamik wird für den<br />
Betrachter in<strong>des</strong>sen ohne weiteres dadurch erkennbar, wenn die Sujets auf den<br />
Plakatwerbestellen von Zeit zu Zeit wechseln. Mit dem Wechsel der Sujets rücken<br />
die Plakatwerbestellen in die Nähe der im Konzept erwähnten Bauwandbilder, die<br />
bereits aufgr<strong>und</strong> ihrer Beschaffenheit flüchtig wirken <strong>und</strong> deren Dauer durch die<br />
Bauarbeiten gleichsam natürlich begrenzt ist. Die Anordnung, dass die Sujets auf<br />
den Plakatwerbestellen in periodischen Abständen wechseln müssen, ist damit zur<br />
Erreichung der für den Betrachter erkennbaren Dynamik ebenso geeignet wie die<br />
angeordnete «Brachezeit». Sie erweist sich in<strong>des</strong>sen gegenüber der «Brachezeit»<br />
als die mildere Massnahme. Die Baurekurskommission hat die angeordnete «Brache»<br />
somit zwar zu Recht aufgehoben, der Beschwerdeführerin jedoch nicht Gelegenheit<br />
gegeben, eine ebenso geeignete aber mildere Nebenbestimmung (periodische<br />
Sujetwechsel) anzuordnen. Dies ist somit im Beschwerdeverfahren nachzuholen.<br />
146<br />
VB.2003.00276 1. Kammer, 10. März<br />
BEZ 2004 Nr. 26<br />
73. Bei besonders hohen Gestaltungsanforderungen sowie bei besonderen Umständen<br />
<strong>des</strong> Einzelfalls kann sich eine Befristung der Werbedauer von Plakatwerbestellen<br />
rechtfertigen. § 238, § 321 Abs. 1 PBG.<br />
3.1 Die Baubehörde ordnete in der Bewilligung eine «Brache» an; damit ist<br />
ein Zeitraum gemeint, in dem die Fläche nicht mit Werbung versehen werden darf.<br />
Die Rekurskommission hob diese Auflage auf, da sich die Plakatwerbestelle genügend<br />
einordne. Die Beschwerdeführerin macht dagegen wie bereits im Rekursverfahren<br />
geltend, dass die besondere Rücksichtnahme gegenüber dem schützenswerten<br />
Gebäude (§ 238 Abs. 2 PBG) nur durch längere Phasen mit freier Sicht auf
Gebäude <strong>und</strong> Fassade gewährleistet werden könne. Würde man den gläsernen Eckturm<br />
permanent abdecken, würde sich dies negativ auf das Erscheinungsbild der<br />
anschliessenden Fassaden auswirken. – Angesichts der vorliegend anwendbaren<br />
besonders hohen Einordnungsanforderungen […] sowie der besonderen baulichen<br />
Qualitäten <strong>des</strong> Warenhauses «Jelmoli» leuchtet die Argumentation der Beschwerdeführerin<br />
ohne weiteres ein. Die gläserne Fassade <strong>des</strong> Warenhauses wird in ihrer<br />
Gesamtheit besser sichtbar, wenn der Plakatwerbeträger über dem Eingang von Zeit<br />
zu Zeit frei bleibt. Für die Auffassung der Baurekurskommission mögen ebenso<br />
vertretbare Gründe gesprochen haben. Allerdings durfte sie <strong>des</strong>wegen ihr Ermessen<br />
nicht an Stelle <strong>des</strong>jenigen der Beschwerdeführerin setzen. Der Entscheid verletzt<br />
insoweit die Gemeindeautonomie.<br />
3.2 Gemäss der Baubewilligung darf Werbung nur während 4 Monaten pro<br />
Jahr gezeigt werden. Diese Dauer deckt sich mit dem von der Beschwerdeführerin<br />
gemeinsam mit Vertretern der Werbebranche entwickelten Konzept «grossflächige<br />
Werbebilder in der Stadt Zürich». Danach gilt für ortsgeb<strong>und</strong>ene Fremdwerbung<br />
eine «Brache» von 3 Monaten, für ortsgeb<strong>und</strong>ene Eigenwerbung dagegen eine<br />
«Brache» von 8 Monaten. – Die im Konzept getroffene Unterscheidung leuchtet<br />
nicht ein. Anordnungen betreffend die maximale Dauer von Werbung tangieren die<br />
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV; vgl. BGE 128 I 3 E. 3a). Bei der <strong>des</strong>halb gebotenen<br />
Interessenabwägung wiegt nach b<strong>und</strong>esgerichtlicher Rechtsprechung das private<br />
Interesse an Eigenwerbung schwerer als bei Fremdwerbung (BGE 128 I 3 E. 4b).<br />
Zusätzlich ist hier zu beachten, dass das Schutzobjekt ein Warenhaus ist <strong>und</strong> die<br />
Weiterführung dieser angestammten <strong>und</strong> für die Erhaltung <strong>des</strong> Schutzobjekts entscheidenden<br />
Nutzung insofern besondere Anforderungen an die Werbung stellt, als<br />
das Publikum auf das Angebot <strong>des</strong> Warenhauses <strong>und</strong> insbesondere auch auf saisonal<br />
wechselnde Angebote oder Aktionen aufmerksam gemacht werden soll. Insoweit<br />
lässt das auf andere Bedürfnisse ausgerichtete «Megaposter-Konzept» keine dem<br />
vorliegenden Einzelfall gerecht werdende Auslegung der Einordnungsbestimmung<br />
zu <strong>und</strong> ist folglich unbeachtlich (vgl. BGE 122 V 19, 25 E. 5b/bb). Damit im Interesse<br />
<strong>des</strong> Denkmalschutzes die Glasfassade auch ungestört wahrgenommen werden<br />
kann, genügt eine Beschränkung der jährlichen Werbezeit auf 6 Monate; eine<br />
Verpflichtung zum monatlichen Wechsel der Sujets ist nicht erforderlich, da bereits<br />
durch die sich laufend ändernden Werbebedürfnisse <strong>des</strong> Warenhauses für einen hinreichenden<br />
Wechsel gesorgt ist. Indem die Beschwerdeführerin eine «Brache» von<br />
mehr als 6 Monaten anordnete, hat sie ihr Ermessen rechtsungleich <strong>und</strong> damit<br />
rechtsverletzend ausgeübt. Die Baubewilligung ist folglich insoweit abzuändern.<br />
VB.2003.00336 1. Kammer, 10. März<br />
BEZ 2004 Nr. 27<br />
73<br />
147
74, 75, 76<br />
74. Abgrabungen machen ein unter dem gewachsenen Terrain liegen<strong>des</strong> Gebäude<br />
nicht zu einem oberirdischen Gebäude. Die Regel von § 269 PBG gilt<br />
nicht nur für die das gewachsene Terrain um bis zu 50 cm überragenden,<br />
sondern auch für die durch Abgrabungen freigelegten Teile einer unterirdischen<br />
Baute. § 269 PBG.<br />
148<br />
VB.2004.00202 1. Kammer, 18. August<br />
BEZ 2004 Nr. 66<br />
75. Ob eine bauliche Massnahme bewilligungspflichtig ist, ist im baurechtlichen<br />
Verfahren zu klären. Bei der Frage, ob ein solches Verfahren überhaupt<br />
einzuleiten ist, steht der Baubehörde ein erheblicher Ermessenspielraum<br />
zu. Bestehen für sie Anhaltspunkte, dass ein bewilligungspflichtiger<br />
Sachverhalt vorliegen könnte, wird sie im Zweifelsfall ein Bewilligungsverfahren<br />
einzuleiten haben. Vor allem bei Nutzungsänderungen bestehender<br />
Bauten oder Anlagen wird oft erst eine genauere Untersuchungen ergeben,<br />
ob die Zweckänderung der baurechtlichen Bewilligungspflicht untersteht.<br />
§ 309 PBG.<br />
VB.2004.00074 3. Kammer, 10. Juni<br />
BEZ 2004 Nr. 47<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid am 14. Dezember<br />
2004 abgewiesen (BGr, 14. Dezember 2004, 1A.204/2004, www.bger.ch).<br />
76. Aushubarbeiten gelten dann nicht als Baubeginn, wenn sie keinen Willen<br />
erkennen lassen, das Bauvorhaben ohne Verzögerung <strong>und</strong> unnötige Unterbrechungen<br />
zu Ende zu führen. § 322 Abs. 1 PBG.<br />
2.1 Als Baubeginn für Neubauten gilt gr<strong>und</strong>sätzlich der Aushub bzw. der Abbruch<br />
einer bestehenden Baute. Dabei wird jedoch vorausgesetzt, dass aus diesen<br />
Vorkehren auf den ernstlichen Willen geschlossen werden kann, das Bauvorhaben<br />
ohne Verzögerung <strong>und</strong> unnötige Unterbrechungen auszuführen (RB 1987 Nr. 85 =<br />
ZBl 89/1988, S. 256 = BEZ 1987 Nr. 38). Ob dies zutrifft, ist nach den gesamten<br />
Umständen zu entscheiden (Mäder, Rz. 410, mit weiteren Hinweisen, auch zum<br />
Folgenden). Mithin bildet der Aushub bzw. der Abbruch zwar ein gewichtiges Indiz
für den Baubeginn, doch darf nicht ausschliesslich auf dieses einzelne äussere<br />
Merkmal abgestellt werden; vielmehr gilt es, sämtliche objektiven <strong>und</strong> subjektiven<br />
Gesichtspunkte mitzuberücksichtigen, die den Schluss erlauben, der Gesuchsteller<br />
habe die Arbeiten mit dem Willen zur zügigen Realisierung der geplanten Baute<br />
<strong>und</strong> nicht allein zur Fristwahrung <strong>und</strong> damit zur Erhaltung der Baubewilligung vorgenommen.<br />
[…]<br />
2.4 Wie die Bauherrschaft in ihrer Rekursantwort an den Regierungsrat vom<br />
24. September 2002 ausdrücklich dargelegt hat, war ihr an einem möglichst raschen<br />
Baubeginn nur <strong>des</strong>halb gelegen, weil andernfalls die Baubewilligung verfallen wäre.<br />
Dass sie in jenem Zeitpunkt das Bauvorhaben ohne grössere Verzögerung <strong>und</strong><br />
Unterbrechungen würde ausführen können, war aufgr<strong>und</strong> der Umstände von vornherein<br />
auszuschliessen <strong>und</strong> war der Bauherrschaft offenk<strong>und</strong>ig bewusst. So räumt<br />
sie in ihrem Gesuch an den Regierungsrat vom 24. September 2002 selbst ein, dass<br />
ihr der Entzug der aufschiebenden Wirkung bezüglich <strong>des</strong> Aushubs genüge, da<br />
damit die Gefahr der Verwirkung der Baubewilligung «neutralisiert» sei. Obwohl<br />
ihr aufgr<strong>und</strong> der Baufreigabe der Stadt Bülach <strong>und</strong> <strong>des</strong> Regierungspräsidenten freigestanden<br />
wäre, die bestehenden Parkplätze zu entfernen <strong>und</strong> mit Ausnahme <strong>des</strong><br />
von der Sondernutzungskonzession erfassten Bereichs die gesamte Baugrube auszuheben,<br />
hat sich die Bauherrschaft mit einem vergleichsweise unbedeutenden<br />
Aushub begnügt <strong>und</strong> hat nicht aufgezeigt, inwiefern es sich dabei um einen für das<br />
gesamte Bauvorhaben sinnvollen Beginn der Bauarbeiten handelte oder welcher<br />
Stellenwert dieser Massnahme im Rahmen der Baustellenplanung zukommen sollte.<br />
Es ist denn auch offenk<strong>und</strong>ig, dass aufgr<strong>und</strong> der damaligen Sach- <strong>und</strong> Rechtslage<br />
an einen ernsthaften Baubeginn überhaupt nicht zu denken war: Die Bauherrschaft<br />
verfügte zwar über die seit dem 11. Oktober 1999 rechtskräftige Baubewilligung<br />
vom 18. September 1996; jedoch war nach dem Rückzug der Post das Bauvorhaben<br />
in dieser Form zwecklos geworden <strong>und</strong> hätte überdies zu seiner Verwirklichung<br />
der Sondernutzungskonzession bedurft, die der Stadtrat Bülach am 3. Juli<br />
2002 wohl erteilt hatte, gegen die aber ebenfalls ein Rekursverfahren im Gang war.<br />
Unter diesen Umständen <strong>und</strong> angesichts der Kosten, die allein für eine zweckdienliche<br />
Baustelleneinrichtung sowie für Aushub <strong>und</strong> Sicherung der Baugrube von<br />
40000 m 3 im laut Baufreigabe zulässigen Ausmass jedenfalls einige H<strong>und</strong>erttausend<br />
Franken ausgemacht hätten, wäre in jenem Zeitpunkt ein wirklicher Baubeginn<br />
wirtschaftlich nicht zu verantworten gewesen. Eine Ausführungsplanung, die<br />
es erlaubt hätte, das Bauvorhaben nach dem Aushub von 2410 m 2 vom 2. bis 9. Oktober<br />
2002 unverzüglich <strong>und</strong> ohne unnötige Unterbrechungen zu Ende zu führen,<br />
lag nicht vor. Zwar trifft es zu, dass die Bauherrschaft in jenem Zeitpunkt die Bauvorbereitungen<br />
an die Hand genommen hatte; die zu den Akten gereichten Unterlagen<br />
gehen jedoch nicht wesentlich über das für die Baufreigabe formell erforder-<br />
76<br />
149
76<br />
liche Minimum hinaus. So liegt bezüglich der Baugrubensicherung gemäss Bericht<br />
der L AG vom 23. August 2002 lediglich eine «Vordimensionierung» vor, <strong>und</strong> es<br />
wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für das Bauprojekt weitere Abklärungen<br />
erforderlich seien; dass solche in der Folge vorgenommen wurden, wird nicht<br />
behauptet. Es ist <strong>des</strong>halb davon auszugehen, dass im Oktober 2002 nicht einmal der<br />
für das Bauvorhaben notwendige Aushub ohne grössere Unterbrechungen hätte zu<br />
Ende geführt werden können.<br />
Der Regierungsrat hat die «verhältnismässig bescheidenen Vorkehrungen»<br />
der Bauherrschaft gleichwohl als Baubeginn anerkannt, weil die Baufreigabe erst<br />
am 4. bzw. 19. September 2002 erteilt worden sei; mit den zwischen dem 20. August<br />
<strong>und</strong> 26. September 2002 eingereichten Rekursen sei die Freigabe wieder in<br />
Frage gestellt <strong>und</strong> mit den superprovisorischen Verfügungen <strong>des</strong> Regierungspräsidenten<br />
vom 30. September <strong>und</strong> 8. Oktober 2002 nur mit Vorbehalten bestätigt worden.<br />
Damit übersieht die Vorinstanz, dass die Unsicherheit bezüglich Realisierung<br />
<strong>des</strong> am 18. September 1996 bewilligten Bauvorhabens in erster Linie darauf zurükkzuführen<br />
war, dass dieses wegen <strong>des</strong> Ausscheidens der Post nicht mehr in der geplanten<br />
Form verwirklicht werden sollte <strong>und</strong> zudem einer Sondernutzungskonzession<br />
<strong>des</strong> Stadtrats bedurfte, die zwar erteilt, aber wegen eines Rekursverfahrens<br />
noch nicht rechtskräftig war. Mit anderen Worten verfügte die Bauherrschaft zwar<br />
über eine seit dem 11. Oktober 1999 rechtskräftige Bewilligung, jedoch für ein Projekt,<br />
das sie in dieser Form nicht mehr realisieren wollte <strong>und</strong> bis zum Eintritt der<br />
Rechtskraft der Sondernutzungskonzession auch nicht realisieren konnte. Die von<br />
der Bauherrschaft getroffenen Massnahmen zielten somit nicht auf die rasche<br />
Realisierung <strong>des</strong> rechtskräftig bewilligten Projekts, sondern in erster Linie darauf<br />
ab, die Gültigkeit der rechtskräftigen, jedoch obsolet gewordenen Bewilligung so<br />
zu verlängern, dass die Bewilligungen für die notwendig gewordenen Projektänderungen<br />
erwirkt werden konnten. Eine solche Verlängerung der Gültigkeit der Baubewilligung<br />
um unbestimmte Zeit entspricht offenk<strong>und</strong>ig nicht dem Sinn der gesetzlichen<br />
Befristung, mit welcher verhindert werden soll, dass Bauten errichtet<br />
werden, die aufgr<strong>und</strong> der bei Baubeginn massgeblichen Sach- <strong>und</strong> Rechtslage nicht<br />
mehr bewilligt werden könnten (Mäder, Rz. 404; Hänni, S. 320, FN 231; Balthasar<br />
Heer, St. Gallisches Bau- <strong>und</strong> Planungsrecht, Bern 2003, Rz. 871).<br />
150<br />
VB.2003.00345 1. Kammer, 30. Juni<br />
BEZ 2004 Nr. 48
77, 78, 79<br />
77. Wenn die Änderung einer UVP-pflichtigen Anlage in Frage steht <strong>und</strong> diese<br />
Änderung umweltrelevante Änderungen zeitigt, muss sinnvollerweise diejenige<br />
Behörde über die Bewilligung entscheiden, die für UV-pflichtige Anlagen<br />
generell zuständig ist. Ob sich dabei auch die Frage einer neuen UVP<br />
stellt, ist nicht ausschlaggebend. Zuständige Rekursinstanz ist demnach der<br />
Regierungsrat. § 329 Abs. 2 lit. c PBG.<br />
VB.2004.00099 1. Kammer, 2. Juni<br />
BEZ 2004 Nr. 68<br />
Auf eine gegen diesen Entscheid gerichtete staatsrechtliche Beschwerde ist das B<strong>und</strong>esgericht<br />
am 23. November 2004 nicht eingetreten (BGr, 23. November 2004, 1P.438/2004, www.bger.ch).<br />
78. Beim Entscheid über die Verhältnismässigkeit <strong>des</strong> Abbruchs einer eigenmächtig<br />
erstellten baurechtswidrigen Baute sind bei den für einen Abbruch<br />
sprechenden allgemeinen Interessen auch diejenigen der Nachbarn an der<br />
Schaffung rechtmässiger Verhältnisse zu berücksichtigen. § 341 PBG.<br />
VB.2004.00151 1. Kammer, 14. Juli<br />
79. Der Bestan<strong>des</strong>schutz im Sinn von § 357 Abs. 1 PBG erfasst nur bestehende<br />
Bauten <strong>und</strong> Anlagen, nicht auch bewilligte, aber noch nicht ausgeführte<br />
Projekte. § 357 Abs. 1 PBG.<br />
VB.2004.00038 1. Kammer, 21. April<br />
BEZ 2004 Nr. 28<br />
151
80<br />
152<br />
D. Umweltrecht<br />
80. Die für die Bewilligung einer neuen ortsfesten Anlage zuständige Behörde<br />
muss begründen, weshalb die Ermittlung der Immissionen unterbleiben<br />
kann. Bei der Beurteilung einer Aufbereitungsanlage für Bauschutt ist nicht<br />
nur auf den tageweisen Einsatz der Steinbrechanlage abzustellen, sondern<br />
es sind alle Einwirkungen, die vom Betrieb <strong>des</strong> Bauschuttlagerplatzes ausgehen,<br />
einzubeziehen. Art. 8 USG. Art. 36 Abs. 1 LSV.<br />
3.1 Gemäss § 7 Abs. 1 VRG untersuchen die Verwaltungsbehörden den Sachverhalt<br />
von Amts wegen. Soweit er für die zu entscheidende Frage erheblich ist,<br />
muss die Behörde den Sachverhalt umfassend klären (Kölz/Bosshart/Röhl, § 7 N. 7).<br />
Ortsfeste Anlagen dürfen nur errichtet werden, wenn die durch diese Anlagen<br />
allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte in der Umgebung nicht überschreiten;<br />
die Bewilligungsbehörde kann eine Lärmprognose verlangen (Art. 25<br />
Abs. 1 USG). Unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung sind Emissionen<br />
im Rahmen der Vorsorge so weit zu begrenzen, als dies technisch <strong>und</strong> betrieblich<br />
möglich <strong>und</strong> wirtschaftlich tragbar ist (Art. 11 Abs. 2 USG). Die Lärmemissionen<br />
einer neuen ortsfesten Anlage müssen nach den Anordnungen der Vollzugsbehörde<br />
so weit begrenzt werden, als dies technisch <strong>und</strong> betrieblich möglich sowie wirtschaftlich<br />
tragbar ist <strong>und</strong> dass die von der Anlage allein erzeugten Lärmemissionen<br />
die Planungswerte nicht überschreiten (Art. 7 Abs. 1 LSV). Die zuständige Behörde<br />
hat die Pflicht zur Ermittlung der Immissionen, die eine ortsfeste Anlage in ihrer<br />
Umgebung verursacht, sobald Gr<strong>und</strong> zur Annahme besteht, dass die massgeblichen<br />
Belastungsgrenzwerte überschritten sind oder ihre Überschreitung zu erwarten ist<br />
(Art. 36 Abs. 1 LSV; Robert Wolf in: Kommentar USG, Art. 25 N. 95).<br />
3.2 Den sich aus dem kantonalen <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong>esrecht ergebenden Untersuchungspflichten<br />
sind weder die kommunale noch die kantonale Behörde nachgekommen.<br />
Bereits die Baueingabe für einen «Bauschuttlagerplatz für Aufbereitungsanlage»<br />
wirft Fragen auf, die näherer Abklärung bedurft hätten. Zwar wurden im Rahmen<br />
der Vorprüfung von der zuständigen kantonalen Stelle zusätzliche Unterlagen<br />
eingefordert, welche der Gesuchsteller am 1. Oktober 2001 zu den Akten reichte.<br />
Ein klares Bild über die zu bewilligende Nutzung lässt sich jedoch auch aus diesen<br />
ergänzten Unterlagen nicht gewinnen. So ist bereits die Bezeichnung «Bauschutt-
lagerplatz für Aufbereitungsanlage» missverständlich; gemeint ist offenbar die<br />
Nutzung der bisher als Autoverkaufsplatz <strong>und</strong> Material-Lagerplatz dienenden Fläche<br />
als Platz zur Lagerung <strong>und</strong> Aufbereitung von Bauschutt, letzteres unter anderem<br />
durch den Einsatz einer mobilen Kompakt-Steinbrecheranlage an 2 bis 3 Arbeitstagen<br />
pro Jahr. Unklar ist insbesondere, ob sich die Angabe, wonach weniger<br />
als 1000 Tonnen pro Jahr verarbeitet würden, allein auf das durch die Brechanlage<br />
zu verarbeitende Material bezieht, oder auf den gesamten angelieferten Bauschutt,<br />
der gemäss dem nachgereichten «Entsorgungskonzept» auch Alteisen, Kunststoff,<br />
Holz etc. umfasst, welche aussortiert <strong>und</strong> zu einer Schrottsammelstelle bzw. in eine<br />
Kehrichtverbrennungsanlage abgeführt werden. Diese Unklarheit hätte nur schon<br />
<strong>des</strong>halb vorweg beseitigt werden müssen, weil gemäss Ziff. 40.7 <strong>des</strong> Anhangs zur<br />
UVPV Anlagen zum Sortieren, Behandeln, Verwerten oder Verbrennen von Abfällen<br />
mit einer Behandlungskapazität von mehr als 1000 Tonnen pro Jahr UVPpflichtig<br />
sind. Die Frage, ob eine UVP erforderlich ist, hängt somit nicht allein von<br />
der Kapazität der Brechanlage ab, sondern von der Gesamtmenge <strong>des</strong> Bauschutts<br />
<strong>und</strong> allfälliger anderer Abfälle, die auf dem zu bewilligenden Platz angeliefert, sortiert,<br />
umgeschlagen <strong>und</strong> verarbeitet wird. Die Bewilligung müsste <strong>des</strong>halb klar festhalten,<br />
dass diese Gesamtmenge von 1000 Tonnen nicht überschritten werden darf.<br />
Ob der bisherige Umschlag-, Sortier- <strong>und</strong> Verarbeitungsprozess diese Grenze<br />
beachtet hat, was von der Beschwerdegegnerin bestritten wird, lässt sich aufgr<strong>und</strong><br />
der Akten nicht beurteilen. Da die Anlage bereits in Betrieb steht, hätten allenfalls<br />
auch die entsprechenden Geschäftsunterlagen eingefordert werden können. Die<br />
Baubewilligung äussert sich auch nicht darüber, wie die Einhaltung der mengenmässigen<br />
Begrenzung kontrolliert <strong>und</strong> durchgesetzt werden soll; die Meldepflicht<br />
gemäss Ziffer 1.2 der Baubewilligung bezieht sich ausschliesslich auf den Betrieb<br />
der Brechanlage, was nach dem Gesagten ungenügend ist.<br />
Auch die Abklärungen betreffend Lärmschutz der eigens dazu berufenen kantonalen<br />
Amtsstelle sind völlig ungenügend. Deren Verfügung vom 14. September<br />
2001 beschränkt sich neben der Wiedergabe der ihre Zuständigkeit begründenden<br />
Bestimmungen auf die Erteilung der Bewilligung mit dem Hinweis, dass nach Art.<br />
7 Abs. 1 LSV die Lärmemissionen der projektierten neuen ortsfesten Anlagen soweit<br />
zu begrenzen seien, als dies technisch <strong>und</strong> betrieblich möglich sowie wirtschaftlich<br />
tragbar ist <strong>und</strong> dass die Immissionen die Planungswerte nicht überschreiten.<br />
Eine solche blosse Wiederholung der anwendbaren Bestimmungen genügt dem<br />
verfassungsrechtlichen Begründungsgebot in keiner Weise, <strong>und</strong> für sich alleine<br />
betrachtet wäre die Verfügung <strong>des</strong> Amts für Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit der Volkswirtschaftsdirektion<br />
vom 14. September 2001 schon aus diesem Gr<strong>und</strong> aufzuheben. Inwieweit<br />
diese Verfügung durch die Rekursvernehmlassung vom 13. März 2002<br />
hätte geheilt werden können (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, § 10 N. 45), kann dahinge-<br />
80<br />
153
80, 81<br />
stellt bleiben, da auch die dortige Begründung nicht ausreicht. Selbst wenn – wie<br />
in der Rekursvernehmlassung ausgeführt wird – nur die Brechanlage für sich allein<br />
zu beurteilen wäre <strong>und</strong> es <strong>des</strong>halb wahrscheinlich wäre, dass wegen <strong>des</strong> Betriebs an<br />
nur drei Tagen pro Jahr die Belastungsgrenzwerte insofern eingehalten würden,<br />
müsste die Plausibilität einer solchen Folgerung unter Hinweis auf die geltenden<br />
Grenzwerte, die für die Ermittlung der Belastung massgeblichen Orte (Art. 39 LSV)<br />
<strong>und</strong> einer überschlagsmässigen Ermittlung <strong>des</strong> Beurteilungspegels nach Anhang 6<br />
zur LSV dargelegt werden. Wenn Art. 36 Abs. 1 LSV die Vollzugsbehörde die Ermittlung<br />
der Lärmimmissionen nur verlangt, wenn sie Gr<strong>und</strong> zur Annahme hat,<br />
dass die massgeblichen Belastungsgrenzwerte überschritten sind oder ihre Überschreitung<br />
zu erwarten ist, verlangt die Begründungspflicht min<strong>des</strong>tens einen nachvollziehbaren<br />
Hinweis darauf, weshalb kein Gr<strong>und</strong> für eine solche Annahme besteht;<br />
das muss besonders gelten, wenn es wie hier um die nachträgliche Bewilligung<br />
einer Anlage geht, deren bisheriger Betrieb bereits zu Lärmklagen geführt hat.<br />
Sodann sind gemäss Art. 8 USG die Einwirkungen sowohl einzeln als auch<br />
gesamthaft <strong>und</strong> nach ihrem Zusammenwirken zu beurteilen. Zu den Emissionen<br />
eines Lagerplatzes für Bauschutt mit Aufbereitungsanlage gehören alle mit der Anlieferung,<br />
dem Abladen, dem Sortieren, dem Zurichten für die Brechanlage, dem<br />
Brechen selber, dem Aufladen <strong>und</strong> dem Wegführen verb<strong>und</strong>enen Auswirkungen.<br />
Solche Tätigkeiten sind mit dem Betrieb <strong>des</strong> Bauschuttlagerplatzes <strong>und</strong> der Brechanlage<br />
offenk<strong>und</strong>ig verb<strong>und</strong>en, doch lässt sich den Akten nichts entnehmen, was<br />
die insgesamt verarbeiteten Mengen, den zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten <strong>und</strong><br />
die damit verb<strong>und</strong>enen Emissionen betrifft. Der Sachverhalt ist auch insofern unzureichend<br />
geklärt, <strong>und</strong> beide Bewilligungen sind auch aus diesem Gr<strong>und</strong> aufzuheben.<br />
Die Bewilligungsbehörden werden diese Untersuchungen nachholen müssen;<br />
ob gestützt auf Art. 25 Abs. 1 USG eine Lärmprognose zu verlangen ist, werden sie<br />
im Rahmen dieser Sachverhaltsermittlung zu entscheiden haben.<br />
154<br />
VB.2003.00288 1. Kammer, 11. Februar<br />
BEZ 2004 Nr. 31<br />
URP 2004 S. 336<br />
81. Wurde zu Unrecht auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
(UVP) verzichtet, erwächst die Baubewilligung so lange nicht in<br />
Rechtskraft, als sie von einem Beschwerdeführer angefochten werden kann.<br />
Die Baubewilligung muss daher vollumfänglich aufgehoben werden. Erst<br />
für den Fall, dass die Bewilligung nicht erteilt werden kann, ist mit Blick
auf die Wiederherstellung <strong>des</strong> rechtmässigen Zustands zu prüfen, wieweit<br />
der Bauherrschaft der Abbruch oder die Änderung der bereits erstellten<br />
Baute noch zugemutet werden kann. Art. 9 USG. § 341 PBG. § 30 VRG.<br />
3.1 Die Gr<strong>und</strong>idee der UVP besteht darin, dass die voraussehbaren<br />
Auswirkungen eines umweltbelastenden Vorhabens im Voraus abgeklärt <strong>und</strong> beurteilt<br />
werden sollen, damit die mit der Sache befasste Behörde entsprechend aufgeklärt<br />
entscheiden kann. Die UVP will gewährleisten, dass Projekte, welche die<br />
Umwelt erheblich belasten können, nur zur Ausführung gelangen, wenn eine eingehende<br />
Prüfung ergeben hat, dass sie auf die Erfordernisse <strong>des</strong> Umweltschutzrechts<br />
abgestimmt sind. Die Pflicht, bei solchen Projekten eine UVP durchzuführen,<br />
steht in engem Bezug zu wichtigen Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>des</strong> schweizerischen Umweltrechts,<br />
nämlich zum Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 2 USG) <strong>und</strong> zum Gr<strong>und</strong>satz<br />
der ganzheitlichen Betrachtungsweise (Art. 8 USG; zum Ganzen Heribert Rausch/<br />
Peter M. Keller in: Kommentar USG, Art. 9 N. 1 f., mit zahlreichen Hinweisen).<br />
Damit die UVP ihre optimale Wirksamkeit entfalten kann <strong>und</strong> ihre Ergebnisse<br />
die Ausgestaltung <strong>des</strong> Projekts noch zu beeinflussen vermögen, muss sie so früh<br />
wie nur möglich vorgenommen werden. Als Ausfluss <strong>des</strong> Vorsorgeprinzips soll die<br />
UVP dazu dienen, die Gesichtspunkte <strong>des</strong> Umweltschutzes zu einem Zeitpunkt zu<br />
berücksichtigen, der es noch gestattet, Alternativlösungen auszuarbeiten oder ohne<br />
erhebliche finanzielle Einbussen auf die Durchführung <strong>des</strong> Vorhabens zu verzichten<br />
(Rausch/Keller, Art. 9 N. 56, mit Hinweis).<br />
3.2 Im vorliegenden Fall wurde zu Unrecht auf eine UVP verzichtet, was auch<br />
die Beschwerdeführerin anerkennt. Sie führt jedoch gleichzeitig an, dass ihr daraus<br />
kein Nachteil erwachsen dürfe, da sie im Vertrauen auf die Korrektheit der Baubewilligung,<br />
welche explizit auf eine UVP verzichtete, das Projekt ausgeführt habe.<br />
3.2.1 Auch der Regierungsrat geht in seinem Entscheid davon aus, dass die<br />
Baubewilligung gr<strong>und</strong>sätzlich rechtskräftig geworden sei. Dementsprechend hob er<br />
die Bewilligung nur insofern auf, als darin auf eine UVP verzichtet wurde; gestützt<br />
auf das Ergebnis der nachträglich durchzuführenden UVP habe die Baubehörde danach<br />
lediglich noch zu prüfen, ob Ergänzungen (Auflagen oder andere Massnahmen)<br />
zur Baubewilligung nötig seien.<br />
Diese Rechtsauffassung ist unzutreffend. Solange die Baubewilligung vom<br />
Beschwerdegegner angefochten werden konnte, erwuchs sie nicht in Rechtskraft.<br />
Die Baubewilligung hätte daher aufgehoben werden müssen, sodass die Bau-<br />
81<br />
155
81<br />
behörde nach Durchführung der UVP über deren Erteilung hätte entscheiden können.<br />
Erst für den Fall, dass die Bewilligung nicht hätte erteilt werden können, wäre<br />
mit Blick auf die Wiederherstellung <strong>des</strong> rechtmässigen Zustands zu prüfen gewesen,<br />
wieweit der Bauherrschaft der Abbruch oder die Änderung der bereits erstellten<br />
Baute noch zugemutet werden kann (Kölz/Bosshart/Röhl, § 30 N. 52 ff.; Haller/<br />
Karlen, N. 859 ff.; Hänni, S. 326 ff.; Fritzsche/Bösch, S. 24–9 ff.). Nachdem der<br />
Beschwerdegegner den Entscheid <strong>des</strong> Regierungsrats jedoch nicht angefochten hat,<br />
ist dieser insoweit in Rechtskraft erwachsen. Die Baubewilligung kann daher mit<br />
Bezug auf den Bestand der Anlage nicht mehr in Frage gestellt werden, sondern es<br />
kommen nur noch Auflagen bzw. zusätzliche Massnahmen in Betracht.<br />
3.2.2 Die Beschwerdeführerin lässt geltend machen, der Durchführung einer<br />
nachträglichen UVP käme höchstens verfahrensrechtlicher Selbstzweckcharakter<br />
zu, da die Auswirkungen der ersten Ausbauetappe, die hier beurteilt werden müssten,<br />
im UVB zur zweiten <strong>und</strong> dritten Ausbauetappe vom 13. August 1999 behandelt<br />
worden seien. Es ergebe sich aus diesem Bericht, dass die erste Etappe nur<br />
marginale Auswirkungen zu Folge habe.<br />
Selbst wenn einzelne Auswirkungen der ersten Ausbauetappe im genannten<br />
Umweltverträglichkeitsbericht mitberücksichtigt wurden, stand diese nicht im<br />
Zentrum der Untersuchung. Es widerspräche dem Zweck der UVP, wenn an die<br />
Stelle präziser, projektbezogener Gesamtanalysen Nebenaspekte eines anderen<br />
UVB treten könnten. Dass bereits gewisse Daten erhoben worden sind, vermag die<br />
Beschwerdeführerin allenfalls im eigens zu erstellenden UVB zu verwerten. Das<br />
Interesse der Beschwerdeführerin, keine nachträgliche UVP durchführen zu müssen,<br />
wiegt auch <strong>des</strong>halb nicht schwer, weil sie diese Pflicht <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Kostenfolgen bei einer korrekten Durchführung <strong>des</strong> Bewilligungsverfahrens<br />
ohnehin getroffen hätten.<br />
3.2.3 Die Beschwerdeführerin bringt im Übrigen zu Recht nicht vor, dass sich<br />
der Beschwerdegegner den Bauentscheid zu spät habe zustellen lassen <strong>und</strong> dieser<br />
allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht mehr hätte (teilweise) aufgehoben<br />
werden dürfen (vgl. etwa BGE 102 Ib 91 E. 3). Bei einer Zeitspanne von<br />
etwas über 13 Monaten zwischen der Erteilung der Bewilligung <strong>und</strong> dem nachträglichen<br />
Zustellungsbegehren würde sich ein solcher Schluss auch verbieten.<br />
156
81, 82<br />
3.3 Insgesamt erscheint die nachträgliche Anordnung der UVP rechtlich geboten,<br />
was zur Abweisung der Beschwerde führt.<br />
VB.2003.00036 1. Kammer, 10. März<br />
BEZ 2004 Nr. 33<br />
URP 2004, S. 323<br />
82. Bei der Zuweisung der Abwasserreinigungsanlagen zu einer bestimmten<br />
Entsorgungsanlage sind die Kosten für die betroffene Gemeinde nicht das<br />
entscheidende Kriterium. Eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss mit<br />
dem Betreiber der Entsorgungsanlage kann der Gemeinde nicht auferlegt<br />
werden. Art. 31b USG.<br />
2.1 Die Beschwerdeführerin richtet sich in erster Linie gegen die im angefochtenen<br />
Beschluss statuierte feste Zuweisung ihrer Abwasserreinigungsanlage zu<br />
einer bestimmten Entsorgungsanlage, hier also zur SVA Limmattal. Für den Fall,<br />
dass wirtschaftlichere <strong>und</strong> ökologisch vertretbare Lösungen gef<strong>und</strong>en werden, verlangt<br />
sie die Möglichkeit der freien Wahl unter den Entsorgungsanlagen. Nur so<br />
bestehe der notwendige Innovationsdruck auf die bestehenden Anlagen.<br />
Die strittige Zuweisung gründet wie gesehen in der b<strong>und</strong>esrechtlichen Bestimmung,<br />
wonach die Kantone unter anderem für die Abfälle aus der öffentlichen<br />
Abwasserreinigung Einzugsgebiete festlegen (Art. 31b Abs. 1 <strong>und</strong> 2 USG). Als<br />
Einzugsgebiet muss hier analog zur Definition in Art. 31a Abs. 2 lit. a USG das<br />
Gebiet gelten, aus welchem den Anlagen der Klärschlamm übergeben werden<br />
muss. Einzugsgebiete ordnen <strong>des</strong>halb die Abfälle aus bestimmten Gebieten einer<br />
bestimmten Abfallanlage zu (vgl. Pierre Tschannen in: Kommentar USG, Art. 31b<br />
N. 20). Die Regelung von Art. 31b Abs. 2 USG gibt den Kantonen somit klarerweise<br />
die Befugnis, den in einer Abwasserreinigungsanlage anfallenden Klärschlamm<br />
einer Entsorgungs- oder Aufbereitungsanlage fest zuzuteilen. Ein Wahlrecht<br />
besteht für die Inhaber der Abwasserreinigungsanlagen nicht.<br />
2.2 Soweit die Beschwerdeführerin mit ihren Begehren Preisunterschiede eliminieren<br />
will <strong>und</strong> eine Harmonisierung in der Klärschlammentsorgung anstrebt, ist<br />
zunächst auf Folgen<strong>des</strong> hinzuweisen: Naturgemäss entstehen den Gemeinden durch<br />
die Zuweisung ihres Klärschlamms an eine Entsorgungsanlage unterschiedliche<br />
Kosten, <strong>und</strong> zwar allein schon wegen der verschiedenen Distanzen zur regionalen<br />
Entsorgungsanlage. Dass die bestehenden Entsorgungsanlagen nach unterschied-<br />
157
82<br />
lichen Techniken arbeiten <strong>und</strong> verschiedene Grössen haben, führt ebenso naturgemäss<br />
zu unterschiedlichen Kosten für die Gemeinden. Ein Anspruch auf gleichmässige<br />
Kostenbelastung besteht nicht. Zu wiederholen bleibt an dieser Stelle, dass die<br />
Kantone im Rahmen der Abfallplanung sowohl für einen wirtschaftlichen Betrieb<br />
der Anlagen zu sorgen wie auch Überkapazitäten zu vermeiden haben (Art. 31 Abs.<br />
1 <strong>und</strong> Art. 31b Abs. 2 USG). Die Kosten eines Entsorgungswegs sind <strong>des</strong>halb bei<br />
der Zuweisung nicht das einzige, geschweige denn das entscheidende Kriterium.<br />
2.3 Allerdings lässt sich die Frage aufwerfen, ob sich eine Gemeinde bei krassen<br />
Ungleichheiten, namentlich eben weil eine Anlage entgegen Art. 31b Abs. 2<br />
USG nicht wirtschaftlich betrieben wird, der Zuweisung mit Erfolg widersetzen<br />
könnte. Die gesetzliche Pflicht zu einem wirtschaftlichen Betrieb soll immerhin<br />
verhindern, dass die Kosten von schlecht ausgelasteten oder schlecht geführten<br />
Abfallanlagen auf die wegen der Ablieferungspflicht gefangenen Abfallinhaber<br />
überwälzt werden (vgl. Tschannen, Art. 31b N. 23). In<strong>des</strong> braucht die Frage vorliegend<br />
nicht entschieden zu werden. [...] Aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin<br />
<strong>und</strong> den übrigen Akten sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,<br />
dass die Entsorgung über die SVA Limmattal zu solcher Art stossenden<br />
Kostenunterschieden führen würde bzw. dass andere Entsorgungswege überhaupt<br />
preisgünstiger wären. Es besteht <strong>des</strong>halb kein Anlass, die SVA Limmattal zu verpflichten,<br />
bei einer Kostenunterdeckung andere Lösungen zu prüfen <strong>und</strong> zu realisieren<br />
bzw. sie überhaupt zu verpflichten, möglichst schnell kostengünstigere<br />
Verfahren zu prüfen <strong>und</strong> umzusetzen. [...]<br />
2.4 In Dispositiv-Ziffer V hat der Regierungsrat die Inhaber der Abwasserreinigungsanlagen<br />
verpflichtet, die Verträge zur Sicherstellung der Entsorgungsoptionen<br />
<strong>und</strong> zur Festlegung angemessener finanzieller Beteiligung bis 31. März 2004<br />
abzuschliessen (vgl. ferner Dispositiv-Ziffer I.3, wonach neben den finanziellen<br />
Verbindlichkeiten auch die Modalitäten zur Anlieferung <strong>des</strong> Klärschlamms [flüssig,<br />
entwässert, getrocknet] zwischen den Inhabern der Abwasserreinigungsanlagen<br />
<strong>und</strong> der Aufbereitungs- bzw. Entsorgungsanlage vertraglich zu regeln sind).<br />
2.4.1 In diesem Zusammenhang wendet die Beschwerdeführerin ein, dass die<br />
verrechneten Preise für die Entsorgung marktgerecht sein müssten. Sie befürchtet,<br />
dass die SVA Limmattal statt wie bisher einen Marktpreis in Zukunft den (höheren)<br />
effektiven Gestehungspreis verrechnen werde.<br />
2.4.2 Der vom Regierungsrat vorgegebene Vertragsschluss setzt naturgemäss<br />
voraus, dass sich die Betreiber der jeweiligen Entsorgungsanlage einerseits <strong>und</strong> die<br />
158
82, 83<br />
jeweiligen Inhaber der zugewiesenen Abwasserreinigungsanlagen anderseits einigen<br />
können. Dafür besteht jedoch keine Gewähr. Zudem steht es nicht im Machtbereich<br />
der Beschwerdeführerin, die SVA Limmattal zu einem Vertragsschluss zu<br />
veranlassen. Wird der Inhaber der Abwasserreinigungsanlage – wie dies Dispositiv-<br />
Ziffer V formuliert – zum Vertragsschluss verpflichtet, so muss er sich dem Diktat<br />
der SVA Limmattal faktisch unterwerfen. Kernpunkt einer vertraglichen Regelung<br />
ist in<strong>des</strong> gerade, dass die Parteien den Vertragsinhalt aushandeln können. Die<br />
Regelung gemäss Dispositiv-Ziffer V erweist sich <strong>des</strong>halb als widersprüchlich <strong>und</strong><br />
somit als rechtsverletzend. Die Tarifgestaltung kann nicht faktisch ins Belieben der<br />
Entsorgungsanlage gestellt werden.<br />
Demnach ist der Inhaber der Abwasserreinigungsanlage lediglich zum Vertragsschluss<br />
aufzufordern. Erfolgt innert angesetzter Frist keine Einigung, so wird<br />
es Sache der Behörden sein, die strittigen Punkte verfügungsmässig zu regeln <strong>und</strong><br />
dabei gegebenenfalls über die Kostenfrage oder andere Modalitäten der Klärschlammanlieferung<br />
eine Regelung zu treffen. Insofern erweist sich die Beschwerde<br />
als begründet <strong>und</strong> ist sie teilweise gutzuheissen.<br />
VB.2004.00016 4. Kammer, 26. Mai<br />
VB.2004.00029<br />
VB.2004.00044<br />
83. Die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)<br />
ist bei einer erheblichen Erweiterung einer altrechtlichen Anlage auch<br />
dann zu bejahen, wenn der geänderte Anlageteil allein nicht unter die UVP-<br />
Pflicht fallen würde. Um den Anforderungen an die Publikation bei UVPpflichtigen<br />
Projekten zu genügen, müssen die für die Beurteilung massgeblichen<br />
Angaben (Quadratmeterzahl) <strong>des</strong> Projekts enthalten sein. Art. 55<br />
USG. Art. 2 UVPV. Ziff. 80.5 Anhang UVPV.<br />
2. Für die Lösung der in diesem Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen ist<br />
von entscheidender Bedeutung, ob das mit den angefochtenen Baubewilligungen<br />
genehmigte Bauprojekt der UVP-Pflicht untersteht.<br />
2.1 Bevor eine Behörde über die Planung, Errichtung oder Änderung von Anlagen<br />
entscheidet, welche die Umwelt erheblich belasten können, ist laut Art. 9 Abs. 1<br />
USG möglichst frühzeitig deren Umweltverträglichkeit zu prüfen. Der B<strong>und</strong>esrat<br />
hat seinen Auftrag, die entsprechenden Anlagen zu bezeichnen (Art. 9 Abs. 1 USG),<br />
159
83<br />
durch eine Verweisung auf den Anhang zur UVPV erfüllt (Art. 1 UVPV). Viele der<br />
in diesem Anhang genannten Anlagen erfüllen das gesetzliche Kriterium der erheblichen<br />
Umweltbelastung nach Auffassung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esrats nur, wenn sie eine<br />
bestimmte Min<strong>des</strong>tgrösse aufweisen. Dem trägt der Katalog mit so genannten<br />
Schwellenwerten Rechnung, die als eindeutige Abgrenzungskriterien dem<br />
Rechtssicherheitsbedürfnis entgegen kommen (Heribert Rausch/Peter M. Keller in:<br />
Kommentar USG, Art. 9 N. 33 ff.). Laut Ziff. 80.5 <strong>des</strong> Anhangs zur UVPV zählen<br />
«Einkaufszentren mit mehr als 5000 m 2 Verkaufsfläche» zu den UVP-pflichtigen<br />
Anlagen.<br />
Der hier zu beurteilende Ausbau der Verkaufsfläche belief sich auf 4970 m 2 ,<br />
hätte also für sich allein genommen den Schwellenwert von 5000 m 2 nicht überschritten.<br />
Gegenüber der bereits bestehenden Verkaufsfläche von 6300 m 2 bedeutete<br />
der Ausbau jedoch eine Zunahme von r<strong>und</strong> 79 %. Bei Änderungen bestehender<br />
Anlagen, die im Anhang zur UVPV aufgeführt sind, besteht die UVP-Pflicht, wenn<br />
die Änderung wesentliche Umbauten, Erweiterungen oder Betriebsänderungen<br />
betrifft <strong>und</strong> über die Änderung im Verfahren entschieden wird, das bei neuen<br />
Anlagen für die Prüfung massgeblich ist (Art. 2 Abs. 1 UVPV; kritisch zur Gesetzeskonformität<br />
der letztgenannten Voraussetzung Rausch/Keller, Art. 9 N. 43).<br />
2.2 Die Vorinstanz führt dazu aus, dass bei Änderungen von Anlagen, die wie<br />
das zu erweiternde Möbelhaus unter altem Recht erstellt worden seien, nur dann<br />
<strong>und</strong> insoweit eine UVP durchgeführt werden müsse, als dies der Umfang der Änderung<br />
erfordere. Dabei sei nicht die Höhe <strong>des</strong> Änderungsaufwands entscheidend,<br />
sondern die Frage, ob die der Anlage zuzurechnenden Umweltbelastungen oder<br />
Umweltgefährdungen eine ins Gewicht fallende Veränderung erfahren könnten.<br />
Vorliegend handle es sich zudem um ein Möbelhaus <strong>und</strong> nicht um ein «Einkaufszentrum»<br />
im üblichen Sinn. Auch werde die Zahl der Parkplätze mit dem Ausbau<br />
nicht erweitert. Die zuständige Baubehörde habe <strong>des</strong>halb davon ausgehen dürfen,<br />
dass auf Gr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Umbaus mit keinen erheblich veränderten Auswirkungen zu<br />
rechnen sei. Die UVP sei damit zu Recht nicht angeordnet worden.<br />
Dem hält der Beschwerdeführer zunächst entgegen, die Interpretation von<br />
Ziff. 80.5 <strong>des</strong> Anhangs zur UVPV durch die Vorinstanz verletze B<strong>und</strong>esrecht, da<br />
dort nur die Begriffselemente «Einkaufszentren» <strong>und</strong> «Verkaufsfläche» genannt<br />
würden. Es sei daraus nicht ersichtlich, dass ein «Einkaufszentrum» nicht auch<br />
durch ein einziges grosses Verkaufsgeschäft gebildet werden könne. Weiter gehe es<br />
nicht an, zwei verschiedene Arten von «Verkaufsflächen» zu definieren, nämlich<br />
solche, die «verkehrsintensiv» seien <strong>und</strong> solche, die dies nicht seien. Anhaltspunkte<br />
160
für eine solche Interpretation liessen sich dem B<strong>und</strong>esrecht nicht entnehmen. Vor<br />
allem aber sei es unzulässig, dass sich die Vorinstanz auf die Rechtsprechung zur<br />
Änderung von Anlagen beziehe, für die bereits einmal eine UVP durchgeführt worden<br />
sei. Dort sei eine UVP in der Tat nur sinnvoll, wenn die Änderung aufgr<strong>und</strong><br />
ihres Umfangs selbst der UVP-Pflicht unterliege. Bei einer Altanlage dagegen, die<br />
noch nie auf ihre Umweltverträglichkeit hin überprüft worden sei, genügten bereits<br />
kleine Änderungen, um eine UVP-Pflicht zu begründen.<br />
2.3.1 Art. 2 UVPV unterscheidet zwischen Änderungen bestehender Anlagen,<br />
die im Anhang aufgeführt sind (Abs. 1), <strong>und</strong> Änderungen, nach welchen eine nicht<br />
im Anhang aufgeführte Anlage einer Anlage im Anhang entspricht (Abs. 2 lit. a).<br />
Während die Änderungen von Anlagen, die im Anhang aufgeführt sind, «wesentlich»<br />
sein müssen (Abs. 1 lit. a), ist die Regelung von Absatz 2 im Zusammenhang<br />
mit den im Anhang der UVPV enthaltenen Schwellenwerten zu verstehen: Auch<br />
unwesentliche Änderungen, die zu einer Überschreitung <strong>des</strong> Schwellenwertes führen,<br />
haben die UVP-Pflicht für die gesamte Anlage zur Folge (Rausch/Keller, Art. 9<br />
N. 44 <strong>und</strong> 48). Was dagegen als «wesentlich» im Sinn von Absatz 1 zu gelten hat,<br />
lässt sich nicht abstrakt, sondern nur fallbezogen <strong>und</strong> im Hinblick auf den Zweck<br />
der UVP beurteilen (Rausch/Keller, Art. 9 N. 43). Mit der UVP sollen die voraussehbaren<br />
Auswirkungen eines umweltbelastenden Vorhabens im Voraus abgeklärt<br />
<strong>und</strong> beurteilt werden, damit die mit der Sache befasste Behörde entsprechend aufgeklärt<br />
entscheiden kann. Die UVP soll gewährleisten, dass Projekte, welche die<br />
Umwelt erheblich belasten können, nur zur Ausführung gelangen, wenn eine eingehende<br />
Prüfung ergeben hat, dass sie auf die Erfordernisse <strong>des</strong> Umweltschutzrechts<br />
abgestimmt sind (Rausch/Keller, Art. 9 N. 1 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass<br />
die Schwelle für die Durchführung einer UVP nicht zu hoch gelegt werden darf:<br />
Laut Art. 8 Abs. 2 UVPV kann nämlich auch bei an sich bestehender UVP-Pflicht<br />
auf die Erstellung eines detaillierten UVB verzichtet werden, wenn bereits die<br />
Voruntersuchung ergibt, dass keine erheblichen Auswirkungen zu erwarten sind.<br />
Im vorliegenden Fall geht es um die Erweiterung eines altrechtlichen Möbelhauses,<br />
bei <strong>des</strong>sen Errichtung noch keine UVP im Sinn der Umweltschutzgesetzgebung<br />
durchgeführt werden musste. Die Erweiterung der Verkaufsfläche ist erheblich<br />
<strong>und</strong> entspricht für sich selbst fast schon dem Schwellenwert von 5000 m 2 gemäss<br />
Ziff. 80.5 <strong>des</strong> Anhangs zur UVPV. Die bisherige Verkaufsfläche wird um<br />
knapp 79 % vergrössert. Zusammen mit der bereits bestehenden Verkaufsfläche, für<br />
die noch nie eine UVP durchgeführt werden musste, wird das Doppelte <strong>des</strong> Schwellenwerts<br />
überschritten. Alle diese Faktoren sprechen für die UVP-Pflicht.<br />
83<br />
161
83<br />
2.3.2 Die Vorinstanz bezweifelt, dass mit den «Einkaufszentren» in Ziff. 80.5<br />
<strong>des</strong> Anhangs zur UVPV auch Grossläden gemeint seien. Die von einem Grossladen<br />
wie einem Möbelhaus verursachten Umweltbelastungen seien bedeutend geringer<br />
als die Belastungen durch ein gleich grosses Einkaufzentrum mit verschiedenen<br />
Verkaufsläden. Selbst wenn die Annahme der Vorinstanz zutreffen sollte, wäre die<br />
von ihr angeführte mindere Umweltbelastung durch ein Möbelhaus nicht bereits bei<br />
der Überprüfung der UVP-Pflicht, sondern erst im UVP-Verfahren zu berücksichtigen.<br />
Mit der Umschreibung der Anlagetypen mitsamt gewissen Schwellenwerten<br />
wollte der B<strong>und</strong>esrat – wie vorne ausgeführt – eine praktikable Lösung im Interesse<br />
der Rechtssicherheit treffen. Wenn ein bestimmter Anlagetyp den jeweiligen<br />
Schwellenwert überschreitet, ist eine UVP erforderlich. Diese klare Regelung darf<br />
von den Bewilligungsbehörden nicht unterlaufen werden, indem die Umschreibung<br />
der Anlagetypen restriktiv ausgelegt wird. Auf jeden Fall findet die Unterscheidung<br />
nach Einkaufszentren mit nur einem <strong>und</strong> solchen mit mehreren Verkaufsgeschäften<br />
im einschlägigen B<strong>und</strong>esrecht keine Stütze.<br />
2.3.3 Angesichts <strong>des</strong> Zwecks der UVP, <strong>des</strong> erheblichen Umfangs der Verkaufsflächenerweiterung<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong> klaren Wortlauts von Ziff. 80.5 <strong>des</strong> Anhangs zur<br />
UVPV kann der vorinstanzlichen Ansicht nicht gefolgt werden, nach welcher im<br />
vorliegenden Fall die UVP-Pflicht nicht feststehe. Vielmehr ergibt sich diese aus<br />
Art. 2 in Verbindung mit Ziff. 80.5 <strong>des</strong> Anhangs zur UVPV.<br />
3. Unterliegt ein Änderungsprojekt wie im vorliegenden Fall der UVP-Pflicht,<br />
so ist der Beschwerdeführer gemäss Art. 55 USG auch befugt, sämtliche Interessen<br />
<strong>des</strong> Umweltschutzes geltend zu machen (BGE 126 II 460 E. 2 am Ende). Er kann<br />
damit auch geltend machen, in einem bestimmten Verfahren sei eine UVP zu<br />
Unrecht unterblieben. Verneint die zuständige Behörde die UVP-Pflicht, so ist das<br />
Rechtsmittel abzuweisen, andernfalls ist es gutzuheissen. Der Regierungsrat hätte<br />
als Vorinstanz demnach – selbst wenn er die UVP-Pflicht verneint hat – unter diesem<br />
Gesichtspunkt auf den Rekurs eintreten müssen, wenn die übrigen Prozessvoraussetzungen<br />
erfüllt gewesen wären (VGr, 29. März 2001, BEZ 2001 Nr. 22 E. 2a).<br />
Letzteres hat die Vorinstanz verneint, da die Beschwerdeführerin das Rekursrecht<br />
gemäss § 316 PBG verwirkt habe.<br />
4.1 Die Bewilligung von Anlagen, für die eine UVP durchgeführt werden<br />
muss, ist gemäss Art. 55 Abs. 1 USG den beschwerdeberechtigten Organisationen<br />
durch schriftliche Mitteilung oder Publikation im B<strong>und</strong>esblatt oder Amtsblatt zu eröffnen<br />
(Art. 55 Abs. 4 Satz 1 USG). Damit sich die entsprechenden Organisationen<br />
von Anfang an am Verfahren beteiligen können (Art. 55 Abs. 4 Satz 2 USG), haben<br />
162
Rechtsprechung <strong>und</strong> Lehre Min<strong>des</strong>tanforderungen an die Publikation <strong>des</strong> Projekts<br />
formuliert, die sich aus dem Zweck der Publikation ergeben. Diese soll den berechtigten<br />
Organisationen eine erste Meinungsbildung zur Bedeutung <strong>des</strong> Vorhabens<br />
unter Umweltschutzaspekten <strong>und</strong> zur Notwendigkeit einer Anfechtung ermöglichen<br />
(Theodor H. Loretan in: Kommentar USG, Art. 55 N. 44). Die Publikation muss<br />
min<strong>des</strong>tens über Art, Zweck <strong>und</strong> Umfang <strong>des</strong> Vorhabens, Ort <strong>und</strong> raumplanerische<br />
Einordnung sowie betroffene b<strong>und</strong>es- oder kantonalrechtlich geschützte Gebiete<br />
Aufschluss geben (Peter M. Keller, Das Beschwerderecht der Umweltorganisationen,<br />
AJP 1995, S. 1125 ff., 1131; Isabelle Romy, Les droits de recours administratif<br />
<strong>des</strong> particuliers et <strong>des</strong> organisations en matière de protection de l'environnement,<br />
URP 2001, S. 248 ff., 272). Bei UVP-pflichtigen Vorhaben müssen entsprechend<br />
dem Zweck der Publikation auch der Gr<strong>und</strong> der UVP <strong>und</strong> die massgeblich betroffenen<br />
Umweltbereiche in Stichworten aufgeführt werden (Loretan, Art. 55 N. 44).<br />
Im Hinblick auf die für die UVP-Pflicht massgeblichen Schwellenwerte sind auch<br />
bezüglich der dafür relevanten Dimensionen (Quadratmeterzahlen, Parkplatzzahlen<br />
etc.) Angaben zu machen; dies zumin<strong>des</strong>t dann, wenn die Schwellenwerte nicht<br />
deutlich unterschritten werden.<br />
4.2 Die Vorinstanz hat die Publikation <strong>des</strong> Projekts darauf hin überprüft, ob<br />
sie in Einklang mit den Anforderungen von § 314 Abs. 3 PBG die nötigen Angaben<br />
über Ort <strong>und</strong> Art <strong>des</strong> Vorhabens sowie über den Gesuchsteller enthielt. Diese Frage<br />
hat sie bejaht. Da zum Zeitpunkt der Publikation Unklarheit über eine allfällige<br />
UVP-Pflicht bestanden habe, hätten die soeben beschriebenen strengeren Anforderungen<br />
an die Publikation nicht angewandt werden müssen, was die Publikation<br />
<strong>des</strong> Ausbauprojekts als genügend erscheinen lasse. Die Publikation sei anderseits<br />
aber präzis genug gewesen, damit bei einem aufmerksamen, für eine ideelle<br />
Organisation arbeitenden Leser, dem die Verhältnisse in Zürich-Nord nicht völlig<br />
fremd seien, der Verdacht hätte aufkommen müssen, dass es sich um ein grösseres<br />
Möbelkaufhaus handelte. Die Ausschreibung hätte nach vorinstanzlicher Ansicht<br />
von einer Umweltorganisation, welche die von ihr zu erwartende Sorgfalt bei der<br />
Ausübung ihres Beschwerderechts nach Art. 55 USG aufgewendet hätte, als «problematisch»<br />
erkannt werden müssen. Der bescheidene Aufwand, der mit einem Zustellungsbegehren<br />
gemäss § 315 PBG verb<strong>und</strong>en sei, wäre vom Beschwerdeführer<br />
als bedeutender Umweltschutzorganisation zu erwarten gewesen. Dies ergebe sich<br />
allein schon daraus, dass der Beschwerdeführer in früheren Verfahren, in denen<br />
ebenfalls keine UVP durchgeführt worden sei, die von ihm vertretenen Interessen<br />
zu wahren gewusst habe. Der Beschwerdeführer habe <strong>des</strong>halb sein Beschwerderecht<br />
gemäss § 316 Abs. 1 PBG verwirkt, weshalb auf seinen Rekurs nicht einzutreten<br />
sei.<br />
83<br />
163
83<br />
4.3 Für die Anforderungen, die an die Publikation eines Bauprojekts gestellt<br />
werden, kann nicht entscheidend sein, ob sich die zuständige Behörde zum Zeitpunkt<br />
der Publikation über eine allfällige UVP-Pflicht im Klaren war. Die UVP-<br />
Pflicht lässt sich gr<strong>und</strong>sätzlich aus dem einschlägigen B<strong>und</strong>esrecht in objektiver<br />
Weise ableiten. Der Wissensstand oder die Rechtsauffassung einer einzelnen Behörde<br />
ist dabei nicht massgeblich. Die Publikation muss im vorliegenden Fall <strong>des</strong>halb<br />
den strengeren Anforderungen genügen, die bei einem UVP-pflichtigen Projekt<br />
gelten (vorn E. 4.1).<br />
Der Publikation <strong>des</strong> Projekts war weder eine Angabe zu einem allfälligen<br />
UVB noch zum Umfang der Erweiterung zu entnehmen. Gerade zum Umfang der<br />
Erweiterung, der lediglich 30 m 2 unter dem Schwellenwert von 5000 m 2 lag, hätten<br />
nach den vorstehenden Ausführungen Angaben gemacht werden müssen (vorn E.<br />
4.1). Allein die Formulierung, dass das bisherige Attikageschoss in zwei Vollgeschosse<br />
<strong>und</strong> zwei Dachgeschosse umgewandelt werden solle, lässt noch keine<br />
Rückschlüsse auf den Umfang <strong>des</strong> Projekts zu. Es hätte sich gr<strong>und</strong>sätzlich auch um<br />
ein viel kleineres Gebäude handeln können, mit <strong>des</strong>sen Ausbau nur eine viel geringere<br />
Zunahme der Verkaufsfläche verb<strong>und</strong>en gewesen wäre. Objektiv betrachtet<br />
musste <strong>des</strong>halb auch bei einem aufmerksamen Leser nicht der Verdacht aufkommen,<br />
dass es sich hier um eine derart umfangreiche Erweiterung der Verkaufsfläche<br />
handelte.<br />
Soweit die Vorinstanz geltend macht, der Beschwerdeführer habe in früheren<br />
Verfahren die von ihm vertretenen Interessen zu wahren gewusst, indem er die<br />
Objekte, die eigentlich der UVP unterstanden hätten, zu identifizieren vermochte,<br />
kann ihren Schlüssen nicht gefolgt werden. Es ist nicht zulässig, an eine Umweltorganisation,<br />
die sich aktiv bereits an verschiedenen Verfahren beteiligt hat, höhere<br />
Anforderungen zu stellen als an Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter anderer Umweltorganisationen.<br />
Dass der Beschwerdeführer in diesem speziellen Fall nicht zwischen<br />
den Zeilen der wenig aussagekräftigen Publikation zu lesen vermochte, kann<br />
ihm nicht zum Nachteil angerechnet werden. Vielmehr ist hier davon auszugehen,<br />
dass die Publikation den Anforderungen nicht genügte, weil sie zu massgeblichen<br />
Punkten keine Angaben enthielt. Deshalb durfte vom Beschwerdeführer auch objektiv<br />
nicht erwartet werden, sich innert der zwanzigtägigen Frist den Entscheid gemäss<br />
§ 315 Abs. 1 PBG zustellen zu lassen.<br />
4.4 Dem Beschwerdeführer war es bei aller zumutbaren Aufmerksamkeit<br />
objektiv nicht möglich, sein allfälliges Beschwerderecht aufgr<strong>und</strong> der Publikation<br />
<strong>des</strong> Projekts, die den Anforderungen von Art. 55 Abs. 4 Satz 1 USG nicht genügte,<br />
164
83, 84<br />
zu erkennen. Er hat sein Rekursrecht daher nicht verwirkt, weshalb die Vorinstanz<br />
auf seinen Rekurs hätte eintreten müssen.<br />
VB.2003.00054 1. Kammer, 10. März<br />
BEZ 2004 Nr. 32<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine <strong>Verwaltungsgericht</strong>sbeschwerde gegen diesen Entscheid am<br />
5. November 2004 abgewiesen (BGr, 5. November 2004, 1A.136/2004, www.bger.ch).<br />
84. Im Bereich öffentlicher Kanalisationen muss das verschmutzte Abwasser in<br />
die Kanalisation eingeleitet werden. Eine Befreiung von dieser Anschlusspflicht<br />
ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Sonderfällen möglich. Das<br />
revidierte Gewässerschutzgesetz schliesst eine Härtefallpraxis aus, die weitere<br />
Ausnahmen von der Anschlusspflicht gestatten würde. Der B<strong>und</strong>esgesetzgeber<br />
hat die Abwägung zwischen öffentlichem <strong>und</strong> privatem<br />
Interesse an der Anschlusspflicht im Bereich öffentlicher Kanalisationen<br />
verbindlich getroffen; zu prüfen bleibt lediglich die Eignung <strong>und</strong> Erforderlichkeit<br />
der angeordneten Massnahme. Art. 11, Art. 12 GSchG. Art. 191 BV.<br />
3.1 Im Bereich öffentlicher Kanalisationen muss das verschmutzte Abwasser<br />
in die Kanalisation eingeleitet werden (Art. 11 Abs. 1 GSchG). Der Bereich öffentlicher<br />
Kanalisationen umfasst namentlich die Bauzonen <strong>und</strong> die weiteren Gebiete,<br />
für die eine Kanalisation erstellt worden ist (Art. 11 Abs. 2 lit. a <strong>und</strong> b GSchG).<br />
Sonderfälle sind in Art. 12 GSchG geregelt; sie betreffen Abwasser, das den Anforderungen<br />
an die Einleitung in die Kanalisation nicht entspricht oder für die Behandlung<br />
in einer zentralen Abwasserreinigungsanlage ungeeignet ist, sodann nicht<br />
verschmutztes Abwasser <strong>und</strong> schliesslich Abwasser aus Landwirtschaftsbetrieben<br />
mit erheblichem Rindvieh- <strong>und</strong> Schweinebestand.<br />
Mit dieser Regelung unterscheidet sich das geltende Gewässerschutzgesetz<br />
von der früheren Ordnung: Gemäss Art. 18 Abs. 1 Satz 1 <strong>des</strong> aufgehobenen Gewässerschutzgesetzes<br />
vom 8. Oktober 1971 (aGSchG) galt zwar auch schon eine allgemeine<br />
Anschlusspflicht im Bereich der Kanalisation. Ausnahmsweise jedoch<br />
konnte für Abwässer, die für die zentrale Reinigung nicht geeignet waren oder für<br />
die diese aus anderen wichtigen Gründen nicht angezeigt war, eine besondere Art<br />
der Behandlung oder Ableitung angeordnet werden (Satz 2). Das B<strong>und</strong>esgericht<br />
bezeichnete diese gesetzliche Ausnahmeregelung als allgemeines Rechtsinstitut,<br />
das bezwecke, im Einzelfall Härten <strong>und</strong> offensichtliche Unzweckmässigkeiten zu<br />
beseitigen (BGE 107 Ib 116 E. 2b, 112 Ib 51 E. 5).<br />
165
84<br />
Anders als diese altrechtliche Regelung von Art. 18 Abs. 1 aGSchG lässt die<br />
geltende Ordnung eine Befreiung von der Kanalisationsanschlusspflicht nicht mehr<br />
mit einer generellen Ausnahmebestimmung zu, sondern beschränkt sie auf die dargelegten<br />
klar umschriebenen Sonderfälle.<br />
3.2 Die Liegenschaft <strong>des</strong> Beschwerdeführers 2 befindet sich im Bereich der<br />
öffentlichen Kanalisation. Nahe bei der nordwestlichen Hausecke befindet sich ein<br />
Schmutzwasseranschluss. Die Liegenschaft untersteht somit der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Einleitungspflicht gemäss Art. 11 GSchG. Sodann liegt kein Sonderfall gemäss Art.<br />
12 GSchG vor. Es fragt sich somit, ob im Hinblick auf besondere Umstände ausnahmsweise<br />
dennoch keine Einleitungspflicht besteht.<br />
3.3 Das Berner <strong>Verwaltungsgericht</strong> hielt im Jahr 1994 unter Berücksichtigung<br />
<strong>des</strong> Inkrafttretens <strong>des</strong> neuen Gewässerschutzgesetzes fest, dass der – im Hinblick<br />
auf die vormalige generelle Ausnahmeregelung entwickelte – Härtefallpraxis, welche<br />
unter Umständen aus finanziellen oder ähnlichen Überlegungen zu einer Befreiung<br />
von der Anschlusspflicht hat führen können, unter neuem Recht keine Bedeutung<br />
mehr zukomme (BVR 1996, S. 17 ff., E. 3b/cc).<br />
Dasselbe Gericht hat diese Formulierung in einem späteren Urteil allerdings<br />
als zu absolut bezeichnet <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb trotz der Gesetzesrevision auf die b<strong>und</strong>esgerichtliche<br />
Rechtsprechung zu Art. 18 Abs. 1 aGSchG zurückgegriffen. Dazu führte<br />
das Gericht im Wesentlichen aus, dass die Härtefallpraxis nichts anderes als der Ausdruck<br />
einer verfassungskonformen Auslegung <strong>des</strong> Gesetzes sei, könne doch eine<br />
vorbehaltlose Anwendung einer allzu strikten Regelung zu unverhältnismässigen<br />
<strong>und</strong> damit verfassungswidrigen Ergebnissen führen (BVR 1999, S. 456 ff., E. 2c,<br />
mit Hinweis auf BGE 119 Ia 190 E. 7a).<br />
3.4 Es trifft zu, dass staatliches Handeln im öffentlichen Interesse liegen <strong>und</strong><br />
verhältnismässig sein muss (Art. 5 Abs. 2 BV). Unbeachtet blieb in der neuen Argumentation<br />
<strong>des</strong> Berner <strong>Verwaltungsgericht</strong>s jedoch Art. 191 BV, wonach B<strong>und</strong>esgesetze<br />
<strong>und</strong> Völkerrecht für die rechtsanwendenden Behörden massgebend sind;<br />
tatsächlich hatte sich der im Berner Urteil zitierte B<strong>und</strong>esgerichtsentscheid 119 Ia<br />
178 denn auch nicht mit einer gesetzlichen Regelung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>es zu befassen.<br />
Gemäss Art. 191 BV ist es dem B<strong>und</strong>esgericht verwehrt, einem B<strong>und</strong>esgesetz<br />
mit der Begründung, es sei verfassungswidrig, die Anwendung zu versagen. Das<br />
schliesst die Anwendung allgemein anerkannter Auslegungsprinzipien, besonders<br />
der Regel, dass B<strong>und</strong>esgesetze verfassungskonform auszulegen sind, zwar nicht<br />
166
aus. Art. 191 BV statuiert in diesem Sinn ein Anwendungsgebot, kein Prüfungsverbot.<br />
Allerdings findet die verfassungskonforme Auslegung – auch bei festgestellter<br />
Verfassungswidrigkeit – im klaren Wortlaut <strong>und</strong> Sinn einer Gesetzesbestimmung<br />
ihre Schranke (BGE 129 II 249 E. 5.4, 123 II 9 E. 2, je mit Hinweisen;<br />
vgl. zur neuen B<strong>und</strong>esverfassung: Botschaft zur BV, BBl 1997 I 428 f., sowie<br />
Häfelin/Haller, N. 2086 ff.).<br />
3.5 Mit der Streichung von «wichtigen Gründen» als allgemeinem Ausnahmetatbestand<br />
(Art. 18 Abs. 1 Satz 2 aGSchG) hat der Gesetzgeber deutlich zum<br />
Ausdruck gebracht, dass in Bauzonen <strong>und</strong> in Gebieten, für die eine Kanalisation<br />
erstellt ist, eine Anschlusspflicht – abgesehen von den Sonderfällen gemäss Art. 12<br />
GSchG – stets zu bejahen ist. Eine Überprüfung von Zweckmässigkeit <strong>und</strong> Zumutbarkeit<br />
<strong>des</strong> Anschlusses besteht nur ausserhalb von Bauzonen <strong>und</strong> anderen Gebieten,<br />
für welche eine Kanalisation erstellt ist (Art. 11 Abs. 2 lit. c GSchG). Es ist<br />
somit in Übereinstimung mit dem klaren Gesetzeswortlaut davon auszugehen, dass<br />
verschmutztes Abwasser im Bereich der öffentlichen Kanalisation – abgesehen von<br />
den in Art. 12 GSchG namentlich aufgeführten Ausnahmetatbeständen – in die Kanalisation<br />
geleitet werden muss. Es entspricht im Übrigen allgemeiner Rechtsprechung,<br />
dass eine Ausnahmebewilligung nur aufgr<strong>und</strong> einer ausdrücklichen Vorschrift<br />
erteilt werden kann (vgl. Imboden/Rhinow, Nr. 37 B II, S. 226; Häfelin/<br />
Müller, Rz. 2539). Selbstredend vermag an dieser Regelung auch § 20 Abs. 2 EG<br />
GSchG nichts zu ändern. Zwar könnte diese Bestimmung dahin gehend verstanden<br />
werden, dass sie in selbständiger Weise Ausnahmen von der Anschlusspflicht vorsehen<br />
will. Als kantonales Recht hat die Norm jedoch von vornherein der Regelung<br />
im B<strong>und</strong>esgesetz zu weichen (vgl. etwa Häfelin/Haller, Rz. 1173 ff.).<br />
3.6 Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Rechtslage fragt sich sodann, inwieweit die<br />
angefochtene Anordnung trotz Art. 191 BV auf Übereinstimmung mit dem verfassungsmässigen<br />
Gebot zu verhältnismässigem Handeln überprüft werden kann.<br />
3.6.1 Mit der Regelung gemäss Art. 11 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 lit. a <strong>und</strong> b GSchG hat<br />
der Gesetzgeber die Interessenabwägung als einem Teilaspekt <strong>des</strong> Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />
(dazu Häfelin/Müller, Rz. 613 ff.) vorweggenommen. Im Bereich<br />
der Bauzone <strong>und</strong> weiterer Gebiete, für die eine Kanalisation erstellt ist, bleibt<br />
kein Raum mehr für eine Abwägung zwischen öffentlichem <strong>und</strong> privatem Interesse.<br />
3.6.2 Prüfen lässt sich jedoch unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit, ob<br />
der angestrebte Zweck, nämlich die Einleitung <strong>des</strong> verschmutzten Abwassers in die<br />
Kanalisation, mit der konkret angeordneten Massnahme überhaupt erreicht werden<br />
84<br />
167
84, 85<br />
kann (Geeignetheit der Massnahme [dazu Häfelin/Müller, Rz. 587 ff.]). Ferner<br />
kann sich die Frage stellen, ob allenfalls eine mildere, aber gleich geeignete Massnahme<br />
für den angestrebten Erfolg, hier also für die Einleitung <strong>des</strong> Abwassers in<br />
die Kanalisation, ausreichen würde (Erforderlichkeit der Massnahme [dazu<br />
Häfelin/Müller, Rz. 591 ff.]).<br />
168<br />
VB.2004.00215 4. Kammer, 15. September<br />
85. Aus dem eidgenössischen <strong>und</strong> kantonalen Recht ergibt sich kein Anspruch<br />
<strong>des</strong> Privaten, dass der Hauskehricht unmittelbar bei der betreffenden Liegenschaft<br />
bereitgestellt werden kann. Die Festsetzung der Sammelrouten<br />
liegt weit gehend im planerischen Ermessen der Gemeindebehörde. Es ist<br />
nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde ihr kommunales Recht dahingehend<br />
auslegt, dass nebst technischen Gründen auch weitere sachliche<br />
Gründe berücksichtigt werden können, welche gegen den Einbezug einer<br />
Strasse in die Kehrichtroute sprechen. § 35 Abs. 1 AbfallG.<br />
VB.2003.00444 3. Kammer, 5. Februar
E. Steuerrecht<br />
I. Staatssteuern<br />
1. Steuerpflicht<br />
a) Allgemeine Bestimmungen<br />
86, 87<br />
86. Nach der so genannten Monteur-Klausel im Doppelbesteuerungsabkommen<br />
mit Grossbritannien steht dem Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht<br />
für Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit für einen im anderen<br />
Vertragsstaat ansässigen Arbeitgeber dann zu, wenn sich der Arbeitnehmer<br />
während <strong>des</strong> betreffenden Steuerjahrs weniger als 183 Tage im Tätigkeitsstaat<br />
aufgehalten hat. Die 183-Tage-Regel macht nur bezogen auf eine Referenzperiode<br />
von 365 Tagen Sinn, welche mit dem betreffenden Steuerjahr<br />
identisch ist <strong>und</strong> vorliegend die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2001<br />
umfasst. § 3 StG.<br />
SB.2003.00074 2. Kammer, 20. Oktober<br />
87. Zieht eine Person aus dem Kanton, in welchem sie Gr<strong>und</strong>eigentümerin ist,<br />
weg, endet damit hier die unbeschränkte Steuerpflicht auf Gr<strong>und</strong> persönlicher<br />
Zugehörigkeit; der beschränkten Steuerpflicht bleibt sie jedoch unterworfen.<br />
Hinsichtlich der Vermögenssteuer ergibt sich daraus, dass die<br />
Person bis zu ihrem Wegzug für ihr gesamtes bewegliches <strong>und</strong> unbewegliches<br />
Vermögen im Kanton nach dem Stand am Ende der unbeschränkten<br />
Steuerpflicht <strong>und</strong> für die Zeit ab Wegzug bis zum Ende der Steuerperiode<br />
für ihr unbewegliches Vermögen nach dem Stand am Ende der Steuerperiode<br />
zum Satz <strong>des</strong> gesamten Vermögens zu besteuern ist, dies nach<br />
Massgabe der Dauer der Steuerpflicht (pro rata temporis). § 3, § 4, § 5, § 6,<br />
§ 10, § 51 StG.<br />
3.1 Das steuerbare Vermögen bemisst sich laut § 51 Abs. 1 StG nach dem<br />
Stand am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht. Besteht die Steuerpflicht<br />
nur während eines Teils der Steuerperiode, wird gemäss Abs. 3 dieser Bestimmung<br />
169
87<br />
die diesem Zeitraum entsprechende Steuer erhoben. Diese Regelung gilt nach § 51<br />
Abs. 4 StG sinngemäss, wenn der Steuerpflichtige während der Steuerperiode Vermögen<br />
erbt oder die wirtschaftliche Zugehörigkeit zu einem anderen Kanton während<br />
der Steuerperiode entfällt.<br />
Die Steuerpflicht endet kraft § 10 Abs. 2 StG mit dem Tod oder dem Wegzug<br />
<strong>des</strong> Steuerpflichtigen aus dem Kanton oder mit dem Wegfall der im Kanton steuerbaren<br />
Werte.<br />
Bei persönlicher Zugehörigkeit, d.h. bei steuerrechtlichem Wohnsitz oder<br />
Aufenthalt im Kanton (§ 3 Abs. 1 StG), ist die Steuerpflicht laut § 5 Abs. 1 StG unbeschränkt;<br />
sie erstreckt sich aber nicht auf Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>stücke ausserhalb <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong>. Bei wirtschaftlicher Zugehörigkeit beschränkt<br />
sich nach § 5 Abs. 2 StG die Steuerpflicht auf die Teile <strong>des</strong> Einkommens<br />
<strong>und</strong> Vermögens, für die gemäss § 4 StG eine Steuerpflicht im Kanton besteht, d.h.<br />
nach Abs. 1 lit. b dieser Bestimmung bei natürlichen Personen ohne steuerrechtlichen<br />
Wohnsitz oder Aufenthalt im Kanton auf deren Eigentum (unter anderem) an<br />
Gr<strong>und</strong>stücken im Kanton. Steuerpflichtige, die im Kanton nur für einen Teil ihres<br />
Einkommens <strong>und</strong> Vermögens steuerpflichtig sind, entrichten aufgr<strong>und</strong> von § 6<br />
Abs. 1 StG die Steuern für die im Kanton steuerbaren Werte nach dem Steuersatz,<br />
der ihrem gesamten Einkommen <strong>und</strong> Vermögen entspricht; steuerfreie Beträge werden<br />
ihnen anteilsmässig gewährt.<br />
3.2 Zieht eine Person – wie die verstorbene Pflichtige – aus dem Kanton, in<br />
welchem sie Eigentum an einem Gr<strong>und</strong>stück hat, weg, endet demnach ihre unbeschränkte<br />
Steuerpflicht mit der Preisgabe <strong>des</strong> Wohnsitzes im Kanton (§ 10 Abs. 2<br />
in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StG). Wegen <strong>des</strong> fortbestehenden Gr<strong>und</strong>eigentums im<br />
Kanton bleibt sie jedoch <strong>des</strong>sen – nunmehr beschränkten – Steuerpflicht unterworfen<br />
(§ 4 Abs. 1 lit. b StG). Der Kanton ist daher berechtigt, die Person in der Steuerperiode<br />
für den Zeitraum bis zum Wegzug für ihr gesamtes Einkommen <strong>und</strong><br />
Vermögen (§ 5 Abs. 1 StG) <strong>und</strong> für den Zeitraum bis Ende der Steuerperiode (nur<br />
noch) für die auf das Gr<strong>und</strong>eigentum im Kanton entfallenden Teile <strong>des</strong> Einkommens<br />
<strong>und</strong> Vermögens (§ 5 Abs. 2 StG) zu besteuern (§ 51 Abs. 3 StG), letztere allerdings<br />
zum Steuersatz, der ihrem gesamten Einkommen <strong>und</strong> Vermögen entspricht<br />
(§ 6 Abs. 1 StG).<br />
Daraus ergibt sich im Licht von § 51 Abs. 1 <strong>und</strong> 3 StG mit Blick auf die hier<br />
streitige Vermögenssteuer, dass die aus dem Kanton wegziehende Person für den<br />
Zeitraum bis zum Wegzug für ihr gesamtes bewegliches <strong>und</strong> unbewegliches Ver-<br />
170
mögen im Kanton nach dem Stand am Ende der unbeschränkten Steuerpflicht zu<br />
besteuern ist. Für den Zeitraum ab Wegzug bis Ende der Steuerperiode ist die nunmehr<br />
ausserkantonal wohnhafte Person für ihr unbewegliches Vermögen im Kanton<br />
nach dem Stand am Ende der Steuerperiode zum Satz <strong>des</strong> gesamten Vermögens zu<br />
besteuern.<br />
Die entsprechende Ordnung würde nach § 51 Abs. 4 StG gelten, wenn die im<br />
Kanton wohnhafte <strong>und</strong> daher unbeschränkt steuerpflichtige Person im Lauf der<br />
Steuerperiode ihr in einem andern Kanton gelegenes Gr<strong>und</strong>stück veräussern <strong>und</strong> so<br />
die wirtschaftliche Zugehörigkeit zum Liegenschaftskanton entfallen würde. Diesfalls<br />
wäre die Person für den Zeitraum bis zur Veräusserung <strong>des</strong> ausserkantonalen<br />
Gr<strong>und</strong>eigentums für ihr Vermögen ohne das ausserkantonale Gr<strong>und</strong>stückvermögen<br />
<strong>und</strong> für den Zeitraum ab Wegzug bis Ende der Steuerperiode für ihr gesamtes bewegliches<br />
<strong>und</strong> unbewegliches Vermögen nach dem Stand am Ende der Steuerperiode<br />
zu besteuern.<br />
3.3.1 Die Beschwerdeführenden wenden hiergegen ein, mit der Wohnsitzverlegung<br />
aus dem Kanton im Lauf der Steuerperiode trete bloss eine Änderung der<br />
Steuerpflicht ein, nämlich von der unbeschränkten zur beschränkten Steuerpflicht.<br />
Von der Beendigung der Steuerpflicht (als solcher) in der Steuerperiode könne <strong>des</strong>halb<br />
keine Rede sein. Da der am 30. September 2000 erfolgte Wegzug der Pflichtigen<br />
aus dem Kanton Zürich auch nicht mit dem Ende der Steuerperiode 2000<br />
zusammenfalle, könne das Vermögen der Pflichtigen bei deren Wegzug nicht<br />
besteuert werden. Diese blosse Änderung der Steuerpflicht sei «kein Stichtag für<br />
die Besteuerung <strong>des</strong> Vermögens».<br />
Tritt die beschränkte an die Stelle der bisher unbeschränkten Steuerpflicht,<br />
kann zwar nicht von der Beendigung der Steuerpflicht im Sinn <strong>des</strong> Wegfalls der<br />
kantonalen Steuerhoheit gesprochen werden. Der in § 51 StG verwendete Begriff<br />
der Steuerpflicht erschöpft sich jedoch nicht im subjektiven Element der persönlichen<br />
oder wirtschaftlichen Zugehörigkeit zum Kanton gemäss § 3 <strong>und</strong> § 4 StG,<br />
sondern umfasst auch das damit verb<strong>und</strong>ene objektive Element der unbeschränkten<br />
<strong>und</strong> beschränkten Steuerpflicht im Sinn von § 5 <strong>und</strong> § 6 StG, das – abhängig von<br />
der Art der Zugehörigkeit – den Umfang <strong>des</strong> kantonalen Besteuerungsrechts bestimmt.<br />
Mit anderen Worten schliesst der Begriff der Steuerpflicht von § 51 StG<br />
sowohl die subjektiven Elemente der persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Zugehörigkeit<br />
als auch die objektiven Elemente der unbeschränkten <strong>und</strong> beschränkten Steuerpflicht<br />
ein. Dieses Begriffsverständnis wird auch aus dem jeweiligen Wortlaut der<br />
Vorschriften von § 3 bis § 6 StG ersichtlich, welche im Übrigen allesamt systema-<br />
87<br />
171
87<br />
tisch im zweiten Abschnitt <strong>des</strong> Gesetzes unter dem Marginale «A. Steuerpflicht» zu<br />
finden sind. Schliesslich verweist § 51 StG selber in Abs. 4 für den Wegfall der<br />
wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu einem anderen Kanton <strong>und</strong> damit für einen<br />
Tatbestand <strong>des</strong> Wechsels im Umfang der Steuerpflicht auf die Vorschrift von Abs. 3,<br />
welche die Steuererhebung nach Massgabe der Dauer der Steuerpflicht regelt, wenn<br />
diese nur während eines Teils der Steuerperiode besteht.<br />
Demzufolge liegt auch dann eine Beendigung der Steuerpflicht im Sinn von<br />
§ 51 StG vor, wenn bei fortbestehender subjektiver Steuerpflicht die auf persönlicher<br />
Zugehörigkeit beruhende unbeschränkte Steuerpflicht im Kanton endet. Dass<br />
das Gesetz den Begriff der «Änderung» der Steuerpflicht nicht verwendet, vermag<br />
diese Auslegung nicht als sachwidrig erscheinen zu lassen. Soweit sich die Beschwerdeführenden<br />
für ihren gegenteiligen Standpunkt auf den Abs. 3 von § 10 StG<br />
berufen, <strong>des</strong>sen Marginale im Übrigen «VII. Beginn <strong>und</strong> Ende der Steuerpflicht»<br />
lautet <strong>und</strong> der als einzige einschlägige Bestimmung den Begriff der «Änderung der<br />
Steuerpflicht» enthält, ist ihnen entgegenzuhalten, dass diese Vorschrift, die für die<br />
interkantonale Steuerausscheidung auf das Steuerharmonisierungsgesetz <strong>und</strong> das<br />
Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung verweist, erst nachträglich mit Novelle<br />
vom 11. September 2000 eingefügt worden ist <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb gesetzessystematisch<br />
keine Auslegungshilfe zu vermitteln vermag.<br />
Auch die Hinweise der Beschwerdeführenden auf das frühere Recht <strong>des</strong><br />
Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 (aStG) vermögen ihnen nicht zu helfen. Dieses beruhte<br />
auf der Vorjahresbemessung <strong>und</strong> sah unter anderem die Zwischeneinschätzung<br />
bei wesentlicher Änderung der Einschätzungsgr<strong>und</strong>lagen vor (§ 59 aStG).<br />
Diese sollte durch die Gegenwartsbemessung der von der Änderung betroffenen<br />
Einkommens- oder Vermögensteile mit der Steuergerechtigkeit nicht zu vereinbarende<br />
erhebliche Disparitäten zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit <strong>und</strong><br />
Steuerbelastung beheben. § 61 Abs. 2 aStG ordnete für die Anwendung der Gegenwartsbemessung<br />
die entsprechende Anwendung der «Bestimmungen über die Besteuerung<br />
bei Beginn <strong>und</strong> Ende der Steuerpflicht» an, d.h. der §§ 57 <strong>und</strong> 58 StG,<br />
welche in<strong>des</strong>sen den Begriff «Änderung der Steuerpflicht» ebenfalls nicht kannten.<br />
3.3.2 Ist eine Beendigung der Steuerpflicht im Sinn von § 51 StG trotz fortbestehender<br />
subjektiver Steuerpflicht auch bei Beendigung der unbeschränkten<br />
Steuerpflicht im Kanton anzunehmen, ergibt sich daraus ohne weiteres, dass sich<br />
das Vermögen gemäss Abs. 1 dieser Vorschrift sowohl nach dem Stand am Ende der<br />
persönlichen Zugehörigkeit als auch nach dem Stand am Ende der Steuerperiode<br />
bemisst, <strong>und</strong> zwar – laut Abs. 3 – nach Massgabe der Dauer der Steuerpflicht («pro<br />
172
87, 88, 89<br />
rata temporis»). Die Ausführungen der Beschwerdeführenden zum Stichtagscharakter<br />
der Vermögensbesteuerung sind daher unbehelflich.<br />
Unbegründet ist sodann deren Argument, aus der vom Gericht mit der Vorinstanz<br />
vertretenen Auffassung ergebe sich im Licht von § 10 Abs. 2 StG, wonach<br />
die Steuerpflicht mit dem Tod oder dem Wegzug <strong>des</strong> Steuerpflichtigen aus dem<br />
Kanton oder mit dem Wegfall der im Kanton steuerbaren Werte endet, dass der<br />
Verkauf der einzigen im Kanton Zürich gelegenen Liegenschaft durch einen im<br />
Kanton wohnhaften Steuerpflichtigen zur Beendigung der beschränkten<br />
Steuerpflicht trotz Weiterbestehens der unbeschränkten Steuerpflicht führe. Die<br />
Beschwerdeführenden übersehen dabei, dass bei diesem Sachverhalt die unbeschränkte<br />
Steuerpflicht vor <strong>und</strong> nach dem Verkauf der Liegenschaft aufgr<strong>und</strong> persönlicher<br />
Zugehörigkeit besteht, so dass auf deren weiteren diesbezüglichen Überlegungen<br />
nicht eingegangen werden muss.<br />
SB.2004.00054 2. Kammer, 20. Oktober<br />
b) Besteuerung der natürlichen Personen<br />
88. Der Doppelverdienerabzug knüpft zwar an die Tatsache der Erzielung von<br />
Erwerbseinkünften (in einem bestimmten Min<strong>des</strong>tmass) durch beide Gatten<br />
an. Doch hat der Gesetzgeber <strong>des</strong>sen Höhe nicht mit Blick auf den Umfang<br />
dieser Einkünfte festgesetzt, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der<br />
durch die Doppelerwerbstätigkeit anfallenden erhöhten Lebenshaltungskosten<br />
beider Ehegatten, welche ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt<br />
mindern. Daher beschlägt der Abzug deren gesamtes Einkommen<br />
<strong>und</strong> ist nicht allein ihren Erwerbseinkünften zurechenbar. Er erweist sich<br />
infolge<strong>des</strong>sen als allgemeiner Abzug <strong>und</strong> ist bei geteilter Steuerhoheit proportional<br />
nach Massgabe <strong>des</strong> jeweils in den beteiligten Staaten steuerbaren<br />
Einkommens der Ehegatten zu verlegen. § 6 Abs. 1 StG.<br />
SB.2003.00057 2. Kammer, 3. März<br />
89. Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit; Bestätigung der verwaltungsgerichtlichen<br />
Rechtsprechung. § 18 StG.<br />
173
89<br />
2. Gemäss § 18 StG sind alle Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-,<br />
Gewerbe-, Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf sowie aus<br />
jeder anderen selbständigen Erwerbstätigkeit steuerbar. Zu den Einkünften aus<br />
selbständiger Erwerbstätigkeit zählen auch alle Kapitalgewinne aus Veräusserung,<br />
Verwertung oder buchmässiger Aufwertung von Geschäftsvermögen. Der Veräusserung<br />
gleichgestellt ist die Überführung von Geschäftsvermögen in das Privatvermögen<br />
oder in ausländische Betriebe oder Betriebstätten. Als Geschäftsvermögen<br />
gelten alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbständigen Erwerbstätigkeit<br />
dienen (§ 18 Abs. 2 StG in der Fassung vom 8. Juni 1997). Demgegenüber<br />
sind laut § 16 Abs. 3 StG die Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen<br />
– vorbehältlich der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer – steuerfrei.<br />
2.1 § 18 StG entspricht materiell weitgehend dem bisherigen Recht (§ 19 lit. b<br />
aStG), mit Ausnahme der hier nicht interessierenden Präponderanzmethode, welche<br />
§ 18 StG neu in das Zürcher Recht eingeführt hat. Zutreffend legt die Vorinstanz<br />
sodann dar, dass die heutige Bestimmung auch gleich lautet wie Art. 18<br />
Abs. 1 <strong>und</strong> 2 DBG. Ebenso richtig <strong>und</strong> unter Verweis auf die entsprechende Literatur<br />
zeigt die Vorinstanz auf, dass der harmonisierungsrechtliche Begriff der selbständigen<br />
Erwerbstätigkeit gr<strong>und</strong>sätzlich demjenigen der bisherigen Zürcher Praxis<br />
entspricht. Hierauf ist in analoger Anwendung von § 161 GVG zu verweisen.<br />
2.1.1 Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s ist die selbständige<br />
Erwerbstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass ihr Träger durch Einsatz von<br />
Arbeitsleistung <strong>und</strong> Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation planmässig, anhaltend<br />
<strong>und</strong> nach aussen sichtbar zum Zweck der Gewinnerzielung am wirtschaftlichen<br />
Verkehr teilnimmt (RB 1988 Nr. 23 = StE 1989 B 23.1 Nr. 17). Die Verwaltung<br />
eigenen Vermögens ist demgegenüber keine Erwerbstätigkeit, auch dann nicht,<br />
wenn das Vermögen gross ist <strong>und</strong> der Steuerpflichtige zu seiner fortlaufenden<br />
Orientierung eine kaufmännische Buchhaltung führt (RB 1981 Nr. 46 mit Hinweisen).<br />
Damit hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> in konstanter Rechtsprechung weit höhere<br />
Anforderungen an die Bejahung einer selbständigen Erwerbstätigkeit als nebenberuflicher<br />
gewerbsmässiger Wertschriftenhändler gestellt, als dies etwa das B<strong>und</strong>esgericht<br />
für die direkte B<strong>und</strong>essteuer getan hat (BGE 125 II 113 E. 3c <strong>und</strong> 5e; BGE<br />
122 II 446 mit Hinweisen). Die vom B<strong>und</strong>esgericht entwickelten Kriterien wie<br />
Häufung der An- <strong>und</strong> Verkäufe, die Inanspruchnahme bedeutender Fremdmittel,<br />
kurze Besitzesdauer sowie der Einsatz von Spezialkenntnissen verdeutlichen <strong>und</strong><br />
konkretisieren die herkömmlichen Begriffsmerkmale der selbständigen Erwerbstätigkeit<br />
(RB 1988 Nr. 23). Das Vorhandensein einzelner oder sogar verschiedener<br />
dieser Indizien entbindet das Gericht in<strong>des</strong>sen nicht davon, sich mit den eigent-<br />
174
89, 90<br />
lichen Merkmalen der selbständigen Erwerbstätigkeit zu befassen, um derart ein<br />
umfassen<strong>des</strong> Gesamtbild der zu beurteilenden Aktivitäten zu erhalten (vgl. Markus<br />
Reich in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Art. 8 StHG N. 12).<br />
2.1.2 Es besteht aus heutiger Sicht kein Anlass, von dieser bewährten Rechtsprechung<br />
abzuweichen. Weder haben die gesetzlichen Bestimmungen für den<br />
Kanton Zürich wesentlich geändert noch ist der bisherigen Rechtsprechung <strong>des</strong><br />
<strong>Verwaltungsgericht</strong>s in der Literatur Kritik entgegengebracht worden, welche eine<br />
neue Beurteilung erfordern würde. Auch unter der Herrschaft <strong>des</strong> Steuergesetzes<br />
vom 8. Juni 1997 ist die bisherige Rechtsprechung zur selbständigen Erwerbstätigkeit<br />
daher weiterzuführen: Angesichts der gesetzlich normierten Steuerfreiheit <strong>des</strong><br />
privaten Kapitalgewinns bei der Besteuerung von Wertschriftengewinnen ist bei der<br />
Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach wie vor grosse Zurückhaltung<br />
angezeigt.<br />
SB.2004.00025 2. Kammer, 24. November<br />
90. Mietereinbauten, die objektiv geeignet waren, den Marktwert der Liegenschaft<br />
zu erhöhen, sind als wertvermehrend im Sinn <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuerrechts<br />
zu würdigen. Deshalb sind die entsprechenden Kosten als<br />
Anlagekosten <strong>und</strong> bei der Bestimmung <strong>des</strong> Geschäftsgewinns als wiedereingebrachte<br />
Abschreibungen zu berücksichtigen. § 18 Abs. 5, § 221 StG.<br />
2.1 Gewinne auf Gr<strong>und</strong>stücken <strong>des</strong> Geschäftsvermögens werden gemäss § 18<br />
Abs. 5 StG in dem Umfang den steuerbaren Einkünften zugerechnet, in dem<br />
Erwerbspreis <strong>und</strong> wertvermehrende Aufwendungen, einschliesslich der Baukreditzinsen,<br />
den Einkommenssteuerwert übersteigen. Mit Ausnahme solcher «wiedereingebrachter<br />
Abschreibungen» fallen Gewinne aus der Veräusserung von Geschäftsgr<strong>und</strong>stücken<br />
kraft § 216 StG unter die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer.<br />
Die Parteien gehen übereinstimmend von einem Einkommenssteuerwert der<br />
streitbetroffenen Geschäftsliegenschaft in G von Fr. … aus. Im Gegensatz zur Vorinstanz<br />
<strong>und</strong> zu den Pflichtigen stellt sich das beschwerdeführende kantonale Steueramt<br />
auf den Standpunkt, die betragsmässig unbestrittenen Kosten von Fr. … für<br />
Mietereinbauten in der veräusserten Liegenschaft seien für die Bestimmung <strong>des</strong><br />
nach § 18 Abs. 5 StG mit der Einkommenssteuer zu besteuernden Gr<strong>und</strong>stückgewinns<br />
als wertvermehrende Aufwendungen zu würdigen.<br />
175
90<br />
2.2 Wertvermehrend im Sinn von § 221 Abs. 1 lit. a StG sind Aufwendungen<br />
für «Bauten, Umbauten, Meliorationen <strong>und</strong> andere dauernde Verbesserungen <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>stücks». Massgebend für die Beurteilung, ob eine Aufwendung im Sinn von<br />
§ 221 Abs. 1 lit. a StG den Wert eines Gr<strong>und</strong>stücks vermehre, ist nach ständiger<br />
Rechtsprechung <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s eine «technisch-» bzw. «rechtlich-objektive»<br />
Betrachtungsweise. Gefragt wird nach der Veränderung <strong>des</strong> Marktwerts (Verkehrswerts),<br />
den das Vermögensobjekt durch die betreffende Aufwendung erfährt.<br />
Ob das Objekt zufolge der Aufwendung wirtschaftlich für den Berechtigten einen<br />
höheren Wert aufweist oder nicht, ist somit unerheblich. Das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
hat die Übernahme einer solchen, vom B<strong>und</strong>esgericht für die direkte B<strong>und</strong>essteuer<br />
vertretenen «subjektiv-wirtschaftlichen» Sicht (vgl. ASA 57, 654; StE 1991 B 27.2<br />
Nr. 11) ausdrücklich abgelehnt (RB 1997 Nr. 47, 1994 Nr. 56 = StE 1994 B 44.13.7<br />
Nr. 7 = StR 49, 499 = ZStP 1994, 209; RB 1981 Nr. 55).<br />
Sind Aufwendungen im dargelegten Sinn objektiv geeignet, einen höheren<br />
Marktwert <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks herbeizuführen, sind sie in vollem Umfang anrechenbar,<br />
<strong>und</strong> zwar unbekümmert darum, ob sie tatsächlich einen höheren Gr<strong>und</strong>stückwert<br />
bewirken (RB 1982 Nr. 108).<br />
Schliesslich kommt es auch nicht darauf an, ob eine als wertvermehrend zu<br />
würdigende Aufwendung vom Gr<strong>und</strong>stückeigentümer selber oder von Dritten –<br />
z.B. vom Mieter – finanziert worden ist. Entscheidend für die gewinnmindernde<br />
Anrechnung ist nur, dass die Aufwendung geeignet ist, objektiv einen Mehrwert <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>stücks zu schaffen (RB 1972 Nr. 43).<br />
2.3 Die in Frage stehenden Aufwendungen der Mieter für Einbauten im streitbetroffenen<br />
Gr<strong>und</strong>stück beschlagen Fenster, Elektroinstallationen, Lüftungsanlagen,<br />
Sanitärinstallationen, Kücheneinrichtungen <strong>und</strong> dergleichen, die unstreitig Bestandteil<br />
der Liegenschaft bilden. Es ist offenk<strong>und</strong>ig, dass diese Einbauten objektiv<br />
geeignet waren, den Marktwert der Liegenschaft zu erhöhen.<br />
Die Rekurskommission spricht diesen Aufwendungen den wertvermehrenden<br />
Charakter einzig darum ab, weil die Gr<strong>und</strong>stückeigentümer den Mietern, welche<br />
diese Aufwendungen finanziert haben, für die fraglichen Investitionen mietrechtlich<br />
zwingend entsprechende Entschädigungen zu leisten hätten, die insbesondere<br />
auch in einem niedrigeren Mietzins bestehen könnten. Deshalb vermöchten die<br />
Mietereinbauten bei Rohbaumieten keinen höheren Ertragswert <strong>und</strong> somit keinen<br />
höheren Verkehrswert zu bewirken.<br />
176
In<strong>des</strong>sen knüpfen diese Überlegungen schon im Gr<strong>und</strong>satz zu Unrecht an allfällige<br />
Schuldverpflichtungen zwischen den Gr<strong>und</strong>eigentümern als Vermieter <strong>und</strong><br />
den Mietern an; im Übrigen ist anzumerken, dass derartige Verpflichtungen entgegen<br />
der Vorinstanz nach der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung ohnehin nicht bestehen,<br />
weil die Entschädigungspflicht <strong>des</strong> Vermieters vorliegend in allen Mietverträgen<br />
wegbedungen wurde (vgl. BGE 124 III 149). Die Rekurskommission orientiert<br />
sich dergestalt nicht am objektiven Wert <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks als Wirtschaftsaktivum,<br />
sondern stellt auf eine im Licht von § 221 Abs. 1 lit. a StG nicht massgebliche<br />
subjektiv-wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. So hängt der Ertragswert von<br />
Gr<strong>und</strong>stücken von den objektiv erzielbaren <strong>und</strong> nicht von den tatsächlich erzielten<br />
Mieterträgen ab (vgl. RB 2003 Nr. 109), welche aufgr<strong>und</strong> besonderer rechtlicher<br />
Beziehungen zwischen Mieter <strong>und</strong> Vermieter unter dem Marktwert liegen können.<br />
Ausserdem betrifft eine allenfalls vom Gr<strong>und</strong>stückveräusserer als Vermieter den<br />
Mietern für deren Einbauten zu entrichtende Entschädigung lediglich die Finanzierung<br />
bestehender wertvermehrender Aufwendungen, was – sowenig wie die Aufnahme<br />
eines Hypothekardarlehens bei einer Bank – den Marktwert <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks<br />
nicht beeinflusst (RB 1994 Nr. 56 = StE 1994 B 44.13.7 Nr. 7 = StR 49, 499<br />
= ZStP 1994, 209).<br />
Die Kosten von Fr. … für die fraglichen Mietereinbauten in der veräusserten<br />
Liegenschaft sind somit als wertvermehrend im Sinn von § 221 Abs. 1 lit. a StG zu<br />
würdigen. Die Vorinstanz ist jedoch davon ausgegangen, dass die Käuferin diese<br />
Einbauten mit dem Kaufpreis nicht abgegolten habe.<br />
2.4 Um die Besteuerung <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stückgewinns als «unverdienten» Wertzuwachs<br />
zu gewährleisten, verlangt der von Lehre <strong>und</strong> Rechtsprechung entwickelte<br />
Gr<strong>und</strong>satz der vergleichbaren Verhältnisse, dass sich Erlös <strong>und</strong> Anlagekosten auf<br />
das umfänglich <strong>und</strong> inhaltlich gleiche Gr<strong>und</strong>stück zu beziehen haben. Hat sich <strong>des</strong>sen<br />
tatsächliche oder rechtliche Beschaffenheit während der massgebenden Besitzesdauer<br />
wesentlich geändert, so sind durch Zu- oder Abrechnungen am Erwerbspreis<br />
vergleichbare Verhältnisse herzustellen (RB 1999 Nr. 156 = StE 2000 B<br />
44.1 Nr. 7 = ZStP 1999, S. 342, auch zum Folgenden).<br />
Bezugspunkt für den Vergleich der Verhältnisse beim Verkauf ist der Zustand<br />
<strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks, der Gr<strong>und</strong>lage für die Kaufpreisgestaltung bei der Veräusserung<br />
gebildet hat. Es kommt also nicht darauf an, was aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>bucheintrags<br />
dinglich auf den Erwerber zu Eigentum übergeht. Massgebend ist nur das, was an<br />
liegenschaftlichen Werten verkauft <strong>und</strong> zum Gegenstand der vertraglichen Preisbestimmung<br />
gemacht worden ist (RB 1993 Nr. 29 = StE 1993 B 44.12.2 Nr. 2).<br />
90<br />
177
90<br />
Lässt sich dem rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragsparteien nichts anderes entnehmen,<br />
ist vermutungsweise davon auszugehen, der Kaufpreis erstrecke sich auf<br />
sämtliche dinglich übertragenen Werte <strong>und</strong> gebe den Verkehrswert all dieser Werte<br />
wieder (RB 1976 Nr. 67). Haben die Vertragsparteien ein überbautes Gr<strong>und</strong>stück<br />
veräussert, dann müssen auch die Gebäudekosten gewinnmindernd berücksichtigt<br />
werden. Ist jedoch aus dem Gesichtswinkel der Kaufpreisfestsetzung lediglich Bauland<br />
oder ein Rohbau verkauft worden, kann bloss der Landpreis bzw. der Preis für<br />
den Rohbau angerechnet werden. Aufwendungen für Bauten, die nach dem rechtsgeschäftlichen<br />
Willen der Vertragsparteien nicht als veräussert gelten <strong>und</strong> daher<br />
nicht mit dem Kaufpreis abgegolten werden, sind infolge<strong>des</strong>sen nicht als Anlagekosten<br />
anrechenbar (vgl. RB ORK 1955 Nr. 92).<br />
Die Rekurskommission hat ihren Standpunkt, die Käuferschaft der streitbetroffenen<br />
Liegenschaft habe die fraglichen Mietereinbauten nicht mit dem Kaufpreis<br />
abgegolten, lediglich mit Überlegungen zur Rendite <strong>des</strong> Kaufpreises aufgr<strong>und</strong><br />
der bestehenden Mietverträge begründet. Ob diese Überlegungen von der Käuferschaft<br />
auch wirklich angestellt worden sind <strong>und</strong> sie in die Kaufpreisgestaltung<br />
Eingang gef<strong>und</strong>en haben, steht nicht fest, sondern beruht auf Mutmassungen der<br />
Vorinstanz. Somit ist die auf Art. 9 <strong>des</strong> Zivilgesetzbuchs (ZGB) beruhende Vermutung,<br />
der öffentlich beurk<strong>und</strong>ete Kaufpreis erstrecke sich auf sämtliche dinglich<br />
übertragenen Werte <strong>und</strong> gebe den Verkehrswert all dieser Werte wieder, nicht<br />
schlüssig widerlegt worden.<br />
Sind die Mietereinbauten aber mit dem Kaufpreis abgegolten worden, müssen<br />
deren Kosten unter dem Gesichtswinkel <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>satzes der vergleichbaren Verhältnisse<br />
als Anlagekosten berücksichtigt werden. Ob die Übernahme allfälliger<br />
mietrechtlicher Entschädigungspflichten eine weitere, den gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuerrechtlich<br />
massgebenden Erlös im Sinn von § 222 StG erhöhende Leistung der<br />
Käuferin darstellt, wie die Vorinstanz erwogen hat, ist im vorliegenden Verfahren<br />
ohne Belang.<br />
2.5 Der Unterschiedsbetrag zwischen den Anlagekosten von Fr. …, einschliesslich<br />
der im Streit liegenden Mietereinbauten, für die veräusserte, dem Geschäftsvermögen<br />
der E zugehörige Liegenschaft <strong>und</strong> deren Einkommenssteuerwert<br />
von Fr. … ist demzufolge kraft § 18 Abs. 5 StG als Gr<strong>und</strong>stückgewinn bei der<br />
Einkommenssteuer der Pflichtigen hälftig zu besteuern.<br />
178<br />
SB.2004.00043/44 2. Kammer, 24. November
91. Das bei Zero-Bonds statt als periodischer Zins als Kapitalleistung ausbezahlte<br />
Entgelt für die Kapitalüberlassung ist zu dem Satz zu besteuern, der<br />
sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende<br />
jährliche Leistung ausgerichtet würde (Rentensatz; RB 2003 Nr. 85). Das<br />
Steuerharmonisierungsgesetz lässt dem kantonalen Recht diesbezüglich<br />
einen Anwendungsfreiraum <strong>und</strong> es sind die kantonalen Normen aufgr<strong>und</strong><br />
der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte der massgebenden Bestimmungen<br />
nicht zwingend gleich auszulegen wie diejenigen bei der direkten<br />
B<strong>und</strong>essteuer. § 20 Abs. 1 lit. b, § 36 StG. Art. 11 Abs. 2 StHG. Art. 37 DBG.<br />
1.2 […] Wie das <strong>Verwaltungsgericht</strong> in RB 2003 Nr. 85 (= StE 2004 B 29.2<br />
Nr. 9 = StR 2004, 135) erkannt hat, vermag die neue Besteuerungsordnung von<br />
§ 20 Abs. 1 lit. b StG in<strong>des</strong>sen nichts daran zu ändern, dass es im Licht von § 36 StG<br />
sachwidrig wäre, wenn das statt als periodischer Zins aperiodisch als Kapitalleistung<br />
ausbezahlte Entgelt für die Kapitalüberlassung zum vollen Betrag in der Zuflussperiode<br />
besteuert würde <strong>und</strong> der steuerpflichtige Empfänger aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
angesichts <strong>des</strong> progressiv ausgestalteten Steuertarifs sein gesamtes Einkommen zu<br />
einem seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht angemessenen überhöhten<br />
Steuersatz zu versteuern hätte.<br />
2. Vorliegend liegt die Steuerperiode 2001 im Streit. Kraft Art. 72 Abs. 2 StHG<br />
ist <strong>des</strong>halb zu prüfen, ob die für das kantonale Recht gef<strong>und</strong>ene Auslegung von<br />
§ 36 StG vor Art. 11 Abs. 2 StHG standzuhalten vermag.<br />
2.1 Art. 11 Abs. 2 StHG ist im Wesentlichen gleich gefasst wie § 36 StG. Er<br />
lautet wie folgt: Gehören zu den Einkünften Kapitalabfindungen für wiederkehrende<br />
Leistungen, so wird die Steuer unter Berücksichtigung der übrigen Einkünfte<br />
zu dem Satz berechnet, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine<br />
entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde.<br />
Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass auch Art. 11 Abs. 2 StHG durch die<br />
Anwendung <strong>des</strong> Sondersatzes sicherstellen will, dass die Steuerbelastung <strong>des</strong><br />
Steuerpflichtigen für Kapitalabfindungen nicht grösser wird, als sie es bei wiederkehrenden<br />
Leistungen wäre (vgl. Botschaft über die Steuerharmonisierung vom<br />
25. Mai 1983, S. 98; Markus Reich in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht<br />
I/1, Art. 11 StHG N. 34). Dabei geht aus den Ausführungen <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esrats in<br />
der Botschaft über die Steuerharmonisierung hervor, dass diese Gesetzesbestimmung<br />
(Art. 12 Abs. 3 <strong>des</strong> Entwurfs) eine Sonderregelung für die Satzbestimmung<br />
enthält für «Kapitalabfindungen, die ein Steuerpflichtiger anstelle <strong>und</strong> in Abgeltung<br />
wiederkehrender Leistungen erhält» (Botschaft, a.a.O.).<br />
91<br />
179
91<br />
Wortlaut, Zweck <strong>und</strong> Entstehungsgeschichte von Art. 11 Abs. 2 StHG widersprechen<br />
infolge<strong>des</strong>sen der vorstehenden Auslegung von § 36 StG (vgl. E. 1.2)<br />
nicht.<br />
Dieser Interpretation steht auch nicht entgegen, dass das B<strong>und</strong>esgericht die<br />
gleichlautende Bestimmung von Art. 37 DBG enger ausgelegt hat. Denn dies ist in<br />
Übereinstimmung mit der abweichenden Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift<br />
geschehen (vgl. Botschaft über die Steuerharmonisierung vom 25. Mai 1983, S. 176 f.),<br />
welche die Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen gleich wie in Art. 40<br />
Abs. 2 BdBSt regeln wollte. Dementsprechend hat das B<strong>und</strong>esgericht seine Auslegung<br />
von Art. 37 DBG auf die Rechtsprechung zum früheren Art. 40 Abs. 2<br />
BdBSt gestützt, diese aber in bestimmter Hinsicht erweitert (BGr 6. März 2001,<br />
StE 2001 B 26.13 Nr. 15 = StR 56 [2001] 345 ff., E. 4b; BGr, 5. Oktober 2000, StE<br />
2001 B 29.2 Nr. 7 = ASA 70 [2001/02] 210, E. 3a, 4a–c). Danach gelangt der<br />
Rentensatz für eine Kapitalabfindung zum einen dann zur Anwendung, wenn die<br />
Abfindung zur Abgeltung künftiger Leistungen <strong>und</strong> als Erfüllung einer den periodischen<br />
Leistungen zugr<strong>und</strong>e liegenden Stammschuld erfolgt (vgl. Peter Agner/<br />
Beat Jung/Gotthard Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte B<strong>und</strong>essteuer,<br />
Zürich 1995, Art. 37 N. 2; Peter Agner/Angelo Digeronimo/Hans Jürg<br />
Neuhaus/Gotthard Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte B<strong>und</strong>essteuer,<br />
Ergänzungsband, Zürich 2000, Art. 37 N. 3a; Locher, B<strong>und</strong>essteuer, Art. 37<br />
DBG N. 13), zum andern aber auch dann, wenn in der Vergangenheit begründete<br />
Teilleistungen abgegolten werden, sofern ordentlicherweise eine periodische Ausrichtung<br />
vorgesehen gewesen wäre <strong>und</strong> dies ohne Zutun <strong>des</strong> berechtigten Steuerpflichtigen<br />
unterblieben ist (BGr, a.a.O., E. 4c).<br />
Unter all diesen Umständen kann dem Schluss von Rekurskommission <strong>und</strong><br />
kantonalem Steueramt, wegen <strong>des</strong> identischen Wortlauts der Normen müsse die<br />
b<strong>und</strong>esrechtliche Rahmenvorschrift von Art. 11 Abs. 2 StHG auch gleich wie die<br />
materiellrechtliche Bestimmung von Art. 37 DBG ausgelegt werden, nicht beigetreten<br />
werden. Vielmehr erscheint es in Anbetracht der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte<br />
<strong>und</strong> möglichen abweichenden Auslegungen als sachgerecht, insoweit<br />
einen Anwendungsfreiraum für das kantonale Recht anzunehmen. Unter diesem<br />
Gesichtswinkel kann jedenfalls nicht gesagt werden, die getroffene Auslegung<br />
von § 36 StG sei willkürlich, sie sei offensichtlich unhaltbar, stehe mit der tatsächlichen<br />
Situation in klarem <strong>und</strong> offensichtlichem Widerspruch, verletze krass eine<br />
Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgr<strong>und</strong>satz oder laufe in stossender Weise<br />
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider (BGE 123 I 1 E. 4a; 125 II 10 E. 3, 129 E. 5b).<br />
180
91, 92<br />
Immerhin könnte selbst im Licht der neueren b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung<br />
zu Art. 37 DBG nicht ohne Weiteres die Anwendung <strong>des</strong> Sondersatzes auf<br />
Erträge aus Diskont-Obligationen, wie die in Frage stehenden Zero-Bonds, verworfen<br />
werden (vgl. Ivo P. Baumgartner in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht<br />
I/2a, Art. 37 DBG N. 11). Das B<strong>und</strong>esgericht hat den Sondersatz auch auf<br />
Kapitalleistungen angewendet, mit denen in der Vergangenheit begründete, ordentlicherweise<br />
periodisch auszurichtende Teilleistungen abgegolten werden sollen, sofern<br />
die periodische Ausrichtung «ohne Zutun» <strong>des</strong> berechtigten Steuerpflichtigen<br />
unterblieben ist. Angesichts <strong>des</strong>sen, dass Diskont-Bonds vom Steuerpflichtigen bereits<br />
in der vorgegebenen Struktur erworben werden, ist es fraglich, ob die Abgeltung<br />
der periodischen Zinsleistungen durch eine Kapitalleistung, den Diskont, wirklich<br />
auf ein «Zutun» <strong>des</strong> Steuerpflichtigen im Sinn der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Auffassung<br />
zurückzuführen ist. Schliesslich ist anzumerken, dass missbräuchlichen Rechtsgestaltungen<br />
im Einzelfall aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Verbots der Steuerumgehung die Entlastung<br />
durch den Sondersatz versagt werden kann.<br />
SB.2004.00048 2. Kammer, 15. Dezember<br />
92. Eine Weiterbildung liegt stets vor, wenn das Lernen darauf ausgerichtet ist,<br />
das zur Ausübung der betreffenden beruflichen Tätigkeit erforderliche Fachwissen<br />
zu aktualisieren, zu vertiefen <strong>und</strong> zu erweitern. Das in Frage stehende<br />
berufliche Fachwissen kann dabei durchaus in der Praxis erlernt worden<br />
sein. Einer diesbezüglichen eigentlichen Gr<strong>und</strong>ausbildung – die es im Übrigen<br />
für verschiedene berufliche Tätigkeiten gar nicht gibt – bedarf es nicht.<br />
Ob Weiterbildung vorliegt <strong>und</strong> ob damit die Kosten eines Nachdiplomstudiums<br />
als abzugsfähige Kosten zu würdigen sind, kann aber nicht allgemein<br />
gesagt werden, sondern beurteilt sich aufgr<strong>und</strong> der konkreten Umstände,<br />
indem es namentlich auf den im Nachdiplomstudium vermittelten Stoff einerseits<br />
<strong>und</strong> die berufliche Tätigkeit oder die Gr<strong>und</strong>ausbildung <strong>des</strong> Nachdiplomabsolventen<br />
anderseits ankommt. § 26 Abs. 1 lit. d, § 33 lit. b StG.<br />
1. Bei unselbständiger Erwerbstätigkeit werden als Berufskosten laut § 26<br />
Abs. 1 lit. d StG abgezogen die mit dem Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs-<br />
<strong>und</strong> Umschulungskosten. Nicht abzugsfähig sind demgegenüber gemäss<br />
§ 33 lit. b StG die Ausbildungskosten.<br />
1.1 Unter den Ausbildungskosten sind Aufwendungen zu verstehen, welche<br />
die Ausübung eines bestimmten Berufs überhaupt ermöglichen oder hierzu befähi-<br />
181
92<br />
gen. Sie bilden mangels qualifiziert engen wesentlichen Zusammenhangs mit einer<br />
vorbestehenden so genannten angestammten beruflichen Tätigkeit keine Berufskosten<br />
im Sinn <strong>des</strong> Gesetzes (vgl. RB 1995 Nr. 36, auszugsweise veröffentlicht in<br />
StE 1995 B 22.3 Nr. 57), sondern nicht abzugsfähige private Lebenshaltungskosten<br />
(vgl. Philip Funk, Der Begriff der Gewinnungskosten nach schweizerischem Einkommenssteuerrecht,<br />
Grüsch 1989, S. 95; Reimann/Zuppinger/Schärrer, § 25 N. 18).<br />
Demgegenüber gelten Aufwendungen, mit welchen die Erhaltung <strong>und</strong>/oder<br />
Sicherung der vom Steuerpflichtigen erreichten beruflichen Stellung oder der Aufstieg<br />
in eine gehobenere Stellung im angestammten Beruf bezweckt wird, als Weiterbildungskosten<br />
<strong>und</strong> sind damit abzugsfähige Berufskosten (VGr, 3. Juni 1996,<br />
StE 1997 B 27.6 Nr. 12 E. 1b mit weiteren Hinweisen). Solche Kosten sind also<br />
Auslagen, die getätigt werden, um im angestammten Beruf auf dem Laufenden zu<br />
bleiben oder <strong>des</strong>sen steigenden oder neuen Anforderungen zu genügen (Ziff. 3.2<br />
Abs. 1 <strong>des</strong> Kreisschreibens Nr. 26 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom<br />
22. September 1995 betreffend Abzug von Berufskosten der unselbständigen Erwerbstätigkeit,<br />
ASA 64 [1995/96] S. 692 ff., 693 f.), aber auch solche Aufwendungen,<br />
die den Erwerb besonderer Fachkenntnisse mit Blick auf eine Spezialisierung<br />
oder den Aufstieg im angestammten Beruf bezwecken (vgl. Locher, B<strong>und</strong>essteuer,<br />
Art. 26 DBG N. 62 f.).<br />
Zielen die Aufwendungen aber auf einen Aufstieg in eine von der bisherigen<br />
Berufstätigkeit zu unterscheidende höhere Stellung oder gar in einen anderen<br />
Beruf, so sind die betreffenden Aufwendungen als solche für die Ausbildung zu<br />
einem neuen Beruf zu würdigen <strong>und</strong> demzufolge zu den gr<strong>und</strong>sätzlich nicht abzugsfähigen<br />
privaten Lebenshaltungskosten zu rechnen (BGE 113 Ib 114 E. 3 S.<br />
120 f. = StE 1988 B 27.6 Nr. 5; Locher, Art. 26 N. 64; Markus Reich in: Kommentar<br />
zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Art. 9 StHG N. 11 f.).<br />
Im 4. Kapitel «Berufsorientierte Weiterbildung» vermittelt die Vorschrift von<br />
Art. 30 Abs. 1 lit. a <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgesetzes über die Berufsbildung vom 13. Dezember<br />
2002 (Berufsbildungsgesetz, BBG) jedenfalls insofern ein taugliches Kriterium für<br />
den Weiterbildungsbegriff von § 26 Abs. 1 lit. d StG, als die berufsorientierte<br />
Weiterbildung dazu dient, «durch organisiertes Lernen bestehende berufliche Qualifikationen<br />
zu erneuern, zu vertiefen <strong>und</strong> zu erweitern […]». Die in Art. 30 Abs. 1<br />
lit. a <strong>und</strong> lit. b BBG erwähnten weiteren Zwecksetzungen, «neue berufliche Qualifikationen<br />
zu erwerben» bzw. «die berufliche Flexibilität zu unterstützen», erweisen<br />
sich in<strong>des</strong>sen als Elemente der Umschulung oder Ausbildung. Eine Weiterbildung<br />
liegt stets vor, wenn das Lernen darauf ausgerichtet ist, das zur Ausübung<br />
182
der betreffenden beruflichen Tätigkeit erforderliche Fachwissen zu aktualisieren, zu<br />
vertiefen <strong>und</strong> zu erweitern. Das in Frage stehende berufliche Fachwissen kann in<br />
der Praxis erlernt worden sein. Einer diesbezüglichen eigentlichen Gr<strong>und</strong>ausbildung<br />
– die es im Übrigen für verschiedene berufliche Tätigkeiten gar nicht gibt<br />
– bedarf es nicht. Soweit die Allgemeinbildung verbessert werden soll, handelt es<br />
sich in der Regel steuerrechtlich um zusätzliche Ausbildung. Werden derartige<br />
Kenntnisse im Rahmen der beruflichen Weiterbildung vermittelt, so vermögen sie<br />
der Qualifikation der hierfür getätigten Aufwendung als Weiterbildungskosten<br />
nichts zu ändern, sofern ihnen nur untergeordneter Charakter zukommt.<br />
Ob die Kosten eines Nachdiplomstudiums als abzugsfähige Weiterbildungskosten<br />
zu würdigen sind, kann nicht allgemein gesagt werden, sondern beurteilt<br />
sich aufgr<strong>und</strong> der konkreten Umstände, indem es namentlich auf den im Nachdiplomstudium<br />
vermittelten Stoff einerseits <strong>und</strong> die berufliche Tätigkeit oder die<br />
Gr<strong>und</strong>ausbildung <strong>des</strong> Nachdiplomabsolventen anderseits ankommt.<br />
So hat das <strong>Verwaltungsgericht</strong> in einem Entscheid vom 23. Oktober 2002 (StE<br />
2003 B 22.3 Nr. 74 = RB 2002 Nr. 100, <strong>des</strong>sen Leitsatz allerdings zu eng formuliert<br />
ist) erkannt, dass der von einem Rechtsanwalt an einer amerikanischen Universität<br />
absolvierte General Master of Laws (LL.M.)-Lehrgang für ausländische Juristen<br />
<strong>und</strong> Juristinnen offenk<strong>und</strong>ig keine Vertiefung oder Aktualisierung derjenigen<br />
Fächer bewirkte, die ein in der Schweiz abgeschlossenes Rechtsstudium bietet bzw.<br />
die zürcherische Rechtsanwaltsprüfung im Sinn einer juristischen Gr<strong>und</strong>ausbildung<br />
verlangt. Vielmehr bildete das Nachdiplomstudium eine Ergänzung dieser Gr<strong>und</strong>ausbildung,<br />
indem es zur Hauptsache Kenntnisse in ausgewählten Bereichen <strong>des</strong><br />
amerikanischen Rechts sowie juristischer Methodik, Arbeitsweise <strong>und</strong> Rechtssprache<br />
amerikanischer Juristen vermittelte. Ob der Pflichtige dadurch sein Fachwissen<br />
im Rahmen seiner früheren Tätigkeit in einer international ausgerichteten<br />
Anwaltskanzlei hatte vertiefen können, blieb im Dunkeln, da der Pflichtige keine<br />
nähere Darstellung seiner anwaltlichen Arbeit gegeben hatte.<br />
SB.2003.00063 2. Kammer, 24. März<br />
92<br />
183
93, 94<br />
93. Wenn der am Vermögenswert berechtigte Steuerpflichtige zwar (noch) nicht<br />
Eigentümer ist, sich aber (bereits) über eine eigentümerähnliche Stellung<br />
ausweisen kann, ist er steuerrechtlich dem Eigentümer gleich zu stellen.<br />
Dementsprechend können auch Investitionskosten vor Eigentumserwerb<br />
als abzugsfähige Unterhaltskosten betrachtet werden. § 30 StG.<br />
SB.2004.00008 2. Kammer, 22. September<br />
94. Ausdehnung <strong>des</strong> Begriffs der Unterhaltsbeiträge auf die infolge einer vertraglichen<br />
Vereinbarung mit seiner geschiedenen Ehefrau vom Pflichtigen<br />
für seinen unmündigen Sohn zusätzlich zu den gemäss Scheidungsurteil<br />
geschuldeten erbrachten Unterhaltsbeiträge. § 31 Abs. 1 lit. c StG.<br />
3.1 Nach § 31 Abs. 1 lit. c StG werden von den steuerbaren Einkünften die<br />
Unterhaltsbeiträge an einen Elternteil für die unter <strong>des</strong>sen elterlicher Sorge oder<br />
Obhut stehenden Kinder abgezogen, während Leistungen in Erfüllung anderer<br />
familienrechtlicher Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht abgezogen werden<br />
können. Abzugsfähige Unterhaltsbeiträge sind regelmässig oder unregelmässig<br />
wiederkehrende Leistungen, die der Deckung <strong>des</strong> laufenden Lebensbedarfs <strong>des</strong><br />
Empfängers dienen, ohne diesem einen Vermögenszuwachs zu verschaffen. Nicht<br />
vorausgesetzt wird das Bestehen einer richterlichen Anordnung oder eines entsprechenden<br />
Vertrags zwischen den Ehegatten, hingegen müssen die Leistungen unmittelbar<br />
familienrechtlich geschuldet sein, d.h. in Erfüllung einer Rechtspflicht erbracht<br />
werden, wohingegen freiwillig geleistete Beiträge, z.B. Unterhaltsbeiträge<br />
für mündige Kinder, nicht zum Abzug berechtigen. Weiter ist entscheidend, dass die<br />
Beiträge während der gesamten Dauer der Unterhaltspflicht geschuldet sind <strong>und</strong><br />
beim Eintritt bestimmter Voraussetzungen in der Person <strong>des</strong> Berechtigten – beispielsweise<br />
Erreichen der Mündigkeit oder Tod – wegfallen (RB 1987 Nr. 21;<br />
Richner/Frei/Kaufmann, § 31 N. 39 ff.; Locher, B<strong>und</strong>essteuer, Art. 33 DBG N. 44<br />
mit Hinweisen).<br />
3.1.1 Zum Unterhalt eines Kinds im Sinn von Art. 276 ZGB gehört alles, was<br />
das Kind für sein Leben <strong>und</strong> seine körperliche, geistige <strong>und</strong> sittliche Entfaltung<br />
benötigt. Neben existenziellen Gr<strong>und</strong>bedürfnissen wie etwa Unterkunft, Nahrung,<br />
Bekleidung, Körper- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspflege oder Ausbildung zählen hierzu beispielsweise<br />
auch Beiträge an kulturelle <strong>und</strong> sportliche Betätigungen, Erholung,<br />
Unterhaltung oder Taschengeld (vgl. Peter Breitschmid in: Basler Kommentar zum<br />
Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I, 2. A., Basel etc. 2002, Art. 276<br />
ZGB N. 20 ff.).<br />
184
3.1.2 Den Eltern steht es gr<strong>und</strong>sätzlich frei, die im Urteil oder durch Vertrag<br />
festgesetzten Unterhaltsbeiträge für das Kind einvernehmlich abzuändern. Entsprechend<br />
der Gr<strong>und</strong>regel von Art. 134 Abs. 2 ZGB in Verbindung mit Art. 287 Abs. 1<br />
ZGB wird eine solche Vereinbarung für das Kind zwar erst mit der Genehmigung<br />
durch die Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde verbindlich, allerdings ist dieses Erfordernis bei<br />
einer blossen Erhöhung der Beiträge umstritten (vgl. etwa Cyril Hegnauer, Gr<strong>und</strong>riss<br />
<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>rechts <strong>und</strong> <strong>des</strong> übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. A., Bern 1999,<br />
§ 21 N. 21.28; Peter Breitschmid, Art. 287 ZGB N. 12 f.). In Bezug auf nacheheliche<br />
Unterhaltsbeiträge zwischen geschiedenen Ehegatten kommt es insbesondere<br />
beim lang dauernden Unterhalt häufig zu Abweichungen zwischen den gemäss<br />
Scheidungsurteil geschuldeten <strong>und</strong> den tatsächlich bezahlten Beiträgen, indem die<br />
Parteien wegen geänderter Umstände in formloser Absprache eine Abänderung der<br />
Beiträge vereinbaren. Dies hat das Steuerrecht zu berücksichtigen, sofern die effektiven<br />
Zahlungen nachgewiesen werden. Verpflichtet sich der Unterhaltspflichtige<br />
beispielsweise, neben monatlichen Rentenzahlungen zusätzlich an bestimmte<br />
Kosten, z. B. Zahnarztkosten, einen Beitrag zu leisten, sind auch diese Beiträge als<br />
Unterhaltsbeiträge zu verstehen (vgl. Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kommentar<br />
zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, Art. 134 N. 50; BGE 126 III 49<br />
E. 2; Thomas Ramseier in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel etc. 2000,<br />
Anh. St. N. 50; Patrick Holtz, Steuerrechtliche Folgen der Ehescheidung,<br />
Bern/Stuttgart 1989, S. 133, 147 ff. <strong>und</strong> 172 f.). Analog sollte auch hinsichtlich der<br />
Unterhaltsbeiträge für unmündige Kinder vorgegangen werden.<br />
3.2 In Bezug auf die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsbeiträge geht die Rekurskommission<br />
davon aus, der steuerrechtliche Begriff der Alimente sei eng zivilrechtlich<br />
auszulegen <strong>und</strong> dürfe nicht auf wirtschaftlich gleichartige Tatbestände<br />
ausgeweitet werden. Die vom Pflichtigen für die musikalische Erziehung seines<br />
Sohns aufgewendeten Zahlungen stellten keine Unterhaltsbeiträge im Sinn von § 31<br />
Abs. 1 lit. c StG dar. Einerseits fielen sie nicht während der gesamten Dauer der<br />
Unterhaltspflicht an <strong>und</strong> unterlägen gewissen Schwankungen; andererseits könne<br />
der Pflichtige jederzeit selbst entscheiden, ob er diese Zahlungen weiterhin leisten<br />
wolle. Im Übrigen seien solche Zuwendungen vom Empfänger bzw. <strong>des</strong>sen Mutter<br />
nicht als Einkommen zu versteuern.<br />
3.3 Der Pflichtige will für das Jahr 2000 Unterhaltsbeiträge von Fr. 2 752.– in<br />
Abzug bringen, welche er zusätzlich zu den gemäss Scheidungsurteil geschuldeten<br />
Beiträgen von aufger<strong>und</strong>et Fr. 12 000.– für seinen unmündigen Sohn bezahlt hat.<br />
Dabei beruft er sich auf eine mündliche Vereinbarung mit seiner geschiedenen<br />
Frau, wonach er sich verpflichtet habe, im Wesentlichen die Ausbildungskosten für<br />
94<br />
185
94<br />
Musik sowie Zahnarztkosten von Q zu übernehmen; seit dem Jahr 2002 sei diese<br />
Verpflichtung auch schriftlich festgehalten. Somit stellt sich die Frage, ob die vom<br />
Pflichtigen geltend gemachten Zahlungen für Klaviermiete, Klaviertransport, Ferienlager<br />
sowie Jugendmusikschule unter den Begriff der «Unterhaltsbeiträge»<br />
nach § 31 Abs. 1 lit. c StG subsumiert werden können.<br />
3.3.1 Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat, allerdings noch unter der Herrschaft <strong>des</strong><br />
alten Steuergesetzes <strong>und</strong> Ehe- bzw. Scheidungsrechts, im Präjudiz RB 1987 Nr. 21<br />
(= StE 1988 B 27.2 Nr. 7) entschieden, die unter getrennt lebenden Ehegatten<br />
erbrachten regelmässigen oder gelegentlichen Unterstützungsleistungen seien,<br />
auch wenn sie nicht aufgr<strong>und</strong> einer richterlichen Anordnung oder eines Vertrags<br />
erfolgten, als steuerbare bzw. abzugsfähige «Alimente» im Sinn von § 19 lit. h <strong>und</strong><br />
§ 24 lit. e <strong>des</strong> alten Steuergesetzes vom 8. Juli 1951 (aStG) zu qualifizieren, sofern<br />
sie tatsächlich zur Deckung <strong>des</strong> gr<strong>und</strong>legenden Lebensbedarfs der Familie bestimmt<br />
seien, denn solche Leistungen lasse ein Ehegatte dem anderen unmittelbar<br />
in Erfüllung familienrechtlicher Pflichten zukommen; demzufolge seien sie, obwohl<br />
nicht vorgeschrieben, nicht freiwilliger Natur. «Alimente» gemäss § 19 lit. h<br />
<strong>und</strong> § 24 lit. e aStG seien demnach regelmässig oder unregelmässig, jedenfalls in<br />
Erfüllung einer Rechtspflicht erbrachte Unterhaltsleistungen <strong>des</strong> einen Ehegatten,<br />
welche die Aufwendungen <strong>des</strong> anderen Ehegatten für den Lebensbedarf decken<br />
sollten, diesem also keinen Vermögenszuwachs verschafften, sondern für den laufenden<br />
Verbrauch bestimmt seien. Diese Gr<strong>und</strong>sätze lassen sich auch im vorliegenden<br />
Fall anwenden.<br />
3.3.2 Die vom Pflichtigen erbrachten zusätzlichen Leistungen für Musikunterricht,<br />
Klaviermiete <strong>und</strong> Ferienlager seines Sohns fallen zweifelsohne unter<br />
den zivilrechtlichen Begriff <strong>des</strong> «Unterhalts» gemäss Art. 276 Abs. 1 ZGB. Sodann<br />
bezwecken sie die Deckung <strong>des</strong> laufenden Lebensbedarfs von Q <strong>und</strong> führen infolge<strong>des</strong>sen<br />
nicht zu einem Vermögenszuwachs. Sie werden nicht freiwillig im Sinn<br />
einer Schenkung, sondern unmittelbar in Erfüllung der gesetzlichen elterlichen<br />
Unterhaltspflicht für unmündige Kinder nach Art. 133 ZGB in Verbindung mit Art.<br />
276 ZGB erbracht. Theoretisch sind diese Unterhaltsbeiträge bis zum Ende der<br />
Unterhaltspflicht geschuldet. Allein der Umstand, dass gewisse Aufwendungen für<br />
Kinder Schwankungen unterliegen, indem sie sich im Lauf der Entwicklung <strong>des</strong><br />
Kinds allenfalls ändern oder wegfallen, spricht für sich noch nicht gegen einen<br />
Einbezug in die «Unterhaltsbeiträge» gemäss § 31 Abs. 1 lit. c StG. Es sei in diesem<br />
Zusammenhang insbesondere auf die Möglichkeit der gerichtlichen Abänderung<br />
von Unterhaltsbeiträgen bei erheblicher Veränderung der Verhältnisse (z.B.<br />
bei geänderten Bedürfnissen <strong>des</strong> Kinds) gemäss Art. 286 Abs. 2 ZGB oder auf<br />
186
Art. 286 Abs. 3 ZGB verwiesen, welche Bestimmung eine Leistungsverpflichtung<br />
für vorübergehende ausserordentliche Bedürfnisse <strong>des</strong> Kinds begründen kann, die<br />
nach absehbarer Zeit voraussichtlich wieder entfallen <strong>und</strong> im Zeitpunkt der Festlegung<br />
<strong>des</strong> Unterhaltsbeitrags noch nicht in Betracht gezogen werden konnten.<br />
Wie bereits aufgezeigt (E. 3.1.2), sieht die heutige Praxis durchaus auch die<br />
rechtsgeschäftliche Erweiterung von Unterhaltsbeiträgen für unmündige Kinder<br />
vor. Der Pflichtige kann sich auf die Vereinbarung mit seiner Exfrau berufen,<br />
wonach er sich verpflichtet hat, zusätzlich zur Leistung der nach Scheidungsurteil<br />
geschuldeten Unterhaltsbeiträge die Kosten für die musikalische Ausbildung seines<br />
Sohns zu übernehmen. Wenn auch für das streitbetroffene Jahr 2000 keine ausdrückliche<br />
schriftliche Übereinkunft vorhanden ist, lässt sich die entsprechende<br />
(mündliche) Absprache einerseits aus dem Schreiben <strong>des</strong> Pflichtigen an seine<br />
geschiedene Ehefrau vom 5. Dezember 2000 betreffend Unterhaltszahlungen für<br />
das Jahr 2001 ableiten, in welchem festgehalten wird, er werde für die Klaviermiete<br />
<strong>und</strong> den Musikunterricht von Q zusätzlich im gewohnten Rahmen aufkommen.<br />
Andererseits deklarierte der Pflichtige bereits in der Steuererklärung 1999 B<br />
Unterhaltsbeiträge, welche über das laut Scheidungsurteil geschuldete Mass hinausgingen.<br />
Schliesslich sind die geltend gemachten Beiträge grösstenteils durch die<br />
sich bei den Akten befindlichen Lastschriftanzeigen <strong>des</strong> Postkontos <strong>des</strong> Pflichtigen<br />
belegt. Angesichts dieser Umstände kann ohne weiteres vom Bestehen der vorgebrachten<br />
Vereinbarung ausgegangen werden, zumal die Vorinstanz nicht geltend<br />
macht, die geschiedene Ehefrau <strong>des</strong> Pflichtigen bestreite die betreffenden Zahlungen.<br />
Obschon nach Art. 287 Abs. 1 ZGB Unterhaltsverträge für das unmündige<br />
Kind erst verbindlich sind, wenn sie von der Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde genehmigt<br />
worden sind, ist dieses Erfordernis zum einen für eine blosse Erhöhung der Beiträge<br />
nicht unumstritten (vgl. E. 3.1.2), zum anderen steht ausser Frage, dass der Unterhaltspflichtige<br />
bereits ab Vertragsschluss an die entsprechende Vereinbarung geb<strong>und</strong>en<br />
ist. Dass die geschiedene Ehefrau <strong>des</strong> Pflichtigen diese Beiträge in ihrer<br />
Steuererklärung nicht deklariert hat, mag damit zusammenhängen, dass die Zahlungen<br />
nicht zuerst ihr zugeflossen sind, sondern der Pflichtige diese direkt an die<br />
jeweiligen Gläubiger geleistet hat. Konsequenterweise <strong>und</strong> dem Kongruenzprinzip<br />
Rechnung tragend müssten diese Leistungen jedenfalls besteuert werden.<br />
3.4 Nach dem Gesagten – gerade auch mit Blick auf die Zweckbestimmung<br />
von Unterhaltsbeiträgen – rechtfertigt sich vorliegend eine Ausdehnung <strong>des</strong> Begriffs<br />
der «Unterhaltsbeiträge» nach § 31 Abs. 1 lit. c StG auf die vom Pflichtigen<br />
94<br />
187
94, 95, 96<br />
erbrachten zusätzlichen Leistungen für die musikalische Ausbildung (Klaviermiete,<br />
Klavierunterricht, etc.) sowie das Ferienlager seines Sohns.<br />
188<br />
SB.2004.00008 ER 2. Abt., 18. August<br />
StE 2005 B 27.2 Nr. 28<br />
95. In Fällen, in denen das Vorsorgereglement die Ausrichtung einer Altersrente<br />
an zur vorzeitigen Pensionierung berechtigte Versicherte von einer entsprechenden<br />
Willenserklärung der Versicherten abhängig macht, tritt der<br />
eine Austrittsleistung ausschliessende Vorsorgefall Alter nicht in jedem Fall<br />
ein, wenn das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, sondern nur dann, wenn der<br />
Versicherte von der statutarischen bzw. reglementarischen Möglichkeit, die<br />
Ausrichtung einer vorzeitigen Altersrente zu verlangen, Gebrauch macht;<br />
dies muss er gegenüber der Vorsorgeeinrichtung erklären. Unterlässt er<br />
dies, hat er Anspruch auf eine Austrittsleistung. Mit der Einführung <strong>des</strong><br />
FZG hat sich daran nichts geändert. § 270 StG.<br />
SB.2004.00042 2. Kammer, 22. Dezember<br />
c) Besteuerung der juristischen Personen<br />
96. Der der Besteuerung juristischer Personen – zumin<strong>des</strong>t zur Zeit noch – systemimmanenten<br />
Doppelbelastung sind nach geltendem Recht auch die<br />
Kommanditaktiengesellschaft (KAG) <strong>und</strong> die an ihr Beteiligten ausgesetzt,<br />
weil die Besteuerungsregeln auf die hybride Rechtsnatur der Gesellschaft<br />
als Mischform aus kapitalistischen <strong>und</strong> personalistischen Elementen entgegen<br />
im zivilrechtlichen Schrifttum vereinzelt geäusserten Einwänden keine<br />
Rücksicht nehmen. Der dem Komplementär einer KAG gemäss Gesellschaftsstatuten<br />
zustehende Gewinnanteil stellt so eine offene Gewinnausschüttung<br />
dar, welche zum der Gewinnbesteuerung unterliegenden Reingewinn<br />
der KAG gehört. Diese Regelung ist weder verfassungswidrig noch<br />
vereitelt sie das Zivilrecht, weshalb für eine lückenfüllende Anwendung <strong>des</strong><br />
deutschen Körperschaftssteuergesetzes kein Raum bleibt. § 63, § 64 StG.<br />
SB.2004.00051 2. Kammer, 15. Dezember
97. Die steuerneutrale Ersatzbeschaffung ist auf den Bereich <strong>des</strong> betriebsnotwendigen<br />
Anlagevermögens beschränkt, wobei das Ersatzobjekt im Betrieb<br />
die gleiche Funktion zu erfüllen hat wie der ausgeschiedene Vermögensgegenstand.<br />
Die Einteilung eines ehemaligen Produktionsbetriebs in Stockwerkeinheiten<br />
ist eine Zweckänderung, weshalb die Ersatzbeschaffungsrücklage<br />
zu Unrecht gebildet wurde. § 68 StG.<br />
2.1 Nach § 64 Abs. 1 Ziff. 3 StG setzt sich der steuerbare Reingewinn einer<br />
juristischen Person unter anderem aus den der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebenen<br />
Erträgen, mit Einschluss der Kapital-, Aufwertungs- <strong>und</strong> Liquidationsgewinne,<br />
vorbehältlich § 68 StG, zusammen. Gemäss § 68 StG können beim Ersatz von<br />
Gegenständen <strong>des</strong> betriebsnotwendigen Anlagevermögens die stillen Reserven auf<br />
ein Ersatzobjekt mit gleicher Funktion übertragen werden; ausgeschlossen ist die<br />
Übertragung auf Vermögen ausserhalb der Schweiz (Abs. 1). Findet die Ersatzbeschaffung<br />
nicht im gleichen Geschäftsjahr statt, so kann gemäss § 68 Abs. 2 StG<br />
im Umfang der stillen Reserven eine Rücklage gebildet werden. Diese Rücklage ist<br />
innert angemessener Frist zur Abschreibung auf dem Ersatzobjekt zu verwenden<br />
oder zu Gunsten der Erfolgsrechnung aufzulösen. Als betriebsnotwendig gilt nur<br />
Anlagevermögen, das dem Betrieb unmittelbar dient; ausgeschlossen sind insbesondere<br />
Vermögensobjekte, die dem Unternehmen nur als Vermögensanlage oder<br />
nur durch ihren Ertrag dienen (Abs. 3).<br />
2.2 § 68 StG engt die steuerneutrale Ersatzbeschaffung auf den Bereich <strong>des</strong><br />
betriebsnotwendigen Anlagevermögens ein, wobei es sich sowohl beim ausscheidenden<br />
als auch beim wiederbeschafften Vermögensgegenstand um ein betriebsnotwendiges<br />
Anlagegut handeln muss. Die Mittel aus dem Verkauf eines nicht<br />
betriebsnotwendigen Wirtschaftsguts können demnach nicht steuerneutral in<br />
betriebsnotwendiges Anlagevermögen reinvestiert werden (vgl. Markus Reich/<br />
Marina Züger in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/2a, Art. 30 DBG<br />
N. 5; Känzig, Wehrsteuer, Art. 21 BdBSt N. 197). Betriebsnotwendig sind Wirtschaftsgüter,<br />
die nach ihrer Zweckbestimmung unmittelbar der Leistungserstellung<br />
<strong>des</strong> Betriebs dienen <strong>und</strong> ohne Beeinträchtigungen <strong>des</strong> betrieblichen Leistungserstellungsprozesses<br />
nicht veräussert werden können (Markus Reich in: Kommentar<br />
zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Art. 8 StHG N. 71, auch zum Folgenden<br />
<strong>und</strong> mit Hinweisen; Reich/Züger, Art. 30 DBG N. 6). Die betriebsnotwendigen Vermögenswerte<br />
bilden unerlässliche Bestandteile der betrieblichen Einheit; ihre<br />
Veräusserung würde zu einer substanziellen Veränderung <strong>des</strong> Betriebs führen.<br />
Beurteilungsgr<strong>und</strong>lage der Betriebsnotwendigkeit bilden immer die betrieblichen<br />
Verhältnisse <strong>des</strong> Unternehmens. Unter Umständen kann auch Immobilienkomple-<br />
97<br />
189
97<br />
xen eine eigenständige betriebliche Funktion zukommen (Richner/Frei/Kaufmann,<br />
§ 19 N. 39). Ausgeschlossen ist jedoch die Ersatzbeschaffung von Vermögensgegenständen,<br />
die dem Unternehmen lediglich als Vermögensanlage oder durch<br />
ihren Ertrag dienen (§ 68 Abs. 3 StG).<br />
2.3 Die Ersatzbeschaffung ist auf das Anlagevermögen beschränkt. Dies wird<br />
in der Lehre zwar als sachwidrig bezeichnet (Reich, Art. 8 StHG N. 72; Locher,<br />
B<strong>und</strong>essteuer, Art. 30 DBG N. 10); eine Ausweitung auf das Umlaufvermögen ist<br />
in<strong>des</strong>sen aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> klaren gesetzlichen Wortlauts von § 68 Abs. 1 StG nicht<br />
angezeigt. Das Anlagevermögen wird in Finanzanlagen, Sachanlagen <strong>und</strong> immaterielle<br />
Anlagen unterteilt (Art. 663a OR). Die Zuteilung eines Wirtschaftsguts zum<br />
Anlage- oder Umlaufvermögen richtet sich nicht nach der äusseren Beschaffenheit,<br />
sondern nach der Zweckbestimmung, beziehungsweise ihrer zukünftigen Funktion<br />
im Unternehmen sowie der Dauerhaftigkeit der getätigten Investition (Reich, Art. 8<br />
StHG N. 72, mit Hinweisen). Das Anlagevermögen dient dem Unternehmen demnach<br />
zur dauernden oder mehrmaligen Nutzung. Anlagegüter werden somit nicht<br />
zum Zweck der Veräusserung, sondern zur wiederholten Nutzung <strong>und</strong> zum Verbrauch<br />
beschafft. Wirtschaftsgüter, die demgegenüber laufend angeschafft <strong>und</strong> wieder<br />
veräussert werden, bilden Umlaufvermögen. Gr<strong>und</strong>stücke gehören demzufolge<br />
gewöhnlich zum Anlagevermögen. Beim Liegenschaftenhändler sind sie jedoch in<br />
der Regel Waren <strong>und</strong> damit Umlaufvermögen (Karl Käfer, Berner Kommentar,<br />
Band VIII/2 Art. 958–964, Die kaufmännische Buchführung, 2. Teilband, Bern 1981,<br />
Art. 958 OR N. 320).<br />
2.4 Als weitere Voraussetzung der steuerneutralen Ersatzbeschaffung wird<br />
vom Gesetzgeber verlangt, dass das Ersatzobjekt im Betrieb eine gleiche Funktion<br />
zu erfüllen habe wie der ausgeschiedene Vermögensgegenstand. Die Frage der<br />
Funktionsgleichheit ist betriebsbezogen zu betrachten. Von einem «Ersatzobjekt<br />
mit gleicher Funktion» kann nur dann ausgegangen werden, wenn das neu angeschaffte<br />
Wirtschaftsgut die Lücke, die das Ausscheiden <strong>des</strong> ersetzten Wirtschaftsguts<br />
bewirkt, wieder schliesst. Mit dem Ersatz soll aber dem technischen Fortschritt<br />
<strong>und</strong> dem wirtschaftlichen Bedürfnis <strong>des</strong> Unternehmens Rechnung getragen werden<br />
(Reich/Züger, Art. 30 DBG N. 11 <strong>und</strong> 12).<br />
2.5 Die steuerneutrale Ersatzbeschaffung ist gemäss Art. 68 Abs. 1 StG ausdrücklich<br />
auf das Gebiet der Schweiz beschränkt. Ausgeschlossen ist demnach die<br />
Übertragung von stillen Reserven auf Vermögen ausserhalb der Schweiz.<br />
2.6 Erfolgt die Ersatzbeschaffung nicht innerhalb <strong>des</strong> Geschäftsjahrs, so kann<br />
im Umfang der stillen Reserven eine Rücklage gebildet werden (§ 68 Abs. 2 StG).<br />
190
97, 98<br />
Diese ist innert angemessener Frist zur Abschreibung auf einem Ersatzobjekt zu<br />
verwenden. In der Regel kann eine Frist von zwei Jahren als angemessen bezeichnet<br />
werden. Wird die Ersatzbeschaffung nicht innert nützlicher Frist durchgeführt,<br />
so muss davon ausgegangen werden, der Verkauf <strong>des</strong> ursprünglichen Gegenstands<br />
beeinträchtige die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit nicht <strong>und</strong> der Gegenstand sei<br />
nicht betriebsnotwendig (Richner/Frei/ Kaufmann, § 68 StG N. 29).<br />
SB.2004.00056 2. Kammer, 24. November<br />
2. Verfahren<br />
a) Einschätzungsverfahren<br />
98. Fehlen in der Eröffnung einer Einschätzung wesentliche Elemente der Verfügung<br />
oder sind die Angaben darin offensichtlich widersprüchlich oder ergeben<br />
sie keinen Sinn, so dass die Steuerpflichtigen nicht in der Lage sind,<br />
ihre Interessen zu wahren, wird die Rechtsmittelfrist nicht ausgelöst <strong>und</strong><br />
kann die Verfügung demzufolge nicht in Rechtskraft erwachsen. § 126 StG.<br />
2. Entscheide werden den Beteiligten kraft § 126 Abs. 1 StG mit Begründung<br />
schriftlich mitgeteilt. Der Entscheid über eine der Steuererklärung entsprechende<br />
oder vom Steuerpflichtigen im Laufe <strong>des</strong> Einschätzungs- oder Einspracheverfahrens<br />
unterschriftlich anerkannte Einschätzung wird ihm gemäss § 126 Abs. 4 StG<br />
durch die Schlussrechnung (§ 173 Abs. 3 StG) angezeigt.<br />
Gegen den Einschätzungsentscheid können der Steuerpflichtige <strong>und</strong> die<br />
Gemeinde innert 30 Tagen nach Zustellung beim kantonalen Steueramt schriftlich<br />
Einsprache erheben (§ 140 Abs. 1 StG). Nach unbenutztem Ablauf der Einsprachefrist<br />
erwächst der Einschätzungsentscheid in Rechtskraft.<br />
2.1 Fehlen in der Eröffnung wesentliche Elemente der Verfügung oder sind<br />
die Angaben in der Verfügung offensichtlich widersprüchlich oder ergeben sie keinen<br />
Sinn, so dass die Steuerpflichtige nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu<br />
wahren, wird die Rechtsmittelfrist nicht ausgelöst <strong>und</strong> die Verfügung kann demzufolge<br />
nicht in Rechtskraft erwachsen (BGE 102 Ib 91 E. 3, auch zum Folgenden);<br />
diese ist folglich auch nicht der Berichtigung im Sinn von § 159 StG zugänglich.<br />
Die Rechtsmittelfrist läuft in einem derartigen Fall erst mit der Eröffnung der feh-<br />
191
98<br />
lenden oder korrigierten Elemente der Verfügung, wobei der Steuerpflichtige im<br />
Rahmen <strong>des</strong> ihm Zumutbaren von sich aus die sich aufdrängenden Schritte zur Behebung<br />
<strong>des</strong> Mangels zu unternehmen hat. Umgekehrt ist es der Behörde in einem<br />
solchen Fall unbenommen, die Eröffnung von Amts wegen zu vervollständigen<br />
oder zu berichtigen, <strong>und</strong> es ist dem Steuerpflichtigen nach Treu <strong>und</strong> Glauben verwehrt,<br />
sich auf die mangelhafte Verfügung zu berufen (BGr, 24.7.1985, ASA 55<br />
[1986/87] 512 E. 3).<br />
So ist denn auch nach ständiger Rechtsprechung <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s in<br />
analoger Anwendung von § 162 bis 165 GVG ein Entscheid von der verfügenden<br />
Behörde auf Antrag <strong>des</strong> Steuerpflichtigen oder von Amts wegen zu erläutern, wenn<br />
die Bestimmungen <strong>des</strong> Dispositivs – bei Einschätzungen die Festsetzung der<br />
Steuerfaktoren – unklar sind, sich selbst oder den Motiven widersprechen oder unvollständig<br />
sind (§ 162 GVG; RB 1982 Nr. 83; Gygi, B<strong>und</strong>esverwaltungsrechtspflege,<br />
S. 228; Richner/Frei/Kaufmann, § 139 N. 13). Wird ein Entscheid auf das<br />
Erläuterungsbegehren hin anders gefasst, werden die Rechtsmittelfristen den<br />
Parteien neu eröffnet (§ 165 GVG; VGr, 28. Oktober 1998, SB.98.00032).<br />
2.2 Die «Schlussrechnung <strong>und</strong> Einschätzungsmitteilung» <strong>des</strong> Gemein<strong>des</strong>teueramts<br />
X vom 13. Dezember 2001 ist offensichtlich mangelhaft eröffnet worden.<br />
Sie ist widersprüchlich <strong>und</strong> lässt nicht erkennen, welche Einschätzung verfügt<br />
worden ist. Denn die Rechnung gibt zwar an, die Steuerfaktoren seien «Aufgr<strong>und</strong><br />
der Einschätzung gemäss Steuererklärung» festgelegt worden, was jedoch nicht<br />
zutrifft. Denn in der Steuererklärung ist ein steuerbares Einkommen von Fr. 237 637.–<br />
<strong>und</strong> ein steuerbares Vermögen von Fr. 917 954.– deklariert worden, während die<br />
Schlussrechnung ein steuerbares Einkommen von Fr. 166 300.– <strong>und</strong> ein steuerbares<br />
Vermögen von Fr. 0 ausweist. Sollten aber diese Faktoren entgegen dem ausdrükklichen<br />
Vermerk auf der Rechnung vom Steueramt beabsichtigt sein, sollte also die<br />
Rechnung nicht aufgr<strong>und</strong> einer Einschätzung gemäss Steuererklärung beruhen,<br />
dann fehlte es an einer Begründung der Abweichung von den deklarierten Steuerfaktoren<br />
im Sinn von Art. 126 Abs. 1 StG <strong>und</strong> wäre angesichts der selbständigen<br />
Erwerbstätigkeit <strong>des</strong> Ehemannes eine Eröffnung durch das Gemein<strong>des</strong>teueramt mit<br />
der Schlussrechnung nach Art. 126 Abs. 4 StG gar nicht statthaft gewesen.<br />
Litt die fragliche «Schlussrechnung <strong>und</strong> Einschätzungsmitteilung» demnach<br />
an einem unerklärlichen Widerspruch, der nur durch die verfügende Behörde selber<br />
beseitigt werden konnte, so vermochte sie nicht in Rechtskraft zu erwachsen.<br />
Da die Pflichtigen es unterlassen hatten, das Gemein<strong>des</strong>teueramt X um Klarstellung<br />
der erläuterungsbedürftigen Verfügung zu ersuchen, war das Steueramt auch<br />
192
98, 99<br />
ohne deren Zutun ohne Weiteres berechtigt gewesen, den Mangel von sich aus<br />
durch Eröffnung einer widerspruchsfreien Schlussrechnung <strong>und</strong> Einschätzungsmitteilung<br />
zu beheben. Erst diese Verfügung vermochte die Einsprachefrist wirksam<br />
auszulösen.<br />
SB.2004.00045 2. Kammer, 1. September<br />
b) Rekursverfahren<br />
99. Angesichts der Funktion <strong>des</strong> Gutachtens, der Behörde fachspezifische Informationen<br />
(über den Verkehrswert eines Gr<strong>und</strong>stücks) zu liefern, rechtfertigt<br />
es sich, dass sich die Behörde bei der Beweiswürdigung auf die Prüfung<br />
beschränkt, ob die Expertise vollständig, klar, gehörig begründet, frei<br />
von Lücken <strong>und</strong> Widersprüchen ist, auf zutreffenden tatsächlichen Feststellungen<br />
beruht sowie ob der Gutachter hinreichende Sachkenntnis <strong>und</strong> die<br />
erforderliche Unbefangenheit gehabt hat. Vermag das Gutachten nicht zu<br />
überzeugen, so muss der Behörde für den Entscheid darüber, ob eine Berichtigung,<br />
Ergänzung oder Erläuterung <strong>des</strong> Gutachtens zu erfolgen hat<br />
oder ein Obergutachten einzuholen ist, gr<strong>und</strong>sätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum<br />
zugestanden werden, wobei die Anordnung einer Oberexpertise<br />
in der Regel ausser Betracht fällt, wenn das frühere Gutachten<br />
ergänzungs- <strong>und</strong> berichtigungsfähig ist. Das ihr dergestalt eingeräumte<br />
Ermessen entbindet die Behörde jedoch keinesfalls von der erwähnten Prüfung<br />
auf Vollständigkeit, Klarheit etc., verlangt doch nur ein mit Mängeln<br />
behaftetes Gutachten nach der Beantwortung der Frage, ob es durch den<br />
bisherigen Sachverständigen zu ergänzen, zu erläutern oder zu berichtigen<br />
oder ob die Begutachtung einem Oberexperten zu übertragen sei. Dementsprechend<br />
hat die Behörde zu begründen, dass <strong>und</strong> weshalb das Gutachten<br />
mangelhaft <strong>und</strong> weshalb gegebenenfalls ein Obergutachter einzusetzen sei.<br />
§ 132 Abs. 2 StG.<br />
SB.2004.00015/16 2. Kammer, 17. Juni<br />
193
100, 101, 102<br />
194<br />
c) Beschwerdeverfahren<br />
100. Eine eigentliche Protokollberichtigungsklage kennt das zürcherische<br />
Steuerrecht nicht. § 148 Abs. 3, § 153 Abs. 3 StG.<br />
2.1 Die von den Pflichtigen verlangte Änderung <strong>des</strong> Protokolls der Rekurskommission<br />
bezieht sich auf den Inhalt eines Telefongesprächs zwischen dem Sekretär<br />
der Rekurskommission <strong>und</strong> dem Vertreter der Pflichtigen. Die Rekurskommissionen<br />
haben über wesentliche Amtshandlungen, die aktenmässig keinen anderweitigen<br />
Niederschlag finden, ein kurzes Protokoll zu erstellen (§ 4 Abs. 1 VO StG<br />
in Verbindung mit § 148 Abs. 3 StG). Mit der Steuerbeschwerde an das <strong>Verwaltungsgericht</strong><br />
lässt sich nicht eine förmliche Berichtigung <strong>des</strong> Protokolls der Rekurskommission<br />
verlangen, weshalb auf diesen Antrag nicht eingetreten werden kann.<br />
Hingegen steht dem Steuerpflichtigen der Nachweis offen, dass Protokolle unrichtig<br />
geführt worden sind (RB 1970 Nr. 34).<br />
SB.2004.00013 2. Kammer, 1. September<br />
d) Nachsteuerverfahren<br />
101. Entspricht die Deklaration <strong>des</strong> Steuerpflichtigen der zu diesem Zeitpunkt<br />
massgeblichen Verwaltungspraxis, gilt sie als vollständig, weshalb aufgr<strong>und</strong><br />
einer nachträgliche Praxisänderung keine Nachsteuer erhoben werden<br />
darf. § 160 Abs. 2 StG.<br />
SR.2003.00012 2. Kammer, 3. März<br />
e) Steuersicherungsverfahren<br />
102. Im Rekursverfahren gegen eine Sicherstellungsverfügung können wie im<br />
Einspracheverfahren gegen den Arrestbefehl neue Tatsachen geltend gemacht<br />
werden. Art. 278 Abs. 3 SchKG.<br />
SR.2004.00002 2. Kammer, 24. März
f) Steuerstrafverfahren<br />
103. Auch bei der wegen Verletzung von im DBG statuierten Verfahrenspflichten<br />
ausgefällten Busse handelt es sich um eine echte kriminalrechtliche Strafe.<br />
Im entsprechenden Verfahren sind mithin die strafprozessualen Garantien<br />
von BV <strong>und</strong> EMRK zu beachten. Art. 29 Abs. 2, Art. 32 Abs. 2 BV. Art. 126<br />
Abs. 2, Art. 174, Art. 182 DBG. Art. 48 Ziff. 2, Art. 63 StGB.<br />
1. Wer einer Pflicht, die ihm nach den Vorschriften <strong>des</strong> DBG oder nach einer<br />
aufgr<strong>und</strong> dieses Gesetzes getroffenen Anordnung obliegt, trotz Mahnung vorsätzlich<br />
oder fahrlässig nicht nachkommt, insbesondere die Steuererklärung oder die<br />
dazu verlangten Beilagen nicht einreicht, wird laut Art. 174 Abs. 1 lit. a DBG mit<br />
Busse bestraft. Die Busse beträgt gemäss Art. 174 Abs. 2 DBG bis zu 1000 Franken,<br />
in schweren Fällen oder bei Rückfall bis zu 10 000 Franken.<br />
2.1 Gemäss Art. 182 Abs. 1 DBG trifft die mit der Strafverfolgung betraute<br />
Behörde nach Abschluss der Untersuchung eine Straf- oder Einstellungsverfügung,<br />
die sie dem Betroffenen schriftlich eröffnet. Für das Strafverfahren gelten ausserdem<br />
kraft Art. 182 Abs. 3 DBG «sinngemäss» die Vorschriften über die Verfahrensgr<strong>und</strong>sätze,<br />
das Veranlagungs- <strong>und</strong> das Beschwerdeverfahren, d.h. die Art. 109 bis<br />
146 DBG. Somit ist für jede einzelne Bestimmung durch Auslegung zu ermitteln,<br />
ob sie im steuerstrafrechtlichen Verfahren zur Anwendung gelangt <strong>und</strong> mit welcher<br />
Bedeutung. Infolge<strong>des</strong>sen sind diese Vorschriften nur heranzuziehen, soweit sie<br />
sich mit der kriminalrechtlichen Natur der Steuerstrafen vereinbaren oder sich auf<br />
die steuerstrafrechtlichen Erfordernisse ausrichten lassen (vgl. Roman Sieber in:<br />
Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht I/2b, Vorbem. zu Art. 182–183 DBG<br />
N. 2).<br />
Da es sich bei der Busse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten nach Art.<br />
174 DBG um eine echte kriminalrechtliche Strafe handelt (BGr, 28. März 1996,<br />
ASA 66 [1997/98] = StE 1997.B 101.1 Nr. 9), sind im Verfahren überdies die strafprozessualen<br />
Garantien der (EMRK), insbesondere Art. 6 EMRK, <strong>und</strong> der BV,<br />
namentlich Art. 29 Abs. 2 <strong>und</strong> Art. 32 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BV, zu beachten. Diese verankern<br />
den Anspruch auf rechtliches Gehör, auf Unterrichtung über die Anklage, auf<br />
Geltendmachung der Verteidigungsrechte <strong>und</strong> auf Unschuldsvermutung (vgl.<br />
Sieber, Vorbem. zu Art. 182–183 DBG N. 4).<br />
2.2 Art. 182 Abs. 1 DBG verpflichtet die Steuerstrafbehörde ausdrücklich zur<br />
Durchführung einer Untersuchung. Deren Zweck ist die Sachverhaltsermittlung<br />
103<br />
195
103<br />
mit Blick auf die objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatbestandsmerkmale der in Frage stehenden<br />
Steuerübertretung sowie der Verhältnisse, welche gegebenenfalls für die<br />
Strafzumessung in Betracht zu ziehen sind. Der Behörde stehen dabei gemäss Art.<br />
182 Abs. 3 DBG jene Untersuchungsmittel zu Gebote, die ihr für das Veranlagungsverfahren<br />
zur Verfügung stehen (vgl. Sieber, Art. 182 DBG N. 23). Vorab ist<br />
gestützt auf Art. 126 Abs. 2 DBG, welcher die Einholung von Auskünften regelt,<br />
der beschuldigte Steuerpflichtige mündlich zur Person <strong>und</strong> zur Sache einzuvernehmen.<br />
Denn nur durch eine mündliche Befragung vermag die mit der Untersuchung<br />
der Anschuldigung <strong>und</strong> der Ausfällung der Strafe betraute Behörde einen Eindruck<br />
von der Persönlichkeit <strong>des</strong> Beschuldigten zu gewinnen, die inneren Tatumstände zu<br />
beurteilen (subjektiver Tatbestand, Verschulden, Beweggründe) <strong>und</strong> die unerlässlichen<br />
Entscheidgr<strong>und</strong>lagen für die Strafzumessung im Sinn von Art. 48 Ziff. 2 <strong>und</strong><br />
Art. 63 StGB (Ges<strong>und</strong>heitszustand, Lebensumstände, Strafempfindlichkeit, Charakter)<br />
zu erhalten (Sieber, Art. 182 DBG N. 65; Martin Zweifel, Das rechtliche<br />
Gehör im Steuerhinterziehungsverfahren, ASA 60 [1991/92], S. 473). Der Pflicht<br />
der Behörde, zur Erfüllung <strong>des</strong> Untersuchungszwecks den Beschuldigten einzuvernehmen,<br />
entspricht das aus dem Gr<strong>und</strong>satz <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs von Art. 29<br />
Abs. 2 BV fliessende Recht <strong>des</strong> Beschuldigten auf mündliche Befragung im Strafprozess.<br />
Die strafprozessuale Bedeutung der persönlichen Befragung verlangt, dass<br />
der Beschuldigte zur Wahrnehmung seines Äusserungsrechts ausdrücklich aufgefordert<br />
wird. Er ist daher amtlich vorzuladen, wobei er auf das Recht zur persönlichen<br />
mündlichen Einvernahme verzichten kann. Ein solcher Verzicht darf etwa<br />
bei unentschuldigtem Fernbleiben angenommen werden. In einem derartigen Fall<br />
ist aufgr<strong>und</strong> der Akten zu entscheiden, sofern der Beschuldigte in der Vorladung<br />
zur Einvernahme auf diese Folgen seines Verzichts aufmerksam gemacht wurde<br />
(vgl. RB 2000 Nr. 135 <strong>und</strong> 136 für das kantonale Recht; Sieber, Art. 182 DBG<br />
N. 66 mit Hinweisen).<br />
2.3 Darüber hinaus ist die untersuchende <strong>und</strong> urteilende Behörde aufgr<strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>satzes <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs von Art. 29 Abs. 2 BV sowie ausdrücklic<br />
kraft Art. 32 Abs. 2 BV gehalten, den Beschuldigten möglichst rasch <strong>und</strong> umfassend<br />
über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu unterrichten (Satz 1).<br />
Dieser muss die Möglichkeit haben, die ihm zustehenden Verteidigungsrechte geltend<br />
zu machen (Satz 2). Ohne diese Unterrichtung ist es dem Beschuldigten nicht<br />
möglich, die ihm gemäss Art. 114 <strong>und</strong> Art. 115 in Verbindung mit Art. 182 Abs. 3<br />
196
103, 104, 105, 106<br />
DBG zustehenden <strong>und</strong> in Art. 29 Abs. 2 BV garantierten Rechte auf Akteneinsicht<br />
<strong>und</strong> auf Beweisabnahme auszuüben.<br />
GB.2004.00005 2. Kammer, 1. September<br />
g) Revisionsverfahren<br />
104. Fehlt es an einer Vollmacht <strong>und</strong> wird dieser Mangel innert angesetzter Frist<br />
nicht beseitigt, so ist auf das Rechtsmittel nicht einzutreten <strong>und</strong> kann dieses<br />
durch den «Vertreter» auch nicht mehr rechtsgültig zurückgezogen werden.<br />
Unter diesen Umständen sind die Verfahrenskosten dem vollmachtlos handelnden<br />
«Vertreter» aufzuerlegen. § 127 StG.<br />
RG.2004.00004 2. Kammer, 17. Juni<br />
II. Gr<strong>und</strong>stückgewinn- <strong>und</strong><br />
Handänderungssteuer<br />
105. Der Wegfall eines Wohnrechts während der Besitzesdauer hat zur Folge,<br />
dass zur Herstellung vergleichbarer Verhältnisse der Wert <strong>des</strong> Wohnrechts<br />
zum Zeitpunkt <strong>des</strong> Erwerbs der wohnrechtsbelasteten Liegenschaft zum damaligen<br />
Erwerbspreis bzw. zum Anlagewert hinzuzurechnen ist. Damit wird<br />
ein Zustand hergestellt, wie wenn ein unbelastetes Gr<strong>und</strong>stück erworben<br />
worden wäre, welches dann – unbelastet – wieder veräussert wurde. § 220<br />
Abs. 1 StG.<br />
SB.2003.00065 2. Kammer, 24. März<br />
106. Als Liegenschaftenhändler tätige juristische Personen sind berechtigt, die<br />
Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer bei dieser Steuer gewinnmindernd geltend zu<br />
machen, soweit sie auf deren Berücksichtigung bei der Gewinnsteuer ausdrücklich<br />
verzichten. § 221 Abs. 2 StG.<br />
197
106<br />
1.2.1 Ob die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuern zu den aufgr<strong>und</strong> von § 221 Abs. 2 StG<br />
anrechenbaren Aufwendungen gehören, ist auf dem Weg der Gesetzesauslegung zu<br />
ermitteln. Deren Ziel ist es, den Sinngehalt einer Norm zu ergründen. Auszugehen<br />
ist dabei vom Wortlaut der auszulegenden Bestimmung, doch kann dieser nicht allein<br />
massgebend sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder verschiedene<br />
Deutungen zulässt. Vielmehr muss nach der wahren Tragweite <strong>des</strong> Wortlauts gesucht<br />
werden, unter Berücksichtigung der weiteren Auslegungselemente, wie namentlich<br />
Entstehungsgeschichte <strong>und</strong> Zweck der Norm. Wichtig ist auch die Bedeutung,<br />
welche der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. So lässt<br />
sich auch das B<strong>und</strong>esgericht bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus<br />
leiten <strong>und</strong> stellt nur dann allein auf das grammatikalische Element<br />
ab, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergibt (BGE<br />
125 II 177 E. 3 S. 179; 124 II 372 E. 5 S. 376).<br />
1.2.2 Nach dem Wortlaut von § 221 Abs. 2 StG sind «weitere mit der Liegenschaft<br />
zusammenhängende Aufwendungen» anrechenbar. Mit der Wendung «weitere<br />
… Aufwendungen» wird zunächst auf die Aufzählung von § 221 Abs. 1 StG<br />
verwiesen. Danach sind als Aufwendungen anrechenbar wertvermehrende Aufwendungen<br />
(lit. a), Gr<strong>und</strong>eigentümerbeiträge (lit. b), übliche Mäklerprovisionen <strong>und</strong><br />
Insertionskosten für Erwerb <strong>und</strong> Veräusserung (lit. c), mit der Handänderung verb<strong>und</strong>ene<br />
Abgaben (lit. d) sowie Baukreditzinsen bei Liegenschaften im Geschäftsvermögen<br />
(lit. e). Infolge<strong>des</strong>sen genügt es für die Anrechenbarkeit «weiterer»<br />
Aufwendungen, dass sie mit der (veräusserten) Liegenschaft zusammenhängen,<br />
wobei die in § 221 Abs. 1 StG aufgelisteten Aufwendungen Beispiele für einen derartigen<br />
Zusammenhang bilden.<br />
Wenn also kraft § 221 Abs. 1 lit. d StG die Handänderungssteuer in einem Zusammenhang<br />
mit der Liegenschaft steht (so schon RB ORK 1959 Nr. 59), dann<br />
muss es auch die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer sein, denn sie wird als Objektsteuer –<br />
wie die Handänderungssteuer gemäss § 227 Abs. 1 StG – «bei Handänderungen an<br />
Gr<strong>und</strong>stücken» erhoben. Diesen Zusammenhang hat auch das B<strong>und</strong>esgericht in seiner<br />
Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Doppelbesteuerungsverbot erkannt<br />
(vgl. BGE 120 Ia 361 E. 5b S. 366). Der gr<strong>und</strong>steuerliche Begriff der «Aufwendung»<br />
hat für sich selbst betrachtet keine besondere Bedeutung, sondern steht<br />
allgemein für die Erbringung einer Geldleistung.<br />
Infolge<strong>des</strong>sen ist die aus Anlass der Veräusserung einer Liegenschaft erhobene<br />
Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer nach dem Gesetzeswortlaut eine mit der Liegenschaft<br />
zusammenhängende Aufwendung.<br />
198
1.3 Zweck der Vorschrift von § 221 Abs. 2 StG ist es offenk<strong>und</strong>ig, bei Personen,<br />
welche mit Liegenschaften handeln, über die Aufzählung von Abs. 1 dieser<br />
Bestimmung hinaus die Anrechnung weiterer mit der Liegenschaft zusammenhängender<br />
Aufwendungen bei der Berechnung <strong>des</strong> steuerbaren Gr<strong>und</strong>stückgewinns zu<br />
ermöglichen. Denn nur solchen Personen gesteht das Gesetz diese Möglichkeit zu.<br />
Dieser Bef<strong>und</strong> deckt sich mit der Entstehungsgeschichte der Norm: Anlässlich<br />
der Gesetzesberatung im <strong>Kantons</strong>rat waren sich die Votanten im Wesentlichen<br />
darin einig, dass diese Bestimmung bezweckte, die gewerbsmässigen Liegenschaftenhändler<br />
mit Sitz im Kanton Zürich den Liegenschaftenhändlern mit Sitz in<br />
einem andern Kanton (<strong>und</strong> ohne zürcherische Betriebsstätte) gleichzustellen (vgl.<br />
Protokoll <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong>rats 1995–1999, insbesondere S. 6716 ff. <strong>und</strong> 6722). Denn<br />
diese sind – anders als Händler mit zürcherischem Sitz, die vor Schaffung der in<br />
Frage stehenden Vorschrift bloss Aufwendungen im Sinn von § 221 Abs. 1 StG anrechnen<br />
konnten – aufgr<strong>und</strong> der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung zum Verbot<br />
der Doppelbesteuerung im interkantonalen Verhältnis von Art. 127 Abs. 3 BV (bzw.<br />
Art. 46 Abs. 2 aBV) berechtigt, bei der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer über die Aufzählung<br />
von § 221 Abs. 1 StG (bzw. § 166 Abs. 1 aStG) hinaus weitere mit dem Erwerb<br />
<strong>und</strong> der Veräusserung ihrer Geschäftsliegenschaften zusammenhängende Aufwendungen<br />
bei der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer geltend zu machen. Hierzu gehören nach<br />
der B<strong>und</strong>esgerichtspraxis auch alle Kosten, die im Rahmen der ordentlichen<br />
Betriebsrechnung als Aufwand hätten berücksichtigt werden müssen, aber mangels<br />
laufender Erträgnisse in<strong>des</strong>sen nicht verrechnet werden konnten (BGE 120 Ia 361;<br />
Höhn/Mäusli, Interkantonales Steuerrecht, § 28 Ziff. 51; Richner/Frei/Kaufmann,<br />
§ 221 N. 108 ff.), sowie bei den juristischen Personen die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer,<br />
die nach der itinerativen Methode zu berechnen ist (RB 1996 Nr. 50).<br />
Entspricht es aber Sinn <strong>und</strong> Zweck von § 221 Abs. 2 StG, die innerkantonal<br />
domizilierten den ausserkantonal ansässigen Liegenschaftenhändlern gleichzustellen<br />
<strong>und</strong> sind diese, sofern sie juristische Personen sind, berechtigt, die im Belegenheitskanton<br />
erhobene Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer bei dieser Steuer gewinnmindernd<br />
geltend zu machen, soweit sie im Sitzkanton nicht hat verrechnet werden können,<br />
so dürfen auch juristische Personen mit Sitz im Kanton Zürich, die mit Liegenschaften<br />
handeln, die ihnen von zürcherischen Gemeinden auferlegten Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuern<br />
bei diesen Steuern als Aufwendungen anrechnen. Bedingung dafür<br />
ist nach der Regelung von § 221 Abs. 2 StG freilich, dass die Händlerin bei der<br />
Gewinnsteuer (§ 63 ff. StG) auf die ihr gemäss § 65 Abs. 1 lit. a StG zustehende<br />
Berücksichtigung der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer als geschäftsmässig begründeten<br />
Aufwand ausdrücklich verzichtet hat.<br />
106<br />
199
106<br />
1.4 Dass natürlichen Personen, die mit Liegenschaften handeln, die Anrechnung<br />
der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer versagt ist, verletzt entgegen der Auffassung <strong>des</strong><br />
beschwerdeführenden Steueramts weder den Wortlaut noch Sinn <strong>und</strong> Zweck von<br />
§ 221 Abs. 2 StG: So lässt das Gesetz den Abzug der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer bei<br />
dieser Steuer zu, soweit die pflichtige Person «auf deren Berücksichtigung bei der<br />
Einkommens- oder Gewinnsteuer ausdrücklich verzichtet» hat. Eine allgemeine<br />
Berücksichtigung von Steuern schreibt es in<strong>des</strong>sen nur bei der Gewinnsteuer juristischer<br />
Personen vor (§ 65 Abs. 1 lit. a StG), während es bei der Einkommenssteuer<br />
natürlicher Personen jeglichen Abzug von Steuern, namentlich auch der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer,<br />
in § 33 lit. e StG ausdrücklich ausschliesst. Sodann sind Sinn<br />
<strong>und</strong> Zweck der in Frage stehenden Gesetzesvorschrift einerseits die Begünstigung<br />
von Liegenschaftenhändlern gegenüber Nichthändlern <strong>und</strong> andererseits die Gleichstellung<br />
von zürcherischen <strong>und</strong> ausserkantonalen Liegenschaftenhändlern. Das<br />
führt ebenfalls dazu, dass natürliche Personen, die gewerbsmässig mit Liegenschaften<br />
handeln, die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer nicht anrechnen können, weil die b<strong>und</strong>esgerichtliche<br />
Doppelbesteuerungspraxis eine Anrechnung dieser Steuer auch für<br />
ausserkantonale natürliche Liegenschaftenhändler nicht vorschreibt.<br />
1.5 Schliesslich hält dieses Ergebnis auch einer gesetzessystematischen Betrachtung<br />
stand. Das zürcherische Einkommens- <strong>und</strong> Gewinnsteuerrecht beruht auf<br />
dem Gr<strong>und</strong>gedanken der Gesamt- <strong>und</strong> Reineinkommens- bzw. Total- <strong>und</strong> Reingewinnbesteuerung<br />
(vgl. Markus Reich, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommenssteuerrecht,<br />
ASA 53 [1984/85], S. 11 ff.). Dennoch unterwirft der kantonale<br />
Gesetzgeber entgegen den Generalklauseln von § 16 Abs. 1 StG <strong>und</strong> § 63 StG nicht<br />
alle Nettoeinkünfte <strong>und</strong> Nettoerträge der Einkommens- bzw. Gewinnsteuer. So<br />
sieht er für Kapitalgewinne auf Gr<strong>und</strong>stücken eine besondere Objektsteuer, nämlich<br />
die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer, vor <strong>und</strong> nimmt die unter diese Steuer fallenden<br />
Vermögenszuflüsse von der Einkommens- bzw. Gewinnsteuer aus (§ 16 Abs. 3 Satz<br />
2 <strong>und</strong> § 64 Abs. 3 StG). Dadurch hat der Gesetzgeber das Prinzip der Gesamt- <strong>und</strong><br />
Reineinkommensbesteuerung bzw. Total- <strong>und</strong> Reingewinnbesteuerung <strong>und</strong> damit<br />
den Gr<strong>und</strong>satz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
durchbrochen (vgl. RB 2002 Nr. 120, auch zum Folgenden). Wenn er diese Durchbrechung<br />
mit Bezug auf Geschäftsgr<strong>und</strong>stücke verschiedentlich gemildert <strong>und</strong> sie<br />
mit der Regelung von § 221 Abs. 2 StG für im Liegenschaftenhandel tätige Personen<br />
noch erweitert hat, so hat er lediglich eine bisher bestehende, im monistischen<br />
System der Gr<strong>und</strong>stückgewinnbesteuerung begründete Verletzung <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>satzes<br />
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beseitigt <strong>und</strong><br />
200
106, 107<br />
auf diese Weise die diesem Prinzip gerechter werdende Besteuerung <strong>des</strong> Unternehmensgewinns<br />
als Einheit gefördert.<br />
SB.2003.00062 2. Kammer, 28. April<br />
107. Als ausserkantonale Liegenschaftenhändler tätige juristische Personen<br />
sind berechtigt, die auf den Kanton Zürich entfallende direkte B<strong>und</strong>essteuer<br />
bei der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer gewinnmindernd geltend zu<br />
machen, soweit sie auf deren Berücksichtigung bei der Einkommens- <strong>und</strong><br />
Gewinnsteuer ausdrücklich verzichtet haben. Der Verzicht kann sich dabei<br />
auch aus den Umständen ergeben, etwa wenn aufgr<strong>und</strong> der Akten ausgeschlossen<br />
werden kann, dass die Aufwendungen bei den Staats- <strong>und</strong> Gemein<strong>des</strong>teuern<br />
zum Abzug gebracht worden sind. § 221 Abs. 2 StG.<br />
1. Natürliche <strong>und</strong> juristische Personen, welche mit Liegenschaften handeln,<br />
können gemäss § 221 Abs. 2 StG über die in Abs. 1 dieser Bestimmung erwähnten<br />
Aufwendungen hinaus weitere mit der Liegenschaft zusammenhängende Aufwendungen<br />
geltend machen, soweit sie auf deren Berücksichtigung bei der Einkommens-<br />
oder Gewinnsteuer ausdrücklich verzichtet haben (vgl. zur Tragweite <strong>und</strong><br />
Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift Richner/Frei/Kaufmann, § 221 N. 99 ff.;<br />
vgl. neuerdings auch Felix Richner in: ZStP 2004, S. 175 ff., auch zum Folgenden).<br />
Wie sich aus den Protokollen der kantonsrätlichen Debatte zur fraglichen Gesetzesvorschrift<br />
ergibt, erschöpft sich deren Zweck nicht in der Gleichstellung von<br />
ausser- <strong>und</strong> innerkantonalen gewerbsmässigen Liegenschaftenhändlern, sondern<br />
ging es in erster Linie darum, für gewerbsmässige Liegenschaftenhändler das so<br />
genannte dualistische Gr<strong>und</strong>stückgewinnbesteuerungssystem einzuführen (vgl.<br />
Prot. KR 1995–99, S. 6715 ff.; vgl. Richner, S. 178 f.).<br />
§ 221 Abs. 2 StG ist anwendbar für alle Handänderungen, die nach Inkrafttreten<br />
dieser Bestimmung per 1. Januar 1999 vollzogen werden (vgl. § 279 Abs. 1 StG).<br />
Während es für die Abzugsmöglichkeit nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht<br />
darauf ankommt, ob es sich bei der Steuerpflichtigen um eine natürliche oder um<br />
eine juristische Person handelt, spielt diese Unterscheidung mit Bezug auf den Umfang<br />
der Abzugsmöglichkeit insoweit eine Rolle, als gewisse Aufwendungen, wie<br />
namentlich Steuern, nur von juristischen Personen (im Rahmen der Gewinnsteuern)<br />
geltend gemacht werden können (vgl. § 65 Abs. 1 lit. a StG <strong>und</strong> § 33 lit. e StG).<br />
201
107<br />
2. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen lediglich geltend, dass<br />
Steuern nicht unter den Begriff der Aufwendungen fielen. Das Gericht hat jedoch<br />
nach Beschwerdeerhebung, nämlich mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 28.<br />
April 2004, mittlerweile erkannt, dass unter den Begriff der (weiteren) «Aufwendungen»<br />
im Sinn der fraglichen Gesetzesvorschrift jede im Zusammenhang mit<br />
dem veräusserten Gr<strong>und</strong>stück erbrachte Geldleistung falle, insbesondere auch<br />
Steuern (RB 2004 Nr. 106). Es hat daher die aus Anlass der Veräusserung einer<br />
Liegenschaft erhobene Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer als eine mit der Liegenschaft<br />
zusammenhängende Steuer gewürdigt <strong>und</strong> unter anderem darauf hingewiesen, das<br />
Gesetz selber stelle in § 221 Abs. 1 lit. d StG ausdrücklich die Handänderungssteuer<br />
in einen solchen Zusammenhang mit der Liegenschaft. Aus den Gesetzesmaterialien<br />
ergibt sich denn auch, dass der Gesetzgeber ganz bewusst den unspezifischen<br />
Ausdruck der «Aufwendungen» statt denjenigen der «Anlagekosten» als<br />
gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuerrechtlichen Gesetzesbegriff gewählt hat (vgl. Art. 12 Abs. 1<br />
<strong>des</strong> Steuerharmonisierungsgesetzes vom 14. Dezember 1990 <strong>und</strong> § 219 Abs. 1 StG;<br />
vgl. Prot. KR 1995–99, S. 6723, 6725 f., 6728). Es sind daher gr<strong>und</strong>sätzlich alle<br />
mit dem veräusserten Gr<strong>und</strong>stück – nicht nur mit der Veräusserung <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>stücks selber – zusammenhängenden Steuern der juristischen Person abzugsfähig,<br />
nämlich unter anderem nebst der Handänderungssteuer <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer<br />
insbesondere auch die direkte B<strong>und</strong>essteuer. Dass die Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer<br />
der Gemeinde zusteht bzw. «innerhalb <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> verbleibt», während<br />
dies bei der B<strong>und</strong>essteuer nicht der Fall sei, kann entgegen dem Verständnis<br />
der Beschwerdeführerin nicht gegen die Abzugsfähigkeit der letzteren ins Feld<br />
geführt werden. Denn abgesehen davon, dass vom Rohertrag der direkten<br />
B<strong>und</strong>essteuern 30 % den Kantonen zufallen (Art. 128 Abs. 4 BV), wird damit ein<br />
sachfrem<strong>des</strong> Kriterium ins Spiel gebracht. Hätte der Gesetzgeber sich diese Logik<br />
zu eigen machen wollen, hätte er z.B. den Abzug von Mäklerprovisionen nach<br />
§ 221 Abs. 1 lit. c StG davon abhängig machen müssen, dass der Vermittler die<br />
Provision im Liegenschaftskanton als Einkommen bzw. Gewinn versteuern würde.<br />
3. Somit kann sich nur noch fragen, ob die Beschwerdegegnerin auf die<br />
Geltendmachung der B<strong>und</strong>essteuer bei der Gewinnsteuer «ausdrücklich verzichtet»<br />
hat (§ 221 Abs. 2 StG), was die Rekurskommission soweit ersichtlich nicht eigens<br />
geprüft hat.<br />
Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Verzicht auf Geltendmachung<br />
von Aufwendungen im Sinn von § 221 Abs. 2 StG bei der Einkommens- bzw.<br />
Gewinnsteuer nach den Vorstellungen <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong>rats laufend erklärt werden muss<br />
(vgl. Prot. KR 1995–99, S. 6725), <strong>und</strong> zwar in Form von den Steuererklärungen<br />
202
107, 108<br />
beizulegenden Aufstellungen mit ausdrücklicher Bezeichnung derjenigen Aufwendungen,<br />
welche bei der Einkommens- beziehungsweise Gewinnsteuer aktiviert oder<br />
auf andere Weise nicht geltend gemacht werden, beziehungsweise mit Aufstellungen<br />
über Abschreibungen.<br />
Freilich dürfen die Anforderungen an die Verzichtserklärung nicht überspannt<br />
werden. Es muss den Steuerpflichtigen gestattet sein, den Verzichtsnachweis auf<br />
andere als die beschriebene Art <strong>und</strong> Weise zu erbringen. Namentlich muss der<br />
Nachweis als geleistet betrachtet werden, wenn aufgr<strong>und</strong> der Akten ausgeschlossen<br />
werden kann, dass die Aufwendungen bei den Staats- <strong>und</strong> Gemein<strong>des</strong>teuern zum<br />
Abzug gebracht worden sind.<br />
SB.2003.00075 2. Kammer, 20. Oktober<br />
III. Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuer<br />
108. Für den Fall, dass im Erbgang latente Steuern auf die Erben übergehen, ist<br />
der Verkehrswert <strong>des</strong> übertragenen Geschäftsvermögens beziehungsweise<br />
der Gr<strong>und</strong>stücke nach Massgabe <strong>des</strong> Preises zu bestimmen, der unter<br />
Marktverhältnissen sowie unter Berücksichtung der Übernahme latenter<br />
Steuern durch den Erwerber vereinbart würde. Präzisierung der bisherigen<br />
Rechtsprechung. § 13 ESchG.<br />
4.1 Des Weiteren beantragen die Rekurrierenden, die latenten Steuern auf den<br />
vererbten Liegenschaften steuermindernd zu berücksichtigen. Im Einzelnen verlangen<br />
sie einen Abzug für die per To<strong>des</strong>tag aufgelaufenen latenten Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuern<br />
auf den Gr<strong>und</strong>stücken <strong>des</strong> Privat- <strong>und</strong> Geschäftsvermögens sowie<br />
der auf den gleichen Stichtag berechneten latenten Einkommenssteuern auf unversteuerten<br />
Reserven <strong>des</strong> Geschäftsvermögens. Die Höhe der beantragten Abzüge für<br />
latente Steuern ergibt sich im Einzelnen aus den der Rekursschrift beigefügten<br />
Berechnungen.<br />
Die Rekurrierenden stützen sich mit ihrem Antrag auf die Feststellung ab,<br />
dass bei der Preisfindung im Markt keine latenten Steuern zu berücksichtigen<br />
seien, weil bei Liegenschaftenverkäufen über latente Steuern immer abgerechnet<br />
werde. Werde für die Bestimmung <strong>des</strong> erbschaftssteuerlich massgebenden Ver-<br />
203
108<br />
kehrswerts von Liegenschaften auf die Preisbildung im «normalen» Geschäftsverkehr<br />
abgestellt, müsse folglich mit berücksichtigt werden, dass beim erbrechtlichen<br />
Vermögensübergang infolge Steueraufschubs latente Steuerlasten auf die Erben<br />
übergingen. Für die Bestimmung <strong>des</strong> erbschaftssteuerlichen Verkehrswerts sei <strong>des</strong>halb<br />
auf eine Marktsituation abzustellen, bei welcher keine Abrechnung der Steuer<br />
eintrete.<br />
4.2.1 Der nach § 13 Abs. 1 ESchG massgebende Verkehrswert eines Vermögensobjekts<br />
im Allgemeinen <strong>und</strong> einer Liegenschaft im Besonderen entspricht dem<br />
Preis, der dafür im gewöhnlichen Geschäftsverkehr am Bewertungsstichtag mutmasslich<br />
zu erzielen wäre (RB 1991 Nr. 47 mit Hinweisen). Ein Abzug der latenten<br />
Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer vom Verkehrswert fällt nach bisheriger zürcherischer<br />
Praxis ausser Betracht (VGr. 9. Juli 2003, SR.2003.00002; RB 1985 Nr. 75). Diese<br />
Praxis wurde im Wesentlichen einerseits damit begründet, dass die Preisbildung auf<br />
dem Markt die den Veräusserer treffenden Steuerfolgen nicht berücksichtige, <strong>und</strong><br />
anderseits damit, dass eine anwartschaftliche Schuld wie die latente Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuer<br />
wegen der Ungewissheit über Zeitpunkt <strong>und</strong> Umfang <strong>des</strong> auslösenden<br />
Ereignisses einer Bewertung nicht zugänglich sei.<br />
Bei der Ermittlung <strong>des</strong> Preises, der für ein Vermögensobjekt im gewöhnlichen<br />
Geschäftsverkehr mutmasslich zu erzielen gewesen wäre, ist auf eine rechtlichobjektive<br />
Betrachtungsweise abzustellen, weshalb rein persönliche Umstände <strong>des</strong><br />
Steuerpflichtigen diesen Wert gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu beeinflussen vermögen<br />
(Richner/Frei, § 13 N 14). Nach dieser Methode sind in<strong>des</strong>sen alle den Preis im<br />
gewöhnlichen Geschäftsverkehr beeinflussenden Faktoren mit einzubeziehen, soweit<br />
sie objektiver Natur sind. Das <strong>Verwaltungsgericht</strong> hat es <strong>des</strong>halb als gesetzmässig<br />
erachtet, bei der erbschaftssteuerlichen Bewertung nicht kotierter Aktien<br />
dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Käufer unter Marktbedingungen die<br />
Möglichkeit hat, beim Erwerb der fraglichen Titel die auf dem Liquidationsüberschuss<br />
lastenden Steuern über einen reduzierten Kaufpreis auf seinen Rechtsvorgänger<br />
abzuwälzen (RB 1988 Nr. 44). Dies führte zu einem entsprechenden Abzug<br />
<strong>des</strong> massgeblichen Erbschaftssteuerwerts. In diesem Sinn ist denn auch nach<br />
Randziffer 38 der von der Konferenz staatlicher Steuerbeamter <strong>und</strong> der Eidgenössischen<br />
Steuerverwaltung herausgegebenen Wegleitung zur Bewertung von Wertpapieren<br />
ohne Kurswert für die Vermögenssteuer, Ausgabe 1995, vorgesehen, bei<br />
der Ermittlung <strong>des</strong> Substanzwerts eines Unternehmens die latenten Steuern auf den<br />
unversteuerten stillen Reserven pauschal zu berücksichtigen.<br />
Diese für Beteiligungspapiere geltenden Überlegungen sind allgemein auch<br />
auf andere Wirtschaftsgüter anwendbar, sofern sie sich im gewöhnlichen Ge-<br />
204
schäftsverkehr als preisrelevant erweisen. Nur so lässt sich nämlich sicher stellen,<br />
dass wertbildende Elemente, die unter Marktbedingungen berücksichtigt würden,<br />
nur <strong>des</strong>halb unberücksichtigt bleiben, weil es wie bei einem auf einem Erbgang<br />
basierenden Vermögensübergang keinen Markt gibt.<br />
Es liesse sich zudem verfassungsrechtlich nur schwer begründen, beim erbrechtlichen<br />
Übergang eines in der Rechtsform einer juristischen Person betriebenen<br />
Unternehmens für die Verkehrswertberechnung die latenten Steuern auf Gesellschaftsebene<br />
zu berücksichtigen, beim Übergang eines Anteils an einer Personengesellschaft<br />
hingegen für die Wertbestimmung ausser Acht zu lassen, dass die stillen<br />
Reserven steuerverhaftet bleiben. Werden bei der Substanzwertberechnung stille<br />
Reserven aufgerechnet, so wirken sich die darauf entfallenden latenten Steuern<br />
insoweit wertvermindernd aus, als die stillen Reserven noch unversteuert sind (Jürg<br />
Altorfer, Kauf <strong>und</strong> Kauf von Kapitalunternehmungen im Steuerrecht, Diss. St. Gallen<br />
1994, S. 84). Dieses mit dem Bewertungsobjekt zusammenhängende Element<br />
ist gr<strong>und</strong>sätzlich nicht von der Rechtsform der Unternehmung abhängig; im Geschäftsverkehr<br />
würde bei der Preisbestimmung den latenten Steuern in beiden<br />
Fällen Rechnung getragen. Dass im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, der den Preis<br />
<strong>und</strong> damit den Verkehrswert bestimmt, ein Steueraufschub mit Übernahme latenter<br />
Steuern ausgeschlossen ist – sofern es sich nicht um die Übertragung von Aktien<br />
handelt – kann entgegen RB 1985 Nr. 75 keine Begründung für die Nichtberücksichtigung<br />
von latenten Steuern beim Übergang von Beteiligungen an Personenunternehmen<br />
oder von Gr<strong>und</strong>stücken abgeben. Um für die erbschaftssteuerrechtliche<br />
Verkehrswertermittlung vergleichbare Verhältnisse zu schaffen, ist der aufgr<strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> gewöhnlichen Geschäftsverkehrs ermittelte Preis um denjenigen Betrag<br />
zu korrigieren, der von einem Käufer für die Übernahme latenter Steuern in Abzug<br />
gebracht würde. Ob es sich dabei um latente Einkommens- beziehungsweise<br />
Gewinnsteuern auf unversteuerten Reserven handelt oder um aufgeschobene<br />
Gr<strong>und</strong>stückgewinnsteuern, ist dafür unerheblich; dem Gr<strong>und</strong>satz nach wirken sich<br />
derartige Steuern im gewöhnlichen Geschäftsverkehr – der hier bei einem Vermögensübergang<br />
qua Erbgang gerade nicht besteht – auf den Preis aus, der auf dem<br />
Markt erzielbar ist.<br />
4.2.2 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Auffassung, dass bei der<br />
Preisbildung auf dem Markt die den Veräusserer treffenden Steuerfolgen nicht<br />
berücksichtigt werden, sondern dass der Preis, den ein potentieller Erwerber zu<br />
zahlen bereit ist, von den Eigenschaften einer Liegenschaft <strong>und</strong> vom konjunkturellen<br />
Umfeld abhängt (so noch VGr. 9. Juli 2003, SR.2003.00002). Hingegen ist in<br />
diesem Fall zu beachten, dass sich der Käufer nur <strong>des</strong>halb nicht um die Steuer-<br />
108<br />
205
108, 109<br />
folgen kümmert, weil er davon gar nicht betroffen wird. Der von ihm als angemessen<br />
erachtete Preis wird somit auf Gr<strong>und</strong> eines Sachverhalts ermittelt, in welchem<br />
der Erwerber keine latenten Steuern übernimmt. Werden Steuerlasten jedoch auf<br />
ihn oder seine Rechtsnachfolger überwälzt, wird er sie – wie dargelegt – regelmässig<br />
als objektiven, wertmindernden Faktor berücksichtigen. Inwieweit dies einen<br />
Einfluss auf die Höhe <strong>des</strong> Preises hat, hängt einerseits davon ab, auf welche Bewertungsmethode<br />
im konkreten Fall abgestellt wird <strong>und</strong> – innerhalb der Substanzwertberechnungsmethode<br />
– vom Betrag, mit welchem unversteuerte Reserven in die<br />
Wertberechnung einfliessen.<br />
Daraus folgt für den Fall, dass im Erbgang latente Steuern auf die Erben übergehen,<br />
dass der Verkehrswert <strong>des</strong> übertragenen Geschäftsvermögens beziehungsweise<br />
der Gr<strong>und</strong>stücke nach Massgabe <strong>des</strong> Preises zu bestimmen ist, der unter<br />
Marktverhältnissen sowie unter Berücksichtigung der Übernahme latenter Steuern<br />
durch den Erwerber vereinbart würde. Es handelt sich hierbei weder um einen<br />
Abzug für Steuern, die eigentlich den Erblasser treffen sollten, noch um eine Gegenleistung<br />
<strong>des</strong> Übernehmers, sondern einzig um eine methodische Lösung, um<br />
den massgebenden Verkehrswert anhand <strong>des</strong> Preises zu ermitteln, der für das Vermögensobjekt<br />
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter vergleichbaren Umständen<br />
bezahlt würde. Nur so kann auch sicher gestellt werden, dass dem dem Erbschaftssteuerrecht<br />
innewohnenden Gedanken der Besteuerung der durch Erbgang zugeflossenen<br />
Bereicherung Rechnung getragen wird.<br />
In dieser Frage erweist sich die Auffassung der Rekurrierenden mithin als zutreffend<br />
<strong>und</strong> ist die frühere Rechtsprechung im Sinn von RB 1988 Nr. 44 zu präzisieren.<br />
Offen gelassen werden kann hier dabei, ob diese Präzisierung ausschliesslich<br />
für den Vermögensübergang aufgr<strong>und</strong> Erbgangs gilt, oder auch auf die sich von<br />
diesem zivilrechtlich stark unterscheidenden <strong>und</strong> in RB 1985 Nr. 75 genannten aufgr<strong>und</strong><br />
von Erbvorbezug <strong>und</strong> Schenkung.<br />
206<br />
SR.2004.00008 2. Kammer, 24. November<br />
109. Werden eigene, vermietete Immobilien verwaltet oder gehören die Gr<strong>und</strong>stücke<br />
zum Geschäftsvermögen eines gewerbsmässigen Liegenschaftenhändlers,<br />
so kann keine Vorzugsbewertung erfolgen. § 16, § 25a ESchG.<br />
2.1 Der Erbschaftssteuer unterliegen gemäss § 3 Abs. 1 ESchG alle Vermögensübergänge<br />
(Erbanfälle <strong>und</strong> Zuwendungen) kraft gesetzlichen Erbrechts oder
aufgr<strong>und</strong> einer Verfügung von To<strong>des</strong> wegen. Kraft § 7 lit. a ESchG entsteht der<br />
Anspruch auf die Erbschaftssteuer mit Eröffnung <strong>des</strong> Erbgangs, also nach Art. 537<br />
Abs. 1 ZGB mit dem Tod <strong>des</strong> Erblassers (RB 1993 Nr. 31). Dies ist hier der 17. Dezember<br />
1997.<br />
Berechnet wird die Steuer vom Verkehrswert, den das übergegangene Vermögen<br />
im Zeitpunkt der Entstehung <strong>des</strong> Steueranspruchs, mithin bei Eröffnung <strong>des</strong><br />
Erbgangs, aufweist (§ 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 lit. a ESchG; VGr. 24.<br />
November 1999, ZStP 2000 S. 150). Nach dem Stichtag richtet sich nicht nur die<br />
persönliche Steuerpflicht, sondern auch die hier vorab interessierende Qualifikation<br />
der Nachlassliegenschaften <strong>und</strong> die damit zusammenhängende Wahl der Bewertungsmethode.<br />
2.2 Übernimmt ein Erbe ein Gr<strong>und</strong>stück, um dort das vom Erblasser selbständig<br />
betriebene Geschäft in Handel, Fabrikation, Gewerbe oder Handwerk selbst<br />
fortzuführen, so werden die dem Geschäft unmittelbar dienenden Teile <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks<br />
mit der Hälfte <strong>des</strong> Verkehrswerts bewertet (§ 16 ESchG in der Fassung vom<br />
28. September 1986). Diese Bestimmung wurde durch Gesetz vom 23. August 1999<br />
mit Wirkung per 1. Januar 2000 aufgehoben <strong>und</strong> in materieller Hinsicht durch den<br />
neuen § 25a ESchG ersetzt. Für den hier massgebenden Bewertungsstichtag ist<br />
§ 16 ESchG in<strong>des</strong>sen noch anwendbar. […]<br />
3.1 Die Finanzdirektion hat den Rekurrierenden die Anwendung der<br />
Vorzugsbewertung versagt. Sie macht geltend, der Wortlaut von § 16 ESchG führe<br />
nach der «objektiv-historischen Methode (Art. 1 ZGB) nicht zu einer extensiven<br />
Handhabung im Sinne <strong>des</strong> Rechtsbegehrens, sondern zu einer im Sinne der jahrzehntelang<br />
geübten Veranlagungspraxis». Danach sei die Vorzugsbewertung beschränkt<br />
auf Gr<strong>und</strong>stücke, die einem Geschäftsbetrieb <strong>des</strong> Erblassers gedient hätten<br />
<strong>und</strong> die ein Erbe übernehme, um darin das Geschäft <strong>des</strong> Erblassers fortzusetzen,<br />
was hier nicht der Fall sei. Die Rekurrierenden halten dem entgegen, die streitbetroffenen<br />
Liegenschaften hätten den unmittelbaren Gegenstand <strong>des</strong> Geschäfts<br />
gebildet, das in der Liegenschaftenverwaltung sowie dem An- <strong>und</strong> Verkauf <strong>und</strong> der<br />
Überbauung von Gr<strong>und</strong>stücken bestehe. Damit dienten diese Liegenschaften unmittelbar<br />
dem Geschäft <strong>und</strong> seien sie auch der Ort, «wo das Geschäft betrieben»<br />
werde. Zudem seien die vier Erben zu gleichen Teilen in die Einzelfirma <strong>und</strong> in die<br />
Kommanditgesellschaft eingetreten <strong>und</strong> werde in beiden Geschäften die bisherige<br />
Tätigkeit fortgesetzt.<br />
109<br />
207
109<br />
Das Institut der Vorzugsbewertung geht auf das alte ESchG vom 26. April 1936<br />
(aESchG) zurück <strong>und</strong> steht als Pendant zugunsten <strong>des</strong> Gewerbes im Zusammenhang<br />
mit der Vorzugsbewertung landwirtschaftlicher Liegenschaften (George C.<br />
Wettstein, Die Behandlung von land- <strong>und</strong> forstwirtschaftlichen sowie gewerblichen<br />
Liegenschaften im Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuerrecht, Diss. Zürich 1985, S.<br />
145). Der Gesetzgeber fasste seinen Entscheid zugunsten einer Vorzugsbewertung<br />
in der Annahme, die Unternehmenserhaltung sei im gewerblichen Bereich oft mit<br />
Schwierigkeiten verb<strong>und</strong>en, weil häufig ein grosser Teil <strong>des</strong> Vermögens <strong>des</strong> Erblassers<br />
in der Unternehmung geb<strong>und</strong>en sei <strong>und</strong> die Abfindung ausscheidender Miterben<br />
dadurch erschwert werde (Wettstein, S. 155). Die Vorzugsbewertung sollte<br />
die Geschäftübernahme zwecks Fortführung <strong>des</strong> Geschäfts durch geeignete Erben<br />
erleichtern. Nach der gesetzlichen Regelung der Vorzugsbewertung, die ins geltende<br />
ESchG vom 28. September 1986 übernommen wurde, genügt <strong>des</strong>halb die blosse<br />
Übernahme von Geschäftsliegenschaften durch die Erben allein noch nicht. Zum<br />
Vorzugswert werden nur diejenigen Gr<strong>und</strong>stücke beziehungsweise Teile eines Gr<strong>und</strong>stücks<br />
bewertet, welche den Betrieb <strong>des</strong> Geschäfts ermöglichen (VGr. 4. Juli 1995,<br />
SR.1995.00041). Wie sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, geht es hierbei<br />
nur um die dem Geschäft unmittelbar dienenden Gr<strong>und</strong>stücke beziehungsweise<br />
Gr<strong>und</strong>stückteile. Liegenschaften, die dem Geschäft nur mittelbar, durch ihren laufenden<br />
Ertrag oder mit ihrem durch Veräusserung oder Aufwertung realisierbaren<br />
Wertzuwachs dienen, fallen nicht unter die Vorzugsbewertung von § 16 ESchG. Der<br />
Betrieb muss von den Erben «in der betreffenden Liegenschaft fortgeführt werden,<br />
damit eine Vorzugsbewertung in Frage kommt» (Antrag <strong>des</strong> Regierungsrats vom<br />
28. November 1984, Amtsblatt 1985, Weisung S. 226). Nach der verwaltungsgerichtlichen<br />
Rechtsprechung wird <strong>des</strong>halb die Vorzugsbewertung nach § 16 ESchG<br />
nur zugestanden, wenn der Übernehmer <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>stücks das Geschäft <strong>des</strong> Zuwenders<br />
beziehungsweise Erblassers in den dort gelegenen Räumlichkeiten fortführt<br />
(RB 1993 Nr. 32).<br />
Die streitbetroffenen Gr<strong>und</strong>stücke stellen nach den unbestrittenen Feststellungen<br />
der Vorinstanz Geschäftsvermögen dar. Entgegen der Annahme der Rekurrierenden<br />
fällt jedoch – wie ausgeführt – nicht jegliches Immobiliarvermögen, das<br />
betrieblich verhaftet ist <strong>und</strong> als Geschäftsvermögen auf die Nachkommen übergeht,<br />
unter § 16 ESchG. Die Rekurrierenden legen in Bezug auf die übernommenen Gr<strong>und</strong>stücke<br />
nicht in substanziierter Weise dar, inwiefern das Geschäft dort – d.h. in den<br />
dort gelegenen Räumlichkeiten – betrieben wird <strong>und</strong> dass die Gr<strong>und</strong>stücke dem<br />
Geschäft unmittelbar dienen. Wenngleich die Liegenschaftenverwaltung eine Geschäftstätigkeit<br />
darstellen kann, setzt eine solche nämlich nicht voraus, dass Eigentum<br />
an den verwalteten Immobilien besteht. Werden eigene, vermietete Immobilien<br />
verwaltet, so handelt es sich regelmässig um die Verwaltung von eigenem Kapital-<br />
208
109, 110<br />
anlagevermögen <strong>und</strong> nicht um den Betrieb eines Geschäfts im Sinn von § 16 ESchG,<br />
der sich in den betreffenden Liegenschaften vollzieht <strong>und</strong> dem die Gr<strong>und</strong>stücke<br />
unmittelbar dienen. Weiter dienen Gr<strong>und</strong>stücke, die zum Geschäftsvermögen eines<br />
gewerbsmässigen Liegenschaftenhändlers gehören, dem Geschäft ebenfalls nicht<br />
unmittelbar als Gr<strong>und</strong>stück, sondern nur mittelbar als Handelsobjekt. Dass in solchen<br />
Fällen keine Vorzugsbewertung möglich ist, ergibt sich zudem auch daraus,<br />
dass Veräusserung <strong>und</strong> Zweckentfremdung innert 20 Jahren die Nachbesteuerung<br />
gemäss § 17 ESchG zur Folge haben. Diese wird bereits dann ausgelöst, wenn das<br />
Geschäft nicht mehr im übernommenen Gr<strong>und</strong>stück fortgeführt wird (Richner/Frei,<br />
§ 17 N 11).<br />
SR.2004.00008 2. Kammer, 24. November<br />
110. Da der Gesetzgeber bewusst auf eine Gleichstellung der Kosten von amtlicher<br />
Erbschaftsverwaltung <strong>und</strong> Willensvollstreckung verzichtet hat, sind<br />
Kosten einer Erbschaftsverwaltung nicht abzugsfähig. § 19 ESchG.<br />
2.1 Vor Festlegung der Anteile der Erben, die als Vermögensübergänge kraft<br />
§ 3 Abs. 1 ESchG der Erbschaftssteuer unterliegen, werden laut § 19 Abs. 1 ESchG<br />
die in lit. a–c aufgeführten Schulden <strong>und</strong> Kosten von den Aktiven der Erbschaft<br />
abgezogen. Es handelt sich dabei um Passiven, die bei Eröffnung <strong>des</strong> Erbgangs<br />
schon bestanden haben (lit. a) oder unmittelbar durch den Erbgang anfallen (lit. b)<br />
oder – was die Testamentsvollstreckungskosten anbelangt – um solche, die dem<br />
Gr<strong>und</strong>satz nach schon vom Erblasser auf den Erbgang hin begründet worden sind.<br />
Die Kosten der Testamentsvollstreckung sind von Gesetzes wegen abzugsfähig<br />
(§ 19 Abs. 1 lit. c ESchG), ungeachtet der Art der durch sie abgegoltenen Leistungen.<br />
Obgleich sie – wie die Teilungskosten – erst nach der Eröffnung <strong>des</strong> Erbgangs<br />
entstehen, gehen sie auf den Entschluss <strong>des</strong> Erblassers zurück, einen Willensvollstrecker<br />
zu bestellen <strong>und</strong> mit gewissen Aufgaben zu betrauen. Auf dem Nachlass<br />
wird damit gleichsam eine Rückstellung gebildet für künftige Testamentsvollstreckungskosten,<br />
deren Umfang freilich noch ungewiss ist. Die zwar erst später –<br />
nach Eröffnung <strong>des</strong> Erbgangs – konkretisierten Kosten sind auf diese Weise auf den<br />
Zeitpunkt <strong>des</strong> Vermögensübergangs zurückzubeziehen; sie vermindern den Nachlass<br />
gleich wie Zuwendungen, die der Erblasser vor seinem Tod vorgenommen hat.<br />
2.2 Gemäss § 19 Abs. 2 ESchG werden von den Anteilen der Erben sodann<br />
die Gerichts- <strong>und</strong> Anwaltskosten für Ungültigkeits-, Herabsetzungs- <strong>und</strong> Erb-<br />
209
110<br />
schaftsklagen abgezogen. Diese Aufwendungen fallen an, weil die steuerpflichtige<br />
Person Bestand <strong>und</strong>/oder Umfang <strong>des</strong> steuerbaren Erbanteils oder <strong>des</strong>sen Herausgabe<br />
erstreiten muss. Diese gesetzliche Regelung geht auf die Rechtsprechung der<br />
Oberrekurskommission zurück, welche festgehalten hat, dass eine Bereicherung<br />
nur insoweit gegeben sei, als das Erbe oder Vermächtnis nicht durch Kosten aufgewogen<br />
werde, um den Erwerb zu erstreiten (RB ORK 1939 Nr. 79 = ZBl 40/1939,<br />
S. 347). Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung umfassen die gemäss<br />
§ 19 Abs. 2 ESchG abziehbaren Anwaltskosten auch jene Aufwendungen, welche<br />
für eine aussergerichtliche Einigung im Zusammenhang mit Herabsetzungsansprüchen<br />
<strong>und</strong> der Ungültigkeit eines Testaments unter Erben <strong>und</strong> Vermächtnisnehmern<br />
angefallen sind (RB 2000 Nr. 141).<br />
2.3 Auch bei den Verfahren in Erbschaftssteuersachen gilt bezogen auf die<br />
Beweislastverteilung die Regel, dass der Steuerpflichtige jene Tatsachen nachzuweisen<br />
hat, welche die Steuerschuld mindern oder aufheben. Die von diesem zu tragenden<br />
Folgen entsprechender Beweislosigkeit werden in<strong>des</strong>sen so gemildert, als<br />
zu einer Schätzung zu greifen ist, wenn zwar die Existenz, nicht aber die Höhe derartiger<br />
steuermindernder Tatsachen nachgewiesen ist. Eine solche Schätzung setzt<br />
aber voraus, dass die Beweisleistung aus vom Steuerpflichtigen nicht zu vertretenden<br />
Gründen nicht möglich oder diesem nicht zumutbar ist <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Sachdarstellung<br />
min<strong>des</strong>tens taugliche Schätzungsgr<strong>und</strong>lagen enthält (vgl. VGr, 30. August 2000,<br />
SR.2000.00001, E. 3c, www.vgrzh.ch, auszugsweise veröffentlicht in RB 2000<br />
Nr. 141; Richner/Frei, Vorbem. zu §§ 31–32 N. 26 ff., 75 ff.).<br />
3.1 Die Rekurrierenden beantragen die Abziehbarkeit der Kosten für die amtlich<br />
angeordnete Erbschaftsverwaltung. Diese würden praxisgemäss gewährt, wenn<br />
die Erbschaftsverwaltung zur Erbenermittlung angeordnet worden sei. Zudem bedürfe<br />
die weit zurückliegende Praxis <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s, auf welche sich der<br />
Rekursgegner berufe, einer Überprüfung, zumal sich die Ungleichbehandlung zwischen<br />
diesen Kosten <strong>und</strong> den abzugsfähigen Kosten für die Willensvollstreckung<br />
als rechtsungleich erweise.<br />
3.2 Ob <strong>und</strong> bejahendenfalls unter welchem Titel die Kosten einer Erbschaftsverwaltung<br />
abzugsfähig seien, war vom <strong>Verwaltungsgericht</strong> unter der Herrschaft<br />
<strong>des</strong> seit dem 1. Januar 1987 in Kraft stehenden ESchG noch nie zu entscheiden. Unter<br />
altem Recht hatte das <strong>Verwaltungsgericht</strong> allerdings ausgeführt, die Ausdehnung<br />
der Abzugsfähigkeit der Willensvollstreckerkosten auf die Kosten der Erbschaftsverwaltung<br />
verbiete § 4 Abs. 1 (<strong>des</strong> auf den 1. Januar 1987 aufgehobenen)<br />
aESchG sowie die Überlegung, dass diese Kosten regelmässig aus den Erträgnissen<br />
<strong>des</strong> Nachlasses gedeckt würden (VGr, 7. Juni 1974, SR 77/1973).<br />
210
3.3 Von vornherein ausser Betracht fällt eine Anerkennung der Kosten der<br />
Erbschaftsverwaltung gestützt auf § 19 Abs. 2 ESchG, steht die Anordnung einer<br />
Erbschaftsverwaltung doch nie «in einem kausalen Zusammenhang mit der Ungültigerklärung<br />
[eines] Testaments». Die Nichtanerkennung dieser Kosten wird denn<br />
auch – entgegen der Angaben in der Rekursschrift – von den Kommentatoren <strong>des</strong><br />
Zürcher Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetzes unter dem Titel von § 19 Abs. 1<br />
lit. c ESchG kritisiert, da vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>des</strong> in Art. 4 der alten B<strong>und</strong>esverfassung<br />
(heute Art. 8 BV) enthaltenen Rechtsgleichheitsgebots nicht ersichtlich<br />
sei, weshalb das Willensvollstreckerhonorar abzugsfähig sein sollte, die Kosten für<br />
eine amtlich angeordnete Erbschaftsverwaltung dagegen nicht.<br />
3.4 Amtliche Erbschaftsverwaltung <strong>und</strong> Willensvollstreckung unterscheiden<br />
sich trotz gewisser Parallelen zivilrechtlich deutlich. Während die amtliche Erbschaftsverwaltung<br />
als so genannt konservatorische Massnahme die Erhaltung <strong>und</strong><br />
Sicherung <strong>des</strong> Nachlasses in Bestand <strong>und</strong> Wert sowie die Vornahme unaufschiebbarer<br />
Verwaltungs- <strong>und</strong> gegebenenfalls Verfügungshandlungen <strong>und</strong> damit nicht nur<br />
die Wahrung der Erbeninteressen, sondern auch diejenigen der Erben- <strong>und</strong> Erbschaftsgläubiger<br />
bezweckt, geht es bei der aufgr<strong>und</strong> einer testamentarischen Anordnung<br />
vorgesehenen Willensvollstreckung primär um die generelle Sicherstellung<br />
<strong>des</strong> schnellen <strong>und</strong> zuverlässigen Vollzugs der angeordneten Massnahmen,<br />
Vermächtnisse <strong>und</strong> Teilungsvorschriften (vgl. dazu Martin Karrer, Basler Kommentar,<br />
Vorbem. zu Art. 517/18 ZGB N. 3, Art. 518 ZGB N. 13, Art. 554 ZGB N. 2, 39).<br />
An dieser unterschiedlichen Konzeption ändert auch die (sich nach herrschender<br />
Lehre [vgl. Karrer, Art. 518 ZGB N. 1 mit weiteren Hinweisen] ohnehin auf<br />
Art. 595 ff. ZGB abzielende) Verweisung von Art. 518 Abs. 1 ZGB sowie der Inhalt<br />
von Art. 554 Abs. 2 ZGB nichts. Der Wunsch nach erbschaftssteuerrechtlicher<br />
Gleichbehandlung der im Zusammenhang mit den genannten Instituten anfallenden<br />
Kosten findet mithin im Zivilrecht keine Stütze.<br />
3.5 Für die <strong>des</strong>halb höchstens aus erbschaftssteuerrechtlichen Gründen zu<br />
erfolgende Anerkennung der Kosten der amtlichen Erbschaftsverwaltung fehlt es<br />
vorab an einer gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage. Dazu kommt, dass nur die Kosten der<br />
Willensvollstreckung schon vom Erblasser auf den Erbgang hin begründet worden<br />
sind (vgl. E. 2.1). Im Rahmen der Revision <strong>des</strong> Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetzes<br />
vom 26. April 1936 hat sich der Regierungsrat sodann in seiner Weisung<br />
an den <strong>Kantons</strong>rat vom 28. November 1984 auch zu den «weiteren abzugsberechtigten<br />
Kosten» geäussert. Dabei hat er die Aufzählung der abzugsberechtigten<br />
Kosten in den §§ 19 f. ESchG ausdrücklich als abschliessend bezeichnet, wobei er<br />
die fehlende Abzugsfähigkeit der Kosten der amtlichen Erbschaftsverwaltung noch<br />
110<br />
211
110<br />
einmal eigens erwähnte (Amtsblatt <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong> Zürich [Textteil] 1985, 235 f.).<br />
Damit wurde bewusst auf eine erbschaftssteuerrechtliche Gleichstellung der Kosten<br />
von amtlicher Erbschaftsverwaltung <strong>und</strong> Willensvollstreckung verzichtet. Auch<br />
die Rechtswirklichkeit in anderen Kantonen, in welchen die Kosten der amtlichen<br />
Erbschaftsverwaltung aufgr<strong>und</strong> entsprechender ausdrücklicher gesetzlicher<br />
Gr<strong>und</strong>lage (zum Teil schon seit gewisser Zeit) abzugsfähig sind (Kanton St. Gallen:<br />
Art. 152 Abs. 1 lit. b <strong>des</strong> Steuergesetzes vom 9. April 1998; Kanton Nidwalden:<br />
Art. 163 Abs. 1 Ziff. 2 <strong>des</strong> Steuergesetzes vom 22. März 2000; Kanton Appenzell<br />
Ausserrhoden: Art. 145 Abs. 1 lit. b <strong>des</strong> Steuergesetzes vom 21. Mai 2000; Kanton<br />
Appenzell Innerrhoden: Art. 99 Abs. 1 lit. b <strong>des</strong> Steuergesetzes vom 25. April 1999;<br />
vgl. zu den übrigen eine Erbschaftssteuer erhebenden Kantonen Magnus<br />
Hindersmann/Michael Myssen, Die Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuer der Schweizer<br />
Kantone, Köln 2003), hat nicht zu einer entsprechenden Vorlage auf Änderung<br />
<strong>des</strong> ESchG geführt. Daraus ist zu schliessen, der Gesetzgeber habe auch später<br />
bewusst auf diese Gleichstellung verzichtet. Da die Rekurrierenden nichts vorbringen,<br />
was in diesem Licht die vom <strong>Verwaltungsgericht</strong> zum alten Recht entwickelte<br />
Rechtsprechung zu erschüttern vermöchte, ist an dieser festzuhalten.<br />
3.6 Die Rekurrierenden berufen sich schliesslich auf die spezielle Rechtsgleichheit,<br />
bestehe doch gemäss mündlicher Auskunft der Abteilung Erbschafts<strong>und</strong><br />
Schenkungssteuer <strong>des</strong> kantonalen Steueramts Zürich eine Praxis, wonach die<br />
Erbschaftsverwaltungskosten stets abziehbar seien, wenn die Erbschaftsverwaltung<br />
zur Erbenermittlung angeordnet worden sei. Was die Rekurrierenden aus dieser –<br />
im Übrigen vom Rekursgegner nicht bestrittenen – Praxis zu ihren Gunsten ableiten<br />
wollen, bleibt unklar, fällt ihr Fall doch eben gerade nicht unter diese Praxis. Im<br />
vorliegenden Fall wurde die Erbschaftsverwaltung nämlich nicht zur Erbenermittlung<br />
gemäss Art. 554 Abs. 1 Ziff. 2 letzter Halbsatz ZGB angeordnet (vgl. Karrer,<br />
Art. 554 ZGB N. 12 ff.) – dann hätte nämlich nach Art. 555 ZGB ein so genannter<br />
Erbenruf erfolgen müssen, was (richtigerweise) nicht geschehen ist –, sondern <strong>des</strong>halb,<br />
weil «keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen» vermochte<br />
(Art. 554 Abs. 1 Ziff. 2 erster Halbsatz ZGB). Für eine von den Rekurrierenden<br />
sinngemäss verfochtene Ausdehnung <strong>des</strong> Begriffs der Erbenermittlung<br />
bleibt angesichts dieser klaren <strong>und</strong> differenzierten Regelung kein Raum. Schon aus<br />
diesem Gr<strong>und</strong> erübrigt sich <strong>des</strong>halb die Befragung <strong>des</strong> angebotenen Zeugen. Bei<br />
alledem an dieser Stelle nicht entschieden zu werden braucht schliesslich, ob sich<br />
die erwähnte Praxis ihrerseits als gesetzmässig erweist.<br />
Das Bestehen einer im Übrigen vom Rekursgegner bestrittenen Praxis, die<br />
Kosten der Erbschaftsverwaltung könnten dann abgezogen werden, wenn diese Ver-<br />
212
110, 111<br />
waltung <strong>des</strong> Nachlassvermögens aufgr<strong>und</strong> eines von verschiedenen Erbansprechern<br />
hierüber geführten Prozesses notwendig geworden sei, behaupten auch die<br />
Rekurrierenden nicht, sodass sich auch weitere Ausführungen über die so genannte<br />
Gleichbehandlung im Unrecht erübrigen.<br />
Der Rekurs ist <strong>des</strong>halb in diesem Punkt abzuweisen.<br />
SR.2003.00014 2. Kammer, 18. August<br />
111. Kosten für ein dem Zivilprozess vorgelagertes Strafverfahren, welche auch<br />
im Zivilverfahren angefallen wären, sind – wenn überhaupt – nur dann abzugsfähig,<br />
wenn sie substanziiert geltend gemacht <strong>und</strong> belegt worden sind.<br />
§ 19 ESchG.<br />
[Erwägung 2; vgl. vorstehenden RB-Auszug]<br />
4.1 Die Rekurrierenden machen geltend, die vom Rekursgegner verfochtene<br />
Auslegung von § 19 Abs. 2 ESchG, welche die abziehbaren Kosten ausschliesslich<br />
auf in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ungültigkeitsklage stehende<br />
Aufwendungen beschränke, erweise sich nicht zuletzt im Licht der in RB 2000<br />
Nr. 141 wiedergegebenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als zu eng.<br />
Wenn den Erben im Zusammenhang mit einem einer Ungültigkeitsklage vorgeschalteten<br />
Strafverfahren Anwaltskosten erwüchsen <strong>und</strong> dieses Strafverfahren wie<br />
in ihrem Fall für das Obsiegen der klagenden Erben im nachfolgenden Zivilverfahren<br />
betreffend Testamentsungültigkeit kausal sei, so seien auch die im Strafverfahren<br />
entstandenen Kosten für die Erstreitung <strong>des</strong> Erbanspruchs notwendig <strong>und</strong><br />
damit gemäss § 19 Abs. 2 ESchG von <strong>des</strong>sen ratio legis her abziehbar. Dies gelte<br />
umso mehr, als die im Strafverfahren erlangten <strong>und</strong> im Zivilverfahren verwerteten<br />
Beweise eine Kostensenkung <strong>des</strong> Letzteren zur Folge gehabt hätten.<br />
4.2 Demgegenüber hält der Rekursgegner dafür, Kosten für ein Strafverfahren<br />
könnten nie abgezogen werden. Was die eingereichten Kostennoten betreffe, so<br />
seien diese derart pauschal gehalten, dass keine Zuordnung zu den Zivilverfahren<br />
möglich sei. Die in der Rekursschrift erfolgten Zuordnungen könnten nur teilweise<br />
nachvollzogen werden <strong>und</strong> vermöchten nicht einmal Gr<strong>und</strong>lage für eine Schätzung<br />
zu bilden.<br />
213
111, 112<br />
4.3 § 19 Abs. 2 ESchG will die Aufwendungen berücksichtigen, welche anfallen,<br />
weil die steuerpflichtige Person Bestand <strong>und</strong>/oder Umfang <strong>des</strong> steuerbaren<br />
Erbanteils oder <strong>des</strong>sen Herausgabe erstreiten muss (vgl. E. 2.2). Dazu ist vorab<br />
festzuhalten, dass ein Strafverfahren als solches in der Regel nur in Ausnahmefällen<br />
zur zivilrechtlichen Erstreitung eines zivilrechtlichen Anspruchs führen kann,<br />
dient dieses doch (in erster Linie) der Durchsetzung <strong>des</strong> staatlichen Strafanspruchs.<br />
In dem Sinn können im Rahmen eines Strafverfahrens auflaufende Kosten nie notwendigerweise<br />
zum Erwerb der Erbschaft anfallen (vgl. Adrian Muster, Erbschafts<strong>und</strong><br />
Schenkungssteuerrecht, Muri/Bern 1990, S. 370) <strong>und</strong> bleibt für eine generelle<br />
Abzugsfähigkeit von im Strafverfahren erwachsenen Kosten somit schon aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> von vornherein kein Raum. Zum gleichen Schluss gelangt man auch angesichts<br />
<strong>des</strong> klaren Wortlauts von § 19 Abs. 2 ESchG, von welchem gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auch im Erbschaftssteuerrecht ohne weiteres auszugehen ist (zur so genannten<br />
grammatikalischen Auslegung als Ausgangspunkt jeder Auslegung auch im Abgaberecht<br />
vgl. BGE 124 II 241 E. 3). Eine derartige Position verfechten aber im Übrigen<br />
zu Recht nicht einmal die Rekurrierenden.<br />
4.4 Nicht von vornherein <strong>und</strong>enkbar erschiene vor dem Hintergr<strong>und</strong> der verwaltungsgerichtlichen<br />
Rechtsprechung allerdings die Anerkennung derjenigen im<br />
Strafverfahren sich ergebenden Kosten, welche ansonsten in einem der in § 19 Abs.<br />
2 ESchG ausdrücklich genannten Zivilverfahren angefallen wären, hätte nicht die<br />
Möglichkeit der Verwertung der im Strafverfahren erlangten Beweise bestanden. In<br />
diesem Sinn lautet auch eine handschriftliche Aktennotiz der Abteilung Erbschafts<strong>und</strong><br />
Schenkungssteuer <strong>des</strong> kantonalen Steueramts vom 6. Februar 2002, welche<br />
Folgen<strong>des</strong> festhält: «Abzugsfähig Kosten <strong>des</strong> Strafverfahrens, die auch im Zivilverfahren<br />
angefallen wären». Ob dem wirklich so sei oder nicht, braucht in<strong>des</strong>sen im<br />
vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden. Die Anerkennung<br />
von in Zivilverfahren oder ausnahmsweise allenfalls im Strafverfahren erwachsenen<br />
Kosten bedingt nämlich so oder anders deren substanziierte Geltendmachung<br />
sowie das Einreichen der entsprechenden Belege (vgl. E. 2.3).<br />
214<br />
SR.2003.00014 2. Kammer, 18. August<br />
112. Die Begründung eines Stiefkindverhältnisses zum Ehegatten <strong>des</strong> leiblichen<br />
Elternteils setzt ein rechtliches Kindsverhältnis im Sinn von Art. 252 ff. ZGB<br />
zwischen dem Kind <strong>und</strong> dem leiblichen Elternteil voraus, wohingegen die<br />
rein biologische Abstammung nicht genügt. Bestand also zwischen der<br />
Pflichtigen als ausserehelichem Kind <strong>und</strong> ihrem Vater lediglich eine kein
112<br />
rechtliches Kindsverhältnis begründende altrechtliche Zahlvaterschaft<br />
ohne Stan<strong>des</strong>folge <strong>und</strong> war es aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Alters der Pflichtigen bei<br />
Inkrafttreten <strong>des</strong> neuen Kindsrechts nicht möglich, die Zahlvaterschaft in<br />
ein neurechtliches Kindsverhältnis umzuwandeln, finden die für Stiefkinder<br />
geltenden Vorzugsbestimmungen <strong>des</strong> ESchG keine Anwendung. § 21<br />
Abs. 1 lit. d, § 23 Abs. 1 lit. b ESchG.<br />
2.1 Nachdem die Pflichtige sowohl die Ermittlung <strong>des</strong> steuerbaren Nachlasses<br />
als auch <strong>des</strong>sen Besteuerung zu 94.58 % im Kanton Zürich ausdrücklich anerkannt<br />
hat, ist vorliegend einzig umstritten, ob sie als Stiefkind der Erblasserin im Sinn<br />
von § 21 Abs. 1 lit. d <strong>und</strong> § 23 Abs. 1 lit. b ESchG zu betrachten ist <strong>und</strong> die entsprechenden<br />
Vorzugsbestimmungen Anwendung finden.<br />
Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, der zivilrechtliche Begriff <strong>des</strong><br />
Kinds sei auch für das Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetz massgebend. Ob<br />
eine Person als Kind <strong>des</strong> Erblassers zu betrachten sei, hänge einzig vom rechtlichen<br />
Verwandtschaftsverhältnis ab, was ein rechtliches Kindsverhältnis im Sinn von<br />
Art. 252 ff. ZGB voraussetze, wohingegen die biologische Abstammung allein<br />
nicht genüge. Es bestehe kein sachlicher Gr<strong>und</strong>, beim Stiefkind von einem anderen<br />
Kindsbegriff auszugehen. Zwar stelle das Stiefkindverhältnis eine besondere Art<br />
der Schwägerschaft dar, in<strong>des</strong>sen handle es sich dabei um ein zivilrechtliches<br />
Verwandtschaftsverhältnis. Die Gewährung <strong>des</strong> privilegierten Steuersatzes für<br />
Stiefkinder sei eine rein fiskalische Wohltat, welche keinesfalls als zwingend erscheine,<br />
sodass es richtig sei, diese Ausnahmebestimmung eng auszulegen <strong>und</strong> auf<br />
die rechtlichen Stiefkindverhältnisse zu beschränken. Da die Beziehung zwischen<br />
der ausserehelich gezeugten Pflichtigen <strong>und</strong> dem vorverstorbenen Ehemann der<br />
Erblasserin nicht auf einem rechtlichen Verwandtschaftsverhältnis beruhe, könne<br />
die Pflichtige nicht als Stiefkind im Sinn <strong>des</strong> Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetzes<br />
gelten.<br />
2.2 Demgegenüber bringt die Pflichtige vor, aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> zur Zeit ihrer<br />
Geburt im Jahr 1961 geltenden Rechts habe zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem leiblichen Vater<br />
lediglich eine Zahlvaterschaft ohne Anerkennung mit Stan<strong>des</strong>folgen bestanden,<br />
wobei das Kindsverhältnis nach Inkrafttreten <strong>des</strong> neuen Kindsrechts im Jahr 1978<br />
nicht mehr dem neuen Recht habe unterstellt werden können, da sie zu jenem<br />
Zeitpunkt das zehnte Altersjahr bereits erreicht habe. Indem sich die Vorinstanz bei<br />
der Auslegung <strong>des</strong> Begriffs «Stiefkind» auf das zivilrechtliche Kindsverhältnis<br />
nach Art. 252 ff. ZGB beziehe, übersehe sie, dass der Begriff <strong>des</strong> Stiefkin<strong>des</strong> dort<br />
gar nicht enthalten sei. Ausserdem gehe es bei der Umschreibung dieses Begriffs<br />
215
112<br />
nicht um das Kindsverhältnis selbst, sondern um eine tatsächliche Beziehung zwischen<br />
einem Ehegatten <strong>und</strong> dem Kind <strong>des</strong> anderen Ehegatten. In Art. 21 ZGB<br />
werde nicht die Verwandtschaft, sondern die Schwägerschaft umschrieben. Die Beziehung<br />
von Stiefeltern <strong>und</strong> Stiefkindern sei eine besondere Art der Schwägerschaft,<br />
bei welcher es sich lediglich um eine tatsächliche <strong>und</strong> nicht um eine verwandtschaftliche<br />
Beziehung handle. Die Schwägerschaft beziehe sich immer auf<br />
Personen, die in gerader Linie mit dem anderen Ehegatten blutsverwandt seien,<br />
wobei es keine Rolle spiele, ob jene Blutsverwandtschaft ehelich oder ausserehelich<br />
sei. Massgebend sei allein das Vorhandensein einer tatsächlichen Verwandtschaft,<br />
welche entgegen der Ansicht der Vorinstanz keines Kindsverhältnisses im<br />
formellen Sinn bedürfe, sondern nur eine tatsächliche Abstammung durch die<br />
Zeugung erfordere.<br />
2.3.1 Wenn der Gesetzgeber in einer Steuerrechtsnorm zivilrechtliche Begriffe<br />
verwendet, ist deren zivilrechtliche Bedeutung gr<strong>und</strong>sätzlich auch für das<br />
Steuerrecht massgebend. So ist beispielsweise der im Erbschaftssteuerrecht verwendete<br />
Begriff der «Nachkommen» mit demjenigen im Zivilrecht identisch. Allerdings<br />
bedeutet dies nicht, dass sämtliche zivilrechtlichen Begriffe im Erbschafts<strong>und</strong><br />
Schenkungssteuergesetz auch im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen seien; vielmehr<br />
ist die Bedeutung eines solchen Begriffs im Einzelfall durch Auslegung zu<br />
ermitteln. Allgemein gilt, dass auch dem Zivilrecht entnommene Begriffe aus dem<br />
steuerrechtlichen Bedeutungszusammenhang heraus verstanden werden müssen<br />
(RB 1982 Nr. 64; Richner/Frei, § 1 N. 165 ff., § 23 N. 6).<br />
2.3.2 Der Begriff <strong>des</strong> «Stiefkin<strong>des</strong>» wird weder in zivilrechtlichen Gesetzen<br />
noch im Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetz definiert. Unbestritten ist jedoch,<br />
dass es sich beim Stiefkindverhältnis um eine besondere Art der Schwägerschaft<br />
handelt. Die Begründung dieses Verhältnisses setzt zweierlei voraus: einerseits das<br />
Bestehen einer Gemeinschaft eines Elternteils mit seinem Kind, andererseits die<br />
Eingehung einer Ehe dieses Elternteils mit einer Drittperson. Die Beziehungen<br />
zwischen Elternteil <strong>und</strong> Kind sowie zwischen Ehegatte <strong>und</strong> Kind sind strikt auseinander<br />
zu halten. Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die<br />
Begründung eines Stiefkindverhältnisses zu einem ausserehelichen Kind <strong>des</strong> Ehegatten<br />
erfüllt sind, ist folglich insbesondere massgebend, inwiefern eine Gemeinschaft<br />
zwischen dem Kind <strong>und</strong> dem leiblichen Elternteil besteht (vgl. Ruth Speiser,<br />
Die Rechtsverhältnisse der Stiefeltern <strong>und</strong> Stiefkinder nach schweizerischem<br />
Recht, ZSR 46/1927, 83 ff.).<br />
Wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, ist der zivilrechtliche Begriff<br />
<strong>des</strong> «Kin<strong>des</strong>» auch für das Erbschafts- <strong>und</strong> Schenkungssteuergesetz massgebend.<br />
216
Es sind keine sachlichen Gründe für eine abweichende Auslegung dieses Begriffs<br />
ersichtlich. Entscheidend für die Frage, ob jemand rechtlich als Kind einer anderen<br />
Person zu gelten hat, ist das Bestehen eines formellen Kindsverhältnisses zu dieser<br />
Person im Sinn von Art. 252 ff. ZGB, welches zum Vater durch Ehe mit der Mutter,<br />
Adoption, Anerkennung oder richterliches Urteil entstehen kann. Das Kindsverhältnis<br />
bezeichnet die rechtliche Beziehung zwischen den Eltern <strong>und</strong> dem Kind <strong>und</strong><br />
ist von der biologischen Tatsache der Abstammung zu unterscheiden. Ein entsprechen<strong>des</strong><br />
Verhältnis ist Gr<strong>und</strong>lage für alle rechtlichen Wirkungen der Eltern-Kind-<br />
Beziehung <strong>und</strong> begründet die Verwandtschaft <strong>und</strong> Schwägerschaft im Sinn von<br />
Art. 20 f. ZGB. Folgerichtig setzt auch – bereits begriffsnotwendig – die Begründung<br />
eines Stiefkindverhältnisses ein Kindsverhältnis zum leiblichen Elternteil voraus.<br />
Anders zu entscheiden würde, wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, zu<br />
einer nicht gerechtfertigten Besserstellung <strong>des</strong> Stiefkin<strong>des</strong> gegenüber einem «normalen»<br />
Kind führen, erfordert doch auch die steuerliche Privilegierung von direkten<br />
Nachkommen eines Erblassers gemäss § 11 ESchG ein rechtliches Kinds- bzw.<br />
Verwandtschaftsverhältnis, da – wie schon erwähnt – der Begriff der «Nachkommen»<br />
im Erbschaftssteuerrecht identisch ist mit demjenigen im Zivilrecht, wo die<br />
Erbberechtigung eines Kin<strong>des</strong> nur bei Vorliegen eines Kindsverhältnisses zum<br />
Erblasser im Sinn von Art. 252 ff. ZGB gegeben ist (Ingeborg Schwenzer in: Basler<br />
Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I, 2. A., Basel etc.<br />
2002, Art. 252 N. 2 f.; Cyril Hegnauer, Gr<strong>und</strong>riss <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>rechts <strong>und</strong> <strong>des</strong> übrigen<br />
Verwandtschaftsrechts, 5. A., Bern 1999, § 2 N. 2.02 <strong>und</strong> 2.10; Peter Tuor/<br />
Bernhard Schnyder/Jörg Schmid, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. A., Zürich<br />
1995, S. 443).<br />
2.3.3 Eigenen Angaben der 1961 ausserehelich geborenen Pflichtigen zufolge<br />
bestand zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem leiblichen Vater lediglich eine altrechtliche Zahlvaterschaft.<br />
Für das alte Kindsrecht (bis 1. Januar 1978) war die Unterscheidung<br />
<strong>des</strong> ehelichen <strong>und</strong> <strong>des</strong> ausserehelichen Kindsverhältnisses zentral, wobei das<br />
Verhältnis zum Vater unterteilt wurde in die Vaterschaft mit Stan<strong>des</strong>folge <strong>und</strong> die<br />
blosse Zahlvaterschaft. Durch Ehebruch gezeugte Kinder konnten nicht mit Stan<strong>des</strong>folge<br />
anerkannt werden, sodass ihnen nur die Zahlvaterschaft blieb. Diese war<br />
von bloss unterhaltsmässiger Natur <strong>und</strong> erschöpfte sich in der Verpflichtung <strong>des</strong><br />
Erzeugers zu Vermögensleistungen, ohne zwischen ihm <strong>und</strong> dem Kind eine familiäre<br />
Bindung zu schaffen. Insbesondere liess sie weder ein Verwandtschaftsverhältnis<br />
noch ein rechtliches Kindsverhältnis entstehen <strong>und</strong> versagte dem Kind eine<br />
Erbberechtigung als Nachkomme. Bereits unter der Herrschaft <strong>des</strong> alten Erbschafts-<br />
<strong>und</strong> Schenkungssteuergesetzes vom 26. April 1936 musste ein solches aussereheliches<br />
Kind, welches seinem Vater im Stand nicht folgte, in die Gruppe der<br />
Nichtverwandten eingereiht werden. Erst mit der Revision <strong>des</strong> Kindsrechts per<br />
112<br />
217
112<br />
1. Januar 1978 ergab sich die Möglichkeit, eine Zahlvaterschaft in ein (neurechtliches)<br />
Kindsverhältnis umzuwandeln. Voraussetzung hierfür war allerdings gemäss<br />
Art. 13a Abs. 1 SchlT ZGB, dass das Kind beim Inkrafttreten <strong>des</strong> neuen Rechts das<br />
zehnte Altersjahr noch nicht vollendet hatte. Soweit eine altrechtliche Zahlvaterschaft<br />
dem neuen Recht nicht unterstellt wurde, blieb sie von der Revision <strong>des</strong><br />
Kindsrechts unberührt <strong>und</strong> begründete weiterhin kein rechtliches Kindsverhältnis<br />
zwischen dem Vater <strong>und</strong> dem Kind (vgl. BGE 124 III 1 E. 2 = Pra 87 [1998] Nr. 137;<br />
Peter Breitschmid in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch<br />
II, 2. A., Basel etc. 2003, Art. 12 SchlT N. 1 f.; Thomas Koller in: BSK<br />
ZGB I, Art. 328/329 N. 7; Philipp Schneider, Das zürcherische Erbschafts- <strong>und</strong><br />
Schenkungssteuerrecht, Zürich 1939, S. 214).<br />
Da die Pflichtige 1961 geboren ist <strong>und</strong> somit bei Inkrafttreten <strong>des</strong> revidierten<br />
Kindsrechts das zehnte Altersjahr bereits vollendet hatte, stand ihr die übergangsrechtliche<br />
Möglichkeit der Unterstellung der altrechtlichen Zahlvaterschaft unter<br />
das neue Kindsrecht gar nicht zur Verfügung. Dass dies von der Pflichtigen als stossend<br />
empf<strong>und</strong>en wird, ist durchaus nachvollziehbar, ändert jedoch nichts an der<br />
Tatsache, dass in der Folge wiederum kein rechtliches Kindsverhältnis zu ihrem<br />
leiblichen Vater entstehen konnte, sondern die Beziehung zu ihm auf die natürliche<br />
Abstammung beschränkt blieb. Entsprechend vermochte diese auch kein Stiefkindverhältnis<br />
zur Ehefrau <strong>des</strong> Vaters zu begründen. Diesfalls aber kann die Pflichtige<br />
nicht als «Stiefkind» der Erblasserin im Sinn von § 23 Abs. 1 lit. b bzw. § 21 Abs. 1<br />
lit. d ESchG betrachtet werden.<br />
2.4 Dieses Ergebnis vermögen auch die übrigen Ausführungen der Pflichtigen<br />
nicht zu erschüttern. Wenn sie geltend macht, die Schwägerschaft beziehe sich<br />
immer auf Personen, die in gerader Linie mit dem anderen Ehegatten blutsverwandt<br />
seien, wobei es keine Rolle spiele, ob die Blutsverwandtschaft ehelich oder ausserehelich<br />
sei, verkennt sie, dass erst die durch das Kindsverhältnis vermittelte rechtliche<br />
Verwandtschaft zwischen dem Elternteil <strong>und</strong> dem Kind auch die Schwägerschaft<br />
im Sinn von Art. 21 Abs. 1 ZGB begründet. Dabei ist in diesem Zusammenhang<br />
nicht relevant, ob das Schwägerschaftsverhältnis als solches eine rein tatsächliche<br />
oder eine verwandtschaftliche Beziehung darstellt (vgl. Cyril Hegnauer,<br />
Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Band II: Das Familienrecht,<br />
2. Abteilung: Die Verwandtschaft, 1. Teilband: Die Entstehung <strong>des</strong> Kindsverhältnisses,<br />
4. A., Bern 1984, Art. 252 N. 28 ff.). Der von Ernst Götz noch unter der Herrschaft<br />
<strong>des</strong> alten Kindsrechts vertretenen Ansicht, das Ehehindernis der Schwägerschaft<br />
beziehe sich sowohl auf die Stiefelternschaft zu ehelichen wie auch ausserehelichen<br />
Kindern <strong>des</strong> Ehegatten, ist entgegen zu halten, dass diesem Eheverbot<br />
218
112, 113<br />
eine spezifische Schutzfunktion zukommt, indem dadurch die Gefährdung <strong>des</strong> Familienfriedens<br />
ausgeschlossen werden soll, sodass es dort angebracht erscheint,<br />
allein auf die biologische Abstammung abzustellen. Hingegen verfolgen § 23 Abs. 1<br />
lit. b <strong>und</strong> § 21 Abs. 1 lit. d ESchG einzig den Zweck einer fiskalischen Privilegierung<br />
der Stiefkinder, ohne diese Vorzugsbehandlung auch in den übrigen Schwägerschaftsverhältnissen<br />
zu gewähren, weshalb sich bereits aus diesem Gr<strong>und</strong> eine<br />
restriktive Auslegung <strong>des</strong> Stiefkindbegriffs rechtfertigt. Schliesslich lässt sich aus<br />
der von der Pflichtigen zitierten Weisung <strong>des</strong> Regierungsrats <strong>und</strong> dem von ihr angeführten<br />
<strong>Verwaltungsgericht</strong>sentscheid (RB 1997 Nr. 58) nichts zu ihren Gunsten<br />
ableiten. Letzterer spricht vielmehr für eine enge Auslegung dieses Begriffs, indem<br />
aufgezeigt wird, das Steuerrecht gewähre Stiefkindern <strong>und</strong> Stiefeltern mildere<br />
Steuersätze, obschon das Erbrecht die entsprechenden Beziehungen nicht privilegiere,<br />
daher solle nur das engste Stiefverwandtschaftsverhältnis eine Vorzugsstellung<br />
einnehmen.<br />
SR.2004.00009 2. Kammer, 18. August<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde am<br />
7. Januar 2005 abgewiesen.<br />
F. Personalrecht<br />
113. Arbeitszeugnisse für das juristische Sekretariat am Handelsgericht: Das<br />
Zeugnis gilt nicht als Verfügung, sondern erst der Entscheid über <strong>des</strong>sen (in<br />
einem Mal zu beantragende) Änderung. – Das Gesamtobergericht fungiert<br />
nicht als Anstellungsbehörde der juristischen Sekretäre. Anstellende <strong>und</strong><br />
Zeugnisbehörde müssen nicht von vornherein übereinstimmen. – Das Personalgesetz<br />
konnte bereits vor Gewährleistung seiner Verfassungsgr<strong>und</strong>lage<br />
in Kraft treten, da der Gewährleistungsbeschluss rein deklaratorisch wirkt.<br />
Weder Gesetz noch Verfassung bezeichnen die das Zeugnis ausstellende<br />
Behörde. Das kann jedoch durch den Vollziehungsverordnungsgeber geschehen.<br />
Der Regierungsrat durfte die Vollzugsverordnung zum Personalgesetz<br />
erlassen, bevor dieses in Kraft trat. Am meisten spricht für die<br />
Zeugniszuständigkeit <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten. Die obergerichtliche<br />
Verwaltungskommission waltet alsdann als Rekursinstanz. – Nichtig ist eine<br />
fehlerhafte Verfügung nur, wenn offenk<strong>und</strong>ig oder leicht erkennbar ein<br />
besonders schwerer Mangel vorliegt <strong>und</strong> die Annahme der Nichtigkeit nach<br />
219
113<br />
220<br />
einer Interessenabwägung nicht ernsthaft die Rechtssicherheit gefährdet;<br />
hier verneint. § 12 Abs. 3, § 46 Abs. 2, § 46 Abs. 3, § 56 PG. § 139 Abs. 2,<br />
§ 139 Abs. 3, § 139 Abs. 4 VVPG. § 40, § 49 GVG.<br />
5.2 Freilich gilt gemäss Praxis nicht schon das Zeugnis als Verfügung, sondern<br />
erst der Entscheid über <strong>des</strong>sen beantragte Änderung (VGr, 7. Januar 2004,<br />
PB.2003.00016, E. 4.5.1, mit Hinweisen, www.vgrzh.ch). Als solcher Entscheid<br />
erscheint das Schreiben <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten, welches sich wie gesagt<br />
nur mit zwei inhaltlichen Punkten, nicht aber mit dem Zeugnisdatum befasste.<br />
Insofern missachtete die Vorinstanz mit den diesbezüglichen Erwägungen nicht nur<br />
den Instanzenzug; vielmehr lässt sich auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg länger<br />
nichts bewirken. Denn wer ein konkretes Zeugnis nicht annehmen will, muss seine<br />
abweichenden Vorstellungen in einem Mal durchzusetzen suchen <strong>und</strong> kann nicht<br />
immer wieder neue Begehren stellen. Alles andere liesse sich den für das Zeugnis<br />
zuständigen Behörden nicht zumuten.<br />
6.2 Der Beschwerdeführer argumentiert principaliter, nach einhelliger Auffassung<br />
sei die laut Personalgesetz an- auch die das Arbeitszeugnis in Anwendung von<br />
§ 46 Abs. 2 f. PG ausstellende Behörde, <strong>und</strong> nicht der direkte Vorgesetzte; als seine<br />
im Sinn von § 12 Abs. 3 Satz 1 PG gesetzliche Anstellungsbehörde amte kraft § 40<br />
GVG einzig das Obergericht, sodass kein Raum bleibe, gemäss § 56 PG durch regierungsrätliche<br />
Verordnung oder eine gemeinsam erlassene der obersten kantonalen<br />
Gerichte davon abzuweichen.<br />
6.2.1 Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 PG bezeichnet der Regierungsrat die Anstellungsbehörde,<br />
soweit sich diese nicht aus der Verfassung oder besonderen gesetzlichen<br />
Bestimmungen ergibt (vgl. auch Art. 40 Ziff. 7 KV). Die regierungsrätliche<br />
Weisung sagt hierzu: «Bei der Bestimmung der zuständigen Anstellungsbehörde<br />
soll dem bereits heute beachteten <strong>und</strong> künftig noch wichtigeren Prinzip der<br />
Delegation <strong>und</strong> Flexibilisierung Rechnung getragen werden. Besondere gesetzliche<br />
Bestimmungen in dieser Hinsicht finden sich z.B. im … Gerichtsverfassungsgesetz<br />
…» (ABl 1996, 1173).<br />
Effektiv stellt das Obergericht laut § 40 GVG unter anderem das juristische<br />
Personal an. Der Beschwerdeführer übersieht allerdings, dass das Obergericht kraft<br />
§ 49 GVG über seine Organisation eine Verordnung erlässt, in welcher Geschäfte<br />
der Justizverwaltung ständigen Kommissionen, einzelnen Mitgliedern oder Angestellten<br />
zur Erledigung übertragen werden können. In diesem Sinn macht § 24 Satz<br />
1 der Verordnung über die Organisation <strong>des</strong> Obergerichts (VOG, LS 212.51) die
Vorinstanz zur Anstellungsbehörde für alle juristischen Angestellten <strong>des</strong> Obergerichts,<br />
mit hier nicht spielenden Ausnahmen (vgl. Hauser/Schweri, § 41 N. 11 f.,<br />
§ 49 N. 1; § 7 VOG). Das gilt auch für den Beschwerdeführer.<br />
Der Beschwerdeführer listet die Vorschriften <strong>des</strong> Personalgesetzes auf, welche<br />
die Aufgaben der Anstellungsbehörde enthalten; daraus leitet er zu Unrecht deren<br />
Zuständigkeit auch für das Verfassen <strong>des</strong> Arbeitszeugnisses ab. § 46 Abs. 2 f. PG<br />
verrät nämlich bewusst nicht, gegen wen sich der Zeugnisanspruch der Beschäftigten<br />
richte, heisst es doch in der Weisung: «Das Arbeitszeugnis soll durch den direkten<br />
Vorgesetzten, wo vorhanden allenfalls durch den Personaldienst aufgr<strong>und</strong> von<br />
Formulierungen der Linie, ausgefertigt werden» (ABl 1996, 1181).<br />
6.2.2 Obwohl das Obergericht kraft § 41 Abs. 1 GVG seine Geschäfte als<br />
Gesamtbehörde oder in Kammern behandelt, kommt hier also Ersterer <strong>und</strong> Letzteren<br />
weder die Funktion einer Anstellungsbehörde zu noch ohne weiteres die Zuständigkeit,<br />
Arbeitszeugnisse zu verfassen. […]<br />
6.2.3 Der Beschwerdeführer meint, die Identität der für Personalanstellung<br />
<strong>und</strong> Zeugnisausstellung kompetenten Behörde erhelle auch aus der Vollzugsverordnung<br />
zum Personalgesetz vom 19. Mai 1999. Das Gegenteil trifft zu. § 12 VVPG<br />
bezeichnet für Beschäftigte bis Lohnklasse 23 die Direktionen als Anstellungsbehörde<br />
mit der Möglichkeit einer Delegation an Ämter sowie Betriebe (Abs. 1, 4);<br />
für Arbeitnehmende ab Lohnklasse 24 teilen sich Regierungsrat <strong>und</strong> Direktionen<br />
diese Funktion (Abs. 2; vgl. ferner § 4 Abs. 1 f. PV). Hinwiederum stellen nach §<br />
139 VVPG die Vorsteherinnen bzw. Vorsteher einer Direktion oder eines Amts für<br />
die jeweils direkt untergebenen Beschäftigten Zeugnisse aus (Abs. 2); im Übrigen<br />
bestimmen die Direktionen oder die von ihnen ermächtigten Ämter die Zuständigkeiten,<br />
wobei sich mit dem Verfassen von Zeugnissen insbesondere die Personaldienste<br />
beauftragen lassen (Abs. 3). Schon von Verordnung wegen fertigen also<br />
etwa die einem Amt Vorstehenden Zeugnisse für ihre Direktunterstellten an, während<br />
sie solche nur auf Gr<strong>und</strong> einer Delegation anstellen dürfen.<br />
Deshalb erstaunt auch nicht, dass die Vollzugsverordnung der obersten kantonalen<br />
Gerichte zum Personalgesetz vom 26. Oktober 1999 (LS 211.21) – erlassen<br />
gestützt auf § 56 Abs. 3 PG sowie § 215 Abs. 1 GVG – in § 7 über die Anstellungsbehörden<br />
<strong>und</strong> deren Zuständigkeiten nichts zu einer solchen für Arbeitszeugnisse<br />
sagt; sie tut das übrigens ebenso wenig anderswo (vgl. § 4 Abs. 3 PV).<br />
113<br />
221
113<br />
In diesem Zusammenhang apostrophiert der Beschwerdeführer, welcher die<br />
Anstellungsbehörde nicht nur für das Verfassen von Zeugnissen als zuständig ansieht,<br />
sondern auch für die Mitarbeiterbeurteilung, diejenige durch den Handelsgerichtspräsidenten<br />
vom 8. November 2000 als unbeachtlich. Das widerspricht § 136<br />
Abs. 1 VVPG, wonach die Vorgesetzten eine solche vornehmen, nämlich beim Beschwerdeführer<br />
als Sekretär <strong>des</strong> Beschwerdegegners <strong>des</strong>sen Präsident (vgl. § 4 Abs. 1<br />
der Verordnung über die Organisation <strong>und</strong> Geschäftsführung der Obergerichtskanzlei<br />
vom 8. Dezember 1999 [LS 212.511]). Auf die Tauglichkeit <strong>des</strong> seinerzeitigen<br />
«Gesprächs» als Mitarbeiterbeurteilung kommt hier in<strong>des</strong> nichts an, wie sich weisen<br />
wird.<br />
6.3 Der Beschwerdeführer hält eventualiter dafür, aus den Verordnungsnormen,<br />
welche der angefochtene Entscheid <strong>und</strong> die Kammer im Beschluss vom<br />
13. März 2002 beigezogen hätten, lasse sich weder irgendeine Zuständigkeit für das<br />
Ausstellen von Zeugnissen noch eine solche der Vorinstanz «für den vorliegenden<br />
personalrechtlichen Rekurs» ableiten.<br />
6.3.1 Nach Art. 28 KV übt das Volk im Zusammenwirken mit dem <strong>Kantons</strong>rat<br />
die gesetzgebende Gewalt aus (Abs. 1); die gr<strong>und</strong>legenden Normen <strong>des</strong> kantonalen<br />
Rechts werden in Gesetzesform erlassen, wozu insbesondere Bestimmungen über<br />
Organisation <strong>und</strong> Aufgaben der Behörden, über Inhalt <strong>und</strong> Umfang der Gr<strong>und</strong>rechtsbeschränkungen<br />
<strong>und</strong> der staatlichen Leistungen sowie über Art <strong>und</strong> Umfang<br />
der Übertragung von öffentlichen Aufgaben an Private gehören (Abs. 2). Gesetze<br />
sollen somit die wesentlichen Gr<strong>und</strong>entscheidungen treffen. Details kann das in der<br />
Regel regierungsrätliche Verordnungsrecht ausführen. Der Regierungsrat darf dabei<br />
seine Verordnungskompetenz nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung<br />
delegieren (zum Ganzen Jaag, Rz. 415, 437, 440).<br />
Gemäss Art. 40 Ziff. 2 KV sorgt der Regierungsrat für die Vollziehung der<br />
Gesetze <strong>und</strong> Beschlüsse von Volk sowie <strong>Kantons</strong>rat. Deshalb kann bzw. muss er so<br />
genannt selbständige, das heisst – wie die gegenwärtig unerheblichen Notverordnungen<br />
– auf der Verfassung beruhende Vollziehungsverordnungen erlassen (Jaag,<br />
Rz. 425–432, auch zum Folgenden). Hierzu braucht es in den zu vollziehenden<br />
Gesetzen keine speziellen Bestimmungen; solche wirken ansonsten nur deklaratorisch.<br />
Vollziehungsverordnungen dürfen materiell nichts normieren, was nicht<br />
schon das Gesetz prinzipiell vorgibt, mithin keine neuen Rechte <strong>und</strong> Pflichten<br />
schaffen. Umgekehrt liegt es bei den unselbständigen, das bedeutet auf einer Delegation<br />
im Gesetz fussenden Verordnungen, wie etwa der Personalverordnung. Gesetzesdelegationen<br />
erscheinen an sich als statthaft, haben sich aber insbesondere<br />
222
auf eine genau eingegrenzte Materie zu beschränken, wenigstens die Gr<strong>und</strong>züge zu<br />
regeln sowie Inhalt, Zweck <strong>und</strong> Ausmass der erteilten Ermächtigung zu definieren;<br />
Blankovollmachten sind unzulässig.<br />
Kraft § 56 PG erlässt der Regierungsrat einerseits der kantonsrätlichen Genehmigung<br />
bedürfende Personalverordnungen, um unter anderem im Sinn von § 12<br />
Abs. 3 PG die Anstellungsbehörde zu bezeichnen (Abs. 1; oben 6.2.1 Abs. 1), anderseits<br />
die weiteren Verordnungen zum Vollzug <strong>des</strong> Personalgesetzes (Abs. 2); alle<br />
diese Verordnungen gelten auch für das Personal der Rechtspflege, soweit die obersten<br />
kantonalen Gerichte nicht in gemeinsamen Verordnungen ergänzende oder<br />
abweichende Regelungen treffen, wobei sich die Genehmigungspflicht nach Abs. 1<br />
richtet (Abs. 3 Sätze 1 f.). Angesichts <strong>des</strong>sen ist schwer verständlich, warum die<br />
Beschwerde ausführt, § 56 Abs. 3 PG erwähne weder die Personalverordnung noch<br />
§ 12 Abs. 3 PG; denn zumin<strong>des</strong>t implizit geschieht das durchaus.<br />
6.3.2 Mit Beschluss vom 20. Januar 1999, publiziert am 19. folgenden Monats,<br />
setzte der Regierungsrat das Personalgesetz samt <strong>des</strong>sen Verfassungsgr<strong>und</strong>lage,<br />
Art. 11 Abs. 2 Satz 2 KV, – bei<strong>des</strong> vom Volk am 27. September 1998 angenommen<br />
– auf den 1. Juli jenes Jahres in Kraft (OS 55, 62). Letzteres tat er ebenso<br />
einerseits mit der Personalverordnung, veröffentlicht im Amtsblatt am 29. Januar 1999<br />
sowie nach der kantonsrätlichen Genehmigung vom 22. März 1999 in der Gesetzessammlung<br />
am 20. April 1999 (§ 53 Abs. 1 PV; ABl 1999, 114 ff.; OS 55, 196 ff.,<br />
insbesondere 210), anderseits mit der am 18. Juni 1999 publizierten Vollzugsverordnung<br />
zum Personalgesetz (§ 169 Abs. 1 VVPG; OS 55, 249 ff., namentlich 296).<br />
Die B<strong>und</strong>esversammlung gewährleistete mit Beschluss vom 21. Dezember 1999<br />
unter anderem Art. 11 Abs. 2 KV (BBl 2000, 131).<br />
Aus dem eben aufgezeichneten Ablauf – Erlass der Personalverordnung, ehe<br />
das Inkraftsetzen <strong>des</strong> Personalgesetzes samt Verfassungsartikel, worauf sie sich hätte<br />
stützen müssen, veröffentlicht worden sei; Genehmigung der Personalverordnung<br />
<strong>und</strong> Publikation der Vollzugsverordnung zum Personalgesetz, bevor dasselbe<br />
<strong>und</strong> seine Verfassungsgr<strong>und</strong>lage in Kraft getreten seien; Inkrafttreten <strong>des</strong> Personalrechts,<br />
ohne dass die B<strong>und</strong>esversammlung <strong>des</strong>sen Verfassungsbasis gewährleistet<br />
habe – schliesst die Beschwerde, Personalverordnung <strong>und</strong> Vollzugsverordnung zum<br />
Personalgesetz seien jedenfalls insofern nichtig, als diese beiden Rechtssetzungsakte<br />
die an- bzw. das Arbeitszeugnis ausstellende Behörde bezeichneten.<br />
Hierzu gilt es sogleich daran zu erinnern, dass anstellende <strong>und</strong> Zeugnisbehörde<br />
nicht von vornherein übereinstimmen müssen (oben 6.2). Sollte folglich<br />
113<br />
223
113<br />
einer Behörde zu Recht die Befugnis abgesprochen werden, Personal anzustellen,<br />
besagt das noch nicht, jene dürfe auch keine Arbeitszeugnisse ausstellen.<br />
6.3.2.1 Der positive Gewährleistungsbeschluss wirkt rein deklaratorisch; es<br />
steht den Kantonen frei, eine Verfassung(sbestimmung) schon zuvor in Kraft zu setzen,<br />
wobei sie allerdings Gefahr laufen, dass ein negativer Entscheid der B<strong>und</strong>esversammlung<br />
das Verfassungsrecht von Anfang an als ungültig erscheinen lässt<br />
(statt vieler Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft,<br />
Bern 2004, S. 259 f.). Deshalb ist unzutreffend, dass das Personalgesetz nicht bereits<br />
vor Gewährleistung seiner Verfassungsgr<strong>und</strong>lage in Kraft treten durfte; keine<br />
vom Beschwerdeführer übrigens irreleitend zitierte B<strong>und</strong>esgerichtspraxis streitet<br />
dagegen. Eine andere Frage bedeutet es, ob die Bezeichnung der Zeugnisbehörde<br />
auf Verfassungs- oder doch Gesetzesstufe geschehen müsse; die Beschwerde bejaht<br />
das. Eine Antwort braucht in<strong>des</strong> nicht gegeben zu werden.<br />
Weder legen § 46 Abs. 2 f. PG oder eine sonstige Bestimmung auf Gesetzesstufe<br />
– geschweige denn die Verfassung – die Zeugnisse ausstellende Behörde fest<br />
noch enthalten § 56 Abs. 1 PG oder eine andere Vorschrift gleichen Ranges diesbezüglich<br />
eine Gesetzesdelegation (vgl. oben 6.2.1 Abs. 3; 6.3.1, auch zum Folgenden).<br />
Sollte es überhaupt eines Gesetzes im formellen Sinn bedürfen, bliebe die<br />
Zeugniszuständigkeit im Sinn einer so genannten echten Lücke ungeregelt (dazu<br />
Häfelin/Haller, N. 139). Eine solche liesse sich aber durch den Vollziehungsverordnungsgeber<br />
füllen (Häfelin/Haller, N. 1860). Insofern mündet das hier interessierende<br />
Problem in jenes, ob die Vollzugsverordnung zum Personalgesetz gültig sei<br />
(vorn 6.3.2 Abs. 2).<br />
Im Übrigen kann die rechtsanwendende Behörde eine nicht schon durch<br />
Gewohnheitsrecht geschlossene Lücke in freier Rechtsfindung füllen; sie muss<br />
dabei von den dem Erlass zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Wertungen <strong>und</strong> Zielsetzungen ausgehen<br />
(Häfelin/Haller, N. 147). Die Gesetzesmaterialien sprechen bei der Zeugniskompetenz<br />
in erster Linie vom direkten Vorgesetzten; als solcher waltete für den<br />
Beschwerdeführer der Handelsgerichtspräsident (oben 6.2.1 <strong>und</strong> 3 je Abs. 3). Das<br />
deckt sich auch mit gerichtsnotorisch langjähriger Praxis, die sich zu Gewohnheitsrecht<br />
verdichtet haben dürfte (Jaag, Rz. 474). Zwar bestreitet die Beschwerde diese<br />
Praxis «aus Sicherheitsgründen», doch hälfe das selbst im Erfolgsfall nichts. Denn<br />
in alsdann Platz greifender freier Rechtsfindung ergäbe sich doch wieder die<br />
Zuständigkeit <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten. [...]<br />
6.3.2.3 Die Beschwerde scheint unzutreffend davon auszugehen, die Vollzugsverordnung<br />
zum Personalgesetz müsste sich – trotz <strong>des</strong> Titels – noch ausdrück-<br />
224
lich auf § 56 Abs. 2 PG berufen, um in diesem Gesetz eine Gr<strong>und</strong>lage zu finden;<br />
sie anerkennt aber zu Recht, dass auch Art. 40 Ziff. 2 KV den Regierungsrat zum<br />
Erlass der Vollzugsverordnung befuge (oben 6.3.1 Abs. 2 f.). Bereits von Letzterem<br />
her wirkt der Gedanke verfehlt, der Regierungsrat hätte die Vollzugsverordnung<br />
zum Personalgesetz erst nach <strong>des</strong>sen Inkrafttreten erlassen dürfen. Zudem sagt § 57<br />
Abs. 1 Satz 1 PG, für alle beim Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes bestehenden Arbeitsverhältnisse<br />
gälten ab da das Personalgesetz <strong>und</strong> seine Ausführungserlasse; das bedingt,<br />
dass es solche beim Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes schon gebe.<br />
Gewiss hätte sich der Regierungsrat erlauben dürfen, in Anwendung von § 59<br />
Abs. 2 Satz 2 PG zunächst nur gerade die genannte Bestimmung selbst sowie § 56 PG<br />
in Kraft treten zu lassen, gestützt darauf die Ausführungserlasse zu schaffen <strong>und</strong><br />
dann zusammen mit dem Rest <strong>des</strong> Personalgesetzes in Kraft zu setzen. Wenn ihm<br />
aber das gestattet war, konnte er von derart bloss formellen Komplikationen ebenso<br />
gut absehen. Jedenfalls hätte nicht funktioniert, was der Beschwerde vorschwebt,<br />
nämlich vorab das ganze Personalgesetz in Kraft treten zu lassen <strong>und</strong> erst<br />
hernach die zugehörigen Verordnungen zu schaffen. Denn es wäre in seinen durch<br />
diese weiter auszuführenden Teilen so lange unanwendbar geblieben.<br />
Wie zum Vorstehenden anzumerken bleibt, geht es hier nicht um die zulässigen<br />
Inhalte der Vollzugsverordnung zum Personalgesetz, sondern um deren Zulässigkeit<br />
als Ganze. Denn sollte es für die Bezeichnung der Zeugnisbehörde eines<br />
Gesetzes im formellen Sinn oder einer Delegation bedürfen, käme es mangels beidem<br />
doch wieder auf die – an sich vielleicht unstatthafte – einschlägige Regelung<br />
der Vollzugsverordnung an (oben 6.3.2.1 Abs. 2).<br />
6.3.2.4 Nach dem Gesagten durfte der Regierungsrat die Vollzugsverordnung<br />
zum Personalgesetz erlassen, ehe dieses in Kraft trat. Selbst wenn das aber unzulässig<br />
gewesen sein sollte, wäre die Verordnung beim Inkrafttreten <strong>des</strong> Personalgesetzes<br />
im Sinn b<strong>und</strong>esgerichtlicher Praxis gültig geworden (BGE 107 Ia 29 E. 2a,<br />
123 I 1 E. 3a; 18. Dezember 1988, ZBl 90/1989, S. 491, E. 4c). Die Beschwerde<br />
verneint eine solche zu Unrecht. [...]<br />
6.3.3 Die Beschwerde wiederholt, auch abgesehen vom soeben unter 6.3.2<br />
behandelten zeitlichen Aspekt dürfe der Regierungsrat die Zeugnisbehörde nicht<br />
durch Verordnung bezeichnen, weil das durch Verfassung oder Gesetz im formellen<br />
Sinn geschehen müsse; ein auf § 139 VVPG gestütztes Arbeitszeugnis sei <strong>des</strong>halb<br />
nichtig (oben 6.3.2.1 Abs. 1). Sollte – wie schon gesagt – die Prämisse zutreffen,<br />
fände die genannte Bestimmung prinzipiell dennoch Anwendung bzw. ergäbe<br />
113<br />
225
113<br />
sich ansonsten ohnehin eine Zuständigkeit <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten (vorn<br />
6.3.2.1 Abs. 2 f., 6.3.2.3 Abs. 3).<br />
§ 139 Abs. 4 VVPG insbesondere delegiert den obersten kantonalen Gerichten,<br />
die Zuständigkeit unter anderem für Arbeitszeugnisse festzulegen. Die Beschwerde<br />
findet dies ebenso ungültig. Ob das im Ergebnis stimme, mag als für den<br />
Verfahrensausgang unerheblich offen bleiben. Immerhin fragt sich, ob einer solchen<br />
Delegation nicht die erforderliche ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung<br />
fehle; denn § 56 Abs. 1 f. <strong>und</strong> 3 Sätze 1 f. PG könnte so aufgefasst werden, dass zunächst<br />
der Regierungsrat auch für das Personal der Rechtspflege alle unbedingt<br />
nötigen Vollzugsvorschriften wie etwa über die Zeugniskompetenz schaffen müsse,<br />
wozu erst die obersten kantonalen Gerichte in gemeinsamen Verordnungen ergänzende<br />
oder abweichende Regelungen treffen dürften (siehe oben 6.3.1 Abs. 1 <strong>und</strong> 3,<br />
ebenso zum Folgenden; ABl 1996, 1160–1163). Jedenfalls haben die vereinigten<br />
höchsten Gerichte insofern keine Norm erlassen (vgl. vorn 6.2.3 Abs. 2); <strong>und</strong> § 139<br />
Abs. 4 VVPG als Subdelegation an die Einzelnen von ihnen zu interpretieren, verbietet<br />
sich wohl mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung hierfür.<br />
Die Beschwerde erachtet es wegen <strong>des</strong> Begriffs «Ausstellen» in § 139 Abs. 2<br />
VVPG als unklar, ob die Vorstehenden einer Direktion bzw. eines Amts das Zeugnis<br />
direkt Untergebener nur für ihre jeweiligen Einheiten unterzeichnen oder auch<br />
inhaltlich bestimmen dürften; aus Abs. 3 derselben Vorschrift erhellt jedoch, dass<br />
bei<strong>des</strong> gemeint sei (oben 6.2.3 Abs. 1, auch zum Folgenden). Scheint es nach dem<br />
in den zwei vorigen Absätzen Erwogenen an einer gültigen gerichtlichen Vollzugsnorm<br />
über die Zeugniskompetenz zu gebrechen, müsste alsdann insofern eine analoge<br />
Anwendung von § 139 Abs. 2 f. VVPG für den Beschwerdeführer entgegen<br />
<strong>des</strong>sen Zweifeln zwanglos die Zuständigkeit <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten als<br />
<strong>des</strong> unmittelbar Vorgesetzten zeitigen (vgl. vorn 6.2.3 Abs. 3).<br />
6.3.4 Die Kammer neigte im Beschluss vom 13. März 2002 noch eher zur<br />
Ansicht, die Vorinstanz müsse wegen ihrer laut § 21 Abs. 1 Satz 1 <strong>und</strong> Abs. 2 VOG<br />
allgemeinen Zuständigkeit für die Justizverwaltung das Zeugnis <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />
ausstellen; sie verwies im Kontext auf § 139 Abs. 4 VVPG. Diese Bestimmung<br />
trägt in<strong>des</strong> kaum (oben 6.3.3 Abs. 2, auch zum Folgenden). Aus unterschiedlichen<br />
Gründen verwerfen Beschwerdeführer <strong>und</strong> Vorinstanz die Kompetenz der<br />
Letzteren für das Arbeitszeugnis <strong>des</strong> Ersteren. Das Gegenteil dürfte sich nur mehr<br />
aus § 49 GVG gewinnen lassen, worauf unter anderem sich übrigens die Verordnung<br />
über die Organisation <strong>des</strong> Obergerichts einleitend stützt (vgl. vorn 6.2.1 Abs. 2).<br />
§ 49 GVG ist freilich die ältere sowie personalrechtlich weniger spezielle Norm als<br />
226
der darum vorgehende <strong>und</strong> sonst allein in Frage kommende § 56 PG, aus welchem<br />
eine Ermächtigung einzelner Gerichte, die Zeugnisbehörde zu bezeichnen, wohl<br />
gerade nicht abgeleitet werden kann (siehe Häfelin/Müller, Rz. 220 f., 321). Es<br />
spricht hier <strong>des</strong>halb unverändert am meisten für den Handelsgerichtspräsidenten als<br />
Zeugniszuständigen.<br />
Aus den das Obergericht direkt betreffenden bzw. durch es selbst erlassenen<br />
Bestimmungen resultiert also kaum etwas für die Zeugniszuständigkeit. Irrtümlich<br />
folgert der Beschwerdeführer daraus, die Vorinstanz könne ebenso wenig als<br />
Rechtsmittelbehörde eines Zeugnisstreits fungieren. Er verkennt, dass § 33 PG –<br />
vorbehaltlich gegenwärtig nicht greifender Ausnahmen – den Weiterzug von personalrechtlichen<br />
Entscheidungen nach dem Verwaltungsrechtspflegegesetz vorsieht.<br />
In solchem Sinn erachtete die Kammer mit dem Beschluss vom 13. März 2002<br />
wider die Zeugnisanordnungen <strong>des</strong> Handelsgerichtspräsidenten vorerst den Rekurs<br />
an die obere Behörde gemäss § 19 Abs. 1 VRG als gegeben; diese Eigenschaft<br />
schrieb sie der Vorinstanz kraft §§ 8 Abs. 1 lit. d sowie 21 Abs. 1 Satz 1 <strong>und</strong> Abs. 2<br />
VOG zu, welche Vorschriften in § 49 GVG ihre hinreichende Gr<strong>und</strong>lage finden<br />
(oben 6.2.1 Abs. 2). Hieran gilt es festzuhalten.<br />
Nach all dem muss sich jedenfalls das Gesamtobergericht auf keiner Stufe <strong>des</strong><br />
Rechtsgangs mit dem strittigen Arbeitszeugnis befassen. Namentlich für <strong>des</strong>sen<br />
Verfertigen erschiene es mit seinen 35 bzw. heute 36 Mitgliedern auch selbstredend<br />
als ungeeignet bzw. müsste wohl inhaltlich ohnehin auf die vorliegenden Angaben<br />
<strong>des</strong> Handelsgerichts(präsidenten) abstellen (vgl. Beschluss <strong>des</strong> <strong>Kantons</strong>rates über<br />
die Zahl der Mitglieder <strong>des</strong> Obergerichtes vom 6. März 1978, LS 212.521; RB OGr<br />
ZH 2003, S. 169 f.). Man kann sich folglich im Ernst fragen, was an wirklich Zählbarem<br />
herausschaute, falls der Beschwerdeführer mit seinem weitest ausgebreiteten<br />
Nichtigkeitsgedanken durchdränge. [...]<br />
7.2.2. § 46 Abs. 2 f. PG <strong>und</strong> Art. 330a OR regeln den Zeugnisanspruch Angestellter<br />
fast wörtlich gleich. Dass der kantonale Souverän insofern der Sache<br />
nach öffentlichrechtlich etwas anderes gewollt hätte als vor ihm der eidgenössische<br />
privatrechtlich, lässt sich nicht ersehen (ABl 1996, 1181). Alsdann streitet eindeutig<br />
mehr gegen als für unterschiedliche Auslegungen (vgl. Susanne Janssen, Die<br />
Zeugnispflicht <strong>des</strong> Arbeitgebers, Bern 1996, S. 44; Michel, S. 213; VGr, 4. Juli 2001,<br />
PB.2001.00006, E. 2a, www.vgrzh.ch; RB 2002 Nr. 126; Tomas Poledna,<br />
Arbeitszeugnis <strong>und</strong> Referenzauskünfte <strong>des</strong> Arbeitgebers im öffentlichen Dienst,<br />
ZBl 104/2003, S. 169 ff., 170 f.). Nun müssen im Zivilrecht die Arbeitnehmenden<br />
den Zeugnisanspruch geltend machen (Janssen, S. 29–31, 35). Von daher scheint<br />
113<br />
227
113<br />
sehr fraglich, ob § 139 Abs. 2 VVPG eine Pflicht zur Zeugnisausfertigung ohne Begehren<br />
begründen könne, falls diese Bestimmung überhaupt eine solche Meinung<br />
haben sollte (siehe vorn 6.3.1 Abs. 2). [...]<br />
7.2.3 Aus etwa gleichen Gründen liegt auch kein zumin<strong>des</strong>t leicht erkennbarer<br />
Mangel vor (vgl. zu den möglichen Zeugnisdaten Janssen, S. 97–99). Die Beschwerde<br />
verliert bereits kein Wort mehr über die zu bejahende ernsthafte Gefährdung<br />
der Rechtssicherheit, wenn Nichtigkeit eines Schlusszeugnisses angenommen<br />
würde wegen Datierung <strong>des</strong>selben nicht auf spätestens den Austrittstag. Und wenigstens<br />
der Gedanke der Teilnichtigkeit liesse es nicht zu, um der Datumsproblematik<br />
willen das ganze Zeugnis oder doch <strong>des</strong>sen hier allein noch interessierende<br />
bzw. zweifach ergänzt gewünschte Passage für unbeachtlich zu halten (Imboden/<br />
Rhinow, Nr. 40 B VI; Häfelin/Müller, Rz. 988). [...]<br />
7.3.2 Die Beschwerde kritisiert sodann das Fehlen einer Schlussformel im<br />
Arbeitszeugnis. Hieran gebricht es allerdings gar nicht, sondern nur am anbegehrten<br />
Ausdruck <strong>des</strong> Bedauerns, dass der Beschwerdeführer vom Handelsgericht weggehe.<br />
Bedauernsformeln werden zudem nicht generell verwendet (Janssen, S. 118<br />
Fn. 239). [...]<br />
7.3.4 Endlich macht der Beschwerdeführer geltend, sein Zeugnis entbehre der<br />
nötigen allgemeinen Qualifikation, welche bei ihm auf Leistung sehr guter Arbeit<br />
lauten müsse. [...] Im Besonderen ergibt sich das Erfordernis einer Gesamtqualifikation<br />
weder aus den angerufenen Stellen Janssens noch entspricht es – das ist<br />
gerichtsnotorisch – einer konstanten Übung <strong>des</strong> Kantonalzürcher Personalwesens.<br />
Daran ändert nichts, dass Gesamtqualifikationen Ähnliches in der Praxis durchaus<br />
vorkommt.<br />
7.4 Die Beschwerde vertritt die Ansicht, wie der obligationenrechtliche sei<br />
auch der kantonal-personalrechtliche Zeugnisanspruch vermögensrechtlicher Natur.<br />
Diesen habe schon das Zwischenzeugnis erfüllt. Die dortige Gesamtqualifikation<br />
mit «sehr gut» beurteile <strong>des</strong>halb die Leistungen <strong>des</strong> Beschwerdeführers bis<br />
dahin «unwiderruflich, d.h. wie rechtskräftig» <strong>und</strong> stelle ein wohlerworbenes, also<br />
unter dem Schutz von Vertrauensprinzip sowie Eigentumsgarantie stehen<strong>des</strong> Recht<br />
dar. Dasselbe werde – trotz dem sich öffnenden neuerlichen Bewertungsspielraum<br />
für die spätere, kürzere <strong>und</strong> unzusammenhängende Beschäftigungsdauer – insoweit<br />
verletzt, als das Schlusszeugnis negativ vom Zwischenzeugnis abweiche. Das<br />
wiederum bedeute einen schwer wiegenden Mangel. – Dem lässt sich nicht beitreten.<br />
228
Erstens geht es nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung beim öffentlichrechtlichen<br />
Arbeitszeugnis anders als beim zivilrechtlichen nicht eindeutig um<br />
Vermögensrecht (RB 2000 Nr. 28 E. 1.b Abs. 2 f.; VGr, 4. Juli 2001, PB.2001.00006,<br />
E. 1b, www.vgrzh.ch; vgl. auch RB 1988 Nr. 15). Zweitens stellen vermögensrechtliche<br />
Ansprüche staatlich Beschäftigter gemäss Praxis in der Regel keine<br />
wohlerworbenen Rechte dar, sofern nicht das Gesetz die einschlägige Beziehung<br />
ein für alle Mal festlegt oder bestimmte, mit einem einzelnen Dienstverhältnis verb<strong>und</strong>ene<br />
Zusicherungen abgegeben worden sind (BGr, 2. Juli 1999, Pra 89/2000<br />
Nr. 22 E. 3b; VGr, 11. Juni 2003, PB.2003.00009, E. 4a Abs. 2, www.vgrzh.ch;<br />
Häfelin/Müller, Rz. 2053 – alles mit Hinweisen). Drittens schützt die Eigentumsgarantie<br />
ein wohlerworbenes Recht nur, wenn es sich sachenrechtlich fixiert hat;<br />
bei finanziellen Ansprüchen von Beamten aber ist das Vertrauensprinzip als Anknüpfungspunkt<br />
zu behandeln (Dominik Strub, Wohlerworbene Rechte, Fribourg<br />
2001, S. 91–93; Häfelin/Müller, Rz. 1008; siehe ferner Beat Schulthess, Wohlerworbene<br />
Rechte in der schweizerischen Rechtsordnung, Basel 1980, S.103 f.).<br />
Es unterliegt also bereits erheblichen Zweifeln, ob hier prinzipiell ein wohlerworbenes<br />
Recht in Frage stehen kann. Ansonsten liesse sich das Zwischenzeugnis<br />
weder als etwas bestimmt Zugesichertes noch als unabänderlich auffassen. Vielmehr<br />
durfte bzw. musste es, weil es mit der Qualifikation «sehr gut» einen – wie<br />
sich alsbald zeigt – unzutreffenden Eindruck erweckt sowie mangels Verfügungseigenschaft<br />
oder doch eines Rechtsgangs über seinen Inhalt ohnehin nicht in<br />
Rechtskraft erwachsen war, durch das Schlusszeugnis korrigiert werden (Manfred<br />
Rehbinder, Berner Kommentar, 1985, Art. 330a OR N. 11; Daniel Brand et al., Der<br />
Einzelarbeitsvertrag im Obligationenrecht, Muri-Bern 1991, Art. 330a N. 4, 19;<br />
Janssen, S. 152–154; vgl. oben 5.2 Abs. 1). Selbst wenn aber das Zwischenzeugnis<br />
beim Beschwerdeführer relevantes Vertrauen geschaffen haben sollte, gebräche es<br />
als Schutzvoraussetzung nur schon an der Behauptung von <strong>des</strong>sen Betätigung (statt<br />
vieler Elisabeth Chiariello, Treu <strong>und</strong> Glauben als Gr<strong>und</strong>recht nach Art. 9 der<br />
schweizerischen B<strong>und</strong>esverfassung, Bern 2003, S. 120). Ein Mangel, geschweige<br />
denn ein schwer wiegender mit Nichtigkeitsgefahr, liegt <strong>des</strong>halb auch insofern<br />
nicht vor.<br />
VB.2002.00326 4. Kammer, 1. September<br />
Das B<strong>und</strong>esgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid abgewiesen,<br />
soweit darauf einzutreten war (BGr, 14. März 2005, 2P.257/2004, www.bger.ch).<br />
113<br />
229
114, 115<br />
114. Die Arbeitsniederlegung ist auch im öffentlichen Personalrecht ein Kündigungsgr<strong>und</strong>,<br />
sofern damit nicht zulässigerweise Rechte aus dem Arbeitsverhältnis<br />
geltend gemacht werden. § 18 Abs. 2 PG.<br />
230<br />
PB.2003.00022 4. Kammer, 7. Januar<br />
115. Die abschliessende Aufzählung der möglichen Auflösungsgründe eines<br />
Dienstverhältnisses im anwendbaren Personalrecht schliesst einen ungeschriebenen<br />
Kündigungstatbestand wegen «fehlenden Vertrauens» aus. § 16,<br />
§ 18 Abs. 2, § 19 PG.<br />
2.4.1 Art. 18 der kommunalen Personalverordnung (PVO) zählt die Gründe<br />
für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit der beschwerdeführenden Gemeinde<br />
abschliessend auf. Da vorliegend kein befristetes Arbeitsverhältnis ausgelaufen<br />
(lit. b), keine Auflösung im gegenseitigen Einvernehmen vereinbart worden<br />
(lit. c) <strong>und</strong> auch kein anderer Auflösungsgr<strong>und</strong> (Alter, Invalidität, Tod, Verzicht auf<br />
Wiederwahl, lit. e–h) eingetreten ist, verbleiben einzig die Kündigung (lit. a) <strong>und</strong><br />
die Auflösung aus wichtigem Gr<strong>und</strong> (lit. d) als Beendigungsgründe. Wie sich aus<br />
der [erstinstanzlichen] Verfügung [...] eindeutig ergibt, handelt es sich bei der von<br />
der Beschwerdeführerin ausgesprochenen Auflösung <strong>des</strong> Dienstverhältnisses um<br />
eine ordentliche Kündigung, nicht um eine fristlose Auflösung aus wichtigem<br />
Gr<strong>und</strong>. Die Beschwerdeführerin bringt denn auch nicht vor, dass die Voraussetzungen<br />
für die Letztere erfüllt gewesen wären. Eine ordentliche Kündigung wiederum<br />
darf laut Art. 20 Abs. 2 PVO, der inhaltlich § 18 Abs. 2 PG entspricht, nicht missbräuchlich<br />
nach den Bestimmungen <strong>des</strong> Obligationenrechts sein <strong>und</strong> setzt einen<br />
sachlich zureichenden Gr<strong>und</strong> voraus. Laut […] Art. 21 PVO, der inhaltlich § 19 PG<br />
entspricht, muss die Anstellungsinstanz, bevor sie eine Kündigung aufgr<strong>und</strong> mangelnder<br />
Leistung oder unbefriedigenden Verhaltens ausspricht, dem oder der Angestellten<br />
eine angemessene Bewährungsfrist von längstens sechs Monaten einräumen.<br />
Weiter müssen Vorwürfe, die zu einer Kündigung Anlass geben, durch eine<br />
Mitarbeiterbeurteilung belegt werden. Zur minimalen Dauer der Bewährungsfrist<br />
lassen sich dem kommunalen Recht keine Vorschriften entnehmen. Aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
Verweises in Art. 3 PVO gelten in<strong>des</strong> sinngemäss das Personalgesetz <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen<br />
Ausführungserlasse, soweit die Personalverordnung der Gemeinde X nichts Abweichen<strong>des</strong><br />
regelt. Anwendbar ist demnach auch § 18 Abs. 1 VVPG, <strong>des</strong>sen Satz 2 bestimmt,<br />
dass die Bewährungsfrist ab dem zweiten Dienstjahr in der Regel drei bis<br />
sechs Monate beträgt.
2.4.2 Die beschwerdeführende Gemeinde lässt vorbringen, die Kündigung <strong>des</strong><br />
Beschwerdegegners sei überwiegend <strong>des</strong>halb erfolgt, weil das Vertrauensverhältnis<br />
zu ihm nicht mehr bestanden habe. Art. 21 PVO beschlage dagegen nur die Kündigung<br />
im Zusammenhang mit der Leistung <strong>und</strong> dem Verhalten, sei <strong>des</strong>halb auf eine<br />
Kündigung wegen <strong>des</strong> verlorenen Vertrauensverhältnisses nicht anwendbar. Mit<br />
dieser Argumentation verkennt die Beschwerdeführerin zunächst, dass die Beendigungsgründe<br />
in der Personalverordnung gr<strong>und</strong>sätzlich abschliessend aufgezählt<br />
sind. Es können nicht neue Kündigungstatbestände geschaffen werden, für die dann<br />
die dem Schutz der Angestellten dienenden Bestimmungen in Art. 20 <strong>und</strong> 21 PVO<br />
nicht mehr gelten. Sofern der Vertrauensverlust so gewichtig ist, dass eine weitere<br />
Zusammenarbeit nach Treu <strong>und</strong> Glauben nicht mehr zumutbar ist, kann die fristlose<br />
Auflösung aus wichtigen Gründen gemäss Art. 23 PVO in Betracht gezogen werden.<br />
Die Kündigung war hier aber eine ordentliche, weshalb den Voraussetzungen<br />
der fristlosen Kündigung nicht weiter nachgegangen werden muss.<br />
Das verlorene Vertrauensverhältnis als eigenständigen Kündigungstatbestand<br />
zu betrachten würde darauf hinauslaufen, dass je<strong>des</strong> als mangelhaft empf<strong>und</strong>ene<br />
Verhalten, das zu Streitigkeiten zwischen den Parteien Anlass bietet, in eine Störung<br />
<strong>des</strong> Vertrauensverhältnisses umdeutbar wäre <strong>und</strong> so die Schutzvorschriften in<br />
Art. 21 PVO umgangen werden könnten. Ein gestörtes Vertrauensverhältnis liesse<br />
sich auf den ersten Blick allenfalls als sachlich zureichender Kündigungsgr<strong>und</strong><br />
gemäss Art. 20 Abs. 2 PVO qualifizieren. Dem steht jedoch die unzweideutige Anlehnung<br />
<strong>des</strong> anwendbaren kommunalen Personalrechts an das kantonale Recht entgegen,<br />
das aufgr<strong>und</strong> der Verweisung in Art. 3 PVO ohnehin ergänzend beizuziehen<br />
ist. Das kantonale Recht umschreibt die in § 18 Abs. 2 PG erwähnten sachlichen<br />
Kündigungsgründe in § 16 VVPG näher. Genannt werden mangelhafte Leistungen<br />
oder unbefriedigen<strong>des</strong> Verhalten (Abs. 1 lit. a), die Aufhebung der Stelle aus organisatorischen<br />
oder wirtschaftlichen Gründen (Abs. 1 lit. b) <strong>und</strong> der besondere Fall,<br />
dass der oder die Angestellte aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen während langer Zeit<br />
wiederholt oder dauernd an der Erfüllung der Aufgaben verhindert ist (Abs. 1 lit. c).<br />
Auch aus dieser Aufzählung erhellt, dass nur in besonderen Fällen auf Mitarbeiterbeurteilung<br />
<strong>und</strong> Bewährungsfrist verzichtet werden kann (sinngemäss VGr, 27. Mai<br />
2003, PB.2003.00006, E. 2a/bb, www.vgrzh.ch). Der von der Beschwerdeführerin<br />
geltend gemachte Tatbestand <strong>des</strong> Vertrauensverlusts figuriert nicht darunter.<br />
115<br />
PB.2003.00021 4. Kammer, 25. Februar<br />
231
116, 117<br />
116. Bei einer Kündigung während der Probezeit sind die gesetzlichen formellen<br />
Anforderungen an Kündigungen nicht anwendbar. § 19 PG.<br />
2.3 […] Bevor die Anstellungsinstanz eine Kündigung wegen mangelnder<br />
Leistung oder unbefriedigenden Verhaltens ausspricht, räumt sie [nach dem<br />
anwendbaren kommunalen Recht, das § 19 PG entspricht] dem oder der Angestellten<br />
eine angemessene Bewährungsfrist von längstens sechs Monaten ein.<br />
Vorwürfe, die zu einer Kündigung Anlass geben, müssen durch eine Mitarbeiterbeurteilung<br />
belegt werden [...]. Vorliegend haftet der Kündigung der Beschwerdeführerin<br />
die Besonderheit an, dass sie noch innerhalb der Probezeit von drei<br />
Monaten erfolgte. Wenn eine Kündigung innerhalb der Probezeit möglich sein soll<br />
– was sich aus den erwähnten gesetzlichen Bestimmungen ergibt –, kann aber eine<br />
angemessene Bewährungsfrist von in der Regel mehreren Monaten realistischerweise<br />
kaum je angesetzt werden. Auch eine Mitarbeiterbeurteilung dürfte nach<br />
(vorliegend) siebenwöchiger Dauer <strong>des</strong> Anstellungsverhältnisses kaum die erforderlichen<br />
Aufschlüsse über Vorwürfe ergeben, die zu einer Kündigung Anlass geben<br />
könnten. Es liegt allerdings gerade im Wesen einer Probezeit, dass Arbeitnehmer<br />
<strong>und</strong> Arbeitgeber einander kennen lernen, bevor eine lange Kündigungsfrist<br />
Platz greift, <strong>und</strong> sie nötigenfalls rasch die erforderlichen Konsequenzen ziehen<br />
können, falls sich innerhalb der Probezeit bereits erste Disharmonien abzuzeichnen<br />
beginnen (dazu Ullin Streiff/Adrian von Kaenel, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht,<br />
5. A., Zürich 1993, Art. 335b N. 14). Soll eine Kündigung während der Probezeit<br />
möglich sein, darf sie daher nicht etwa aus formellen Mängeln als ungültig<br />
betrachtet werden, wenn wie vorliegend sowohl die Ansetzung einer Bewährungsfrist<br />
als auch eine Mitarbeiterbeurteilung unterblieben sind. […]<br />
232<br />
PB.2003.00022 4. Kammer, 7. Januar<br />
117. Eine sexuelle Anspielung ist nicht ohne weiteres als sexuelle Belästigung<br />
im Sinn von Art. 4 GlG zu werten. Bei schwächeren Übergriffen muss im<br />
Einzelfall entschieden werden, ob sich eine Belästigung annehmen lässt.<br />
Art. 4 GlG.<br />
PB.2003.00022 4. Kammer, 7. Januar
118. Schadenersatzansprüche wegen mangelhaften Arbeitszeugnisses. Zum Begriff<br />
der Widerrechtlichkeit im Staatshaftungsrecht. Das wiedererwägungsweise<br />
aufgehobene Zeugnis ist den im Rechtsmittelverfahren geänderten<br />
Entscheiden gleichzustellen. Haftungsvoraussetzung bildet daher Arglist.<br />
Bei Haftung für Rechtsverweigerung <strong>und</strong> Rechtsverzögerung gelten die<br />
strengeren Voraussetzungen in Bezug auf die Haftung für inhaltliche Mängel<br />
von Rechtsakten nicht. Die Möglichkeit der Schadensschätzung entbindet<br />
nicht vom Beweis <strong>des</strong> Schadenseintritts. Art. 42 Abs. 2 OR. § 6 Abs. 2<br />
HaftungsG.<br />
4.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass es vorliegend bereits an der Widerrechtlichkeit<br />
fehle. Es werde vom Beschwerdeführer nicht behauptet, dass das<br />
Arbeitszeugnis vom 19. Mai 2000 unwahre Tatsachen enthalten habe, <strong>und</strong> auch die<br />
inhaltlichen Anpassungen im Arbeitszeugnis vom 22. November 2001 belegten dies<br />
nicht, weil sie aufgr<strong>und</strong> eines Vergleichsgesprächs zustande gekommen seien.<br />
Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden.<br />
Zum einen können sich Mängel eines Arbeitszeugnisses nicht nur aus unwahren<br />
Tatsachenbehauptungen ergeben, sondern auch aus der Wiedergabe an sich<br />
wahrer Tatsachen, deren Erwähnung im Arbeitszeugnis aber unstatthaft ist. [...]<br />
Zum andern kann zwar aus Unterschieden zwischen der ursprünglichen Fassung<br />
<strong>des</strong> Arbeitszeugnisses vom 19. Mai 2000 <strong>und</strong> der definitiven Version vom 22. November<br />
2001 tatsächlich noch nicht geschlossen werden, dass die erste Fassung<br />
unwahre Angaben enthielt. Diese Möglichkeit kann aber auch nicht allein <strong>des</strong>halb<br />
verneint werden, weil die endgültige Fassung auf Vergleichsgespräche zurückgeht.<br />
4.2 Ob das Arbeitszeugnis vom 19. Mai 2000 widerrechtlich war, ist von Amts<br />
wegen abzuklären (§ 70 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 VRG). Allerdings ist § 21<br />
Abs. 1 HaftungsG zu beachten, wonach die Gesetzmässigkeit formell rechtskräftiger<br />
Verfügungen, Entscheide <strong>und</strong> Urteile nicht überprüft werden darf. Die im Sinn<br />
einer Wiedererwägung ergangene Verfügung vom 22. November 2001 betreffend<br />
das Arbeitszeugnis ist nicht angefochten worden <strong>und</strong> in formelle Rechtskraft erwachsen<br />
(vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, § 22 N. 19). Die in der Fassung vom 22. November<br />
2001 verbliebenen Aussagen <strong>des</strong> Arbeitszeugnisses vom 19. Mai 2000 können<br />
<strong>des</strong>halb vorliegend nicht mehr auf ihre Widerrechtlichkeit hin überprüft werden.<br />
Durch die Wiedererwägung nicht ausgeschlossen wird Schadenersatz für übermässig<br />
lange Verfahrensdauer (Hans Rudolf Schwarzenbach, Die Staats- <strong>und</strong><br />
Beamtenhaftung in der Schweiz mit Kommentar zum zürcherischen Haftungsgesetz,<br />
2. A., Zürich 1985, S. 52).<br />
118<br />
233
118<br />
4.3 Wenn blosse Vermögensschäden – welche keine Verletzung eines absoluten<br />
Rechts darstellen – oder Schäden infolge eines Rechtsakts behauptet werden,<br />
gilt ein Verhalten im Staatshaftungsrecht nur dann als widerrechtlich, wenn es gegen<br />
geschriebene oder ungeschriebene Gebote oder Verbote der Rechtsordnung<br />
verstösst, die dem Schutz <strong>des</strong> verletzten Rechtsguts dienen (BGE 123 II 577 E.<br />
4d/aa–dd, mit zahlreichen weitern Hinweisen; VGr, 25. August 1997, ZBl 99/1998<br />
S. 474 E. 3 am Anfang; Jaag, Rz. 2114). In diesem Fall ist das Verhalten eines oder<br />
einer staatlichen Angestellten nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts dann<br />
widerrechtlich, wenn er bzw. sie in Ausübung der amtlichen Befugnis einen besonderen<br />
Fehler begeht. Ein solcher liegt nicht bereits dann vor, wenn sich ein Rechtsakt<br />
später als unrichtig, gesetzwidrig oder sogar willkürlich erweist; haftungsbegründende<br />
Widerrechtlichkeit ist in diesem Fall vielmehr erst dann gegeben, wenn<br />
eine für die Ausübung der Funktion wesentliche Pflicht, eine wesentliche<br />
Amtspflicht, verletzt wird (BGr, 3. Juli 2003, 2C.4/1999, E. 7.1, <strong>und</strong> 2C.5/1999,<br />
E. 6.1, je mit weitern Hinweisen, www.bger.ch; BGE 120 Ib 248 E. 2b, 119 Ib 208<br />
E. 5a). Es muss sich um eine Fehlleistung handeln, die pflichtbewussten Angestellten<br />
oder Behördenmitgliedern nicht unterlaufen wäre (BGE 119 Ib 208 E. 5b;<br />
Tobias Jaag, Staatshaftung nach dem Entwurf für die Revision <strong>und</strong> Vereinheitlichung<br />
<strong>des</strong> Haftplichtrechts, ZSR 122/2003 II, S. 3 ff., 63). Im kantonalzürcherischen<br />
Recht schränkt § 6 Abs. 2 HaftungsG die Haftung für Entscheide, die im<br />
Rechtsmittelverfahren geändert werden, sogar auf Fälle arglistigen Handelns der<br />
Vorinstanz ein, wobei abweichende spezielle Normen vorbehalten bleiben (§ 5 Abs.<br />
1 HaftungsG; vgl. etwa § 18 Abs. 3 PG <strong>und</strong> § 80 Abs. 2 VRG). Die Prüfung <strong>des</strong><br />
Verhaltens <strong>des</strong> oder der betreffenden Angestellten ist ex ante, nicht ex post vorzunehmen<br />
(BGE 120 Ib 411 E. 4c/aa; Jaag, Staatshaftung, S. 62).<br />
4.5 Aus den Mängeln <strong>des</strong> Arbeitszeugnisses kann nicht ohne weiteres auf<br />
Widerrechtlichkeit im haftungsrechtlichen Sinn geschlossen werden. Ob hier eine<br />
Amtspflichtverletzung <strong>und</strong> damit haftungsrechtlich relevante Widerrechtlichkeit im<br />
Sinn der B<strong>und</strong>esgerichtspraxis anzunehmen wäre, ist jedoch nicht die entscheidende<br />
Frage, wenn gemäss § 6 Abs. 2 HaftungsG Arglist als Voraussetzung einer Schadenersatzzahlung<br />
gegeben sein muss. Dies ist gemäss der genannten Bestimmung<br />
der Fall, wenn ein «Entscheid im Rechtsmittelverfahren geändert» wurde.<br />
4.5.1 Das Arbeitszeugnis gilt nicht als Verfügung; aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Rechtsschutzinteresses<br />
fassen Praxis <strong>und</strong> Lehre jedoch den Entscheid der Anstellungsbehörde<br />
über die von der Arbeitnehmerin bzw. vom Arbeitnehmer beantragte Änderung <strong>des</strong><br />
Arbeitszeugnisses als anfechtbare Verfügung auf (VGr, 10. Juli 2002, ZBl 104/2003<br />
S. 185, E. 10a mit weitern Hinweisen; Kölz/Bosshart/Röhl, § 74 N. 6). Diese Dif-<br />
234
ferenzierung spricht allerdings nicht gegen die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 2<br />
HaftungsG: Massgebend ist nicht der Verfügungscharakter, sondern die Anfechtbarkeit<br />
<strong>des</strong> fraglichen Akts, soll doch der Staatshaftungsprozess gegenüber dem<br />
Anfechtungsverfahren subsidiär sein. Primär soll eine Schädigung mit der Aufhebung<br />
<strong>des</strong> fehlerhaften Entscheids im Rechtsmittelverfahren von vornherein verhindert<br />
werden (vgl. Franz Schön, Staatshaftung als Verwaltungsrechtsschutz,<br />
Basel/Stuttgart 1979, S. 47 ff., 81). Da der Rechtsweg gegen das Arbeitszeugnis<br />
offen steht, besteht kein Anlass, die Haftung für Verfügungen über Arbeitszeugnisse<br />
gegenüber der Haftung für andere Rechtsakte zu erleichtern. Die besondere Ausgestaltung<br />
<strong>des</strong> Rechtsschutzes gegenüber dem Arbeitszeugnis bringt einzig mit<br />
sich, dass der massgebliche Zeitraum für die Prüfung der Arglist im vorliegenden<br />
Fall erst am 2. Mai 2001 – dem Tag, an dem die Ablehnung der Anträge zur Änderung<br />
<strong>des</strong> Arbeitszeugnisses in Verfügungsform festgehalten wurde – endet.<br />
4.5.2 Die fragliche Verfügung wurde nicht in einem Rechtsmittelverfahren,<br />
sondern wiedererwägungsweise aufgehoben. Auch dies ist nicht relevant: Zwar<br />
bezieht sich § 6 Abs. 2 HaftungsG nach seinem Wortlaut nur auf Entscheide, die<br />
«im Rechtsmittelverfahren geändert» wurden. Daraus lässt sich jedoch nicht mehr<br />
ablesen, als dass einerseits das Anfechtungsverfahren dem Staatshaftungsprozess<br />
vorgehen soll <strong>und</strong> dass anderseits die Aufhebung eines Entscheids im Rechtsmittelverfahren<br />
die ordentliche Form der Feststellung von <strong>des</strong>sen ursprünglicher Fehlerhaftigkeit<br />
ist. Die Aufhebung einer Verfügung infolge einer Wiedererwägung ist<br />
daher unter § 6 Abs. 2 HaftungsG zu subsumieren.<br />
4.5.3 Der in § 6 Abs. 2 HaftungsG verwendete Begriff «arglistig» hat verschiedene<br />
Bedeutungen; namentlich wird «Arglist» vom B<strong>und</strong>esgesetzgeber teilweise<br />
auch als Synonym für «Vorsatz» verwendet (Andreas von Tuhr/Hans Peter,<br />
Allgemeiner Teil <strong>des</strong> Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, 3. A., Zürich<br />
1979, S. 427 Fn. 4). Aus den parlamentarischen Beratungen zum Haftungsgesetz<br />
ergibt sich jedoch, dass der ganz bewusst gesetzte Begriff eine «qualifizierte Form<br />
<strong>des</strong> Vorsatzes» bezeichnen soll (vgl. Prot. KR 1967–1971, Bd. II, S. 2364 ff.,<br />
besonders 2372 [Votum Jäckli] <strong>und</strong> 2375 [Votum Nehrwein]; Schwarzenbach, S. 182).<br />
Dies folgt auch aus einem Vergleich mit § 6 Abs. 3 HaftungsG, wo von «Vorsatz<br />
oder grober Fahrlässigkeit» die Rede ist. Offen bleiben allerdings sowohl Art <strong>und</strong><br />
Ausmass der Qualifikation als auch das Bezugsobjekt: Es fragt sich, ob der qualifizierte<br />
Vorsatz sich «nur» auf den Erlass eines fehlerhaften Rechtsakts oder sogar<br />
auf die Schädigung beziehen muss (für Letzteres: Balz Gross, Die Haftpflicht <strong>des</strong><br />
Staates, Zürich 1996, S. 164). So oder so dürfte die Arglist in aller Regel höchst<br />
schwierig nachzuweisen sein. Auch im vorliegenden Fall wird nicht einmal darge-<br />
118<br />
235
118<br />
tan, dass das Arbeitszeugnis vorsätzlich mangelhaft abgefasst worden wäre. Die<br />
beantragte Entschädigung wird daher, soweit sie für die inhaltlichen Mängel <strong>des</strong><br />
Arbeitszeugnisses vom 19. Mai 2000 ausgesprochen werden soll, bereits von § 6<br />
Abs. 2 HaftungsG ausgeschlossen.<br />
4.6 Der Beschwerdeführer leitet einen Schadenersatzanspruch auch daraus<br />
ab, dass ihm das korrekte Arbeitszeugnis nur mit Verzögerung ausgestellt worden<br />
sei. Die Vorinstanz <strong>und</strong> der Beschwerdegegner wenden dagegen ein, die Verzögerung<br />
sei in erster Linie auf das Verhalten <strong>des</strong> Beschwerdeführers zurückzuführen.<br />
Die Rechtsverzögerung ist haftungsrechtlich dem fehlerhaften Entscheid nicht<br />
gleichzustellen.<br />
4.6.1 Nach der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Praxis findet auf die Haftung für Rechtsverweigerung<br />
<strong>und</strong> -verzögerung (im Fall von Vermögensschäden) nicht die Rechtsprechung<br />
zur Widerrechtlichkeit von Rechtsakten Anwendung; es gilt vielmehr<br />
der allgemeine staatshaftungsrechtliche Begriff der Widerrechtlichkeit. Demnach<br />
ist Widerrechtlichkeit zu bejahen, wenn ein Gebot oder Verbot der Rechtsordnung<br />
verletzt wird, das dem Schutz <strong>des</strong> verletzten Rechtsguts dient. Die Untätigkeit oder<br />
Verfahrensverzögerung verletzt Verfahrensgarantien, die dem Schutz <strong>des</strong> Anspruchs<br />
der Rechtsuchenden auf einen Entscheid innert angemessener Frist dienen.<br />
Im Fall einer Rechtsverzögerung ist die Widerrechtlichkeit daher gegeben (BGE<br />
107 Ib 160 E. 3d; vgl. auch Michael Fajnor, Staatliche Haftung für rechtmässig verursachten<br />
Schaden, Zürich 1987, S. 35 f.; Gross, S. 135; Schön, S. 78 f.; Schwarzenbach,<br />
S. 72). Es bestehen keine Anhaltspunkte – etwa im Wortlaut von § 6 Abs. 2<br />
HaftungsG oder in den Materialien – dafür, dass Arglist im kantonalzürcherischen<br />
Recht auch für den Schadenersatz wegen Rechtsverweigerung sowie -verzögerung<br />
vorauszusetzen wäre. Es spricht auch nicht für die Unterstellung der Haftung für<br />
Rechtsverweigerung <strong>und</strong> -verzögerung unter § 6 Abs. 2 HaftungsG, dass – zumin<strong>des</strong>t<br />
im B<strong>und</strong>esverwaltungsprozess – das Anfechtungsverfahren gegen Rechtsverweigerungen<br />
<strong>und</strong> -verzögerungen geöffnet wird, indem eine Verfügung fingiert<br />
wird (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, Vorbem. zu §§ 19–28 N. 48 f.): Im Gegensatz zu<br />
inhaltlichen Mängeln eines Rechtsakts kann der Zeitablauf von vornherein nicht<br />
mehr rückgängig gemacht werden. Daher rechtfertigt es sich, Rechtsverweigerungen<br />
<strong>und</strong> Rechtsverzögerungen nicht den strengeren Anforderungen von § 6 Abs. 2<br />
HaftungsG zu unterstellen, sondern der diesbezüglichen b<strong>und</strong>esgerichtlichen Praxis<br />
zu folgen.<br />
4.6.2 Entgegen der Ansicht <strong>des</strong> Beschwerdeführers sind unter dem Gesichtspunkt<br />
der Rechtsverzögerung nur die reine Verfahrensdauer <strong>und</strong> die Gründe dafür<br />
236
zu beachten. Die schärferen Haftungsvoraussetzungen von § 6 Abs. 2 HaftungsG<br />
für inhaltliche Mängel von Rechtsakten würden umgangen, wenn jeweils bereits<br />
<strong>des</strong>wegen eine Rechtsverzögerung angenommen würde, weil es der verfügenden<br />
Instanz bis zum Abschluss eines Rekursverfahrens möglich ist, die Mängel ihrer<br />
Verfügung zu bemerken <strong>und</strong> die Verfügung in Wiedererwägung zu ziehen.<br />
4.6.3 [...] Dass eine rekursfähige Verfügung erst r<strong>und</strong> ein Jahr nach der Einreichung<br />
<strong>des</strong> Antrags auf ein korrektes Vollzeugnis erfolgte, geht [...] zu einem geringeren<br />
Teil auf die Erarbeitung von Vergleichsvorschlägen <strong>und</strong> zum grösseren Teil<br />
auf die Passivität <strong>des</strong> Beschwerdeführers zurück; der Direktion ist keine Rechtsverzögerung<br />
<strong>und</strong> damit kein widerrechtliches Verhalten vorzuwerfen. Ebenso wenig ist<br />
dem Regierungsrat vorzuhalten, dass er in den r<strong>und</strong> viereinhalb Monaten zwischen<br />
Rekurseingabe <strong>und</strong> Einigung der Parteien noch keinen Rekursentscheid fällte (vgl.<br />
§ 27a VRG; Kölz/Bosshart/Röhl, § 27a N. 8; vgl. im Übrigen auch § 7 HaftungsG<br />
<strong>und</strong> dazu BGE 107 Ib 155).<br />
5. Ergänzend ist festzuhalten, dass auch weder ein Schaden noch ein adäquater<br />
Kausalzusammenhang zwischen dem beanstandeten staatlichen Handeln bzw.<br />
Unterlassen <strong>und</strong> einer allfälligen Vermögensschädigung dargetan wurden.<br />
Der Beschwerdeführer nimmt einen Schaden an, weil er für die Suche nach<br />
einer besser bezahlten Stelle auf ein korrektes Arbeitszeugnis angewiesen gewesen<br />
sei. Er beruft sich dabei auf das Urteil <strong>des</strong> <strong>Verwaltungsgericht</strong>s vom 22. März 2000.<br />
Dieses ging davon aus, dass der Beschwerdeführer im Fall einer ordentlichen Kündigung<br />
eine besser bezahlte Stelle als die inzwischen angetretene hätte finden können.<br />
Insofern sei ihm, bis die Folgen der Rehabilitierung durch das verwaltungsgerichtliche<br />
Urteil einträten, ein Schaden entstanden, der in analoger Anwendung von<br />
Art. 42 Abs. 2 OR zu schätzen sei (PB.1999.00021, E. 6b, www.vgrzh.ch; vgl. auch<br />
Chambre d'appel <strong>des</strong> prud'hommes de Genève, 2. Juni 1999, JAR 2000 S. 287, E. 3).<br />
Nach der Praxis <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esgerichts enthält Art. 42 Abs. 2 OR eine b<strong>und</strong>esrechtliche<br />
Beweisvorschrift, die den Geschädigten den Schadensnachweis erleichtern<br />
soll. In Fällen, in denen der strikte Nachweis <strong>des</strong> Schadens ausgeschlossen ist,<br />
gestattet die Bestimmung dem Gericht, den Schaden aufgr<strong>und</strong> einer blossen Schätzung<br />
als ausgewiesen zu betrachten. Art. 42 Abs. 2 OR ist nicht nur bei Unmöglichkeit<br />
<strong>des</strong> ziffernmässigen Nachweises der Schadenshöhe, sondern auch dann anwendbar,<br />
wenn sich nicht strikte beweisen lässt, dass überhaupt ein Schaden eingetreten<br />
ist. Umgekehrt soll den Geschädigten die Beweislast nicht generell abgenommen<br />
werden. Sie haben nach wie vor alle Umstände, die für den Eintritt eines<br />
118<br />
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118<br />
Schadens sprechen <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich<br />
<strong>und</strong> zumutbar zu behaupten <strong>und</strong> zu beweisen. Die vorgebrachten Umstände<br />
müssen geeignet sein, den Bestand <strong>des</strong> Schadens hinreichend zu belegen <strong>und</strong> seine<br />
Grössenordnung hinreichend fassbar werden zu lassen. Die Zusprechung von Schadenersatz<br />
setzt voraus, dass der Eintritt <strong>des</strong> geltend gemachten Schadens nicht bloss<br />
im Bereich <strong>des</strong> Möglichen liegt, sondern als annähernd sicher erscheint (BGE 122<br />
III 219 E. 3a; Katharina Schoop in: Jolanta Kren Kostkiewicz et al. [Hrsg.], Handkommentar<br />
zum Schweizerischen Obligationenrecht, Zürich 2002, Art. 42 N. 8 f.).<br />
Dieser Substanziierungspflicht kommt der Beschwerdeführer nicht nach. So<br />
macht er keine Bemühungen um eine besser bezahlte Arbeitsstelle geltend. Zwar behauptet<br />
er, solche wären aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> negativen Arbeitszeugnisses vom 19. Mai 2000<br />
von vornherein aussichtslos gewesen. Auch in den über zwei Jahren seit der Ausstellung<br />
<strong>des</strong> korrigierten Arbeitszeugnisses vom 22. November 2001 hat der Beschwerdeführer<br />
jedoch keine ersichtlichen Anstalten unternommen, eine besser bezahlte<br />
Arbeitsstelle zu finden. Solche Versuche werden auch nicht geltend gemacht.<br />
Der Beschwerdeführer vermag demnach nicht darzutun, dass ihm durch das Arbeitszeugnis<br />
vom 19. Mai 2000 ein Schaden entstanden ist.<br />
238<br />
PB.2003.00016 4. Kammer, 7. Januar